Interview mit Anja: Ich pflege meine 97-jährige Großmutter

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Liebe Anja, erzähl doch erstmal, wer alles zu Deiner Familie gehört!

Zu meiner Familie gehören außer mir (36 Jahre) mein Mann (37J.), mein Sohn (5 J.) und meine Tocher (2J.) Ich bin promovierte Biologin und arbeite als klinisch-technische Spezialistin für Cochlea-Implantate. Mein Mann arbeitet als Ingenieur/Projektmanager.

Wie und wo lebt Ihr?

Wir sind vor 1,5 Jahren in mein Elternhaus gezogen mitten aufs Land. In dem Haus wohnt meine Großmutter eine Etage über uns und mein Vater mit eigenem Hauseingang und komplett separater Wohnung. Es ist ein sehr großes Haus, in dem wir selbst sehr viel in handwerklicher Eigenarbeit aufwenden und ein großer Garten. Ein Traum für die Kinder aber es gibt immer viel zu tun und wir schaffen es nur mit Hilfe meines Vaters und einer Putzfee.

Du pflegst Deine 97jährige Großmutter. Wie kam es dazu?

Mit Einzug in das Haus war klar, dass meine Großmutter bald Untersützung nicht nur vom Pflegedienst benötigen wird. Es folgten mehrere Schlaganfälle und fortschreitende Demenz und Inkontinenz.

Wie genau sieht diese Pflege aus? Wo braucht sie Hilfe?

Tagsüber wird sie vom Pflegedienst versorgt, der 3x täglich kommt. Von unserer Seite aus muss entweder mein Vater oder ich wenn ich im Homeoffice arbeiten kann (eher selten) immer jemand vor Ort sein und zum Trinken auffordern. Ganz wichtig, weil sie ohne Unterstützung komplett dehydrieren würde, was die Demenz stark akut fördert.

Das anstrengende für mich ist, dass sie nachts aufsteht, um zur Toilette zu gehen und mich entweder dafür ruft oder erst dann ruft, wenn sie hingefallen ist und nicht mehr alleine aufstehen kann. In guten Nächten passiert das nur einmal und die Kinder werden nicht mitgeweckt. In schlechten Nächten passiert das 2-3mal und die Kinder werden wach. Meist muss sie nachts nochmal umgezogen werden und die Windelhose gewechselt werden. Mein Vater wohnt separat in seiner Wohnung, daher hört er das Rufen nachts nicht und er hätte auch Hemmungen, bspw. die Windeln zu wechseln.

Meist bringe ich sie morgens nochmal zur Toilette und wechsle die nasse Bettwäsche und wische den Boden, da der Pflegedienst sich beschwert wenn er dies übernehmen muss (verständlicherweise, da deren Einsatzzeit auch nur kurz ist).

War es mal Thema, sie in ein Pflegeheim zu bringen?

Dies ist immer wieder ein Thema, gerade wenn es wieder Rückschläge gibt. Uns ist klar, dass es nicht ewig so weiter gehen kann. Wir haben auch über eine 24-Pflegekraft nachgedacht aber noch versuchen wir es so weiterzuführen. Die größte Angst meiner Großmutter ist, ins Pflegeheim zu kommen. Sie möchte nur zu Hause sein und aus ihrem Fenster auf den Garten schauen. Ich kann dies gut nachvollziehen und möchte ihr das so lange wie möglich ermöglichen.

Was sind die schwierigsten Momente, wenn man einen Angehörigen pflegt?

Am schwierigsten sind die Nächte, in denen ich mehr als 1x aufstehen muss. Solange ich ausreichend Schlaf habe, kann ich viel tolerieren. Aber nach wenig Schlaf wird es am nächsten Tag anstrengend. Schwierig ist auch das Multitasking, wenn man an mehreren Orten gleichzeitig gefragt ist. Beispielsweise gab es mehrfach die Situation, dass ich meiner Großmutter geholfen habe, ins Bett oder zur Toilette zu gehen und meine Tochter die gerade Laufen lernte, die Treppe hoch und runterkrabbelte und mein Sohn nach mir rief. Da muss man einfach hoffen, dass nichts passiert. Und die Nerven und Geduld behalten (und das geht bei mir nur halbwegs ausgeschlafen).

Außerdem empfinde ich es als anstrengend, wenn Abläufe/Vereinbarungen durch den Pflegedienst nicht eingehalten werden und man sich um überflüssige Dinge kümmern muss. Beispielsweise, wenn das Mittagessen nicht geliefert wird oder unklar ist, wann das Schmerzpflaster gewechselt werden muss und man nicht zurückgerufen wird. .

Und wann sind die schönen Momente?

Die schönsten Momente sind eindeutig, wenn meine Großmutter sich mit den Kindern beschäftigt. Ihr Gesicht strahlt förmlich und sie blüht richtig auf. Außerdem die Tage an denen sie noch halbwegs fit ist und mit uns zusammen Abendbrot isst und sich eingebunden fühlt.

Wie gehen Deine Kinder mit der Uroma um?

Sehr erwachsen, denn sie verstehen, dass Uroma Unterstützung braucht. Sie reichen ihr Tee an und ermuntern sie zum Trinken. Die Kinder fragen nachmittags immer nach Uroma und laufen selbstverständlich zwischen ihren eigenen Zimmern und dem Wohnzimmer der Uroma hin und her.

Was wünscht Du Deiner Oma?

Ich wünsche ihr, dass sie sich bei uns geborgen und aufgenommen fühlt und trotz fortschreitender Demenz ein positives Grundgefühl hat.

Was möchtest Du all denen sagen, die überlegen, ob sie es schaffen, einen Angehörigen zu pflegen?

Man muss es gut überlegen, ob man die Pflege körperlich, zeitlich und mental leisten kann. Und ob alle Familienmitglieder mitziehen. Auch muss man dringend alle Hilfe annehmen, die man bekommen kann. Informieren sollte man sich außerdem gründlich bei seiner Krankenkasse, welche Leistungen man in Anspruch nehmen kann. Diese sind nämlich großzügig, werden aber nicht sehr offen kommuniziert. Sich damit auseinanderzusetzen ist wichtig, damit man keine Ansprüche zur Hilfe verschenkt, ist aber anfangs unübersichtlich.

Sehr wichtig ist meines Erachtens auch, gesunden Egoismus zu erlernen und sich Auszeiten zu nehmen. Mir persönlich ist Sport sehr wichtig, allein schon um meinen Rücken zu stärken, der beansprucht wird, wenn ich mehrmals täglich eine 60kg schwere Person bewege (vom Boden aufheben oder nur unterstützend zur Fortbewegung).

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13 comments

  1. Heimplatz
    Wir haben jetzt endlich einen Heimplatz für meinen Schwiegervater gefunden. Obwohl wir am Ende überhaupt kein Leben mehr hatten, es kaum noch geschafft haben zu arbeiten, haben wir uns sehr schwer damit getan ihn „weg zu geben“. Jetzt bereuen wir eigentlich nur das wir diesen Schritt nicht eher gegangen sind. Er lebt jetzt in einer kleinen Senioren Wohngruppe und obwohl wir das nie für möglich gehalten hätten fühlt er sich sehr wohl dort. Die Betreuung die dort geleistet wird könnten wir so zu zweit nicht leisten. Was mir immer sehr gefehlt hat war ein Austausch mit anderen betroffenen. Für Alltagstipps oder auch einfach mal zum Jammern.

  2. Zu wenige Gedanken
    Tatsächlich habe ich erst gestern mt meinen Eltern (Ende 60 und fit) das Thema gehabt und was mir auffällt, dass man sich doch im Vorfeld viel zu wenig Gedanken damit macht, was mit einem selber passiert! Man entscheidet darüber, was mit seinem Geld passiert aber selten darüber, werd mit einem passieren soll, wenn man alt wird! Oft müssen die Kinder und Enkel dann darüber entscheiden! Ich denke, das ist ein ganz großer Faktor! Man selber sollte sich ab einem gewissen Alter darüber Gedanken machen, ob man wirklich den Kindern und Enkelkindern „zur Last“ fallen will (übertrieben ausgedrückt) oder ob man sich, wenn denn die Mittel da sind, Alternativen sucht! Zumindest aus meiner heutigen Sicht werde ich mir da mehr Gedanken drüber machen!

  3. Es zehrt körperlich und mental
    Ich pflege meine 97 jährige Oma, mit der ich zusammen im Haus lebe. Ich habe eine 6 jährige Tochter die nächste Woche in die Schule kommt, gehe zwar nur 20 Std arbeiten, aber immerhin Zeit die oft bei Oma fehlt und mein Mann ist nur am Wochenende zu Hause. Natürlich könnte ich Sie nicht einfach in ein Heim abschieben, da Sie im Kopf noch völlig klar ist und nur der Körper nicht mehr will. Doch Sie wiegt 95 kg ich 55 kg und wenn man so ein Gewicht tagtäglich stemmen muss zum Umsetzen, legen, Toilettengang schreit der Körper. Ich bin oft verzweifelt und hab ein schlechtes Gewissen meiner Tochter gegenüber, wenn ich ihr zu oft sagen muss, wir können nicht spontan ausgehen, wegen Oma, ich kann jetzt nicht spielen kommen, wegen Oma. Ich habe kaum noch soziale Kontakte und weine oft, weil ich einfach mal wieder mit meiner Familie mein Leben führen möchte, spontan sein, flexibel, im Job intensiver einbringen. Und dann ärgere ich mich über mich selber das ich solch egoistische Gadanken habe…

    1. Oje
      Du bist doch nicht egoistisch! Du brauchst einfach Hilfe und du hast ein Recht auf Zeit für dich und deine Familie. Ein ambulanter Pflegedienst kann entlasten oder du fragst mal bei der Kirchengemeinde ob es ehrenamtliche gibt die unterstützen oder auch bei der Stadtverwaltung. Oder eben doch ein Heimplatz. Es gibt durchaus gute Heime mit liebevoller Betreuung. Du hast auch nur dieses eine Leben und deine Tochter nur diese Kindheit. Liebe Grüße und viel Kraft

  4. Respekt….ziehe meinen Hut
    Respekt….ziehe meinen Hut vor dir….vergiss dich aber selbst nicht, denn deine Kinder brauchen dich…

  5. Technische Hilfen
    Wir haben auch einen Demenz-Fall in der Familie. Mein Mann hat nun eine Sicherheitsuhr für Senioren/Demenzkranke von Nuuvi bei Amazon gefunden. Im Notfall kann sie nun uns über die Uhr anrufen und wir können über eine App ihren Standort ermitteln.

  6. Pflege der Oma
    Oh Gott wenn ich die Kommentare lese möchte ich mal nicht alt werden. Hört sich zum Teil grausam an.
    Ich wünsche dir viel Kraft!

  7. vielen Dank
    Für das Interview.
    Das Thema ist so wichtig und wird immer wichtiger.
    Danke für deine Ehrlichkeit, dass die Pflege eben kein Zuckerschlecken ist

  8. Ich finde das Thema wird oft
    Ich finde das Thema wird oft viel zu blauäugig betrachtet, es ist knüppelharte Arbeit. Man kriegt überall warme Worte geschenkt, aber wenn es drauf ankommt, wird man allein gelassen.
    Ich habe in der Hinsicht auch sehr schlechte Erfahrungen mit dem Rest der Verwandschaft gemacht: die kommen gern zum Feiern, aber außer mir übernimmt keiner Verantwortung. Auch nicht auf direkte Nachfrage. Da erfährt man, wie schlecht die Welt eigentlich ist.

  9. Meine Oma liebt die Urenkel
    Meine Oma liebt die Urenkel auch, dennoch Schränke ich den Kontakt ein, da sie denen gern Süß gibt und sie vor den Fernseher setzt. Und sich in der Hinsicht meinen Ansprüchen gegenüber uneinsichtig zeigt. Nicht immer leicht zu kontrollieren in einem Haus, oft schließe ich Türen ab und verstecke Schlüssel, um die Kinder daran zu hindern, zu Uroma zu gehen.

  10. Ich habe meine 94-jährige Oma
    Ich habe meine 94-jährige Oma im Haus. Gesundheitlich geht es ihr noch besser. Dennoch nervt es oft. Ich mache das seit 4 Jahren. Für mich die wichtigste Erkenntnis war IMMER das Wohl meiner Kinder über das Wohl der Kinder zu stellen. Das Leben meiner Oma ist bald eh vorbei, aber für das Leben meiner Kinder muss ich jetzt die Weichen stellen und jetzt da sein, egal wie es der Oma geht.
    Ich achte zudem darauf, dass Oma unseren Tagesablauf nicht zu sehr durcheinander bringt.
    Wenn ich mich zu viel um sie kümmere, fange ich an zu zweifeln und zu hassen und das möchte ich vermeiden, daher stelle ich meine Familie auf Priorität 1.

  11. Wenn es nicht mehr geht
    Wir pflegen meinen demenzkranken Schwiegervater und ich kann als Tip nur dringend empfehlen sich frühzeitig um einen Heimplatz zu bemühen wenn es nicht mehr geht. Wir haben das versäumt und warten seit Monaten auf einen freien Platz.