Viele Eltern sehen ihr Kind als Projekt, das sie optimieren wollen – Ansichten einer Grundschullehrerin

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Gestern schrieb Tina, warum sie ihre Kinder nicht einschulen lassen möchte – da haben wir uns gefragt: Wie geht es eigentlich Grundschul-Lehrern? Wie sehen sie uns Eltern? Und wie ticken die Kinder von heute? Wir freuen uns, dass Grundschul-Lehrerin Jutta uns diese Fragen heute beantwortet: 

Ich bin jetzt seit 12 Jahren Grundschullehrerin in einer gut situierten Gegend, viele sehr wohlhabende Familien, wenig bis gar keine Migranten. Die Mehrheit meiner Schüler ist sehr umgänglich, wissbegierig, positiv gegenüber Schule und Lernen eingestellt.

Was doch deutlich mehr geworden ist, sind Kinder, die eine Begleitung brauchen. Zu Beginn meiner Lehrerzeit gab es keine Schulbegleiter, durch Inklusion ist das aber mittlerweile in vielen Klassen der Fall. Leider sind wir nicht so gut ausgebildet für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und es mangelt total an Sonderschullehrkräften, die uns unterstützen könnten.

Was mir ebenfalls gravierend auffällt, ist der Einfluss der Eltern: viele sehen ihr Kind als Projekt, das es zu optimieren gilt. Wenn dann irgendwas nicht läuft, sind die Eltern beleidigt und fühlen sich persönlich angegriffen. Dann reagieren immer mehr Eltern genauso wie bockige Kinder und ich bin schuld. Vor manchen Elterngesprächen habe ich fast etwas Angst, bei manchen Eltern bitte ich eine Kollegin hinzu, um im Zweifel Rückendeckung oder eine Zeugin zu haben.

Nicht weil die Eltern gewalttätig werden, sondern weil sie auf verbaler Ebene oft übers Ziel hinausschießen. In meiner Gegend sind die Eltern oft sehr fordernd, da kriegt man einen Anruf, wenn die Hausaufgaben mal 5 Minuten zu lange gedauert haben oder das eigene Kind nicht mit der neuen Sitzordnung einverstanden ist. Da musste ich erst lernen, mich abzugrenzen und zu sagen, dass das meine Entscheidung ist und ich nicht über alles diskutiere. Situationen, die mich belasten, sind fast immer mit Eltern und nicht mit Schülern. Manchmal fehlt mir noch das "Standing", Eltern gegenüber auch Grenzen zu setzen, aber das liegt wohl in meinem Naturell, ich mag es gerne harmonisch und das geht halt nicht immer.

Die Eltern nehmen Kindern auch immer mehr ab, ich habe Mütter erlebt, die ihrem Kind in der 4. Klasse noch den Ranzen ins Klassenzimmer tragen. Dadurch, dass manche Eltern ihr Kind als den Mittelpunkt der Erde sehen, fällt es diesen Kindern unheimlich schwer, sich in einer Gemeinschaft zu bewegen. Rücksichtnahme, Abwarten und auch mal den "Frust" aushalten, nicht prompt bedient zu werden fehlt diesen Kindern. Das ist deutlich mehr geworden in den letzten Jahren. Mangelnde Konzentration ist nicht mehr oder weniger geworden, finde ich. Was mehr wird, ist: "Nö, dazu habe ich jetzt keine Lust." Meine Antwort:" Dann machst du es ohne Lust, das geht auch."

Wenn ich einen Wunsch für die Schule frei hätte, wären es kleinere Klassen, insbesondere in Klasse 1 und 2. Bis 20 Kinder sind in unserem Umfeld zu schaffen, alles, was mehr ist, ist kaum zu schaffen, wenn man allen Kindern gerecht werden will. Unsere 1. Klassen haben zur Zeit 27 Kinder, das geht eigentlich gar nicht. Zeit für jedes einzelne Kind fehlt mir oft, ich habe manchmal das Gefühl, dass ich noch viel mehr bewegen könnte, wenn ich für jedes Kind auch mal 20 min "Exclusiv-Zeit" hätte.

Was mich am Schulsystem stört ist, dass viel zu wenig an der Basis gefragt wird und viele Entscheidungen getroffen werden, über die alle Lehrer nur mit dem Kopf schütteln. Weil sie an den Bedürfnissen der Kinder und auch der Lehrer vorbei gehen. Jede neue Regierung erfindet das Rad neu und erlässt irgendwelche Strukturreformen, die in meinen Augen nicht zwingend notwendig sind. Dann macht man irgendwelche Fortbildungen, weil das jetzt die neue Weisheit in Sachen Schule ist und ein paar Jahre später kann alles in die Mülltonne schmeißen.

Zur Zeit herrscht ziemlich Lehrermangel bei uns, so dass einige Grundschulen schon Mütter "einstellen" als " Hilfslehrer". Wer eigene Kinder hat, ist im Notfall schon qualifiziert genug. Das ärgert mich, weil es unsere Ausbildung und unser Können abwertet. Die Einstellung, dass vor allem Grundschullehrer ja nichts weltbewegendes machen und um 12 Feierabend haben, ist auch immer noch recht weit verbreitet. Lehrer an weiterführenden Schulen werden anders gesehen und vor allem besser bezahlt. Diese Abwertung stört mich, weil wir viel Basisarbeit leisten und sicher anders, aber nicht weniger belastet sind.

An unserer Schule legen wir Wert auf transparente und nachvollziehbare Strukturen, das gibt den Kindern und auch den Eltern einen Rahmen. Andere Schulen arbeiten da offener und nicht jede Schule passt zu jedem Kind. Ich glaube aber, dass die meisten Kinder bei uns gut damit zurecht kommen und diesen Rahmen mit Grenzen auch brauchen und sogar einfordern. Nichtsdestotrotz ist es ein unheimlich erfüllender Beruf und ich bin froh und dankbar, dass ich mich dazu entschieden habe. Meine "Kinder" geben mir jeden Tag soviel positive Rückmeldung und man sieht täglich, wie sie sich weiterentwickeln. 

—–ZUM WEITERLESEN: 

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7 comments

  1. Schön zusammengefasst
    Ich habe in meinem ersten Leben auch als Grundschullehrerin gearbeitet und war sehr erleichtert, hier von dir so gut zusammengefasst die zentralen Schwierigkeiten dieses Berufsfeldes zu lesen. Besonders die Ausbildungssituation macht mir auch große Sorgen: VertretungslehrerInnen ohne Ende, teilweise RentnerInnen… Es gibt den Anschein, als ob das jeder kann. Dabei ist GrundschullehrerIn zu sein einer der schwierigsten Berufe und ich bewundere dich für 12 Jahre im Dienst. Ich wünsche dir alles Gute und weiterhin einen so kritischen und trotzdem optimistischen Blick!

  2. Ich finde den Artikel gut,
    Ich finde den Artikel gut, auch wenn ich die Einschätzung der Eltern nicht so teile. An unserer Schule gibt es jedenfalls nicht viele Helikoptereltern.
    Klar, es gibt verschiedene Eltern, manche ängstlich, manche lässig und die Meisten irgendwas dazwischen also einfach normal 😉
    Manche Dinge sind auch der Zeit geschuldet. Es arbeiten halt die meisten Mütter und da nerven übermäßig lange Hausaufgaben. Da kann man halt nicht eben vorbeischauen und mit der Lehrerin plauschen und da bringt man das Kind mit dem Auto, weil man selbst los muss. Aber das wissen auch die Lehrerinnen, denn sie sind selbst oft berufstätige Mütter.

  3. ich finde den Artikel sehr
    ich finde den Artikel sehr gut. Meine Tochter wurde letztes Jahr eingeschult. Für mich war es wesentlich schwieriger los zulassen, als für Sie. Die richtige Schule zufinden- für das richtige Kind ist schon eine herrausforderung. Nur leider geht es garnicht darum. Es geht um den Lehrer. Er muss der “ richtige “ Lehrer sein. Der Lehrer macht den unterschied. Genau deswegen finde ich es schlimm wie in dieser Gesellschaft Lehrer behandelt werden bezw. Entlohnt. Sie bilden die Basis für unsere Kinder und sollten dementsprechen, respektiert, akzeptiert und mit einem Grundvertrauen von uns als Vorschuss entlohnt werden. Viele Grüße Alex von Margreblue

  4. Ihr Lieben, mein Sohn wird im
    Ihr Lieben, mein Sohn wird im September eingeschult und ich verschlinge jeden Schul-Artikel. Wäre toll, wenn hier noch mehr darüber käme- alles Liebe und Danke, Lena

  5. Hier geht es doch nicht um Lehrer gegen Eltern
    Ich finde nicht, Sasses hier um Lehrer gegen Eltern bzw. die Eltern sind an allem Schuld. Es wurde nur aufgezeigt – und zwar leider sehr realistisch – wie sich die Schülerschaft in den letzten Jahren verändert hat. Die Tendenz, dass viele Schüler nur das tun wollen, wozu sie Lust haben, hat sich nach meiner Erfahrung sehr verstärkt und wird vor allem vom Elternhaus begünstigt! Natürlich sind die Kinder das wichtigste für die Eltern – geht mir mit meinen eigenen Kindern überhaupt nicht anders – dennoch gehören in unserem Schulsystem – in dem sicher nicht alles toll läuft – auch Dinge dazu, an denen manche vielleicht weniger Freude haben. Aber auch das ist ein wichtiger Lernprozess für die Kinder!
    Ich bin selbst Grundschullehrerin, aber in einem völlig anderen Einzugsgebiet – auch hier ist es immer wieder schwierig mit den Elternhäusern und gar nicht so sehr mit den Kindern. Aber wenn die Kinder ohne Frühstück, ohne Pausenbrot, ohne Material zur Schule kommen, liegt dies nun nicht an den Lehrern. Und das hat nichts mit Lehrer gegen Eltern bzw. die Eltern sind immer Schuld zu tun. Was aber viele Eltern häufig vergessen, ist, dass es einen GEMEINSAMEN Erziehungs- und Bildungsauftrag gibt – es muss sich also ergänzt werden, kommuniziert werden, an einen Strang gezogen werden. Und dies wird immer schwerer!

  6. Lehrer gegen Eltern und umgekehrt
    Den Artikel finde ich grundsätzlich gut, aber dieses versteckte „die Eltern sind an allem schuld“ gefällt mir nicht. Klar, sind für die Eltern die Kinder am wichtigsten. Das liegt in der Natur der Sache. Wie die Eltern damit umgehen, ist ein anderes Thema. Kinder sollten selbstständig sein. Bei manchen geht es besser und schneller, bei manchen eben langsamer. Das müssen auch die Lehrer akzeptieren. Ich mag diesen Tenor „Lehrer gegen Eltern“ nicht. Letztendlich geht es um die Kinder, und wir sollten als Menschen (ob nun Lehrer oder Eltern) gemeinsam versuchen, das beste für die Kinder zu erreichen. Das Ziel sind doch wissbegierige und interessierte Schüler. Auch den Satz mit der Lust „dann machst Du es eben ohne Lust“ finde ich nicht besonders toll. Ich verstehe, dass die Lehrer nicht genug Zeit für jedes einzelne Kind haben, was schade ist, aber diese Aussage motiviert die Kinder nicht, sondern suggeriert, dass die Kinder einfach funktionieren sollen. Ein bißchen mehr Kreativität würde sicherlich nicht schaden, statt alles nur nach Lehrplan zu machen.

    1. Sehe ich anders
      Ich bin auch in Schuldienst tätig und ich kann den Bericht voll und ganz verstehen. Die Eltern -nicht alle, ein paar reichen aber schon und es werden immer mehr- versuchen, ihre Kinder vor allem zu beschützen. So es einfach die Sitzordnung, die den Kindern nicht passt, aber von der Lehrkraft nach verschiedenen pädagogischen Gesichtspunkten so festgesetzt und das ist keinesfalls einfach. Kinder lernen Zuhause, dass sie Unangenehmes oder auch einfach nur das, worauf sie keine Lust haben, nicht machen müssen, da einige Eltern ihren Kindern das nicht zumuten wollen und/oder den Konflikt mit ihren Kindern scheuen. Dementsprechend lernen die Kinder nicht, dass das Leben nicht nur aus Spaß besteht. Ich finde den Spruch gut, dass sie sie das dann eben ohne Lust machen sollen, werde mir den merken. Bei über 25 SuS in einer Klasse bleibt leider keine Zeit, für jedes Kind individuell den motivierenden Hampelmann zu geben. Und Kinder müssen auch lernen, dass das Leben sich nicht nach ihnen richtet, vor allem in einer Gemeinschaft. Leider können das immer weniger Kinder von Haus aus.
      Schule kann das leider nicht auffangen, auch wenn das immer erwartet wird. Dazu sind zu viele Kinder in einer Klasse, in vielen Schulen viele traumatisierte Flpchtlingskinder, die kaum deutsch sprechen (oder auch andere Kinder, die kaum deutsch sprechen, obwohl sie hier her kommen), vernachlässigte, gewalttätige oder anders auffällige Kinder. Hier müsste viel mehr passieren, nicht nur, um die Lehrer zu entlasten, auch um den Kindern gerecht werden zu können.