Größenwahn, Gleichberechtigung und gesellschaftliche Hürden – Moderatorin Ninia LaGrande über ihr erstes Jahr mit Kind

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Ihr Lieben, in unserem Leben als Journalistinnen begegnen uns immer wieder wahnsinnig spannende Menschen. So auch Moderatorin und Poetry Slammerin Ninia LaGrande. Sie hat gerade frisch geheiratet, ist 2017 Mutter geworden und erzählt hier über Hürden, Überraschungen und Diskussionen im ersten Jahr mit Kind.

Liebe Ninia, das letzte Mal, als wir uns ausführlicher unterhalten haben, warst du im neunten Monat schwanger. Wie alt ist euer Sohn jetzt und wie geht es euch als Familie?

Ninia: Unser Kind ist jetzt gut 20 Monate alt. Uns geht’s gut. Aktuell lernen wir die Freuden und Leiden des ersten Krippenjahres kennen und husten uns so durch den Herbst. Insgesamt haben wir uns als Familie aber ganz gut eingespielt. Ich bin in vielen Dingen gelassener geworden als ich gedacht hätte und höre nur noch auf mein Bauchgefühl.

Was hat dich denn persönlich im ersten Jahr mit Kind am meisten überrascht? Womit hattest du so gar nicht gerechnet?

Ninia: Im Grunde habe ich mir das Ganze schon ganz realistisch vorgestellt. Womit ich natürlich nicht gerechnet habe, war, dass das Kind die ersten vier Monate quasi durchschreit. Bei uns half von Flugzeuggriff bis Tragen wirklich gar nichts.

Da war Aushalten angesagt und ich war sehr froh, dass wir in dieser Zeit 24 Stunden zu zweit zuständig waren, so dass immer mal eine*r kurz durchatmen konnte. Was mich selbst überrascht hat: Wie schwer es mir dann doch fiel, komplett umzuschalten – von Arbeits- auf Mamamodus. Inzwischen fühle ich mich aber in allen Rollen sehr wohl.

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Viele Frauen beschäftigen sich erst nach der Geburt zum ersten Mal mit Gleichberechtigung und Feminismus, für dich hingegen spielte das Thema schon immer eine große Rolle. Welche Deals hast du mit deinem Mann (Glückwunsch nochmal zur Hochzeit!!!) geschlossen, damit es bei euch fair läuft?

Ninia: Danke! Wir haben keinen Vertrag aufgesetzt, wer wann für was zuständig ist :D. Dadurch, dass wir schon vor dem Kind knapp zehn Jahre zusammen waren, wussten wir natürlich, welche Werte uns wichtig sind und wie wir uns ein gerechtes Zusammenleben vorstellen.

Im Vorfeld der Geburt haben wir drüber gesprochen, wie wir uns Elternzeit, Arbeitszeit und Freizeit aufteilen wollen. So richtig lernt man das natürlich erst, wenn es dann tatsächlich so weit ist. Was mir wichtig war: Ich wollte relativ schnell wieder arbeiten – nicht so viel wie vorher. Aber ich hatte mich erst eineinhalb Jahre vor der Schwangerschaft selbstständig gemacht und konnte es mir aus meiner Sicht nicht erlauben, lange auszusteigen. Ich wollte das auch nicht – unabhängig vom Finanziellen.

Ich brauche meine Arbeit – und auch mal freie Zeit ohne Kind – um ausgeglichen zu sein und so auch wieder Kraft fürs Muttersein zu haben. Das heißt für meinen Mann natürlich, dass er von Beginn an genauso in allen Bereichen für das Kind zuständig war wie ich. Das sehe ich aber als Selbstverständlichkeit.

Wie teilt ihr euch die Arbeit und die Kinderbetreuung auf?

Ninia: Ich war vorher schon nicht die, die für den Großteil des Haushaltes und das Kochen zuständig war. Dabei ist es im Grunde geblieben. Mein Mann ist Lehrer und hat ab der Geburt vier Monate Elternzeit genommen. Ich habe zwölf Monate Elternzeit gemacht, aber bereits ab der zehnten Woche wieder nebenbei gearbeitet. Inzwischen haben wir uns eingependelt. An einigen Tagen ist es so, dass wir uns zuhause nur ein High Five geben – er kommt, ich gehe.

Schreibtischkram mache ich, wenn das Kind in der Krippe ist. Nachmittags und abends bin ich zwei bis dreimal die Woche unterwegs für Auftritte und Moderationen. Alles andere macht der, für den es gerade möglich ist.

Natürlich streiten wir auch über Dinge – wer darf wie oft weggehen, wer macht was, wer hat mehr Zeit für sich usw. Aber das ist normal, denke ich. In meinem Umfeld sind wir da im Vergleich schon ziemlich gleichberechtigt aufgestellt. Dazu muss man aber auch sagen, dass diese Aufteilung durch unsere Berufe sehr begünstigt wird.

Ich bin in der Regel super flexibel und der Mann hat einen sehr vorhersehbaren Tagesablauf. Allerdings: Ich bin immer noch die, die weiß, wann das Kind neue Schuhe braucht, die die Wäsche des Kindes wäscht (nicht die des Mannes, das machen wir auch nach zehn Jahren getrennt :D), die alle Kita-Termine im Kopf hat und die sich kümmert, wenn die Großeltern, Tante oder andere Bezugspersonen einspringen müssen. 

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In der Schwangerschaft erzähltest du von zu hohen Gynäkologenstühlen und einer Frauenärztin die meinte „Huch, Ihre Gebärmutter ist ja ganz klein“, worüber du lachtest, weil du dachtest: Naja, was erwartet sie bei einer Frau mit 1,40m Körpergröße. Hat denn mit der Geburt alles geklappt?

Ninia: Nein. Das hatte letztendlich aber nichts mit meiner Größe zu tun. Ich war vorher sogar noch einmal in der Klinik, um mein Becken untersuchen zu lassen und da sah alles nach den besten Voraussetzungen aus.

Diese Untersuchungen bringen dann aber auch nichts, wenn am CTG plötzlich die Herztöne des Kindes verschwinden. Ich hatte einen ziemlich spektakulären Notkaiserschnitt, der selbst in der Uniklinik so besonders war, dass sich quasi alle – von den Studierenden bis zum Oberprof mit dem Fall beschäftigt haben.

Unser Kind lag nach der Geburt noch 72 Stunden in einem sogenannten Kältebettchen und anschließend noch elf Tage auf der Intensivstation. Das war sehr kräftezehrend und anstrengend. Inzwischen geht es uns allen aber wieder gut.

(Ich habe über die Geburt gebloggt, für alle die mehr lesen wollen – aber mit Triggerwarnung und dem Hinweis, dass das so wirklich selten vorkommt.)

Du selbst kamst mit 39,5 Zentimetern zur Welt… Den Kinderwagen habt ihr so gekauft, dass sowohl du als auch dein 1,80m großer Mann schieben kann. Gab es sonst noch Dinge, auf die ihr achten musstet?

Ninia: Klar – wir haben zum Beispiel zwei verschiedene Tragen benutzt, da für ihn eine andere wesentlich praktischer war als für mich. An unserer Wickelauflage auf dem Trockner steht ein Höckerchen, auf dem ich immer stehe.

Ansonsten müssen wir uns Aufgaben einfach entsprechend aufteilen. Wenn wir verreisen, muss mein Mann das Kind immer ins Bett bringen, weil ich es nur ins Reisebettchen schmeißen könnte. Inzwischen lernt es auch, dass Papa derjenige ist, der es besser tragen kann. Ansonsten wurschteln wir uns so durch. Das habe ich ja schon immer so gemacht.

Du sagst, du liebst es, dich im Netz zu bewegen, weil das Internet barrierefrei ist. Gibt es denn heute in deinem Leben als Mutter noch Hürden, die dir den Alltag erschweren?

Ninia: Na, ganz barrierefrei ist das Netz auch nicht, aber für mich auf jeden Fall freier als der öffentliche Alltag. Grundsätzlich ist jede Fahrt mit dem Buggy eine Herausforderung für mich – gerade, wenn ich Straßenbahnfahren muss.

In der Kita sind die Türöffner sehr weit oben, damit die Kids nicht drankommen – deshalb habe ich immer ein Stäbchen als Armverlängerung dabei. Und ich kann das Kind nicht mehr so gut und lange tragen wie das vielleicht andere können. Das ist manchmal für uns beide sehr frustrierend.

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Wie reagierst du auf doofe Blicke oder Sprüche?

Ninia: Kommt ganz drauf an – auch wie meine Tageslaune ist. Ich ignoriere vieles, weil ich keine Lust auf Auseinandersetzungen habe. Wenn ich gut drauf bin, lächle ich einfach sehr lange und aufdringlich zurück, wenn jemand unangenehm starrt.

Bei Sprüchen habe ich mir eine Liste im Kopf angelegt, was ich entgegnen könnte – meistens versuche ich mit Ironie und Sarkasmus das Gegenüber auszuhebeln. Zum Beispiel: „Du bist ja total klein!“ „Was? 35 Jahre lang hat mir keiner was gesagt und jetzt sowas?!“ Dafür muss ich aber schon richtig gut drauf sein. Es gibt auch Tage, an denen ich sehr schnell sehr gefrustet und verletzt bin.

Du äußerst dich auch immer wieder politisch. Und es ist nicht zu leugnen, dass immer mehr Mütter in ein Burnout rutschen, weil die Anforderungen an sie so enorm geworden sind. Was meinst du, was es in Deutschland bräuchte, um Mütter mehr zu entlasten?

Ninia: Eine Politik, die Kinderrechte, Eltern und Alleinerziehende endlich ernst nimmt. Gesetze, die Gleichberechtigung und Vereinbarkeit fördern – keine freiwilligen Regelungen oder gut gemeinte Tipps.

In Island erhalten Eltern inzwischen nur noch die volle Höhe des Elterngeldes, wenn beide Elternteile gleichlang Elternzeit machen. Die Abschaffung des Ehegattensplittings. Überhaupt diese Fokussierung auf die Ehe – unverheiratete Paare mit Kindern müssen die gleichen Rechte bekommen (sie haben in der Regel ja auch die gleichen Pflichten). Steuerentlastungen für Alleinerziehende.

Eine Gesellschaft, vor allem Arbeitgeber*innen, die vorlebt, dass gleichberechtigte Elternschaft Normalität ist. Auch das ist aus meiner Sicht nur mit staatlichen Vorgaben und Förderungen zu machen. Freiwillig bewegt sich hier niemand.

Firmen-Kindergärten – das Wort „familienfreundlich“ dürfte es eigentlich nicht mehr geben, weil es eine Selbstverständlichkeit sein muss. Anerkennung von Care-Arbeit – auch finanziell und vor allem auf die Rente angerechnet.

Natürlich eine viel bessere Versorgung mit Betreuungsplätzen. Mehr Möglichkeiten, Arbeit individuell zu gestalten – falls das Kind oder man selbst krank wird. Keine augenrollenden Chef*innen mehr, wenn man mal früher gehen muss oder gar nicht erst kommen kann. Und so weiter und so fort. Es gibt noch viel zu viel zu tun.

 

 

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