Ihr Lieben, mit ihrem neuen Buch Vererbtes Glück möchte Psychotherapeutin Sabine Lück familiäre Verstrickungen lösen und glückliche Bindungen schaffen. Die Schicksalsschläge und Überlebensprogramme unserer Ahnen beeinflussen uns bis heute und bestimmen auch den Umgang mit unseren Kindern. Wie können sich Eltern destruktive Familienmuster bewusst machen und sie gemeinsam mit ihren Kindern auflösen?
Liebe Frau Lück, direkt zum Einstieg, was verstehen Sie unter dem Begriff: Transgenerationale Traumata?
Unter einem transgenerationalen Trauma versteht man die Weitergabe überwältigender, äußerst schmerzhafter und nicht verarbeiteter Erfahrungen unserer Vorfahren, die als übernommene Symptome, vererbte Emotionen und tradierte Familienmuster in den folgenden Generationen auftauchen.
Der Begriff „Trauma“ wird ja heutzutage relativ inflationär benutzt, können Sie uns dazu eine kurze, verständliche Definition geben?
Ein Trauma ist eine seelische Wunde, die durch ein einmaliges oder wiederholtes Ereignis entstanden ist, das so schmerzhaft und überwältigend war, dass es ein Gefühl größter Verzweiflung hervorgerufen hat. Nicht selten hat die traumatisierte Person Todesängste ausgestanden.
Um weiterleben zu können, muss das Erlebte verdrängt oder sogar abgespalten werden. Dabei wird aus Selbstschutz der Kontakt zum eigenen Körpererleben unterbrochen, und wenn der oder die Betroffene bei der Bearbeitung und Integration des Traumas nicht unterstützt wird, entstehen Folgesymptome und Überlebensmuster, die zum Ziel haben, alles, was mit dem traumatischen Erleben verbunden war, zu meiden.

Nun geben Sie in Ihrem Buch Tipps, wie Eltern es schaffen, ihre eigenen Traumata nicht an die Kinder weiterzugeben. Wie kann das gelingen?
Wir wissen heute, dass die Weitergabe der eigenen Verletzungen unbewusst stattfindet und sich vor allem darin zeigt, dass Eltern ihren Aufgaben als Bindungsperson nicht ausreichend gerecht werden und auf die Bedürfnisse ihrer Kinder nur unzureichend eingehen können. Genau hier setzte ich an, um Eltern in ihrer Beziehungsfähigkeit zu stärken. Dabei kommt es auf die Kombination verschiedener Strategien an.
1) Die Reflektion eigener Kindheitserfahrungen in Verbindung mit dem kindlichen Treuevertrag, der aus Vererbten der Familienwunde entstanden ist. 2) Die Erkundung der transgenerational begründeten Familienmuster und die damit zusammenhängenden Trigger im täglichen Miteinander in der Familie. 3) Und ebenso wichtig – das Erlernen neuer Möglichkeiten im Umgang mit Emotionen und Bedürfniserfüllung.
Bindung- und Beziehungsfähigkeit werden spielerisch gestärkt und mit vielen Anregungen aus der von mir entwickelten Spiele Apotheke® kann neues Verhalten eingeübt werden. Dabei werden Interaktionen zwischen Eltern und Kinder angeregt, die ein neues Miteinander erlebbar machen und Familie gemeinsam wachsen lassen.
Nochmal genauer: Wenn mich nun doch ein Schicksalsschlag ereilt hat, bevor die Kinder kamen. Wie schaffe ich es, diesen so zu verarbeiten, dass ich meine Ängste nicht gänzlich weitergebe?
Das spannende ist ja, dass es nicht nur die selbst erlebten Traumata sind, sondern auch die vererbten, die jetzt in Form von Überlebensstrategien und Abwehrmechanismen den Blick auf uns selbst und unsere Kinder verschleiern können. Bei selbst erlebtem Trauma ist eine Traumatherapie unerlässlich, aber auch hoch wirksam. Je nachdem wie stark das Trauma war, ob in Wiederholung erlebt (z.B. Gewalterfahrungen oder Missbrauch) oder ein einmaliges Erleben, wie ein Autounfall braucht es entsprechend Zeit für die Heilung.
Vererbtes Trauma muss verstanden werden und nicht zu mir gehörende Symptome aufgelöst werden. Das ist ein intensiver Prozess, der am Ende deutlich macht, was mein Eigenes ist und was zu jemand anderem in der Familiengeschichte gehört. In dem ich verstanden habe, welche Familienwunde mein Verhalten und meine Reaktionen gegenüber meinen Kindern beeinflusst und was es braucht, damit sie endlich heilen kann, ermögliche ich einen neuen Blick auf belastenden Alltagssituationen.
Ich erlebe in meinem Nebenjob als Trauerbegleiterin, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, mit den eigenen Traumata umzugehen. Einige gehen in die Angst und sorgen sich viel, versuchen, viel Kontrolle zu bekommen, andere sagen: Hey, es kann eh jeden Tag was passieren, also lass uns jeden Tag so fröhlich wie möglich nutzen. Ist das eine Veranlagung oder eine Entscheidung?
Sie beschreiben hier sogenannte „Überlebensstrategien“, die aus dem Trauma entstanden sind. Für die einen scheint Angst und Sorge wie ein Garant gegen erneutes Unheil. Wenn man nur vorsichtig genug ist, so der Trugschluss, kann man ein erneutes Drama verhindern. Die anderen entwickelten die Strategie, negative Gefühle und Ängste eher zu verdrängen und mit dem Blick auf etwas Positives zu ersetzten.
Letzteres erscheint zwar erstrebenswert, aber in beiden Fällen reichen wir das dahinterliegende Trauma weiter. Kinder spüren das Leid, die Angst, die Verunsicherung hinter dem Verhalten, und übernehmen verdrängte Gefühle. Sie reagieren mit Symptomen und problematischem Verhalten und spiegeln den Eltern die nicht gelösten Themen aus der eigenen Familiengeschichte. Gleichzeitig übernehmen sie ebenfalls die Überlebensstrategien der Eltern und wenn wir das nicht erkennen, setzt sich das Leid der Generationen fort.

Ihr Buch heißt aber „Vererbtes Glück“ nicht „Vererbtes Trauma“. Bedeutet das, dass wir auch alles, was wir an Glück im Leben erfahren haben, an unsere Kinder weitergeben?
Selbstverständlich vererben wir auch gute Erfahrungen. Ebenso gehen auch gesunde Lebensstrategien, Talente und viele Fähigkeiten, die unsere Ahn:innen entwickelt haben als Geschenk an die nächsten Generationen weiter. Doch das ist nur ein kleiner Teil meiner Botschaft.
Die Epigenetik zeigt uns, dass wir unsere transgenerationalen traumatischen Erfahrungen mit Liebe und guten Bindungserfahrungen heilen können. Das klingt einfach, aber Liebe empfinden und vor allem Liebe schenken zu können, hängt davon ab, wie gut sich meine Bindungsfähigkeit entwickelt hat. Kann ich Liebe spüren, kann ich sie frei fließen lassen, kann ich Liebe empfangen und Nähe aushalten – genau hier sind wir oft blockiert. Wir verschließen unsere Herzen aus Angst vor erneuter Verletzung und ein verschlossenes Herz ist uneinnehmbar für unser Gegenüber.
Viele Beziehungen scheitern an dieser Tatsache. Ich habe in meiner Arbeit verstanden, dass unsere Kinder beschlossen haben unsere Herzen zu erlösen und das sie dafür sogar bereit sind auf ihre eigene Entwicklung zu verzichten. Sie schonen uns, oder konfrontieren uns- sie tragen unsere Last und übernehmen Rollen von Menschen, die gefehlt haben oder fehlen, um uns zu stärken. Sie versorgen uns, doch eigentlich sollen wir doch sie versorgen.
Wenn wir unsere Wunden und die unserer Vorfahren heilen, können wir unseren Kindern die Eltern sein, die sie für ihre gesunde Entwicklung brauchen. Sie erleben dann, Eltern, die emotional erreichbar sind, die ihre Gefühle aushalten und ihre Kinder nicht für eigene Bedürfnisse brauchen. Liebe leben zu können, bedeutet das höchste Glück. Diese gute Erfahrung wird dann an die nächste Generation vererbt.
Zu guter Letzt: Wie würden Sie Mütter entlasten und motivieren, die aus dysfunktionalen Familienmustern kommen. Welche Chance haben Sie, es mit ihren eigenen Kindern anders zu machen?
Mit der Methode Generation-Code® gelingt es dysfunktionale Muster zu erkennen und zu verstehen, wie sie entstanden sind. Das entlastet und verwandelt Schuld und Scham in Selbstannahme. Wenn wir milder mit uns und unserem Versagen als Mütter sind, haben wir Raum echte Veränderungen anzugehen. Ohne Druck können wir immer häufiger und besser erkennen, wo wir Gefühle abwehren, warum wir durch das Verhalten des Kindes getriggert werden und was es braucht, damit wir uns selbst regulieren können und damit auch für unsere Kinder mit ihren Bedürfnissen da sein können.
1 comment
Ich hätte eine Frage: wie ist es denn mit tatsächlich im Wortsinne vererbten Traumata durch Epigenetik? Kommt man da therapeutisch auch „dran“? Ist vermutlich auch schwer möglich das eine vom anderen zu unterscheiden