Ob ich glücklicher wäre, wenn meine Tochter keine Behinderung hätte?

Behinderung

Ihr Lieben, unsere Leserin Ramona war 18, als sie ihr erstes Kind bekam. Ein Kind mit Behinderung. Für die Mama ist sie aber einfach ihre Theresa. Nur die Stimmen von außen machen im Grunde etwas Besonderes aus ihr. Ob sie sich ihr Leben so vorgestellt hatte? Natürlich nicht! Viel romantischer und gepflegter und ohne Wäscheberge. Aber ob sie damit glücklicher wäre? Hier lest ihr ihren Gastbeitrag.

Ich wurde heute gefragt, ob ich glücklicher wäre, wenn meine Tochter keine Behinderung hätte… Diese Frage beschäftigt mich… Warum denken viele Menschen, ich müsse unglücklich sein, weil ich ein behindertes Kind habe!?

Ich höre oft:

– „Bist Du wirklich glücklich? 

„Ich bewundere Deine positive Einstellung!“ 

„Wie machst Du das bloß!?“ 

„Ist wohl ein bisschen viel in letzter Zeit, was!?“ 

„Denk mal an Deine Gesundheit!“

Bin ich etwa nicht glücklich?

Ich frage mich: Stimmt es, was die Leute vermuten? Bin ich etwa nicht glücklich? „Darf“ ich vielleicht gar nicht glücklich sein? Wäre ich glücklicher, wenn Theresa keine Behinderung hätte?

Zugegeben: Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mir mein Leben genauso vorgestellt habe!

Eine fröhliche Familie steht in der Küche und bereitet gemeinsam das gesunde Abendessen vor. Mama trägt die perfekte Frisur, die Nägel sind frisch gemacht und sie strahlt vor Glück… Später sitzen alle zusammen und spielen Gesellschaftsspiele. Die Kinder (mindestens 2 und selbstverständlich kerngesund!) sind frisch gebadet und stets gut gelaunt. Alles riecht frisch und das Haus ist aufgeräumt…

Willkommen in meinem Leben!

So oder so ähnlich habe ich mir das früher vorgestellt. Damals. Heile Welt und so. In Wirklichkeit komme ich gegen 18 Uhr abgestresst nach Hause, die Haare stehen zu Berge – nein, eigentlich bestehen sie nur noch aus Ansatz –, ich habe noch nichts gekocht, geschweige denn eingekauft und auf der Hofeinfahrt winkt mir zur Begrüßung das Unkraut zu…. Oh.

Gartenarbeit. Ja. Da war was. Okay. Muss warten. Ich müsste auch schon seit zwei Wochen zum Arzt… Gardinen waschen? Muss man das? Die Wäsche stapelt sich in verschiedensten Körben und wartet auf ein bisschen Aufmerksamkeit… Ob das meine Vorstellung vom Familienleben war!? Beim Gedanken an dieses Szenario hätte ich dem Schicksal einen Vogel gezeigt und wäre gegangen. Und jetzt!? **Willkommen in meinem Leben!**

Ein behindertes Kind und zudem auch noch alleinerziehend hat definitiv nicht in meine Lebensplanung gepasst. Erst recht nicht im „zarten“ Alter von 18… Das Leben fragt aber nicht, ob es gerade passt. Leben ist das, was passiert, während wir dabei sind, andere Pläne zu schmieden.

„Mein Kind hat mich beflügelt“

Ich hatte den Glauben an das Leben und an das Glück für einen kurzen Moment verloren. Es gab Zeiten, da habe ich mich beim Aufstehen aufs spätere „Ins Bett gehen“ gefreut. Mutlos, verzweifelt, ausgebrannt, traurig, allein. Einzig mein Kind hat mich zu dieser Zeit beflügelt.

Tag für Tag, Moment für Moment habe ich gekämpft. Klingt hart? War es auch! Ich musste lernen, mit der Behinderung meiner Tochter und dem „neuen“ Leben klarzukommen. Ich habe gelernt, Glück in anderen Dimensionen wahrzunehmen. 

Ich bin, wie ich bin, weil es so ist wie es ist….

Aber wäre ich glücklicher, wenn Theresa keine Behinderung hätte?  Ich wäre vielleicht „anders“ glücklich! Trotz aller Einschränkungen möchte ich mir mein Leben nicht anders vorstellen. Nicht ohne Theresa. NIE ohne Theresa. Ich bin, wie ich bin, weil es so ist wie es ist….

Ich durfte lernen, wie wichtig Glück und Wertschätzung ist. Der Kontrast bestimmt den Wert des Lebens! Ich schätze das Glücksgefühl mehr und mehr, denn ich habe im Gegenzug auch sehr unglückliche Momente erlebt.

Ist gesund = glücklich und behindert = unglücklich? 

Jeder kennt doch diese perfekten Momente: Alles fühlt sich gut an, alles passt. Diese Augenblicke möchte man am liebsten immer festhalten. Keine Tiefpunkte. Es gibt Anleitungen und Formeln zum Glücklichsein. Ratgeber für Alles und Jeden. Ist gesund = glücklich und behindert = unglücklich? 

Das Wichtigste, was ich gelernt habe: Auch in den nicht so perfekten Momenten glücklich zu sein. Sich über nette Gesten freuen. Aufrichtig und ehrlich zu sein. Wertschätzung. Zuversicht. An sich selbst glauben.

Nicht jeder Tag kann super sein. 

Für schlechte Tage habe ich gelernt, diese anzunehmen wie sie sind: Ärgere Dich nicht über Dinge, die Du nicht ändern kannst. Ich akzeptiere, dass manche Tage einfach grau sind. Und wisst ihr was!? Das ist okay. Nicht jeder Tag kann super sein. 

Die Frage, ob ich mir nicht ein gesundes Kind wünschen würde… Natürlich wünsche ich mir, dass Theresa „gesund“ ist. Aber so ist es nun mal nicht. Warum also soll ich mir den Kopf darüber zerbrechen? Ich möchte mir mein Kind nicht anders vorstellen. Sie ist genau richtig SO wie sie ist! 

Glücklich nicht TROTZ, sondern MIT Behinderung

Ich bin froh, so eine aufgeschlossene, fröhliche, lebensbejahende Tochter zu haben und würde sie mir, wenn ich könnte, immer wieder so wünschen. GENAUSO!

Wenn mich also nochmal jemand fragt: Glücklich trotz Behinderung? Ich werde antworten: JA! Sehr sogar! Das eine schließt das andere nicht aus. Glück kennt keine Behinderung. Bei uns zu Hause ist das so….

Inklusion

EDIT: Diesen Text habe ich vor einigen Jahren verfasst. Er spricht mir damals wie heute aus der Seele… Heute ist die Situation eine andere: Meine beeinträchtigte Tochter ist mittlerweile erwachsen und ausgezogen. Sie lebt selbstbestimmt und inklusiv mit Assistenz! Und das Wichtigste: SIE IST GLÜCKLICH! Es war ein Kampf. Gegen die deutsche Bürokratie. Aber ein Löwenherz brüllt lauter als jeder Sachbearbeiter… Ich bin heute verheiratet und durfte vor fünf Monaten mit 41 Jahren Mutter einer weiteren zauberhaften Tochter werden. Ob ich heute glücklicher bin!? Ich bin ANDERS glücklich und es ist „nur“ ANDERS schön… Theresa ist jetzt 21 Jahre alt und eine stolze, große Schwester… Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede…. <3

f3687ea3ae24418c9785e1ef2d8b8a70

Du magst vielleicht auch


13 comments

  1. Liebe Ramona,
    Dein Text ist in vielerlei Hinsicht unglaublich bereichernd und inspiriert ins Positive! Danke für Deine wunderschöne Geschichte!
    Alles Liebe Dir und Deinen Lieben!

  2. Ein toller Text! Vielen Dank dafür!

    Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen und vor allem Eltern von Kindern mit Behinderung das so sehen könnten. Glücklich nicht trotz der Behinderung sondern mit.
    In meiner beruflichen Praxis als Förderschullehrerin habe ich viele Eltern kennengelernt, die mit den Beeinträchtigungen ihrer Kinder nur schwer umgehen können und sich wünschen, ihre Kinder seien anders.
    Schön, dass Theresa diese Erfahrung mit ihrer Mutter nicht machen musste.

    1. Ich bin so eine Mutter, die das nicht kann-jedenfalls nicht so locker.
      Ich habe eine 7-jährige Tochter mit Trisomie 21. Wir lieben unsere Tochter, sie geht in eine Integrationsklasse, ist dort auch tatsächlich toll integriert, wird auch von den nicht-behinderten Kindern zum Geburtstag eingeladen…ihre Geschwister und wir Eltern sind sehr glücklich mit ihr und mit unserem Leben.
      Trotzdem würde ich sofort „Juhu“ schreien, wenn es möglich wäre, sie mit einem Fingerschnipsen wegzuzaubern….
      Alles ist gut bei uns mit Behinderung-aber dankbar oder begeistert davon bin ich nicht!

  3. Danke für diese schöne, Mut machende Rückmeldung!
    Und jeder macht nur soviel öffentlich wie er/ sie mag, die Tochter ist schließlich ein erwachsener Mensch. Voyeurismus ist hier fehl am Platze!

  4. Schade, hätte mir mehr aus dem Alltag gewünscht. Ob es in der Ss festgestellt wurde, welche Art von Behinderung, ob der Kindsvater Kontakt hat, ob die zweite Tochter gesund ist,…

    1. Aber das ist doch gar nicht der intendierte Inhalt. Es geht doch darum, ob man „trotz“ Behinderung des Kindes glücklich sein kann. Dafür spielen die von Ihnen genannten Aspekte vermutlich, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle.

    2. Die Fragen beantworte ich gerne:
      Die Behinderung wurde ausgelöst durch einen unverschuldeten Verkehrsunfall. „Damals“ war Theresa 3 Monate alt. Sie wurde schwer verletzt und ihr Schädel musste zum Druckausgleich geöffnet werden.
      Wir pflegen keinen Kontakt zum Vater.
      Er ist seinerzeit nicht mit der Behinderung zurecht gekommen. Heute sitzt er aufgrund eines Verkehrsunfalles selber im Rollstuhl….

      Unsere 2. Tochter ist gesund!

      Herzliche Grüße
      Ramona

      1. Was für ein toller Text!
        Ein Löwenherz brüllt lauter als jeder Sachbearbeiter….
        Mein neuer Lieblingssatz! Denn genau so ist es!
        Danke Ramona für Deinen wunderbaren Beitrag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert