Von Berlin nach Beeskow: Warum ich Bürgermeisterin in meiner Heimatstadt werden wollte

Berlin

Ihr Lieben, es muss das Jahr 2011 gewesen sein, als diese tolle Frau meine Tischnachbarin in der Redaktion in Berlin wurde. Ich war damals frisch zurück aus der Elternzeit und und Karo wurde unsere neue Volontärin (so nennt man die Auszubildenden in Redaktionen). Es dauerte nur wenige Tage, bis ich wusste: Die kann was.

Karo hatte eine schnelle Auffassungsgabe, war erfrischend pragmatisch und ließ sich null von den (damals überwiegend männlichen) Chefs beeindrucken – ohne arrogant dabei zu sein. Wir saßen uns fast drei Jahre gegenüber, dann wurde ich wieder schwanger, ging in Elternzeit und kündigte danach – während Karo einige Stufen auf der Karriereleiter hochkletterte.

Wir hatten dann wenig Kontakt, schrieben ab und zu WhatsApps, ich bekam mit, dass Karo schwanger wurde, ebenfalls kündigte und wegzog. Im Sommer diesen Jahres stieß ich zufällig in den Social Media Kanälen wieder auf sie und verfolgte interessiert, dass sie sich politisch engagierte. Das tat sie genau so cool, emphatisch und mit einer totalen Hands-on-Mentalität, die sie schon vor vielen Jahren als Redakteurin auszeichnete. Ich schrieb ihr: „Also meine Stimme hättest du sicher!“ und fragte sie, ob sie nicht Lust auf ein Interview bei uns hätte. Zum Glück hatte sie Lust! Vielen Dank für das tolle Interview, liebe Karo und alles Liebe für dich!

Liebe Karo, im Jahr 2018 bist du aus Berlin nach Beeskow gezogen. Für mich kam das damals total überraschend, weil ich dachte, dass du eine echte Großstadtpflanze bist. Warum habt ihr euch entschieden, Berlin zu verlassen?

Mit der Geburt unserer Tochter fingen wir an, unser Leben, unsere Werte zu hinterfragen. Was ist unser Beitrag auf dieser Welt? Welche Vorbilder wollen wir sein? Wie können wir etwas Positives mitgestalten? Und ganz pragmatisch war der fünfte Stock mit 111 Treppen, Hund und Kinderwagen auf Dauer immer weniger attraktiv – genauso wie mit der U-Bahn in den Kindergarten zu fahren. In mir haben immer schon ein Großstadt– und ein Heimatherz geschlagen und mein Wunsch in die Heimat zurück zu gehen, wurde zu dem Zeitpunkt immer lauter und lauter. Und dann war da, wie durch Zufall, diese perfekte Immobilie und wir haben zugeschlagen. 

Erzähl mal, wie ihr jetzt lebt…

Wahrscheinlich genau so, wie man sich Berliner auf dem Land vorstellt (lacht). Wir haben einen historischen Vierseitenhof gekauft, den wir Stück für Stück sanieren. Wir haben ihn Hinterhov genannt, weil wir mitten im Zentrum der Kleinstadt Beeskow (8000 Einwohner) sind, aber trotzdem so versteckt, dass es fast ländlich ist. Der Hund bellt, die Hühner gackern und meine Mama, die vorn im alten Bauernhaus wohnt, backt ihr Brot. Wir selbst wohnen im umgebauten Pferdestall und haben in der ehemaligen Waschküche gerade zwei Ferienwohnungen eröffnet. Marlen und ich haben mit dem Umzug unsere Vollzeitjobs, die mit vielen Reisen verbunden waren, aufgegeben und in 20-Stunden Jobs getauscht, so dass wir genügend Zeit und Energie haben eigene Ideen und Projekte anzugehen. 

Was gefällt dir besonders gut daran, nun ländlich zu leben?

Beeskow ist eher kleinstädtisch als ländlich. Ich schätze es sehr, dass ich hier alles binnen 10 Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann: Den Sportplatz, die Kita, ALDI. Ich mag das morgendliche Grüßen, jeder kennt jeden. Das Leben hier ist irgendwie überschaubar, alles ist da, aber nichts im Überfluss. 

Vermisst du auch manchmal was, was du in Berlin hattest?

Mit dem Zug vor unserer Haustür und dem wunderbaren 49€ Ticket fahren wir regelmäßig nach Berlin. Mit jedem Jahr des Ankommens in unserer neuen, alten Heimat sind die Fahrten zwar weniger geworden, aber einmal im Quartal buchen wir uns eine schöne Unterkunft, treffen Freunde und schätzen Berlin wieder auf eine ganz neue Art und Weise. Uns ist es wichtig, dranzubleiben an der Hauptstadt, an den Themen, an den Leuten. Für Mode, Kunst und neue Restaurants fahren wir gern nach Berlin. Und für die Tiger im Zoo.

Du lebst in einer gleichgeschlechtlichen Ehe – in Berlin ist das nichts Besonderes mehr – auf dem Land vielleicht schon. Wie waren die Reaktionen auf eure Familienkonstellation? 

Hier ist es tatsächlich auch nichts Besonderes mehr. Es war eigentlich nie ein Thema. Außer im Bürgermeisterwahlkampf. Da gab es an den Lagerfeuern und Gartenzäunen den einen oder anderen Kommentar. Ich habe eine SMS mit den Worten geschickt bekommen „Eine Lesbe als Bürgermeisterin ist doch absurd.“

Gutes Stichwort. Du engagierst dich seit einiger Zeit politisch und hast auch für das Bürgermeisteramt im September kandidiert. Wie haben die Leute auf dich reagiert?

Der Wahlkampf war eine ganz besondere Erfahrung. Ich habe viele tolle Menschen getroffen und meine Heimatstadt nochmal von einer ganz neuen Seite kennengelernt. Am Ende habe ich 19 Prozent geholt, der dritte Platz. In der Analyse der Wahl haben wir festgestellt, dass die Kombination aus selbstbewusster Frau, lesbisch und Lastenradfahrerin für viele ein Bild darstellt, was schnell in eine Schublade gesteckt werden kann. Da würde ich mir wünschen, dass wir weder die Ur-Brandenburger als auch Menschen, die wie ich, auch einmal weg waren und „anders“ aussehen, vorverurteilen, sondern uns die Zeit nehmen genauer hinzuschauen.

Immer wieder hört man, dass lokale Politiker angefeindet werden, viel Hate aushalten müssen, sogar Morddrohungen bekommen. Hast du auch schon solche Erfahrungen gemacht?

Die meisten Anfeindungen gab es über Facebook, trotzdem haben wir uns entschieden dort aktiv zu sein, weil es das beliebteste soziale Netzwerk bei vielen Beeskowern ist. Auch wurden viele meiner Plakate beschmiert oder in WhatsApp Gruppen weniger witzige Memes geteilt. Mehr als diese Art von Hate haben mich allerdings die Falschinformationen erschrocken. Es war erstaunlich, wie schnell falsche Gerüchte und Unwahrheiten im ländlichen Raum die Runde machen und dann schwer wieder aufzuklären sind.  

Es heißt ja, dass der Osten politikverdrossen sei – wie erlebst du das? Und was braucht es, um Menschen für Politik zu interessieren?

Im sehe hier vor Ort eine große Unzufriedenheit, teilweise Desinteresse und auch Abneigung, wenn es um das Thema Politik geht. Um Menschen wieder für Politik zu begeistern und jedem die Möglichkeit zu geben mitgestalten zu können, habe ich mit „Mitgedacht – Mitgemacht“ eine Initiative für aktive Bürgerbeteiligung in Beeskow gegründet, die von JoinPoltics mit 50.000 Euro gefördert wird. Wir bieten mit elf verschiedenen Bausteinen die passenden Werkzeuge und den Raum, aktiv und ohne viel Aufwand unsere Politik und Gesellschaft vor Ort in Beeskow mitzugestalten und unsere Stadt positiv zu beeinflussen. Aber das ist kein Marathon, sondern ein Ultra-Marathon. 

Was hast du durch deine politische Arbeit gelernt und was macht dir daran Freude?

Ich finde es großartig Lebenswelten vor Ort positiv zu gestalten. Ein Beispiel: Der Marktplatz in Beeskow ist groß und grau. Bei einer Schwedenreise habe ich gesehen, wie große Sandkästen auf dem Markt die Innenstadt beleben. Ich habe die Idee in der Stadtverwaltung vorgeschlagen und mich für den Sandkasten eingesetzt. Seit drei Jahren steht er nun schon in der Stadt und alle Generation lieben ihn. 

Was ist deiner Meinung nach das größte Vorurteil gegenüber des Ostens und stimmt gar nicht?

Das da nichts los ist, das da Pampa ist. Das Gegenteil ist der Fall: Ich erlebe jeden Tag tolle Menschen, die mit viel Engagement, Kreativität und Mut Dinge voranbringen wollen. 

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