Ihr Lieben, am Mittwoch platzte im deutschen Journalismus eine Bombe. Der Spiegel musste zugeben, dass einer ihrer Reporter es nicht ganz so genau nahm mit der Wahrheit. Einige Geschichten hatte Claas Relotius komplett frei erfunden, bei anderen Zeilen hinzugedichtet.
Gerade in Zeiten von Fake News-Vorwürfen und Lügenpresse-Rufen ist das eine Katastrophe für unseren Berufsstand. Der Spiegel verprach Aufklärung und trotzdem führt uns dieser Skandal vor Augen, wie wichtig es ist, misstrauisch zu bleiben, Fakten zu checken und nicht alles gleich zu glauben. Und hier sollte möglichst früh angesetzt werden – und zwar schon bei unseren Kindern, die mit dem Internet nun einmal aufwachsen. Wolfgang Wichmann von der tagesschau geht darum zu Schülern in die Klassenzimmer, um ihnen Tipps und Tricks an die Hand zu geben, wie sie Fake News von echten Nachrichten unterscheiden können. Das Thema könnte aktueller nicht sein.
Vielleicht noch zur Info für Euch und als Erklärung, warum wir uns duzen: Wolfgang habe ich 2004 während meiner Journalistenschul-Zeit in New York kennengelernt, als ich übergangsweise im Pressereferat des deutschen Generalkonsulats mit einem Freund von ihm zusammenarbeitete. Seither haben wir uns nicht wiedergesehen, sind aber – dank Social Media – immer noch im Kontakt miteinander. Ob diese angeblich sozialen Medien Fluch oder Segen sind? Auch das haben wir den tagesschau-Mann gefragt.
Lieber Wolfgang, du arbeitest als Mitarbeiter der ARD Tagesschau für die Lie Detectors. Wer sind diese "Lügen-Detektoren" und was genau tust du da?
Die „Lie Detectors“ sind im Kern eine Organisation aus Belgien, die regierungsunabhängig arbeitet und das Ziel hat, Medienkompetenz an Schüler der 5. bis. 9. Jahrgangsstufe zu vermitteln. Dafür suchen die Mitarbeiter von „Lie Detectors“ Journalisten, die sozusagen als Experten Klassen besuchen und dort über Desinformation einerseits und die Arbeit von Journalisten andererseits berichten. Die „Lie Detectors“ haben dazu ein Konzept entwickelt und einige Mitarbeiter der tagesschau entsprechend geschult. Und nun wird das Projekt beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern umgesetzt. Das heißt: Ich fahre in die Schule und spreche dort mit den Kindern. So war ich in Gadebusch, Rostock und Neubrandenburg.
Ihr wollt also Schulkinder im Alter von 10 bis 15 Jahren zu kompetenten Lügendetektoren und kritischen Denkern heranbilden – wie genau tut ihr das?
Wir versuchen zumindest, ihnen ein paar Grundlagen darüber mit zu geben, wie Informationen im Netz zustande kommen können und dass es sich lohnt, misstrauisch zu sein und Dinge zu hinterfragen. Wir zeigen den Kindern beispielsweise Meldungen aus dem Netz und lassen sie dann darüber abstimmen, ob sie die Geschichten für wahr halten oder für falsch. Danach erklären wir dann, wie man die Falschmeldungen als solche hätte erkennen können. Und dann reden wir noch über die Arbeit von Journalisten. Wir erklären journalistische Standards und sagen dabei aber auch, wo es in der Umsetzung manchmal schwierig werden kann.
In den letzten Tagen warst du in unterschiedlichen Schulklassen, um sie für das Erkennen von Fake News zu sensibiliseren. Welche Aha-Momente hast Du dabei erlebt?
Die Kinder haben in der Regel keine oder wenige Erfahrungswerte im Umgang mit Nachrichten aus dem Netz. Sie kennen zum Beispiel bestimmte Satire-Seiten im Netz noch nicht. Das führt dazu, dass Informationen aus dem Netz für sich selbst stehen und von den Kids bewertet werden. Dass manche Menschen mit Falschmeldungen im Netz Geld verdienen wollen, haben schon einige gehört. Über Clickbait wird auch in den Schulen gesprochen. Aber was das dann in der Realität heißt, kriegen viele noch nicht zusammen. Und so werden viele Dinge geglaubt und nur wenige angezweifelt. Und wenn man dann aber erfährt, dass eigentlich alle Schüler internetfähige Smartphones haben, dann ist schnell klar, dass es sinnvoll ist, sie im Umgang mit Informationen im Netz stärker zu begleiten.
Auf was genau müssen unsere Kinder denn achten? Wo sind sie zu blauäugig, welche Kniffe gibt es, sie medial kompetenter zu machen?
Ich sage immer zu den Kindern, dass sie misstrauisch sein sollen. Denn nur wenn jemand den Gedanken zulässt, dass etwas vielleicht nicht stimmen könnte, nur dann sind auch weitere Schritte möglich. Zwischen dem Lesen einer Information und dem Gedanken, diese mit anderen zu teilen, sollen die Kinder sich selbst einfach mal fragen, ob das alles sinnvoll ist. Und wenn dieser Punkt erreicht ist, dann gibt es einige schnelle Dinge, die jeder tun kann, um nicht von Falschmeldungen hinters Licht geführt zu werden.
Welche Kniffe muss mein Kind beherrschen, um sich im Netz nicht so schnell manipulieren zu lassen?
Zunächst mal sollte jeder mehr lesen, als eine reißerische Überschrift. Oft finden sich Informationen im Text, die weitere Fragen aufwerfen. Dann sollte man weitere Informationen – andere Meldungen – zu einer Geschichte suchen, wenn einem etwas komisch vorkommt. Oft hilft es auch, mit einem sogenannten Experten das Gespräch zu suchen. Das kann eine ältere Schwester sein, die Eltern oder ein Lehrer. Bei allem hilft oft auch das Internet selbst. Es gibt inzwischen viele Faktenchecker, wie beispielsweise den ARD-faktenfinder, die zu bestimmten Themen Antworten aufschreiben und ins Netz stellen.
Kannst du uns ein konkretes Beispiel von FakeNews nennen, das du auch zur Veranschaulichung vor den SchülerInnen nutzt?
Ein Beispiel in den Klassen ist eine Zahnpasta aus Frankreich, die einen Burger-Geschmack haben soll. Das ist eigentlich ein Aprilscherz einer großen Fastfood-Kette gewesen. Aber die vermeintliche Werbung für diese Zahnpasta ist hochprofessionell gemacht und so sind schnell auch einige Schüler überzeugt, dass es sowas vielleicht doch gibt. An so einem Beispiel merken die Kinder dann schnell, dass man sich auf die Aufmachung alleine schon mal nicht verlassen sollte.
Gibt es in der Vermittlung von Medienkompetenz auch Nachbesserungsbedarf bei den LehrerInnen?
Viele Lehrer sind zumindest froh, dass wir Journalisten zu ihnen kommen und mit ihren Klassen arbeiten. Sie erfahren dabei oft auch für sie unbekannte Dinge, beispielsweise über den Medienkonsum ihrer Schüler. Nun habe ich ja nur einige Schulbesuche gemacht, aber der Tenor in den Gesprächen mit den Lehrern war stets, dass das Thema Medienkompetenz wichtig, aber im Lehrplan zu wenig verankert ist. Und es gab auch schon den Wunsch, unseren Workshop mal für Lehrer allein zu machen, damit diese dann besser vorbereitet über das Thema auch in ihren Klassen sprechen können.
Siehst du die sozialen Medien mit deiner Erfahrung eher als Fluch oder als Segen?
In meinen Augen ist beides richtig. Die sozialen Medien haben klare Vorteile. So werden Menschen beispielsweise mit Nachrichten konfrontiert, die für sie wichtig sind – die sie sich selber aber nicht mehr holen, weil sie keine Zeitung mehr lesen oder keine Fernsehnachrichten mehr schauen. Die sozialen Medien verfälschen aber auch den Eindruck zu Dingen, die uns wichtig sein sollten. Und manchmal wird dabei mit Desinformation und Falschmeldungen gearbeitet. Deshalb bin ich froh, dass es noch weitere Medien gibt, in denen man sich weitere Informationen und Details zu einem Thema holen kann.
Mit den Lie Detectors wollt ihr auch Kontakte zwischen Schülern und Journalisten herstellen. Welches Ziel habt ihr da vor Augen?
Wir wollen einen Einblick geben in die Arbeit von Journalisten. Dabei wollen wir zeigen, wie journalistische Arbeit aussieht und warum sie manchmal an ihre Grenzen kommen kann. Dabei erklären wir zum Beispiel, dass man zu einem Thema immer mehrere Blickwinkel finden kann. Und dass das wichtig ist: Denn wenn jemand sich eine Meinung zu einem Thema bilden möchte, sollte er vorher die verschiedenen Sichtweisen kennen.
Was genau motiviert dich persönlich an diesem Job?
Ich finde den Umgang mit Kindern immer extrem spannend. Schon in meiner Zeit beim Hörfunk haben wir Kinder in Jugendzentren darin geschult, eigene Radiobeiträge zu machen. Jetzt bei der Tagesschau ist führen mich die Schulbesuche wieder zu Kindern und Jugendlichen, die mit all den Nachrichten da draußen konfrontiert sind. Was für einen Erwachsenen oft kaum zu überschauen ist, ist für die Kids oft noch verwirrender. Ich bin froh, wenn sie sich dann nach unserem Besuch als kompetenter einstufen, was den Umgang mit Nachrichten aus dem Netz anbelangt.
Und falls jetzt hier interessierte LehrerInnen oder Eltern mitlesen, die sich diese Schulungen auch für ihre Kinder wünschen: Gibt es da ein Bewerbungsverfahren oder kann sich jeder melden?
Wer Interesse an Schulbesuchen der „Lie Detectors“ hat, kann sich gerne direkt bei der Organisation melden und eine E-Mail schreiben an lernbox@lie-detectors.org. Das Angebot richtet sich sowohl an Lehrer und Schulsozialarbeiter, als auch an Journalisten, die selbst Klassenbesuche machen möchten. Zielgruppe sind Schüler im Alter von 10-11 und von 14-15 Jahre. Bislang sind die „Lie Detectors“ in Berlin, Köln, Leipzig und Mecklenburg-Vorpommern aktiv. 2019 sollen Hamburg, Frankfurt und andere Städte dazu kommen.
Foto: Wulf Rohwedder
1 comment
Schwarze Schafe
… gibt es immer und überall. Mich überrascht die Enthüllung nicht. Das ist das normale Leben. Relotius ist meiners Erachtens auch keine Katastrophe für den Berufsstand. Er ist ein Opfer der Sensationsgier der Gesellschaft und ein Opfer seiner Eitelkeit sowie geldversessen.