Patchwork – Wie Bonuskinder wirklich zum Bonus werden

Patchwork

Ihr Lieben, längst sagt man nicht mehr Stiefmutter oder Stiefkind, wenn es um neu zusammengewürfelte Familienmodelle geht. Die Sprache verändert sich hin zu wertschätzenderen Worten wie Bonuskinder oder Bonusfamilie. Dass so eine Konstellation nicht immer ein Bonus ist, weiß Autorin Marita Strubelt aus eigener Erfahrung und aus ihrem Arbeitsalltag als Patchwork-Familien-Expertin. In ihrem Buch Patchwork Power!: So wird die Sache mit der Bonusfamilie zum echten Bonus erzählt sie von echten Fällen und wie man es schafft, Patchwork-Probleme in Patchwork-Power zu verwandeln.

Wie und wann kam es bei dir zu einer Patchworksituation – und wie sieht die derzeit aus?

Das war 2009. Da sagte ein Freund zu mir: „Hey, Marita, hast du schon gehört: Matthias ist wieder Single!“ Meine spontane Reaktion war: „Na und? Der ist doch viel zu alt für mich und außerdem hat er schon ein Kind!“ Ich war 28 Jahre alt und fand den Gedanken absurd. Ein acht Jahre älterer Mann. Noch schlimmer: Vater eines kleinen Jungen. Das passte nicht in meinen Kleinmädchentraum vom Traummann, Hochzeit und Bilderbuch-Familienleben. Aber wie das so ist, kann man sich im Leben nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. 

Mittlerweile sind wir verheiratet und haben zwei gemeinsame Töchter. In den letzten zehn Jahren bin ich durch viele Höhen und Tiefen gelaufen, die das Patchworkleben so bereithält: Gerichtsverhandlungen, Sorgerechtsstreit, Diskussionen über den Umgang, dann auch eigene Schwangerschaft und Geburten, das Verhältnis der Geschwister zueinander, Schulstress und Hausaufgaben – und der ganz normale Familienalltag mit drei Kindern, mit und ohne Corona. 

Nach einer Phase im Wechselmodell während Corona lebt mein Bonussohn jetzt wieder bei seiner Mama und ist jedes zweite Wochenende bei uns. 

Patchwork ist viel schwieriger als du gedacht hast, schreibst du. Inwiefern?

Man kann sich einfach nicht vorher vorstellen, wie es ist, in einer Patchworkfamilie zu leben. Genauso wenig wie man jung und kinderlos wirklich eine Ahnung davon hat, wie es ist, Kinder zu haben. 

Ich erinnere mich noch gut an eine Situation an einem der ersten Umgangswochenenden vor über zehn Jahren mit meinem Bonussohn. Damals bin ich mitgefahren, um ihn zu seiner Mama zu bringen. Während mein Partner mit ihm ins Haus gegangen ist, habe ich im Auto gewartet – und musste weinen. 

Mir gingen so viele Gedanken durch den Kopf: Die Zeit mit dem Jungen war anstrengend gewesen, ich war erleichtert, dass er jetzt wieder weg ist und hatte gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Sowas darf man doch nicht denken, er ist doch noch ein Kind. Ich habe mich gefragt, was mein Partner da jetzt eigentlich so lange mit seiner Ex zu besprechen hat und warum ich nicht mit reingegangen bin. Aber eigentlich hätte ich das auch nicht wirklich gewollt, glaube ich…

Mein Partner kam zurück, sah, dass ich geweint hatte und konnte es einfach nicht verstehen. Das war so ein Moment, in dem ich gemerkt habe: Patchwork ist viel schwieriger als ich gedacht habe.

Fühlte sich das mit deinem neuen Partner manchmal an wie ne Second Hand-Geschichte? Weil alle eben schon ein Vorleben mitbrachten?

Nein, der Begriff „Second Hand Geschichte“ kam mir nie in den Sinn. Es ist einfach mein Leben, und das lebe ich zum ersten und einzigen Mal. Meine Hochzeit, die Geburten meiner Töchter, unser Familienalltag – all das ist für einzigartig. Da ist es völlig egal, was vorher war. 

Während meiner Schwangerschaft kamen schon so Gedanken auf: „Das ist für ihn doch gar nichts Besonderes. Das hat er ja alles schon mal erlebt.“ Aber das ist natürlich Quatsch. Mütter von mehreren Kindern wissen das: jede Schwangerschaft ist individuell und die Liebe wird auch nicht weniger, wenn mehr Kinder dazukommen. 

„Es liegt nicht an dir, dass es schwierig ist“, sagst du Menschen, die grad neu in eine Patchwork-Situation geraten. An wem oder was liegt es dann?

An der Situation selbst. Patchwork ist kompliziert. Nicht umsonst steckt in dem Wort Patch-Work „Arbeit“ drin. Anders als bei der klassischen Familie aus einem Paar plus Kind spielen noch weitere Personen mit. Wie in einer mathematischen Gleichung potenziert das die Beziehungen unter allen Familienmitgliedern. Jede Person, die im System dazukommt, hat mit jeder anderen eine eigene Verbindung. Die Dynamik unter drei Kindern ist einfach eine ganz andere als nur zwischen zweien. Und dass immer eine andere Frau (bzw. Expartner) mitmischen, macht es auch nicht gerade leichter. 

Wo befinden sich die Fallstricke und Fettnäpfchen?

Häufig sind es unklare Zuständigkeiten. Wie viel darf oder soll ich miterziehen? Wo halte ich mich raus? Was ist „Sache der Eltern“? Da braucht es einfach Zeit und viele Gespräche miteinander, um herauszufinden, was jedem wichtig ist. 

Werdende Mütter haben in der Regel neun Monate Vorbereitungszeit mit Kursen, Begleitung durch Ärzte und Hebammen und Tipps von allen Seiten. Diese Unterstützungen fallen für Stiefmütter weg. Quasi über Nacht hast du ein Baby, Kindergartenkind, Schulkind oder pubertierenden Teenager (oder sogar mehrere) vor die Nase gesetzt bekommen und musst jetzt entscheiden, wie du mit ihm umgehen willst. Im Umgang mit dem Bonuskind ist es hilfreich, sich damit zu beschäftigen, was Erziehung generell – und für dich persönlich – bedeutet.

Für mich ist Erziehung kein Konzept, das man abspult. Vielmehr sehe ich es so, dass jeder, der Zeit mit einem Kind verbringt, es durch sein eigenes Verhalten prägt und demnach auch „erzieht“. Unabhängig von der Biologie ist der Aufbau einer liebevollen Beziehung ein willentlicher Akt, ein Entschluss. Er wächst aus meiner Haltung heraus, dass ich dem anderen Menschen – egal wie alt er ist – auf Augenhöhe begegnen möchte. Ich gehe also als der Mensch, der ich bin, in die Beziehung zu meinem Bonuskind. Nicht in einer bestimmten Rolle, sondern so, wie ich bin. Mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen.  Entscheidend ist die Art und Weise, wie ich mich zeige.

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Patchwork Power!: So wird die Sache mit der Bonusfamilie zum echten Bonus

Du sprichst auch vom Stiefmutter-Hamsterrad, in das du gerietst. Erzähl doch mal etwas genauer davon.

Das Hamsterrad besteht aus fünf Phasen, die – wie der Name Rad schon sagt – immer wieder aufeinander folgen. Von Phase 5 gehst du direkt wieder in Phase 1 über, ohne dass eine Weiterentwicklung stattfindet. In den Phasen sind bestimmte Gedanken vorherrschend. Sie bestimmen deine Gefühlslage und deine Handlungen. 

Lass uns doch mal einen kleinen Test machen. Ich nenne dir fünf typische Gedanken von Frauen, die im Stiefmutter-Hamsterrad feststecken und du schaust, ob du dich darin wiederfindest: 

  1. „Keiner versteht, wie ich mich fühle.“
  2. „Wie es mir geht, interessiert hier niemanden. Das ist so ungerecht!“
  3. „Dann mache ich jetzt halt gar nichts mehr.“ 
  4. „Warum kriege ich es einfach nicht hin?“
  5. „Ich muss mich eben mehr anstrengen.“

Den meisten Stiefmüttern ist dieses Gedankenkarussell gut bekannt. Entweder beginnt es immer wieder von vorne oder sie bleiben in einer der Phase stecken und gehen dann extrem in die Abgrenzung. Dabei ist es egal, wie lange du schon Patchwork lebst, ob wenige Monate oder einige Jahre. Im Hamsterrad kannst du tatsächlich jahrelang festhängen. Du versuchst immer wieder, die Anerkennung zu bekommen, die du dir wünschst und verzweifelst daran, wenn du enttäuscht wirst. Deshalb fokussiert sich mein Buch darauf, wie man aus dem Hamsterrad rauskommt. 

Was brachte bei euch dann patchworkmäßig den Knoten zum Platzen, wie konnte aus der Bonusfamilie wirklich ein Bonus werden?

Vieles wurde in dem Moment besser, als die Kommunikation nicht mehr über Anwälte und das Jugendamt, sondern persönlich lief. Dafür braucht es gegenseitige Akzeptanz. Ich finde nicht alles gut, was die Mutter und macht und andersrum. Aber wir können den anderen jeweils so lassen wie er ist. Willst du Recht haben oder glücklich sein? Dieses Zitat von Marshall Rosenberg bringt es an dieser Stelle für mich auf den Punkt. 

In der deutschen Sprache gibt es den schönen Ausdruck „nachtragend sein“, wenn jemand einem anderen ein vermeintliches Vergehen nicht verzeiht. Doch was bedeutet „jemandem etwas nach-tragen“ denn eigentlich? Ich schleppe mich mit einer Last ab, während der andere fröhlich vorneweg hüpft und sich irgendwann nicht mal mehr zu mir umdreht und dafür interessiert. Diese Last „be-lastet“, sie zieht mich nach unten, beschwert mich, bedrückt mich. Es ist meine Entscheidung, ob ich weiter daran tragen möchte oder doch lieber loslasse. Wenn wir auf jemanden wütend sind oder mit einer Geschichte aus der Vergangenheit hadern, bestrafen wir uns nur selbst. Zu verzeihen und vergeben zu können, ist die Grundlage für unser seelisches Wohlbefinden. Wenn ich loslasse, wird es mir leichter.

Kinder streiten sich und spielen danach trotzdem wieder miteinander. Warum? Weil ihnen Glück wichtiger ist als ihr Stolz. Ich denke, hier können wir – wie so oft – von unseren Kindern lernen.

Du sprichst dich für Selbstfürsorge statt Abgrenzung aus – warum?

Persönliche Grenzen sind wichtig, denn sie schützen uns vor Überforderung. Wie Werte sind sie individuell. Was für den einen Menschen völlig akzeptabel ist, ist für einen anderen unvorstellbar. Insofern sind Grenzen per se nicht gut oder schlecht, sondern zunächst neutral. Grenzen zu setzen bedeutet, sich mit seinen Werten zu zeigen und klar sagen zu können, was für einen persönlich passt und was mit den eigenen Wertvorstellungen kollidiert. Um dich abzugrenzen, musst du deine Werte kennen und für sie einstehen.

Das Ergebnis, das wir uns davon versprechen, ist ja auch absolut wichtig und wertvoll: Wir wollen für uns selbst sorgen, damit es uns gut geht. Dabei kommt es auf die dahinterliegende Haltung an. Wenn du an den Umgangswochenende „flüchtest“, weil sie zu nervenaufreibend für dich sind, steckt dahinter oft der Gedanke „Dann mache ich eben gar nichts mehr!“ Bitte nicht falsch verstehen: Es gibt keine Verpflichtung, das Wochenende immer als „komplette“ Patchworkfamilie zu verbringen. Wenn du das Bedürfnis hast, alleine zu sein, steht dir das zu. Ungünstig ist es nur, wenn du dir eigentlich etwas anderes wünschst. 

Langfristig wirst du mit ständigem Abgrenzen nicht glücklich werden. Denn wir Menschen sind auf Verbindung angelegt. Du möchtest ja ein Teil deiner Patchworkfamilie sein und nicht immer außen vor bleiben. Deshalb geht es darum, einen Schritt aus der Abgrenzung weiter zu gehen und Selbstfürsorge mit dem Patchwork-Familienleben zu verbinden. 

Als Empfehlung gibst du Betroffenen den Perspektivwechsel mit. Wie funktioniert der?

Im Grunde ist es ganz einfach. Der Perspektivwechsel bedeutet, dass du davon ausgehst, dass das, was du denkst, wahrnimmst und fühlst, nicht unbedingt die generelle Wahrheit ist. Stattdessen ist es etwas, das für dich in diesem Moment wahr ist. Gleichzeitig kann aber dein Gegenüber auf genau die gleiche Sache schauen und völlig anders denken, fühlen und erleben. 

Auf Augenhöhe miteinander umzugehen bedeutet, dass ich diese Sichtweisen gegeneinander stelle, ohne zu sagen, eine ist richtig und eine ist falsch. Ich gehe davon aus, dass die andere Person genauso viel oder wenig recht hat wie ich. Es ist einfach eine andere Wahrnehmung und deswegen nicht falsch. Das ist ganz wichtig: Verstehen heißt nicht einverstanden sein. Zuhören bedeutet nicht zuzustimmen, sondern einfach nur anzunehmen, dass das, was mein Gegenüber tut oder sagt, einen Grund hat. Auch wenn ich diesen Grund vielleicht momentan nicht nachvollziehen kann. 

Was möchtest du anderen Stiefmüttern mit auf den Weg gebe, bei denen es grad aktuell vielleicht noch schwierig ist?

Mein Lieblingssatz im ganzen Buch ist der allerletzte: „Die Stiefmutter von Aschenputtel hätte dieses Buch nicht gelesen.“ Allein, dass du dich damit beschäftigst, wie Patchwork gelingen kann, zeigt ja, dass dir die Beziehung am Herzen liegt. Es schaffen zu wollen und selbst dafür aktiv zu werden, ist schon der erste Schritt in die richtige Richtung. Deshalb möchte ich dich ermutigen, auf dem Weg weiterzugehen. Ich freue mich darauf, dich auf deiner Reise zu begleiten.

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3 comments

  1. Ich hoffe, ich drücke mich höflich genug aus! Aber wo ist hier die BINDUNG zum Kind? Das sind doch keine Einrichtungsgegenstände oder abgeklärt Erwachsene? Kinder spüren doch ( und müssen in dieser Kälte leben) das die Frau es nicht mag und hier haben will. Und wenn dann noch eigene Kinder hinzukommen. Denkt ihr das berührt ein Kind nicht
    ? Für das Kind ist es immer noch der Papa. Da kann man wenigstens mal drüber reden. Und wie wenig akzeptiere ich meinen Partner wirklich wenn ich sagen, ach hier lasse ich dich einfach alleine. Den Teil deines Lebens lehne ich komplett ab. Da schüttelt es mich einfach nur. Und die Krönung ist dann noch sich trotzdem hocherzieherisch produzieren zu wollen. Vielleicht stellt ihr erstmal eine Bindung her?? Oder bringt Verständnis für die KINDER auf??? Statt als Erwachsene euch selbst zu bejammern ( ihr habt euch den Partner ausgesucht)?

  2. Nach 6 Jahren Patchwork fühle ich den Text und die Hilfen durch und durch. Mein Weg war die komplette Herausnahme meiner selbst. Sind die Bonus-Kids hier, kocht der Partner, bringt alle ins Bett, entscheidet den Tagesablauf, die „Erziehung“. Feiern die Bonuskinder Geburtstag bin ich nicht dabei. Zu dem anderen Elternteil der Bonuskinder habe ich gar keinen Kontakt, da es einfach nicht funktioniert hat. So sind alle zufrieden und ich lebe jedes 2. Wochenende ein anderes Leben, ohne Kinder. Mir kann niemand etwas vorwerfen ala ich würde die Kinder manipulieren, vernachlässigen, ärgern oder ähnliches. Sowas wird dann ja sehr gerne an den Kopf des neuen Partners geworfen. Das bringt nur unnötige Diskussionen mit dem/der Ex. Das war mein Heraus aus dem Hamsterrad und meine Lösung für: „Willst du Recht haben oder glücklich sein?“: Ich will Recht haben UND glücklich sein.

    1. Spannend, wie unterschiedlich „Lösungen“ sein können. Mein Weg aus dem Hamsterrad sah völlig anders aus: Nicht mehr sich selbst herausnehmen, die Erziehung meines Partners mit Bauchschmerzen hinnehmen und nur lächelnd daneben sitzen. Sondern aktiv die Rolle als Bonusmama annehmen, das heißt mit erziehen, Grenzen setzen, sich selbst als natürlichen Teil der Familie verstehen. Das Bonuskind mitnehmen zum Frühstück mit Freundinnen, kein „ist ja nicht mein Kind“ mehr. Für uns alle genau der richtige Weg, mein Mann war erleichtert, dass er die Verantwortung nicht alleine tragen muss. Inzwischen ist das Bonuskind vom Kleinkind zum Teenie geworden und die Situation ist für alle Beteiligten sehr entspannt geworden (was ich früher für undenkbar gehalten habe!) 🙂

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