Schwester mit Behinderung: Oskar reagiert zunehmend wütend

Schwester mit Behinderung

Ihr Lieben, als Sylvia und ihr Mann ihr zweites Kind, den kleinen Oskar, bekommen, haben sie bereits ein Kind: Paula. Das Besondere: Paula ist eine große Schwester mit Behinderung, die schreit viel, verletzt sich auch mal selbst und kann nicht laufen. Oskar muss dadurch oft ganz schön zurückstecken.

Mittlerweile reagiert er darauf leider mit Wut. Die Eltern sind ganz schön überfordert mit der Situation und erzählen hier davon.

Große Schwester mit Behinderung

Oskar ist mittlerweile fast 5 Jahre alt. Als wir uns damals für ein weiteres Kind entschieden, war uns die Herausforderung durchaus bewusst. Paula, seine „große“ Schwester hat Pflegegrad 5. Sie hat eine sehr seltene Mutation (bcl11b) und hat wirklich viele Baustellen – sie kann nicht selbstständig sitzen, laufen, stehen und sprechen.

Sie hat zudem viele Lebensmittelunverträglichkeiten. Diese herauszufinden hat bereits Jahre gedauert. Isst sie etwas Falsches, bilden sich Darmschlingen und führen zu massiven Schmerzen. Diese können ihrerseits nur durch Schreien ausgedrückt werden. 

Paula schläft nicht durch und schreit viel, sie verletzt sich auch selbst

Schwester mit Behinderung

Paula schläft nachts nicht richtig. Es gibt Tage, da lacht und juchzt sie fast die ganze Nacht. Dann gibt es Tage, da schläft sie durch und an manchen wacht sie im Zweistundentakt auf und schreit, lässt sich kaum beruhigen, schmeißt sich beim Trösten nach hinten und macht sich steif. Versucht zu kratzen und ist wirklich richtig wütend. 

Paula liebt die Schule so sehr und kann es morgens immer kaum erwarten, hinzukommen. An Wochenenden vesteht sie dafür die Welt nicht mehr. Keine Schule, kein Bus, keine Freunde. So verbringen wir oftmals zwei Tage mit einer wütenden und knatschigen Paula. 

Oskar stellt seine Bedürfnisse für die große Schwester zurück

Als Oskar auf die Welt kam, hat man sofort bemerkt, dass er seine Bedürfnisse zurückstellt, sobald seine Schwester anfängt zu wenien. Er wurde in vielen Situationen einfach ganz ruhig oder hat sich in sich zurückgezogen. Ansonsten liebt er, zu puzzeln und hat mit zwei Jahren bereits 96 Teile gelegt. Er kann mit Legosteinen Sachen konstruieren, die wirklich fantastisch sind. 

Wenn er in den letztem Jahren wütend wurde, hat er sich bewusst hingestellt und sich an den Haaren gezogen. Scjließlich hat auch seine Schwester sich oft büschelweise Haare ausgerissen. Sie hat sich auch schon selbst einen Zahn ausgerissen und die Unterarme kaputtgebissen. Wenn Paula wütend ist, müssen wir sofort reagieren. Sie versteht es nicht und verletzt sich sonst noch weiter selbst.

Manchmal kommt uns Oskar vor wie eine tickende Zeitbombe

Schwester mit Behinderung

Oskar hingegen haben wir versucht zu erklären, dass er mit uns reden soll, sobald er wütend ist. Wir haben unsere Strategien aber immer wieder neu überdenken müssen, da keine Methode bei ihm funktioniert hat. Sein Verhalten hat sich zunehmend ins Negative verändert.

Manchmal kam er uns vor wie eine kleine tickende Zeitbombe. Er hat versucht, den Erziehern Haare auszureißen. Er hat seine Kindergartenfreunde massiv gebissen und geschlagen.

Er geht auf fremde Kinder auf dem Spielplatz los. Er zerstört die gebauten Werke seiner Freunde. Seine eigenen gebauten Sachen zerstört er ebenfalls und sein Puzzle zerfetzt er in gefühlt 1000 Teile.

Der Kindergarten geht so unglaublich toll mit seiner Wut um

Der Kindergarten hat vermutet, dass er eventuell Im Bereich der Konstruktion weiter als normal ist und deshalb sein Kopf mit vielen Dingen nicht klarkommt. Wir haben auf Anraten vom Kindergarten einen Psychologen hinzugezogen und ihn in einer Fachklinik zum IQ Test angemeldet (Das Testergebnis steht noch aus).

Der Kindergarten hat zwischenzeitlich Emotionskarten eingeführt. Auf einer Karte war ein fröhliches Gesicht zu sehen. Er hat den Erziehern mitgeteilt, dass seine Schwester Paula auch so strahlt, wenn man sie streichelt. Dann wurde eine wütende Karte gezeigt. Gesagt hat Oskar dazu nichts, aber gleich seinen direkten Nachbarn geschlagen. 

Ob Oskar unsere Hilflosigkeit sieht?

Schwester mit Behinderung

Der Kindergarten merkt, dass Oskar mit seinen Emotionen nicht klarkommt. Sie versuchen ihn wirklich an die Hand zu nehmen um ihm zu helfen. Ich bin relativ sicher, dass er in einem anderen Kindergarten untergehen würde, da er ganz oft einfach nicht „normal“ reagiert. Er würde vermutlich mehrfach täglich Strafe sitzen müssen, aber der Sache auf den Grund gehen würden sie nicht.

Der Psychologe hat auch gesagt, dass Oskar unsere Hilflosigkeit sieht. Wir sind oft einfach nur traurig, absolut hilflos, wütend, überfordert und völlig fertig. Das Ganze überträgt sich auf den kleinen Mann. Nur Oskar kann mit seinen vier Jahren einfach nicht damit umgehen. Wenn wir als Erwachsene schon am Rande eines Nervenzusammenbruchs sind, wie soll es dann einem Kind ergehen?

Manchmal wünscht sich Oskar, seine Schwester würde „verkauft“

Er hat mittlerweile einen unglaublich schrecklichen Druck sich selbst gegenüber aufgebaut. Schafft er etwas nicht, ist er restlos am Boden zerstört. Zusätzlich möchte er seine Schwester „verkaufen“, da er mit ihr aktuell völlig überfordert ist. Er hat zum Beispiel mal gesagt: „Ich wünsch mir keine Schwester, die schreit, ich wünsch mir eine Schwester, die läuft.“

Er sieht nur noch, dass Paula uns allen wehtut und permanent schreit, dass wir ihretwegen am Ende der Kräfte sind. Er spricht auch nicht mehr von ihr oder schenkt ihr Beachtung. Er hat anscheinend so viel Kummer in sich reingefressen, dass sein Fass voll ist. 

Ein weiter Weg, der noch vor uns liegt

Aktuell versuchen wir den Druck von Oskar zu nehmen und weisen ihn zum Beispiel nicht mehr darauf hin, dass seine Schwester ihn knuddeln will. Sobald sie mit ihm kuschelt, kratzt sie und erdrückt ihn fast. Wir übernehmen das jetzt einfach, da er sich unsererseits nicht gezwungen fühlen soll (Tipp vom Psychologen). 

Zuhause werden wir nun auch Emotionskarten einführen und ihn immer wieder fragen, wie er sich gerade fühlt. Wir versuchen in schwierigen Situationen zu überlegen, ob er eventuell gerade bezüglich Paulas Verhalten getriggert wurde und hinterfragen, wie wir ihm gerade helfen können. 

Viele helfende Hände, um uns zu unterstützen

Schwester mit Behinderung

Wir haben auch zwei Kindersitter, die sich abwechseln und uns unterstützen. Sie holen Oskar vom Kindergarten ab, spielen mit ihm und nehmen Paula entgegen, sobald sie mit dem Bus nach Hause kommt. Umziehen, füttern und spielen wird dann übernommen und ich kann an dem Tag versuchen, ein wenig abzuschalten. 

Paula darf auch im Schnitt alle vier bis sechs Wochen für zwei Nächte in Kurzzeitpflege. So können wir uns voll und ganz auf Oskar konzentrieren, in Ruhe zum Beispiel mal frühstücken und selber nachts auch einfach durchschlafen.

Ich bin unglaublich froh, dass wir von so vielen Seiten die absolute Unterstützung bekommen und viele helfende Hände unsere Ängste erkennen und versuchen, uns zu unterstützen. Es liegt wahrscheinlich noch ein weiter Weg vor uns, aber ich bin davon überzeugt, dass wir bereits auf dem richtigen gelandet sind. 

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6 comments

  1. Liebe Sylvia, erst Mal eine dicke Umarmung von der Ferne. Da habt ihr es wirklich nicht leicht!
    Spontan fällt mir ein, dass es glaube ich sehr wichtig wäre, dass ihr Oskar One-on-one-Zeiten gönnt, also zB einen Nachmittag in der Woche (oder wenigstens alle zwei Wochen), an dem einer von euch, Papa und Mama abwechselnd am besten, wirklich ganz alleine mit ihm etwas unternimmt. So dass Paula wirklich „weg“ ist und er im Mittelpunkt steht.
    Ich hoffe, die vielen guten Tipps in den Kommentaren können euch etwas Entlastung bringen!

  2. Liebe Sylvia,

    bei uns gibt es auch ein mehrfach behindertes älteres Geschwisterkind und ein kleineres gesundes Kind.
    Ich kann Euch die Familienherberge Lebensweg und den Kupferhof ans Herz legen. Eventuell gibt es bei Euch auch einen ambulanten Dienst eines Kinderhospizes. Manche haben Ehrenamtliche, die die die Familie entlasten.
    Wenn Oskar älter ist, hilft ihm eventuell auch eine Geschwisterkindergruppe/freizeit.

    Euch alles Gute

  3. Habt schon mal darüber nachgedacht, Paula in eine Jugendeinrichtung zu geben? So zerstört sich doch gerade die gesamte Familie. Oskar bekommt einen Schaden fürs Leben und wird das nächste Therapiebedürftige Kind, Paula dreht am Wochenende durch weil ihr – verständlicherweise- die Strukturen fehlen und die Eltern gehen total auf dem Zahnfleisch (verständlich).
    Ein Heim für pflegebedürftige Kinder könnte die Struktur für Paula, die Zeit und das verlässliche Zuhause für Oskar und die Entlastung für die Eltern geben. Man ist deswegen ja nicht schlechtere Eltern oder so, im Gegenteil.

  4. Liebe Sylvia,
    vielen Dank für deinen ehrlichen Artikel. Ich kann mir vorstellen, wie herausfordernd der Alltag für euch ist, da ich selbst in der Pflege tätig bin und mit besonderen Kindern arbeite.
    Ich weiß nicht, ob ihr schon mal davon gehört habt (das ist vielen Eltern nicht bekannt), aber Paula stehen im Jahr 28 Tage Betreuung in einem Kinder- und Jugendhospiz zur Verfügung.
    Dort darf sie über das Jahr verteilt, mit euch zusammen oder auch alleine, Urlaub machen.
    Vielleicht wäre das noch eine Möglichkeit der Entlastung für euch.
    Vielleicht magst du mal in einem Kinder- und Jugendhospiz in eurer Nähe (ganz so viele gibt es leider nicht), anrufen und dich dort beraten lassen.
    Ich wünsche euch als Familie weiterhin viel Kraft!

  5. Vielen Dank für diesen tollen, ehrlichen Beitrag. Obwohl es hart zu lesen ist, wie überfordert diese Familie ist, so dringt doch auch ihre Liebe für ihre Kinder durch, und Dankbarkeit, für die Unterstützung, die sie erhalten. Ich wünsche ihnen ganz viel Kraft und Durchhaltevermögen, und hoffe sehr, dass sich die Situation bald etwas entspannt…

  6. Liebe Sylvia, es klingt als hätten deine Kinder die wunderbarsten Eltern, die man sich vorstellen kann. Du hast eure Situation und Gedanken und Gefühle ganz arg toll beschrieben und ich möchte euch allen nur das Allerbeste wünschen!

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