Stiefeltern: Weg mit der Mär der bösen Stiefmutter! So geht Patchwork heute

Steifeltern

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Ihr Lieben, wie viele Menschen und Familien kennt ihr, die in Patchwork-Situationen leben? Es werden wohl einige sein. Trotzdem haben Stiefeltern bis heute teilweise einen schweren Stand. Woran liegt das? Und welche sind die besten Strategien für den Familienalltag von Patchwork-Eltern? Das erklärt uns heute Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig, Professorin für Soziologie und Empirische Sozialforschung und Autorin des Ratgebers: Meine Kinder, deine Kinder.

Liebe Frau Weimann-Sandig, Sie sagen Stiefelternteile fühlen sich in ihrer Rolle oft unsicher und unverstanden. Wieso ist das auch heute noch so?

  • Zum einen werden Stiefelternteile bis heute mit negativen Stereotypen konfrontiert, die aus Märchen und Medien stammen, in denen sie oft als böse oder distanziert dargestellt werden. Diese Erwartungen erhöhen den Druck, sich in der Rolle als Stiefelternteil zu beweisen, der genau dem nicht entspricht. Und das führt zu Unsicherheiten.  
  • Zum zweiten sind moderne Familien  oft komplex und sehr vielfältig. Stiefelternteile müssen sich nicht nur in ihre neue Rolle einfinden, sondern auch die Dynamiken der bestehenden Familienstruktur berücksichtigen. Ehemalige Partner:innen, unterschiedliche Erziehungsstile und die Emotionen der leiblichen Kinder können die Integration schwierig gestalten.
  • Drittens haben Stiefeltern haben oft weniger Zugang zu Ressourcen und Unterstützung im Vergleich zu leiblichen Eltern. Während es viele Programme und Beratungen für leibliche Eltern gibt, sind spezifische Angebote für Stieffamilien oft rar, was oftmals das Gefühl verstärkt, alles irgendwie alleine bewältigen zu müssen.
  • Viertens hat sich auch unser Bild vom Kind verändert, d.h. als Elternteile wollen wir Kinder heute ganz anders einbeziehen. Die Beziehung zwischen Stiefelternteilen und Stiefkindern ist aber häufig von Unsicherheiten geprägt, Stiefelternteile fragen sich heute sehr oft, ob sie von ihren Stiefkindern überhaupt akzeptiert werden und wie sie diese Akzeptanz sichern können und das verursacht dann nicht nur Unsicherheit, sondern auch Stress.
  • Fünftens gibt es gerade in Patchworkfamilien anfangs oft Kommunikationsprobleme. Unklare Erwartungen und unausgesprochene Ängste führen zu vielen zu Missverständnissen und verstärken dann das Gefühl der Unsicherheit.
  • Letztlich führen oft auch unterschiedliche Erziehungsstile zwischen leiblichen Eltern und Stiefeltern zu Konflikten. Stiefelternteile fühlen sich möglicherweise unsicher, wie sie ihre Rolle im Vergleich zu den leiblichen Eltern definieren sollen, insbesondere wenn es um Disziplin und Verantwortung geht.
Stiefeltern
Nina Weimann-Sandig

Sie möchten den Blick auf Patchworkfamilien entromantisieren. Wieso ist Ihnen das ein Bedürfnis?

Ich glaube, es ist wichtig, ein realistisches Bild zu zeichnen. Patchworkfamilie ist eine Herstellungsleistung, ständigen Veränderungen unterworfen und bedeutet viel Arbeit. Gerade weil Patchworkfamilien vor spezifischen Herausforderungen wie Loyalitätskonflikten, unterschiedlichen Erziehungsstilen und emotionalen Belastungen stehen, braucht es einen entromantisierten Blick, um diese Themen offen zu besprechen und Lösungen zu entwickeln, anstatt sie zu ignorieren oder als weniger wichtig zu betrachten.

Nichts ist so schädlich für Patchworkfamilien, wie Konflikte tot zu schweigen. Ein entromantisierter Blick ermutigt zu offenerer Kommunikation über Bedürfnisse, Ängste und Erwartungen, zwischen den Partner:innen, aber auch zwischen den Elternteilen und den Kindern. Und nur wenn die Herausforderungen von Patchworkfamilien sichtbar gemacht werden, können gezielte Unterstützungsangebote und Ressourcen entwickelt werden.

In welchen Patchwork-Themenbereichen wird Ihnen denn bislang zu viel romantisiert?

Die Romantisierung der Stiefeltern-Stiefkind-Beziehung finde ich schwierig, also die Tatsache, dass Stiefelternteilen immer wieder gesagt wird, sie müssten ihre Stiefkinder lieben, oder Stiefkinder müssten ihre Stiefelternteile lieben und diese Liebe würde sich ganz natürlich einstellen. Das baut einen unglaublichen Druck auf, sowohl für Stiefelternteile als auch für Stiefkinder und ist einfach nicht realistisch.

Die Beziehung zwischen Stiefeltern und Stiefkindern entwickelt sich oft über Zeit und ist von vielen Faktoren abhängig. Indem man sich selbst klarmacht, dass Liebe nicht erzwungen werden kann, hilft man sehr, Enttäuschungen und auch Frustration zu vermeiden. Gerade wenn Stiefelternteile versuchen, Liebe zu erzwingen, kann dies oft zu Widerstand und Ablehnung führen. Kinder spüren den Druck und reagieren dann sehr oft mit Abwehrhaltungen.  

Stiefkinder befinden sich oft in einer emotionalen Übergangsphase, in der sie ihre eigenen Gefühle und Loyalitäten klären müssen. Viel wichtiger ist es für mich, dass es einen respektvollen Umgang zwischen Stiefelternteilen und Stiefkindern geben muss. Denn ein respektvoller Umgang fördert eine natürliche Entwicklung der Beziehung und kann dazu führen, dass sich Bindungen nach und nach entwickeln.

Wo sehen Sie – auch privat als Stiefmutter – die Stolpersteine für Patchworkfamilien?

Zu viel zu wollen und zu verlangen. Von sich selbst als Stiefelternteil, vom Partner bzw. der Partnerin, von den Stiefkindern, den leiblichen Kindern. Stiefkinder befinden sich oft in einem Dilemma, wenn sie zwischen ihren leiblichen Eltern und der Stiefmutter hin- und hergerissen sind. Sie haben oft das Gefühl, dass sie eine Loyalität zu ihrem leiblichen Elternteil verletzen, wenn sie eine positive Beziehung zur Stiefmutter aufbauen.

Ich kann und darf also niemals versuchen, mich in diese Beziehung einzumischen, sondern muss für mich als Stiefmutter eine neue Rolle definieren und das kostet viel Zeit und gute Nerven. Eben auch, weil diese Rolle so ganz anders sein kann, als die Rolle als leibliche Mutter. Hinzu kommen Eifersüchteleien, weil man ja eben auch die neue Partnerin des Vaters ist und hier jetzt Zuneigung geteilt werden muss, zumindest aus Perspektive der Kinder.

Ein weiterer Stolperstein ist auch, wenn man das Patchworknetz nicht von allen weben lässt, sondern hier sozusagen ein Netz über alle überstülpt. Alle Patchworkfamilienmitglieder müssen das Recht haben, das Netz mitzuweben und es auch in ihrem Tempo zu weben.

Sie kennen das Gefühl von einem Unbehagen gegenüber den Stiefkindern selbst, schreiben Sie, die Angst alles falsch zu machen, die Verletzlichkeit und Niedergeschlagenheit, weil manche Probleme einfach unlösbar sind. Was meinen Sie da konkret, können Sie uns da Einblicke in Ihr eigenes Erleben geben?

Tatsächlich habe ich ja die besten Stiefkinder auf der ganzen Welt 😉Aber wir hatten auch viele Stationen der Ablehnung und Konfrontation, gerade zwischen meiner Stieftochter und mir. Für Sie war es sehr schwer ihren geliebten Papa auf einmal teilen zu müssen und zu erleben, dass der Papa tatsächlich sehr verliebt ist und das auch offen zeigt. Immer wenn ich das Gefühl hatte, wir nähern uns endlich etwas an, brach bei ihr der Loyalitätskonflikt durch. Sie fühlte sich ihrer Mama gegenüber schuldig, dass sie eben auch mich irgendwie mochte.

Mir hat das sehr weh getan, ihre innere Zerrissenheit zu erleben, ich hätte ihr das gerne abgenommen und habe aber in den ersten Jahren nur schwer einen Zugang zu ihr gefunden. Es gab viele Abende, an denen ich weinend im Wohnzimmer saß und mich gefragt hab, was ich denn noch tun soll. Irgendwann kam die Erkenntnis: weniger ist mehr. Nicht drängen, nicht fordern, einfach da sein. Sie anders wahrzunehmen, ihr anders zuzuhören, gelassener zu sein und tatsächlich auch dafür zu sorgen, dass sich die Rahmenbedingungen ändern.

Ich hab zum Beispiel dafür gesorgt, dass sie mehr mit ihrem Papa machen konnte und dass ich mich da sehr zurücknehme. Irgendwann kam sie dann ganz von selbst und meinte, sie würde gerne auch mal wieder was mit mir zusammen machen oder auch mal mit mir alleine. Das war ein großes Geschenk und der Anfang für eine neue Beziehungsbasis. Aber bis heute ist eines geblieben: manchmal fühle ich eine unfassbare Nähe zu ihr und dann ist da manchmal aber auch wieder eine große Distanz. Aber vielleicht muss das einfach auch so sein. Für mich ist es mittlerweile okay.

Ich habe gelernt meine Stiefkinder zu lieben und ich sage ganz bewusst, ich habe es gelernt. Diese Liebe war nicht von Anfang an da, denn ich musste diese Kinder ja erst einmal kennenlernen und mit ihren Eigenheiten zurechtkommen – sie übrigens ja auch mit meinen, auch sie haben mich keinesfalls von Anfang an geliebt. Aber gerade weil es ein Lernprozess war, kann ich heute genau sagen, was ich an meinen Stiefkindern liebe und das erfüllt mich durchaus mit Glück.

Was sollten die leiblichen Eltern über das Gefühlsleben der Stiefeltern wissen?

Stiefeltern fühlen sich oft unsicher in ihrer Rolle. Sie haben große Angst haben, nicht akzeptiert zu werden oder im Vergleich zum leiblichen Elternteil abgelehnt zu werden. Diese Unsicherheit wirkt sich oftmals auf die Interaktionen mit den Stiefkindern aus, d.h. viele Stiefelternteile ziehen sich aus Angst zurück und nicht, weil sie die Stiefkinder nicht mögen oder sich nicht mit ihnen beschäftigen wollen. Hier kommt es oft zu Fehlinterpretationen durch leibliche Elternteile.

Stiefelternteile fühlen die Loyalitätskonflikte der Stiefkinder oft auch viel deutlicher als die leiblichen Elternteile. Letztere wollen unbedingt, dass es klappt und sind dementsprechend „betriebsblind“. Es lohnt sich, hier miteinander zu kommunizieren und die Perspektiven auszutauschen, vor allem aber auch niemanden zu verurteilen.

Wichtig ist es auch, dass die leiblichen Elternteile Anerkennung geben und die Stiefelternteile unterstützen, denn Stiefelternteile übernehmen oft elterliche Verantwortung für ihre Stiefkinder, ohne dass dies honoriert wird. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit und das braucht gerade auch Lob und Anerkennung und Lob vom Partner bzw. der Partnerin .

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Stiefeltern? Und verstehen Sie aber auch, dass die leiblichen Eltern erstmal skeptische auf die Neue oder den Neuen des oder der Ex schauen?

Auch ich möchte meine Kinder bei der Partnerin meines Exmannes in guten Händen wissen.  Aber was ich nicht mache, weil ich eben selbst die negative Erfahrung als Stiefmutter gemacht habe, dass ich hier Skepsis an den Tag lege. Warum verurteilt man neue Partnerinnen und Partner ohne ihnen persönlich begegnet zu sein?

Das ist doch eigentlich der Schlüssel: ein persönliches Kennenlernen und erst dann kann ich mir den Hauch einer Meinung bilden. Ich bin damals als Stiefmutter auf die Expartnerin meines Lebensgefährten zugegangen und habe ihr so ein persönliches Treffen angeboten, weil mir völlig klar war, dass sie mich kennen muss, um das unbehagliche Gefühl ablegen zu können, nicht zu wissen, wer ihre Kinder betreut und mit ihnen Zeit verbringt.

So ein Treffen bedeutet noch lange nicht, dass man sich super sympathisch wird, aber es dient der „Entmystifizierung“. Man wird greifbarer und ist eben nicht die große Unbekannte. Und eines ist klar: es gibt etliche Reibungspunkte. Die größten Reibungspunkte sind unterschiedliche Erziehungsvorstellungen, unterschiedliche Normen und Werte, die man den Kindern vermitteln möchte.

Wie kann Patchwork gelingen, welche ultimativen Tipps haben Sie da?

Ich würde sagen, eine transparente und ehrliche Kommunikation ist wichtig. Alle Familienmitglieder sollten ermutigt werden, ihre Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken. Bei uns haben Familienkonferenzen da wirklich gut geholfen. Respekt ist auch ein Schlüssel. Jede Person in der Patchworkfamilie hat ihre eigene Rolle, und diese sollten respektiert werden.

Stiefelternteile sollten nicht versuchen, die Rolle der leiblichen Eltern zu ersetzen oder zu kopieren- und sich da auch nicht hineindrängen lassen. Gemeinsame Aktivitäten und Erlebnisse stärken die Bindungen innerhalb der Patchworkfamilie. Ob gemeinsame Ausflüge, Spieleabende oder Küche-Events – solche Erlebnisse haben uns total geholfen, ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Oftmals haben dann auch die Konstellationen immer wieder verändert.

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