Mit Kindern über Politik reden: Wie? Teen-Time Jugendkolumne

Mit Kindern über Politik reden

Ihr Lieben, wie können wir mit Kindern über Politik reden? Wie unseren Heranwachsenden die Weltlage erklären? Wie beschreiben, dass Millionen von Menschen selbstverliebt wirkende Milliardäre mit Silberaffen-Attitüde wählen, die in unseren Augen erstmal arrogant, narzisstisch und anstandslos daherkommen?

Neulich kamen unsere Kids von der Schule und erzählten, dass der Tortenwurf auf Christian Lindner gerade auf TikTok viral ginge. Ich fragte sie direkt, wie sie es finden würden, wenn mir jemand eine Torte ins Gesicht werfen würde, immerhin engagiere ich mich mittlerweile auch hier vor Ort ein bisschen in der Kommunalpolitik. „Na, das ginge natürlich GAR nicht, wenn dir das passieren würde, Mama.“ Aha. Seht ihr. Solche Sachen sind nicht witzig, das seht ihr an diesem Beispiel doch sehr gut.

Mit Kindern über Politik reden: Aber wie?

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Heute beim Mittagessen fragten wir uns, was eigentlich passiert ist in Deutschland, seit 2015 so viele Engagierte Willkommensschilder für Menschen hochhielten, die hier bei uns Zuflucht vor dem Krieg suchten. Auch wir nahmen damals eine wunderbare Familie aus Afrin hier bei uns auf, die sich heute unfassbar toll in Köln eingelebt hat. Mama und Papa gehen arbeiten, das Söhnchen möchte Arzt werden, die Kleine tanzt schon im Theater…

Und plötzlich darf wieder Remigration gerufen werden? Von einer offen homosexuell lebenden Kanzlerkandidatin, deren Partei sich wünscht, dass Familien doch bitte wieder schön konservativ aus Vater, Mutter, Kind bestehen sollen? Und deren Kollegen und Kolleginnen Abschiebetickets drucken und in Briefkästen von Menschen mit Migrationshintergrund werfen?

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Was meint ihr, wie sich das für unsere syrischen Freunde und Freundinnen anfühlt? Oder für unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen aus der Türkei, aus Afghanistan oder aus Angola? Für die vielen internationalen Jugend-Fußballtruppen in den Ortvereinen und für ihre Familien?

Als meine Freundin Sümy neulich den harmlosen Satz „Unsere Vielfalt ist unsere Stärke“ unter ein Instagram-Reel schrieb, erhielt sie folgende Antwort: „Die tolle Vielfalt. Ich hoffe, die tolle Vielfalt kriegt dich nachts mal in die Finger oder Eimern (sic!) deiner Familie. So nen bisschen Spaß mit 13 Buben würde dir sicher gut tun.“

Ob es den ganzen wie Unkraut aus den politischen Löchern sprießenden Wladimirs und Donalds und Alices und den hasserfüllten Social Media-Kommentierenden wohl geholfen hätte, wenn sie als Kind mal öfter in den Arm genommen worden wären? Müssten sie so viel Hass raus in die Welt posaunen, wenn da etwas mehr Geborgenheit gewesen wäre?

Was können wir tun in dieser so neuen, oft würdelosen Diskussionskultur? Und ja, ich habe gerade selbst einen Milliardär als möglicherweise arrogant oder mit Silberaffen-Attitüde beschrieben, das heißt aber nicht, dass ich nicht zuhöre, dass ich mir nicht immer wieder verschiedene Meinungen dazu gönne, um dann für mich Rückschlüsse zu ziehen. Ich habe mir auch den Live-Talk des Besitzers der Plattform X mit der einzig weiblichen Bundeskanzlerkandidatin angehört und war abermals überrascht, wie wenig ich bei all dem Gesagten mitgehen konnte.

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Erst gestern Morgen las ich, dass laut einer Allensbach-Studie 42 % der Menschen unter 29 Jahren und 50 % der TikTok-User bezweifeln, dass Russland in Social Media gezielt Fake News verbreitet. Dass Corona absichtlich herbeigeführt wurde, glauben 25 % der Gesamtbe­völkerung – unter den TikTokern sind es sogar 44 %. Unsere Kinder schauen TikTok! Wir müssen mit ihnen sprechen, ihnen helfen, Gesehenes einzuordnen. Die große Mehrzahl der politischen Accounts auf TikTok ist blau!

Aber Himmel, was war das für eine Aufregung, als TikTok in den USA plötzlich 12 Stunden abgeschaltet war. Einige unserer Kinder haben grad FreundInnen dort im Austausch oder zum AuPair, die Jugend von heute verbringt einfach viel Zeit in und mit der App. Wir können das so nicht stehen lassen.

Neulich kamen unsere Jungs nach Hause und waren unheimlich geflasht, weil sie im Unterricht den Film zum Baader Meinhof Komplex gesehen hatten. Sie wollten wissen, ob Opa damals auch auf die Straße gegangen ist, sie lasen sich plötzlich alle Artikel zum Thema durch. Sie fragen uns Eltern, wen wir wählen und amüsieren sich, dass es (meist!) unterschiedliche Parteien sind. Das ist Demokratie! Man kann das so nebeneinander stehen lassen, wenn der oder die andere gute Argumente hat. Das dürfen sie wissen, das dürfen sie lernen – und sich ein eigenes Bild machen.

Neulich kam nun unsere Große zu uns und meinte, dass durch die Pandemie die Bildungsfahrt ihrer Schule nach Auschwitz damals nicht stattfinden konnte und ob wir uns vorstellen könnten, mit ihr mal hinzufahren, um der eigenen Geschichte gewahr zu werden. Ist das nicht wertvoll? Und jetzt machen wir das im März und schauen uns das gemeinsam mal an.

Noch wichtiger, als sich wirklich in großen Aktionen innerfamiliär mit Politik auseinanderzusetzen ist aber vermutlich ein halbwegs gutes Vorleben. Nicht Hass zu säen, sondern freundlich, dankbar und auf Zusammenhalt setzend durchs Leben zu gehen. Missständen konstruktiv zu begegnen. Netzwerke zu bilden, statt gegeneinander zu arbeiten.

Schwächere nicht auszugrenzen, sondern mitzunehmen und auch Menschen Raum zu geben, die sonst vielleicht nicht so viel gehört werden. Und sich aktiv um Verbesserungen zu bemühen statt sich über die (Un-)Taten anderer aufzuregen. Erstmal im eigenen Kosmos und vor der eigenen Haustür anzufangen und selbst für ein besseres Klima zu sorgen. Da zu sein und ein offenes Ohr zu haben, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Menschlich sein und zugewandt. Ich glaube, das ist es, was am meisten prägt und wirkt. Oder was meint ihr?

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7 comments

  1. Aufgrund meiner eigenen Biografie bin ich selbst eher skeptisch und zurückhaltend, wenn es darum geht, meinen Kindern die eigenen „politischen Werte“ zu vermitteln. Meine Mutter hat das mit mir versucht, indem sie mir als Kind zahlreiche Dinge verboten hat.

    Spielzeugpistolen waren tabu, ebenso wie die Figuren von „Masters of the Universe“ oder die Serie „A-Team“. Sie dachte, mich damit zu einem Pazifisten und Feministen in ihrem Sinne erziehen zu können. Well, that didn´t go as planned.
    Was es aus mir gemacht hat, ist eher ein Skeptiker, dem alle Formen der „guten Absicht“ suspekt sind.

    Ich halte es für die Aufgabe jeder kommenden Generation, die Werte ihrer Elterngeneration in den Grundfesten zu erschüttern. Daher ist es mir auch nicht wichtig, ob meine Kinder Werte von mir übernehmen. Wichtiger ist mir vielmehr, dass sie die Werkzeuge lernen, mit denen sie Werte und Glaubensangebote hinterfragen und dekonstruieren können, um sich daraus einen eigenen Wertekosmos zu schaffen.

    Aus diesem Grund nehme ich in politischen Diskussionen mit meinen Kindern auch gerne mal die Position des Advocatus Diaboli ein und vertrete bewusst die Position der Gegenseite. Ziel dabei ist, ihnen dialektisches Denken und auch Grundlagen der Rhetorik und Eristik zu vermitteln. Dies schützt aus meiner Sicht weit wirksamer gegen propagandistische Manipulation als ein „stabiles Wertegerüst“.
    Wenn meine Kinder mich um Erklärungen für politisches Geschehen bitten, dann versuche ich meist möglichst neutral die Positionen beider Seiten darzustellen.

    Was zum Beispiel Trump betrifft, gehe ich natürlich auf seinen miesen Umgang mit Frauen, seine permanenten Lügen und die Tatsache, dass er einen Dreck auf die Umwelt und damit zukünftige Generationen gibt, ein. Auf der anderen Seite erkläre ich aber auch, dass viele in ihm einen Hoffnungsträger sehen, der in ihren Augen wirtschaftliche Prosperität und einen Schutz gegen die zunehmende Übergriffigkeit identitätspolitischer Interessengruppen („political correctness“, „cancel culture“) verspricht.

    Wovor ich mich hüte, sind (sorry, aber ich muss das echt kritisieren) unterkomplexe Psychologisierungen der politischen Gegenseite im Sinne von „wenn Alice Weidel als Kind mehr geknuddelt worden wäre, wäre sie heute nicht so hasserfüllt“. Zumal ich nicht einmal glaube, dass Alice Weidel wirklich von Hass angetrieben wird. Vielmehr handelt sie im Einklang mit ihren persönlichen Werten im festen Glauben daran, etwas Gutes für Deutschland zu tun. Sie ist ein lebender Beleg dafür, dass man gegenüber den Trägern der „guten Absicht“ skeptisch sein sollte.

    Worauf ich bei politischen Erklärungen weitgehend verzichte, sind Emotionalisierungen und jede Form von Empörung. Eher erkläre ich die Mechanismen, mit denen gezielt Empörung erregt und dann strategisch ausgeschlachtet wird. Auch verzichte ich auf aktivistische Aufrufe und schleife sie nicht zu Demonstrationen mit. Wann und wofür sie demonstrieren wollen, sollen sie bitte aus eigenem Antrieb entscheiden.

    Froh wäre ich, wenn meine Kinder durch meine Schulung lernen würden, sich von den rechten Angstmachern, die gegen die Zumutungen der Globalisierung in eine verklärte „gute alte Zeit“ (die es nie gab) flüchten wollen, nicht einfangen lassen. Sie sollten sich aber auch nicht von den linken Angstmachern, die hinter jeder gegenläufigen Meinung gleich den „aufkommenden Faschismus“ wittern, den Mund verbieten lassen.

    Und vielleicht werfen sie sogar irgendwann mal dieses ganze politische Koordinatensystem, nach dem wir uns heute einteilen, über den Haufen und schaffen ein gänzlich neues, an das wir heute nicht einmal denken können.

    1. @Flo: Danke, ich sehe das 1:1 genau so.
      Ja, es ist wichtig, sich über Politik auszutauschen. Noch wichtiger, Werte vorzuleben und nicht zu predigen. Und am allerwichtigsten: das Handwerkzeug bereitzustellen, Mechanismen zu verstehen, Interessen und Ziele zu hinterfragen, in einer zunehmend komplexen Welt soviel Standfestigkeit zu haben, dass man nicht die einfachen Lösungen der Populisten braucht.

  2. Ja, das würde ich gut finden! Deswegen würde ich gleich mal vorschlagen, dass Ihr hier auf dem Blogg keine Werbung mehr für Reisen, die Flüge erfordern oder für Benziner/Diesel-Autos schaltet. Das wäre für mich ein deutliches Zeichen, dass Du auch meinst, was Du so schreibst. 😉

    1. Halll RM, ich verstehe Deinen Anreiz für Dein Kommentar nicht, denn ich konnte in dem Artikel null herauslesen, welche politische Strömung die beiden Autorinnen hier favorisieren. Es wäre gut, wenn Du bei Kritik nicht von Dir auf andere schließt! Ich finde gerade die Reiseberichte und die damit auch mal verbundenen Testberichte zu den zur Verfügung gestellten Fahrzeugen durchaus interessant! Mich nervt diese reflexartige Reduzierung politischer Diskussionen auf den kleinst möglichen CO2 Fußabdruck! Das ist doch nur ein kleiner Teil, der unsere politischen Wahlentscheidungen beeinflusst, was ist mit der Wirtschaftspolitik, der Familienpolitik und der Außenpolitik z. B.!

    1. Besser hätte man es nicht formulieren können. Vielen Dank für diesen Beitrag!!
      Ich frag mich auch immer öfter, wievielen Menschen es einfach auf einer sozialen und emotionalen Ebene so schlecht gehen muss, dass sie der besagten Spezies Machthaber bei so wenig Gehalt in ihren Worten und Taten so viel zutrauen, und denken dass mit mehr Hass, Ausgrenzung und Blutvergießen tatsächlich irgendetwas auf der Welt besser wird.
      Traurig für diese Menschen, traurig für die Welt.

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