„Unser Sohn war an der Regelschule einfach nur unglücklich“ – Interview mit Maja

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Liebe Maja, erzähl uns von Deinem Kind, um das es heute hier geht. 
 
Unser Sohn Moritz wurde im März 2010 per Notkaiserschnitt auf die Welt geholt. Er war von Anfang an einer von der Sorte: Entweder ich kann es – dann ist das Spielzeug aber auch schnell uninteressant oder ich kann es nicht – dann versuche ich es eben in zwei Monaten nochmal und wenn es dann klappt, dann ist es auch uninteressant. Mit einem Jahr hatte er alle Zähne, aber dafür noch keine Haare, mit eindreiviertel sprach er in kompletten Sätzen, grammatisch richtig – Haare hatte er immer noch nicht – man(n) muss eben Prioritäten setzen 🙂 Heute hat er Haare, aber sonst hat sich nix geändert. Entweder er kann etwas sofort zu 120% oder er ist böse auf sich selber und blockiert komplett.
 
Wie war dein Gefühl, wenn Du an die Einschulung deines Kindes gedacht hast? Was waren Deine Befürchtungen?
 
Schon früh hatten wir die Befürchtung, dass eine Regelschule nichts für Moritz ist. Da geht er verloren, dachten wird. Doch bei uns im Umkreis gab es wenig Alternativen, eigentlich nur eine – und die heißt Waldorf. Damals dachten wir, dass Waldorf nur "Tanze deinen Namen" bedeutet. 
Unsere Einzugsschule ist die größte Grundschule in der Gegend. Dort lernen etwa 400 Schüler und als Moritz in die erste Klasse kam, fuhren die Fünf-Zügig. Unsere Bedenken wurden mit jedem Tag größer. Aber wir sagten uns dann immer: " Das Leben ist kein Wunschkonzert, die weiterführenden Schulen sind auch nicht kleiner, da muss er jetzt durch!" 
 
Wie liefen dann die ersten Wochen in der Schule?
 
Naja, die ersten Wochen war alles so weit ok, so richtig Lust am Lernen konnte ich aber bei Moritz nicht erkennen. Wenn ich mit der Klassenlehrerin kommunizieren wollte, musste ich entweder über das Sekretariat oder über das Schulbuch einen Termin mit ihr vereinbaren  –  das konnte bis zu zwei Wochen dauern! Da es eine große Grundschule war, konnte man die Lehrer nicht einfach auf dem Schulhof ansprechen, man sah die Lehrerin überhaupt nicht, denn man sollte das Kind vor dem Zaub abgeben und dort wieder abholen.  
Es gab aber einiges, über das ich mit der Lehrerin sprechen wollte. Und beim ersten Termin erzählte sie uns, dass Moritz ihr nach drei Wochen gesagt habe, dass die Organisation des Unterrichts nicht gut sei. Er hätte ihr Vorschläge gemacht, die sie sogar umgesetzt hatte und mit denen es besser lief. Da wusste ich, dass er auf dieser Schule nicht bleiben wird. 
Eigenartig fand ich, dass es eine "Ampel" gab, die das Betragen der Kinder anzeigte. Jede Stunde wurde das Verhalten des Kindes so bewertet – grün für sehr brav, über grau, gelb bis hin zu rot für böse. Jede Stunde wurde so also bewertet und im Hausaufgabenheft notiert. 
Am Anfang dachte ich, dass das gar nicht so schlecht sei, aber nach zwei, drei Wochen merkte ich, wie sich Moritz innerlich immer mehr Druck aufbaute, obwohl wir nie böse waren, wenn er grau oder gelb hatte. Er ist ein Junge und er ist sieben Jahre alt – mehr muss man dazu wohl nicht sagen.
Nach den Herbsferien fing es an, von Woche zu Woche schwieriger zu werden. Bis dahin war er in Mathe immer gut gewesen, plötzlich schaffte er seine Aufgaben nicht mehr. Oder besser gesagt, er machte sie einfach nicht mehr. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er: "Ich kann die Aufgaben bereits alle. Warum soll ich sie also nochmal machen?" Er empfand diese Wiederholungen als Bestrafung. 
Zudem wurde er immer hibbeliger, konnte kaum noch still sitzen – und im Dezember war seine Unruhe kaum noch auszuhalten. Er konnte seine Beine nicht ruhig halten, weder beim Essen, noch beim Vorlesen, noch beim Spielen! Wenn ich zu Ihm sagte: "Moritz, halt deine Beine doch nur fünf Minuten ruhig, bitte!" kam die Antwort "Ich möchte ja, aber es geht nicht!" Von da an schauten wir uns nach Alternativen um. Mitte Dezember brach Moritz morgens weinend vor der Schule zusammen und sagte, er wolle da unter keinen Umständen mehr hin. Da packte ich meinen Sohn, habe ihn zu Hause aufs Sofa gelegt und ihn beruhigt. 
 
Und dann habt Ihr beschlossen, Euer Kind auf eine andere Schule zu geben?
 
Ja, für uns war klar, dass sich etwas ändern muss. Ich habe noch an diesem Tag mit der Waldorfschule im Ort telefoniert, am nächsten Tag den Lebenslauf reingereicht, eine Woche danach hatten wir ein Gespräch und den Test für Moritz mit der Klassenlehrerin und nach den Weihnachtsferien ist Moritz zwei Wochen zur Hospitanz dort gewesen. Schon nach dem ersten Tag in der Schule sagte er, er wolle nie wieder an die andere Schule zurück.
Aber das lag ja nicht in unserer Entscheidung, das wird ja nach der Hospitanz Zeit durch das Kollegium entschieden. Wir hatten Glück und wurden aufgenommen. Moritz geht gerne auf diese Schule und ist viel ausgeglichener und glücklicher. Er hat immer noch das Problem, alles perfekt machen zu wollen, aber er wird mit seinem Perfektionismus nicht allein gelassen, es wird sich darum gekümmert. Wir stehen in regen Austausch mit der Klassenlehrerin, was sehr beruhigend ist und gut tut. Moritz hat in unregelmäßigen Abständen Termine bei einen (ich nenn Ihn jetzt mal) Waldorf-Ergorterapeut. Der Herr hat auch erst ganz lange mit uns gesprochen und dann mit Moritz. Er hat uns verstanden und konnte uns auch erklären, was mit Moritz ist und wie wir ihn unterstützen können. 
 
Wie erlebst Du Dein Kind heute?
 
Moritz möchte nie wieder auf eine andere Schule, er ist frei von seinen Ängsten und Zwängen. Er lernt so, wie er lernt. Und wir haben unser Kind und unser Familienleben zurück. Ein Kind, das seine Beine ruhig halten kann, das gerne in der Natur ist, das ohne Druck lesen und rechnen lernt. Vor einem Jahr noch hätte ich gedacht, dass Waldorf für uns nicht in Frage kommt – aber umso mehr ich erfahre, umso tolle finde ich es. Natürlich gibt es auch da Sachen, über die wir den Kopf schütteln, aber die gibt es überall. Man muss sich mit der Pädagogik auseinander setzen – entweder es passt zum Kind oder nicht!

Was wünscht Du Dir für Dein Kind?
 
Wir wünschen uns für Moritz und auch für unseren zweiten Sohn Henry, dass Sie Kinder sein dürfen und nicht schon Burnout in der Schule kennen lernen müssen!  Die beiden sollen nicht nur lernen, sie sollen es auch verstehen! 
 
Und was möchtest Du Eltern sagen, die in einer ganz ähnlichen Situation sind?
 
Egal, was alle anderen sagen – überlegt mit Eurem Kind zusammen, was das Beste für das Kind ist! Wir haben Moritz von Anfang an miteinbezogen und mitentscheiden lassen. Die Schulzeit sind viele viele Jahre – da sollten Kinder gerne zur Schule gehen und Spaß am Lernen haben. Und ein Zauberwort für alle Eltern: Entschleunigung! Gönnt den Kindern Ruhe, hetzt nicht von einen Termin zum anderen. Wir haben alle unsere Aktivitäten überdacht und Ruhe in unseren Alltag und ins Wochenende gebracht…..das hilft auch schon super viel!

 
 
 
 

 

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2 comments

  1. Gratuliere – jedoch ein paar Bedenken
    Liebe Maja, liebe Lisa, liebe Katharina,
    zunächst mal gratuliere ich dazu, dass Moritz jetzt offenbar in der Schule gut unterwegs ist. Das freut mich, gerade auch deshalb, weil meine eigene Tochter in eine Waldorfschule geht, sie kommt in diesem Monat in die dritte Klasse.

    Die Waldorfpädagogik ist bestimmt eine sehr kindgerechte Pädagogik, aber – da Ihr neu seid in der Waldorfwelt – möchte ich schon noch ein paar Anmerkungen machen.

    Moritz könnte sich durchaus auch an der Waldorfschule mal langweilen. Waldorfschule ist soziales Lernen, alle sollen mitgenommen werden. Nun scheint er ja in manchem sehr begabt zu sein und schnell zu lernen. Das könnte ihn auch da nerven, wenn manches für alle zum Verständnis auf verschiedenste Arten wiederholt wird, bis es alle können. Denn das ist ja der Waldorfunterricht, ganzheitlich, vielseitig und den ganzen Menschen ansprechend.

    Als Entschleunigung – das ist jetzt meine hauptsächliche Warnung! – empfinde ich Waldorfschule überhaupt nicht. Das ist meiner Meinung nach überhaupt nicht so. Im Gegenteil, es ist sehr dicht und stressig für alle Beteiligten – zumindest in mancherlei Hinsicht.

    Zur Waldorfschulbildung gehört nämlich viel, viel mehr als das, was man normalerweise so an staatlichen Schulen lernt. Das kommt sozusagen on top zu dem, was üblicherweise für einen Schulabschluss zu lernen ist. Ich meine solche Dinge wie Eurythmie, Klassenspiele (Theater), Praktika (mehrwöchig!), Handwerkstechniken, usw. . Aber totzdem muss man die „normalen“ Lehrinhalte ja auch noch lernen.

    Waldorfschule ist eine große Anforderung und Herausforderung, nicht immer gemütlich. Das gilt übrigens auch für die Eltern.
    Aber, wir glauben eben, dass es sich lohnt, dass einfach mehr dabei herauskommt.
    Viel Erfolg!

  2. Der Artikel macht Mut
    Liebe Maja,

    danke für deinen Artikel. Ich werde ihn nachher meinem Mann zeigen, denn auch ich glaube, dass die Regelschule, auch wenn sie noch 2 Jahre hin ist, für unsere Maus nicht das richtige sein könnte. Ich finde meine Kleine in den Aussagen über deinen Sohn wieder…ebenfalls Notkaiserschnitt. Sie hat super feine Antennen, ist aufmerksam bis zum äußersten…dadurch aber auch oft und schnell überreizt. Ihr Kopf arbeitet recht flink (mindestens altersgerecht); einzig das Sprechen war bei uns anders…das kam erst mit 3…aber eben, weil sie es richtig machen wollte (verstanden hat sie absolut alles). 1,5 Jahre später sagt die Kita, dass Johanna einen sehr sehr guten Wortschatz hat für ihr Alter hat. Und genau diese Kita will uns aber nicht recht verstehen…immer wird Johannas (Eigen)Art als Entwicklungsverzögerung gesehen…viele Probleme werden aufgezeigt, die wir so aber nicht sehen. Sie ist ein Kind. Sie ist lieb, fröhlich, gar nicht aggressiv, empathisch, wissbegierig…. Wir haben versucht zu erklären, dass Johanna viele Sachen erst dann macht, wenn sie dazu bereit ist und einen Nutzen sieht. Und wenn sie sie macht, dann aber hundertprozentig. Und dieses Wissen darum, dieses Vertrauen darin, DASS sie die Sachen macht, egal wann, wünsche ich mir auch von den Erzieherinnen. Mir graut daher auch sehr vor der Regelschule, in der (natürlich) nicht auf jede/n einzelnen Schüler/in individuell eingegangen werden kann. Was du schreibst: „Wir wünschen uns für Moritz und auch für unseren zweiten Sohn Henry, dass Sie Kinder sein dürfen und nicht schon Burnout in der Schule kennen lernen müssen! Die beiden sollen nicht nur lernen, Sie sollen es auch verstehen!“ würde ich den Erzieherinnen für das neue Kitajahr gerne schriftlich geben. Vllt. mache ich das sogar. Denn genau das ist es.
    Ich bin schon dabei, mich über alternative Schulen zu informieren. Hab dank für deinen Text!
    VG
    Andrea