Equal Care: Schon in der Schwangerschaft darüber sprechen!

Equal Care

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Ihr Lieben, Nadine ist Doula mit Herz, Humor, Haltung und feministischer Perspektive, die Vielfalt und soziale Gerechtigkeit mitdenkt. Für sie ist klar: Schwangerschaft und Geburt sind nicht nur private Erfahrungen, sondern gesellschaftlich relevant und politisch aufgeladen.

Sie begleitet Schwangere* in 1:1-Beratungen und Gesprächen, mit Wissen, Empathie und einem wachen Blick für strukturelle Zusammenhänge. Außerdem schreibt sie unter nadinebirner.com leidenschaftlich über Schwangerschaft und Geburt, immer feministisch, kritisch und nah an der gelebten Realität. Hier kommt ihr Appell:

Ich weiß noch genau, wie sie sich angefühlt hat: Diese diffuse Mischung aus Freude, Glück, Verantwortung und Überforderung. Sie fing an kurz nachdem ich festgestellt hatte, dass ich schwanger war.

Ich organisierte Termine, kümmerte mich um Hebammenbetreuung, machte mir Gedanken über Klamotten, Raumaufteilung, Elternzeit, Vereinbarkeit und vieles mehr und plante unsere gemeinsame Zukunft. Und mein Partner? Hielt seine Füße still, war für konkrete Fragen ansprechbar, aber größtenteils raus aus dem Gedankenhaus „Leben zu dritt, als Familie“.

Während sich mein Alltag von einem Tag auf den anderen umkrempelte, lief seiner zunächst weiter wie zuvor. In mir wuchs Verärgerung, auf diese folgte Wut und diese führte schließlich zu Konfrontationen, Diskussionen und Verhandlungen. Kommt dir das bis hierher irgendwie bekannt vor?

Wir nennen es: Equal Care

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Das glaube ich dir sehr gerne, denn das Szenario, das mein Partner und ich durchspielten, haben wir uns nicht ausgedacht. Das ist ein ziemlich vorhersehbarer Prozess im System Familiengründung und unter den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die ihn prägen und befeuern. 

Aber was war dieses unangenehme, schwer greifbare Gefühl, das sich damals in mir eingenistet hatte? Was war das, was Generationen von Frauen* vor mir auch schon gespürt hatten, ohne die passenden Worte dafür zu finden?

Heute assoziieren wir dieses Zuviel an Verantwortung, diesen Mental Load auf zu wenigen Schultern, mit dem Begriff Care-Arbeit. Und wir haben ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Care-Arbeit kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem ist.

Wir wissen, dass von Frauen* erwartet wird, Fürsorgearbeit unsichtbar, unbezahlt und ungewürdigt zu leisten. Und wir haben nicht nur eine Vorstellung, sondern auch Worte für das, was sich viele, nicht nur Frauen*, wünschen: eine gerechte, bewusste, solidarische Verteilung dieser Verantwortung. Wir nennen es: Equal Care.

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Was beschreibt der Begriff Equal Care speziell im privaten Bereich?

Equal Care im privaten Bereich meint die gleichberechtigte Verteilung von Sorgearbeit innerhalb von Familien und zwischen Elternteilen. Das umfasst Aufgaben wie Kinderbetreuung, Haushaltsführung, emotionale Fürsorge und die Organisation des Familienalltags.
Die Verantwortung dafür liegt nicht selbstverständlich bei der Mutter*, sondern wird partnerschaftlich getragen, unabhängig von Geschlecht, Einkommen oder Erwerbsstatus.
Equal Care bedeutet konkret: alle Elternteile übernehmen Care-Arbeit, und zwar sichtbar, planbar und verlässlich, es gibt keine automatische Rollenzuschreibung, sondern eine bewusste Aushandlung, es existieren gegenseitige Entlastung und Wertschätzung, es werden Strukturen geschaffen, die individuelle Entwicklung für alle Beteiligten ermöglichen.
Ziel ist eine Familienpraxis, die frei von patriarchalen Selbstverständlichkeiten ist, und in der Fürsorgearbeit nicht als „Privatsache der Mutter*“, sondern als gemeinsame, gesellschaftlich relevante Aufgabe verstanden wird.

Equal Care ist nichts, was standardmäßig in Geburtsvorbereitungskursen diskutiert wird.
Auch in unserer Gesellschaft ist es noch kein breites, selbstverständliches Thema.

Und doch betrifft es uns alle, und wird spätestens sichtbar, wenn sich die Symptome häufen: eine Verschlechterung der mentalen Gesundheit bei Müttern*, hohe Trennungs- und Scheidungsraten nach dem ersten Kind, explodierende Nachfrage nach Mutter-Kind-Kuren bei gleichzeitig eingeschränktem Angebot. 

Wenn Equal Care zum Hot Topic wird, ist der Druck oft längst im Kessel. Die ersten spürbaren Eruptionen zeigen sich meist im Wochenbett, wenn der Schlaf fehlt, die Emotionen überrollen, die Routinen noch nicht greifen und kaum Raum bleibt für die eigenen Bedürfnisse. Geschweige denn für grundlegende Gespräche über Mental Load und Verantwortungsteilung.

Deshalb sage ich deutlich: Die Weichen für eine gleichberechtigte, fair verteilte Fürsorgearbeit in Familien können und sollten spätestens in der Schwangerschaft gestellt werden.

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Food for Thought: Equal Care schon vor der Geburt

Was wir schon klären können, bevor unser Baby da ist…

1. Was denken wir eigentlich über Elternschaft? Welche Rollenbilder wirken in uns und wo wollen wir aussteigen? Was erwarten wir voneinander, bewusst oder unbewusst? Wer fühlt sich gerade wofür zuständig und warum?

2. Wie treffen wir Entscheidungen: gemeinsam, informiert und gleichberechtigt? Wer liest, recherchiert, fragt nach? Wer verlässt sich auf die andere Person? Wer organisiert gemeinsame Treffen, bei denen wir über festgelegte Themen sprechen?

3. Wie teilen wir schon jetzt Sorgearbeit auf? Wer übernimmt Haushalt, Care für ältere Kinder, Mental Load? Wer organisiert Vorsorgetermine? Gibt es Dinge, die wir automatisch der schwangeren oder der nicht-schwangeren Person zuschreiben?

4. Wie gestalten wir unsere Elternzeit solidarisch? Wer nimmt wann konkret und wie lange Elternzeit? Sind alle Formulare und Anträge schon vorbereitet? Nicht: Was geht beruflich? Kann ich mir eine berufliche Auszeit nehmen? Sondern: Was brauchen wir, was braucht unser Kind, was braucht unsere Familie, und wie tragen wir das gemeinsam? Haben wir über Geld, Absicherung, Rentenlücken und langfristige Folgen gesprochen?

5. Wie gehen wir mit Ungleichgewicht um? Sprechen wir es aktiv an oder schlucken wir es runter? Wie tragen wir Konflikte aus?

6. Wie sorgen wir füreinander, nicht nur für unser Kind? Wer kümmert sich darum, dass es uns als Paar gut geht? Wie bleiben wir in Verbindung, auch wenn es anstrengend wird?

Noch ein wichtiger Gedanke zum Schluss: Wo kein Raum und keine Zeit für Pausen, Planung oder Erholung ist, kein Geld, keine Absicherung, da lassen sich Fürsorge und Fürsorgearbeit nicht einfach neu denken. Persönliche Bemühungen stoßen schnell an strukturelle Grenzen.

Und genau deshalb reicht es nicht, Equal Care nur individuell im Privaten zu verhandeln. Fürsorgearbeit benötigt dringend politische Aufmerksamkeit, und vor allem: verlässliche politische Rahmenbedingungen, die sie für alle Menschen möglich machen.

Dazu gehören neben sozialer Absicherung, partnerschaftlichen Elternzeitmodellen, und fairen Löhnen, die klare Anerkennung von Care-Arbeit als Arbeit, der aktive Abbau von stereotypen Zuschreibungen, und das Verständnis von Fürsorge als gemeinsame Aufgabe: in Familien, in Teams, in Politik und Wirtschaft.

Diese Bedingungen müssen gerecht und zugänglich sein, unabhängig von Herkunft, Einkommen, Gesundheitsstatus oder Familienform. Denn Equal Care darf keine Frage von Privilegien sein. Was wir im Kleinen versuchen, braucht im Großen Rückenwind.

Aber auch umgekehrt wird ein Schuh draus: Große Veränderungen speisen sich aus dem Antrieb vieler kleiner Impulse. Also lasst uns anfangen und Equal Care zum selbstverständlichen Teil jeder Schwangerschaft machen. Es könnte gut sein. Wirklich gut.

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2 comments

  1. Meine ehrliche Meinung dazu: ist alles Bullshit. Ein Mann mit Kinderwunsch lehnt die Elternzeit oder die Care-Arbeit nicht pauschal ab. Viele Männer sind vor der Geburt grundsätzlich dazu bereit sich einzubringen. Es gibt genug Statistiken darüber, dass die theoretische Bereitschaft Care-Aufgaben zu übernehmen hoch ist, an der Umsetzung nach der Geburt hapert es aber gewaltig. Ich persönlich habe in der Schwangerschaft eindeutig zu viel kommuniziert, habe versucht viele Aspekte greif- und vorhersehbar zu gestalten. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich mir lieber überlegen müssen wie ich mir mein Leben mit meinem Kind vorstelle. Stattdessen ging es die ganze Zeit um die Rolle des Vaters, um seine Wünsche und auch um das, was er ablehnt – vertane Zeit.

  2. Ich finde das Thema sollte dringend schon vor einer (geplanten) Schwangerschaft besprochen werden. Dann können beide noch rechtzeitig die Reissleine ziehen, wenn die Vorstellungen zu weit auseinander liegen. Augen auf bei der Partnerwahl und Familiengründung habe ich bei manchem Artikel hier schon gedacht.

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