Gewalt auf dem Schulhof: Werden unsere Kids immer brutaler?

Gewalt

Ihr Lieben, Prügeleien oder Gewalt auf dem Schulhof gab es wohl schon immer. Aber, war es früher wirklich auch so massiv? So gemein? Und was kann man als Eltern tun, um sein Kind zu stärken und zu einem mitfühlenden Menschen zu erziehen? Wie kann man sein Kind unterstützen, sich selbst zu schützen, wenn es zur Zielscheibe wird? 

Hierüber hat die freie Autorin Saskia mit Ina Krachten gesprochen. Ina Krachten gibt „Starke Kinder Kurse“ bei SKid – Starke Kinder – Starke Menschen gGmbH. Hier lernen Kinder „Fair Play“, Selbstbewusstsein und auch, dass Sie „Nein“ sagen dürfen.

Frau Krachten, ist die Gewaltbereitschaft, die Aggressivität und gar Mobbing bei Kindern und Jugendlichen höher als früher? 

Inwieweit die Gewaltbereitschaft höher ist als früher kann ich nicht exakt sagen. Dazu gibt es keine genauen Zahlen. Nach der Statistik des BKA sind die Zahlen der Jugendkriminalität sogar etwas rückläufig. Allerdings erleben wir tatsächlich in Kindergärten und besonders in Schulen eine zunehmende Anzahl von Mobbingfällen und Gewalt der Kinder untereinander. Fast jede Schule muss sich heute mit dem Thema befassen und intervenieren. 

Meines Erachtens geht die Schere, genau wie die Bildungsschere, weiter auseinander. Es gibt viele Kinder, die nicht mit Gewalt reagieren. Und auch Kinder, die sich wehren können und kein Opfer werden. Aber etliche werden eben doch Opfer und die brauchen Hilfe, damit sie gestärkt aus solchen Situationen herauskommen. Denn Gewalterfahrungen sind prägend und daraus entwickelt ein Kind seine weiteren Überlebensstrategien. Die können positiv oder auch negativ sein.

Woran liegt das? Was ist anders als früher?

Auffällig ist zum einen, dass heute bei vielen Kindern die „Zündschnur“ kürzer ist. Damit meine ich, dass die Frustrationstoleranz wenig ausgeprägt ist. Wenn etwas nicht klappt wie gewünscht, dann setzt häufig die Impulskontrolle aus und es wird mit Gewalt reagiert. Zum anderen kennen viele Kinder häufig nicht mehr die Grenzen, die für ein friedvolles Zusammenleben wichtig sind. Wenn wir uns früher gekloppt haben und einer lag auf dem Boden, dann war Schluss, es war ja klar, wer gewonnen hat. Heute ist es oft so, dass einer auf dem Boden liegt und dann wird noch hinterhergetreten.

Warum wird ein Kind gewalttätig?

Die Gründe für Gewaltbereitschaft sind vielfältig. Ein Kind, welches zu Hause Gewalt erfährt, lernt, dass dies eine Handlungsoption ist und je nachdem, wie seine Anlagen und die weiteren Lebensumstände und Erfahrungen sind, wird es diese Option auch als Strategie nutzen. 

Ein Kind, welches keine Aufmerksamkeit erhält oder nicht fühlt, dass es geliebt wird, sucht Möglichkeiten Aufmerksamkeit zu erhalten. Und negative Aufmerksamkeit ist immer noch besser als gar keine. 

Ein Kind, das keine Vertrauensperson hat, also keinen Menschen, dem es sich anvertrauen kann, und von dem es weiß, dass es Hilfe bekommt, wird eigene Strategien entwickeln. Entweder es zieht sich zurück und, „frisst“ Dinge in sich hinein und bleibt eher der Opfertyp, oder es reagiert aggressiv und entwickelt sich möglicherweise selbst zum Täter.

Haben die Medien auch was mi der Gewalt zu tun?

Ein Kind, dass zu viel und zu früh unaufgeklärt Medien nutzt, die Gewalt beinhalten oder die das Miteinander nur auf der virtuellen Ebene erleben, ist potenziell mehr gefährdet, Täter oder selbst Opfer zu werden. Konflikterfahrungen mit anderen Kindern sind wichtig und wenn diese wegfallen, weil die Kinder mehr Zeit am Computer und in sozialen Netzwerken verbringen als miteinander zu spielen und zu kommunizieren, dann fehlen ihnen die wichtigen Erfahrungen des sozialen Miteinanders. Ich denke die große Herausforderung der jetzigen Elterngeneration ist die Medienerziehung.

Was kann ich als Eltern tun, um meine Kinder zu stärken? Wie Sie zu empathischen Menschen erziehen? 

Nehmen Sie die Gefühle ihres Kindes ernst und vermitteln Sie ihm, dass alle Gefühle – die Schönen und die Blöden – wichtig und richtig sind. Dann lernt es auch Gefühle zu unterscheiden; eine wichtige Voraussetzung, um sich selbst zu verstehen und um Gefahren zu erkennen. 

Kinder lernen hauptsächlich durch Nachahmung. Seien Sie ein gutes Vorbild. Wenn sich die Eltern empathisch zeigen, so wird das Kind auch Empathie entwickeln.

Bewegung und Ernährung sollten einen besonderen Stellenwert in der Erziehung einnehmen. Ein gesunder Körper führt zu einem guten Körpergefühl. Dies erleichtert den Einsatz der Körpersprache, die in vielen kleinen und großen brenzligen Situationen mitentscheidend für den weiteren Verlauf sind.

Fördern Sie die Selbstständigkeit des Kindes. Ein Kind, dass beispielsweise allein zur Schule gehen, sein Zimmer aufräumen, die Spülmaschine ausräumen kann, kann stolz sagen: Ich kann das schon! Und das macht es gleich einen Kopf größer und erleichtert den weiteren Reifeprozess.

Humor und Optimismus fördern die Zuversicht und machen kreativ. Haben Sie Spaß mit ihrem Kind! Lachen tut gut, da Glückshormone erzeugt und die Stresshormone abgebaut werden. Lachen wirkt für den gesamten Organismus ausgleichend und entspannend, verstärkt das Gemeinschaftsgefühl und stärkt insgesamt das Immunsystem. 

Was ist noch wichtig?

Kinder sollten ihr Recht auf Eigenbestimmung kennen:  Mein Körper gehört mir! Und es darf selbst entscheiden, wer es küsst oder umarmt. Es hat das Recht NEIN zu sagen, wenn es kein Bedürfnis nach Zärtlichkeit hat. Wenn Kinder in Alltagssituationen NEIN sagen üben dürfen, und dadurch lernen, dass ihr NEIN respektiert wird, trauen sie sich im Ernstfall mehr zu. Die Fähigkeit zur Abgrenzung ist in vielen Situationen im Leben sehr wichtig.

Jedes Kind ist einzigartig, jedes hat Stärken und Schwächen. Mit Lob und Anerkennung können sie Vertrauen entwickeln, und dies ist ein wichtiger Faktor bei der Identitätsbildung eines Kindes. Vertrauen wird in den ersten 10-12 Jahren gelegt, und zwar das Vertrauen in andere und in sich selbst. Schaffen Sie Vertrauen durch aktives Zuhören.

Achtsamkeit ist hier ein gutes Stichwort: Wir Eltern sollten die Gefühle der Kinder wahrnehmen und ernst nehmen, und wir sollten ihnen zuhören. Dann tun die Kinder das auch.

Erziehen Sie Ihr Kind zu einem kritischen Menschen – dann lernt es Gutes von Schlechtem, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Nicht alles, was gesagt und geschrieben wird entspricht der Wahrheit. Es gibt Menschen, die lügen und solche die nicht lieb sind. Wenn ein Kind dies weiß, kann es vorsichtig sein und fällt nicht auf Betrüger rein.

Ganz besonders in der Medienerziehung ist die Aufklärung wichtig. Begleiten Sie ihr Kind in die Welt der Medien und erklären Sie nicht nur was geht, sondern auch das, was nicht geht, zum Beispiel das Recht am Bild oder keine Weitergabe von persönlichen Daten. Auch im Netz gelten Verhaltensregeln (Netiquette), die sich nicht viel von denen im normalen Leben unterscheiden. 

Am liebsten würden wir unsere Kinder ja 24 Stunden beschützen. Das geht natürlich nicht und das wäre auch nicht gut für den Selbstwert, denn der wächst ja durch Erfahrung. Aber wie kann ich meine Kinder unterstützen, damit sie sich selbst schützen?

In dem sie Ihr Kind stärken! Selbstbewusste Kinder haben es leichter im Leben, können Schwierigkeiten im Leben besser begegnen und gehen aus schwierigen Situationen gestärkt hervor.

Konkret, wie sollen sich die Kinder verhalten, wenn sie auf dem Schulhof verprügelt oder gemobbt werden?

 „Verprügeln“ und „Mobben“ geht ja schon über das normale Maß hinaus. Dies hat nichts damit zu tun, sich gegenseitig mal zu ärgern und zu foppen. In einem solchen Fall muss das Kind mit jemandem darüber reden können und Hilfe erhalten. Dies muss in der Schule eine pädagogische Kraft und zu Hause die Eltern (Pflegeeltern) sein. Es ist sehr wichtig für das Kind zu wissen: Ich bin nicht allein. Ich bekomme Hilfe. 

Letztendlich sollte ein Kind die Fähigkeit besitzen sich laut und deutlich abzugrenzen. Und zwar so früh wie möglich, am besten schon in einem sehr frühen Stadium des Konflikts, noch bevor es zum „verprügeln“ kommt. 


Die freie Autorin Saskia Janisch führte dieses Interview. Hier erfahrt ihr mehr über sie und ihre Arbeit: www.saskiajakisch.de

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1 comment

  1. Also ich habe da eher einen umgekehrten Eindruck. Während meiner Kindheit und Jugend in den 80ern und 90ern verging fast kein Monat in dem ich nicht mindestens eine richtige Pausenhofkeilerei hatte.

    Und es gab regelmäßig die Situation, dass sich eine riesige Traube von Schülern um zwei Kontrahenten versammelte, die am Boden ein Knäuel bildeten. Es gab nur niemanden, der das mit einem Smartphone aufzeichnete.

    Bei den Mitschülern meiner Tochter habe ich eher das Gefühl einer aggressionsgehemmten Generation, die sich Dinge gefallen lässt, bei denen es bei uns früher auf jeden Fall herzhaft gekracht hätte.

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