Einfach das Baby mit zur Arbeit nehmen. Familie und Beruf im wahrsten Sinne des Wortes vereinbaren – genau das macht Silke Gebel, 35, die nicht nur vor einigen Monaten ihr drittes Kind bekommen hat, sondern auch noch zusammen mit Antje Kapek den Fraktionsvorsitz der Grünen in Berlin innehat.
Wie bekommt die Familie den Alltag zwischen Abgeordnetenhaus und Spielplatz hin? Was sagt Gebel nach dem Rücktritt von Andrea Nahles zur Lage der Frauen in der bundesdeutschen Politik und wie steht sie dazu, dass immerzu von Robert Habeck die Rede ist, wenn es um einen möglichen nächsten Kanzlerkandidaten geht, obwohl er doch eine Doppelspitze mit Annalena Baerbok bildet…
Liebe Frau Gebel, Sie sind Fraktionsvorsitzende der Grünen in Berlin. Eine Elternzeit steht Ihnen in dieser Funktion nicht zu. Wie haben Sie das nach der Geburt Ihres dritten Kindes vor einigen Monaten geregelt?
Silke Gebel: Unser drittes Kind kam in der parlamentarischen Sommerpause, dadurch konnte ich etwas „durchatmen“. Ich habe dann bis zu den Herbstferien keine Sitzungen wahrgenommen und bin dann wieder eingestiegen. Das Baby war dann immer dabei, bzw. mein Mann oder eine Babysitterin hat aufgepasst und ihn mir zum Stillen gebracht.
Auf Ihrer Instagramseite sieht man Sie oft mit Ihrem Baby auf Sitzungen, auch im Abgeordnetenhaus. Ist das für Sie und Ihr Umfeld selbstverständlich oder begegnen Ihnen auch kritische Blicke und Stimmen?
Gebel: In der Regel ist das selbstverständlich. Es ist ja auch mein drittes Kind als Abgeordnete. Das Schönste, was ich erlebt habe, war als ich im Ausschuss – ohne Kinderbetreuung – war und das Baby die ganze Zeit geweint hat und eine Mitarbeiterin von sich aus kam und gesagt hat, kommen Sie mal her, ich nehme Ihnen das Baby ab. Da habe ich dann vor Erleichterung fast geweint. Weil ich meine Punkte im Ausschuss sonst nicht hätte einbringen können.
Gab es denn auch schon mal Situationen, die anders verliefen als geplant? Dass das Baby zum Beispiel gerade während einer wichtigen Rede gespuckt oder geschrien hat?
Gebel: Neulich haben wir unsere Sommerklausur geplant und das Baby ist permanent zu den Kabeln gekrabbelt und hat versucht daran zu knabbern und zu ziehen. Da war eine konzentrierte Sitzung mit viel Absprachebedarf nicht wirklich möglich. Die Kinderbetreuung vom Abgeordnetenhaus fing da gerade an und ich habe die Sitzung dann für mich unterbrochen und habe ihn ins Spielzimmer gebracht.
Zum Glück habe ich mit Antje Kapek eine Co-Vorsitzende, die selbst Mutter ist und die dann die Sitzung kurz übernimmt und mich später wieder in die Diskussion „reinholt“. Wir sind da mittlerweile gut eingespielt.
Soweit wir wissen, gibt es auch eine Kinderbetreuung für Abgeordnete…
Gebel: Ja. Zu den Pflichtsitzungen im Abgeordnetenhaus, Plenum und Fraktionssitzungen, gibt es für die Abgeordneten die Möglichkeit einer Kinderbetreuung. Das ist eine große Unterstützung. Im Bundestag gibt es das nicht.
Hinter jeder arbeitenden Frau stehen andere Frauen, ohne die es nicht möglich wäre, heißt es – von der Haushaltshilfe, über den Babysitter bis hin zum Au Pair. Trifft das bei Ihnen auch zu?
Zuallererst ist da mein Mann, der einen großen Teil der Sorgearbeit für die Kinder übernimmt und im Haushalt wahrscheinlich auch mehr macht. Dann haben wir natürlich auch Babysitterinnen, eine tolle Kita für die Großen, einen wunderbaren Freundeskreis und eine (männliche) Haushaltshilfe. Es sind halt nicht nur Frauen, sondern ein Netzwerk aus tollen Menschen – Männern wie Frauen. 🙂
Neulich lasen wir den Kommentar einer Vollzeit arbeitenden Vierfachmutter, dass die Zeit im Büro für sie ihre Me-Time wäre. Bei Ihnen ist es umgekehrt, Sie tanken eher Kraft, wenn sie zu Hause Zeit mit den Kindern verbringen können, stimmt´s? Was gibt Ihnen das? Ein Stückweit auch Erdung?
Gebel: Beides stimmt irgendwie. Als ich nach dem ersten Kind das erste Mal alleine im Büro war und niemand alle zehn Minuten an mir rumgezuppelt hat, habe ich mich sehr frei gefühlt. Als ich jetzt nach sechs Jahren Parlament hochschwanger mit dem dritten Kind auf dem Spielplatz mit den ganzen Eltern gesessen habe, war das fast das schönste an den letzten Monaten Schwangerschaft. Erdung trifft es sicherlich und Entschleunigung.
Ihr Mann arbeitet auch viel, wie teilen sie sich die Dienste auf? Wer steht nachts auf, wer bringt die Kinder zur Schule, wer bleibt zu Hause, wenn eines krank wird?
Gebel: Es ist viel Koordination, es gibt Wochenpläne die wir absprechen und was spontan passiert wird dann kurz geklärt. Wir haben beide sehr abwechslungsreiche Berufe. Ich als Fraktionsvorsitzende in Regierungsbeteiligung, mein Mann als Geschäftsführer einer NGO, die gerade stark wächst.
Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert wie neulich als die Mittlere aus der Kita abgeholt werden musste, dann gucken wir, wer gerade weg kann und schauen dabei, dass es sich gerecht zwischen uns beiden aufteilt. Meistens darf ich zumindest ausschlafen, wenn die Nacht besonders unruhig war – denn das Baby ist durch das Stillen natürlich nachts bei mir.
Nun wird nach dem Rücktritt von Andrea Nahles gerade viel über die Rolle der Frau in der deutschen Politik diskutiert. Haben es Frauen – insbesondere Mütter – schwerer in diesem Business?
Gebel: Mit Frauen wird härter ins Gericht gegangen und es wird schneller die Kompetenzfrage gestellt. Ist man durchsetzungsstark, ist man zu hart – ist man kooperativ, ist man zu durchsetzungsschwach. Auch die Äußerlichkeiten spielen super oft eine Rolle. Ich werde zum Beispiel permanent – auch im politischen Raum – gefragt, ob ich schwanger bin.
Ich finde das super übergriffig. Denn erstens ist es eine sehr private Frage und zweitens sollte die Figur einer Politikerin keine Rolle spielen. Unsere männlichen Politiker werden so etwas Persönliches nie gefragt. Bei uns in der Grünen Partei ist es aber glaube ich vergleichsweise harmlos, wenn ich da in andere Parteien schaue, wo 10-20 % Frauen sind, da ist es viel härter.
Auch die Grünen haben eine Doppelspitze aus Annalena Baerbok und Robert Habeck. Der Stern druckt auf seinem letzten Cover trotzdem nur Habeck und stellt die Kanzlerfrage…
Gebel:Wenn ich richtig informiert bin hat der Stern 19,2 % Frauenanteil in der Redaktion. So was kommt von sowas.
Für dieses Interview gaben Sie mir ganz unkompliziert Ihre Whatsapp-Daten, bei anderen Interviews müssen wir erst umständlich den Weg über Pressestellen nehmen und viele wollen mitreden – ist diese Nahbarkeit Programm bei Ihnen in der Partei?
Gebel: Ich glaube schon, dass wir als Grüne bodenständig Politik machen. Und erreichbar sein wollen. Aber ich habe mich so gefreut, bei StadtLandMama interviewt zu werden, dass ich noch vor meinem Urlaub das Interview machen wollte.
Haben Sie noch Tipps für Mütter, die gern Karriere UND Kinder wollen?
Gebel: Ihr wisst, was Euch und Eure Kinder glücklich macht. Lasst Euch kein schlechtes Gewissen einreden. Und fragt nach Hilfe, wenn Ihr sie braucht.
Fotos: Silke Gebel
3 comments
Spannendes Interview
Ein durchaus spannendes Interview. Gut gefallen hat mir „ein Netzwerk aus tollen Menschen“. Denn sie sind es – der Partner, die Familie, Babysitter – die Vereinbarkeit ermöglichen. Als kritisch empfand ich, dass es so wirkt, als werde das Baby im Berufsalltag der Eltern hin- & hergeschubst.
LG, Richard & Hugo vom https://www.vatersohn.blog/
Danke!
Vielen herzlichen Dank für dieses Interview!
Liebe Frau Gebel, Sie machen das ganz toll!
DANKE
Danke für das schöne Kompliment, das wir gern weitergeben!