Interview zum Thema Hausgeburt: Wenn Kleinkinder bei der Geburt des Geschwisterchens dabei sind

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Liebe Vanessa , Du hast Deine zweite Tochter zu Hause geboren – Deine erste Tochter auch schon?

Meine erste Tochter Marie wurde 2013 im Krankenhaus geboren. In meiner ersten Schwangerschaft habe ich mich mit dem Thema „Geburtsort“ überhaupt nicht beschäftigt. Für mich war klar, dass meine Tochter im Krankenhaus zur Welt kommen würde. Bereits in der achten Schwangerschaftswoche meldete ich mich zur Entbindung in einer bekannten großen Münchner Klinik an.
Maries Geburt war lang und schwierig. Auf der Geburtsstation war an diesem Tag viel los und so war ich die meiste Zeit mit meinem Mann allein. Zu ständig wechselnden und gestressten Hebammen (acht verschiedene insgesamt) kamen Angst und das Gefühl nicht vorbereitet zu sein. Natürlich hatte ich einen Geburtsvorbereitungskurs besucht – das Gelernte konnte ich allerdings in dieser Situation nicht abrufen.

Die Wehenschmerzen empfand ich als sehr stark und nicht aushaltbar, sodass eine PDA gelegt wurde. Diese musste nachgespritzt werden, da sie nur einseitig wirkte. Der anschließend nötige Wehentropf wurde falsch angeschlossen, sodass ich bis zum Schluss keine Wehen mehr spürte und auch nicht mitarbeiten konnte. Letztendlich kam Marie per Saugglocke auf die Welt. Eine stressige und äußerst schmerzhafte Geburt.

Wann und warum war dir klar, dass Du eine Hausgeburt möchtest und wie waren die Reaktionen aus Deinem Umfeld dazu?

Für mich war sofort nach der ersten Geburt klar: Sollte ich noch einmal schwanger werden, würde mein Kind – sofern keine gesundheitlichen Gründe dagegensprechen- nicht in der Klinik zur Welt kommen. Zu groß war meine Angst diese Tortur noch einmal zu erleben.
In der Spielgruppe, die ich mit Marie besuchte, lernte ich eine andere Mutter kennen, die bereits ihr erstes Kind zu Hause geboren hatte. Ihre Geburtserfahrung war so ganz anders als meine – eine ruhige Geburt mit einer einfühlsamen 1:1-Betreuung durch eine vertraute Hebamme und in vertrauter Umgebung, sowie erträgliche Schmerzen. Hatte ich vorher eher ein Geburtshaus in Erwägung gezogen, schlich sich der Gedanke Hausgeburt auf Grund ihrer Schilderungen immer wieder in meinen Kopf. Letztendlich empfahl sie mir ihre Hebamme. Ich kontaktierte sie und gleich beim ersten Treffen war klar: Wir passen zusammen.

Sie nahm mir und meinem Mann die letzten vorhandenen Bedenken und empfahl uns einen wunderbaren Vorbereitungskurs, bei dem ich sehr viel gelernt habe. Wir fühlten uns in guten Händen. Und das Wichtigste: Sie gab mir das Vertrauen in meinen Körper zurück: Er war schon einmal schwanger, er hat schon einmal ein Kind geboren, er weiß was zu tun ist. Die Reaktionen aus meinem Umfeld waren überrascht bis neugierig, aber niemand hat uns von unserem Vorhaben abbringen wollen. Wir waren, denke ich, einfach sehr klar in unserer Haltung.
 
Deine erste Tochter – sie war damals 2,5 Jahre alt – war bei der Hausgeburt von Josephine 2016 dabei. Wie kam das? 

Nachdem die Hausgeburtshebamme die Schwangerschaftsvorsorgen natürlich bei uns zu Hause durchführte, war Marie von Anfang an in das Geschehen einbezogen. Sie durfte zum Beispiel durch das Hörrohr die Herztöne ihrer Schwester hören und die Hebamme tastete mit ihr gemeinsam den Babybauch ab. Auch bei den Ultraschalluntersuchungen bei der Frauenärztin war sie dabei. Sie fand das alles total spannend und stellte viele Fragen. Also erzählten wir ihr von ihrer eigenen Geburt (natürlich altersgerecht und ohne ängstigende Einzelheiten). Und in einem dieser Gespräche beschloss sie dann plötzlich: Ich schneide die Nabelschnur durch.
Wir hatten bis dahin nie in Erwägung gezogen, dass sie bei der Geburt dabei ist. Für uns war klar, dass sie währenddessen von ihren Großeltern betreut werden sollte oder (falls das Baby in der Nacht kommen sollte) bei den gut befreundeten Nachbarskindern übernachten sollte. Unsere Hebamme aber schien gar nicht überrascht. Sie hatte schon mehrere Hausgeburten mit Geschwisterkindern betreut. Sie minderte auch hier unsere Bedenken, sodass wir uns mit dem Gedanken beschäftigten, Marie dabei zu haben. Wir zeigten ihr (harmlose und schöne) Hausgeburtsvideos im Internet. Sie war total fasziniert.
Dennoch beschlossen wir, sie wenn möglich anderweitig betreuen zu lassen. Zu groß war immer noch meine Angst, eine Geburt mitzuerleben könne zu viel für so ein kleines Kind sein.

Und wie lief es dann tatsächlich ab? 

Die Wehen begannen am frühen Morgen, sodass Marie den ganzen Tag mit den Großeltern verbrachte. Gegen 18 Uhr war klar: Das Baby kommt heute noch. Mein Mann brachte Marie dann zu den Nachbarn. Dort sollte sie bleiben und bestenfalls auch übernachten. Aber sie wehrte sich mit Händen und Füßen, obwohl sie sonst immer gerne dort Zeit verbrachte. Sie wollte dabei sein, wenn das Baby kommt. Mein Mann versuchte sie zu überreden dort zu bleiben, aber es war zwecklos. Also versuchte er sie zu Hause ins Bett zu bringen, während ich im Schlafzimmer mit der Hebamme bereits die Wehen veratmete. Aber Marie schrie nach mir und ließ sich nicht davon abbringen dabei sein zu wollen, sodass ich mich letztendlich nicht entspannen konnte und die Hebamme schließlich empfahl sie dazuzuholen, damit ich entspannter wäre.
So lag sie zusammen mit meinem Mann neben meinem Kopf. Als die Presswehen einsetzten, sagte ich zu ihr, ich müsse immer wieder singen, damit das Baby rauskommt und ob sie mir helfen wolle. Und das tat sie. Also tönte ich und sie sang Kinderlieder. Das alles in einer ganz ruhigen und friedlichen Atmosphäre. Josephine kam nach vier Presswehen auf die Welt und Marie war so stolz, dass sie dazu beigetragen hatte. Mein wunderbar-willensstarkes Kind schnitt die Nabelschnur durch und war die erste Person, die ihre Schwester auf dem Arm hielt.

Ich gebe zu, dass ich den Gedanken seltsam finde, dass meine älteren Kinder bei der Geburt unserer Kleinsten dabei gewesen wären. Ich hätte Bedenken, dass ich nicht "loslassen" könnte und ich hätte Angst, wie sie auf meine Schmerzen reagieren…

Diese Bedenken hatte ich auch. Aber in dem Moment der Geburt war mir vollkommen klar: Marie will dabei sein und sie schafft das. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich bei meiner zweiten Tochter eine wunderbare Geburt ohne Schmerzen hatte, weil ich in diesem sehr guten Geburtsvorbereitungskurs Methoden und Techniken an der Hand bekommen hatte, mich komplett auf die Wehen einzulassen und sie zu bewältigen. Marie hat mich also nicht leiden sehen. Hätten wir zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, es wird zu viel für sie oder wäre ein Notfall eingetreten, hätte mein Mann (auch gegen ihren Willen) mit ihr den Geburtsort verlassen. Wir hatten auch permanent unsere Nachbarn in „Rufbereitschaft“ für sie. Aber Marie war wie wir auch total entspannt und voller Vorfreude.

Wie würdest du die gesamte Stimmung der Geburt beschreiben?

Im Gegensatz zu Maries Geburt in der Klinik war die Stimmung durchweg ruhig, entspannt und friedlich – beinahe feierlich. Das ist aber sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass ich keine Schmerzen hatte. Ich wusste dieses Mal, was ich tun muss und kann und vor allem, dass ich eine kompetente Hebamme nur für mich habe.

Hat deine Tochter sich danach geäußert, wie sie die Geburt erlebt hat?

Ihr erster Kommentar nach der Geburt war ein freudiges „Baby Ohren hat!“. Sie war total positiv und hat in den folgenden Tagen allen, die es hören wollten, sehr stolz erzählt, dass sie für das Baby und mit Mama gesungen hat und die Nabelschnur durchgeschnitten hat. Wir haben sie in den folgenden Wochen sehr genau beobachtet, aber ihre positive Einstellung zur Geburt blieb. Sie schlief weiterhin gut und kümmerte sich rührend mit um ihre Schwester. Heute ist sie fünf Jahre alt und erinnert sich nicht mehr an die Geburt von Josephine (damals war sie ja 2,5 Jahre alt). Aber nach wie vor lässt sie sich die Geschichte gerne und oft erzählen. Und die zwei Schwestern haben ein sehr inniges Band.

Unter welchen Umständen hättest du dich dagegen entschieden, dass deine Tochter dabei ist?

Wäre zu irgendeinem Zeitpunkt während der Schwangerschaft oder unter Geburt spürbar gewesen, dass das alles zu viel für sie wäre / ist, hätte ich mich dagegen entschieden. Genauso wenn ich mich auf Grund der Anwesenheit meiner Tochter unwohl gefühlt hätte. Beides war ja zum Glück nicht der Fall.

Gibt es noch was, was Dir zu dem Thema allgemein am Herzen liegt?

Ich wünsche mir, mit meinem Bericht Mut zu machen und vielleicht auch Bedenken zu nehmen. Liebe Mama, falls du vor der Entscheidung stehst, ob dein Kind bei der Geburt des Geschwisterchens dabei sein soll: Vertraue deinem Gefühl und habe auch Vertrauen in dein Kind. Du kennst dein Kind und auch dich am allerbesten. Falls du dich für die Anwesenheit deines Kindes unter der Geburt entscheidest, habe dennoch unbedingt Plan B in der Hinterhand. Denn jede Geburt ist anders und nicht im Detail planbar.

Foto: Pixabay 

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5 comments

  1. Das ist in meinen Augen unverantwortlich.
    Woher will man wissen, wie ein Kind solch ein Erlebnis verarbeitet? Im Zweifel dann doch eher den Schutz des Kindes priorisieren. Versorgen ist besser als nachsorgen/ therapieren.
    Dieses „ich kenne mein Kind so gut gequatsche…“ absoluter bullshit.
    Den gleichen unverantwortlichen Eltern haben wir vermutlich auch die Pseudoimpfdebatten zu verdanken.

  2. Jede Geburt ist individuell und nicht im Detail planbar
    Der letzte Satz ist so wahr. „Jede Geburt ist individuell und nicht im Detail planbar. “
    Ich freue mich für jede Frau, die ihr Kind ohne Probleme und entspannt in einer angenehmen Atmosphäre zur Welt gebracht hat. Leider kenne ich aber auch die Kehrseite der Medaille. Mein Mann arbeitet als Anästhesist in einer großen Klinik . Und nicht selten kommen Hebammen mit „Notfällen unter Geburt“. Man weiß eben nie, was während der Geburt passiert. Auch wenn die Schwangerschaft völlig problemlos war. Ich kenne leider so viele Geschichten, wo es dramatisch endete. Letztens wieder: Kind Apgar 0-0-0 !!!
    Traumatische Geburten im KH entstehen doch eher durch den Personalmangel an Hebammen, Ärzten und Pflegern. Und an der fehlenden beruhigenden und entspannten Atmosphäre.
    Ich denke dann immer: es muss doch eine Grund haben, warum noch vor knapp 100 Jahren so viele Frauen und Kinder während der Geburt und im Kindbett gestorben sind…

    1. Hallo Christina, ich hab mir immer genau das gleiche gedacht wie du. Die Erzählungen von früher, meine Omas haben jeweils zuhause 7 Kinder zur Welt gebracht, zeigen mir das Bild, dass es vor allem ein Problem früher gab. Es waren die ganz üblichen Mängel und Lebensumstände. Mangel an Nahrung, Mangel an Nährstoffen durch einseitige Ernährung, hygienische Bedingungen unter der Geburt und danach, harte Arbeit bis zum Tag der Geburt, viel zu viele schwächende Schwangerschaften und Geburten hintereinander, weil keine Verhütungsmittel usw. Wenn man Glück hatte und Geld sie zu bezahlen, war eine ausgebildete, erfahrene Hebamme in der Nähe. In den letzten 2 Jahrhunderten kam dann auch noch das Absurdum Geburt im Liegen dazu… Intuition und Selbstverantwortung war und ist auch heute oft nicht wirklich erwünscht. Natürlich kann während einer Geburt alles mögliche geschehen. Für mich sind viele Auslöser von Problemen zb. eher die Fahrt ins Krankenhaus, Schichtwechsel, unnötige Eingriffe im KH und Angstmache.
      Hast du Daten dazu, dass bis vor hundert 100 so viele im Kindbett gestorben sind? Ich würde meinen, dass das erst nach dem 2.WK wirklich besser aussieht.

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