Unfalltod: „Unsere Tochter, 6, starb beim Spielen im Garten“

Unfalltod

Ihr Lieben, heute gibt es hier eine sehr traurige Geschichte, denn vor einem Jahr hat unsere Leserin ihre älteste Tochter, die sechs Jahre alt war, durch einen Unfalltod verloren. Es war ein tragischer Unfall mitten im Alltag, etwas, das wirklich nur sehr selten passiert, vor dem aber wohl jeder und jede von uns wirklich Angst hat. Bitte lest das also auch nur, wenn ihr euch grad danach fühlt. Uns hat der Mut und die Offenheit von Kitty uns davon zu erzählen sehr berührt und wir danken ihr so sehr für ihr Vertrauen.

Liebe Kitty, du bist Mama von vier Kindern. Erzähl uns doch erstmal wie ihr lebt.

Mein Mann und ich leben mit unseren zwei Söhnen (5 und 3 Jahre alt) und unserer Tochter (1 Jahr alt) in einem kleinen Dorf in Thüringen. Ich bin hier aufgewachsen und nach einigen Jahren Studium hierhin zurückgekehrt. Meine Mutter wohnt mit auf dem Grundstück, gleich nebenan im Nachbarhaus. Wir kennen so ziemlich alle Leute im Ort.

Am liebsten sind wir draußen und in der Natur unterwegs, gerade im Sommer sind wir oft bis abends im Garten. Den haben wir uns in den letzten Jahren nach unseren Vorstellungen umgestaltet. Zwischen Obstbäumen, Blütensträuchern und bunten Staudenbeeten wächst Gemüse, gackern die Hühner und summen die Bienen – genau so, wie man sich die Idylle auf dem Land vorstellt. Die Kinder haben jede Menge Bereiche zum Spielen, Buddeln, Rutschen und Toben. Sie wachsen hier frei und unbeschwert auf, dürfen sich ausprobieren und zeigen großes Interesse an ihrer Umwelt.

Ihr hattet vier Kinder. Im November 2021 ist euer ältestes Kind, eure Tochter, durch einen Unfalltod gestorben. Kannst du uns von diesem Tag erzählen?

Mein Mann war an dem Tag bei unseren Nachbarn zum Schlachten, wie jedes Jahr an dem Wochenende. Unsere große Tochter (damals 6 Jahre alt) wollte eigentlich in die Schwimmhalle gehen, doch leider standen die zwei Großen aufgrund eines Coronafalles im Kindergarten unter Quarantäne.

Wir waren vormittags zusammen im Garten, bis ich dann zum Kochen des Mittagessens ins Haus ging. Das kleinste Kind (damals 3 Monate) schlief friedlich im Kinderwagen, die zwei Großen spielten zusammen in unserem Weidendom (das ist so etwas wie eine Hütte aus Ästen) und Oma rechte gleich daneben mit dem Kleinen das Laub zusammen. Kurze Zeit später kam sie aufgelöst und blass ins Haus, bat mich, den Notarzt zu rufen. Ich wusste zunächst nicht, was passiert war und rannte gleich los in den Garten.

Dort sah ich unsere große Tochter bewusstlos am Boden liegen. Sie war beim Herumklettern im Weidengebüsch abgerutscht und beim Herunterfallen mit ihrem Schal an einem kleinen Aststummel hängen geblieben. Unser älterer Sohn hatte die Oma alarmiert, die sie zunächst befreite. Als unsere Tochter nicht zu sich kam, holte die Oma mich dazu.

In welchem Zustand hast du deine Tochter gefunden?

Nachdem ich keine Lebenszeichen feststellen konnte, begann ich unter den Augen der Jungs sofort mit der Reanimation. Meine Mutter telefonierte währenddessen mit dem Notarzt, der bis zum Eintreffen der Rettungskräfte am Telefon blieb. Ein Nachbar kam dazu – er hörte, dass etwas passiert sein musste – ich habe die ganze Zeit, glaube ich, einfach nur geschrien. Der Nachbar holte dann meinen Mann, der mit den Wiederbelebungsmaßnahmen weitermachte.

Kurz darauf trafen unsere örtliche Feuerwehr und der Rettungsdienst ein, nur wenige Minuten später der Rettungshubschrauber. Nach einer gefühlten Ewigkeit teilte man uns mit, dass sie unsere Tochter zurückholen konnten – sie hatte wieder einen Puls und atmete selbstständig, war aber weiterhin bewusstlos. Sie wurde dann in ein nahegelegenes Krankenhaus geflogen, mein Mann begleitete sie dort hin. Wir anderen blieben geschockt zurück und wurden bis abends, als mein Mann das erste Mal aus der Klinik anrief, durch mehrere ehrenamtliche Notfallseelsorger betreut.

Eure Tochter kam dann auf die Kinderintensivstation des Krankenhauses. Was waren die Prognosen der Ärzte? Und kannst du beschreiben, wie du die ersten Stunden dort erlebt hast?

Unsere Tochter wurde ins künstliche Koma versetzt, so dass ihr Körper, vor allem aber das Gehirn, so wenig wie möglich arbeiten musste. Das wurde zusätzlich durch eine hypothermische Behandlung unterstützt, eine Art Kühlanzug, der ihre Körpertemperatur zunächst auf 33°C absenkte und dann ganz langsam, über mehrere Tage hinweg, wieder auf Normaltemperatur anhob. Eine erste Untersuchung des Kopfes zeigte bereits eine beginnende Schädigung des Gehirns durch den Sauerstoffmangel. Eine Prognose konnte man uns aber zunächst nicht geben. Wir waren in einer Blase und froh, dass die erste Nacht überstanden war.

Am nächsten Morgen hatten wir ein gemeinsames Gespräch mit den Ärzten, wo nochmals betont wurde, dass man die nächsten Tage abwarten müsse und erst nach etwa fünf Tagen mit einer zweiten Untersuchung des Kopfes den Umfang der Schäden beurteilen könne.

Entwarnung gab es zu keinem Zeitpunkt, wir waren auf alles vorbereitet. Ihr Zustand war kritisch, aber soweit stabil und wir freuten uns über jeden Tag, an dem zumindest keine Verschlechterung eintrat. Die Gedanken kreisten in alle Richtungen: Wird sie bis zur Einschulung im Sommer wieder fit sein? Würde sie eine Feuer- oder Erdbestattung wollen?

Aufgrund der strengen Besuchsregelungen zu der Zeit konnte immer nur einer von uns ins Zimmer. Der andere blieb zuhause oder fuhr mit dem Baby Runden ums Krankenhaus. Die Jungs waren im Kindergarten, durften nicht mit zu Besuch und sollten erstmal einen „normalen“ Tagesablauf haben. Einmal nahmen wir den Großen mit ins Klinikum, damit er es wenigstens von außen mal sehen konnte und wir machten Bilder von unserer Tochter, die wir den Jungs zeigten.

Es wäre wichtig, um das zu verstehen, sagten uns auch die Psychologinnen vom dortigen Kriseninterventionsteam, die immer an unserer Seite waren. Ansonsten konnten wir nicht viel tun, außer am Bett zu sitzen, Lieblingsgeschichten vorzulesen, Lieder vorzuspielen, welche die Kindergartenkinder gesungen haben und die Hand zu halten.

Und dann stand die zweite Kopfuntersuchung an.

Genau, wir waren aufgeregt, sprachen schon über eine mögliche Frühreha. Die Aussagen waren zunächst schwammig, vielleicht hatte ich sie aber auch einfach nicht richtig aufgenommen. Wir vereinbarten einen Termin für ein gemeinsames, ausführliches Aufklärungsgespräch mit den Ärzten. Bei unserem allabendlichen Anruf auf der Station, bevor wir ins Bett gingen, sagte uns dann eine Ärztin mit klaren Worten, die Untersuchung wäre „katastrophal“ gewesen und alles, was den Charakter unserer Tochter ausmache, sei unwiederbringlich zerstört wurden. Wir waren geschockt und redeten noch bis in die Nacht miteinander, was das wohl für uns bedeuten würde und was da auf uns zukommen könnte.

Wie seid ihr mit dieser Nachricht umgegangen?

Am nächsten Tag war die Stimmung natürlich gedrückt. Ich war müde und lag den ganzen Tag bei heruntergelassenem Rollo mit den Kindern auf dem Sofa. Mein Mann fuhr vormittags allein ins Krankenhaus, soweit gab es keine neuen Erkenntnisse.

Am späten Nachmittag kam dann unerwartet der Anruf aus dem Klinikum, dass sich der Zustand unserer Tochter in den letzten Stunden erheblich verschlechtert habe, der Kreislauf würde immer wieder zusammenbrechen. Wir wurden gebeten, mit den Kindern ins Klinikum zu kommen, um uns zu verabschieden. Wir packten eilig einige Sachen zusammen und ließen uns von einem Freund fahren.

Als wir ankamen, hatten die PflegerInnen schon alles vorbereitet. Im Zimmer war ein gedämpftes Nachtlicht an, die Monitore waren ausgeschaltet. Man hatte unsere Tochter angezogen und ihr die Haare gekämmt und geflochten.

Die Ärzte führten ein letztes Gespräch mit uns. Man könne nichts mehr machen, sagte man uns. Die Schäden durch den erlittenen Sauerstoffmangel im Gehirn seien einfach zu massiv und großflächig. Das Versagen der Körperfunktionen könne man durch Medikamente nicht mehr unterbrechen oder gar aufhalten.

Wie habt ihr Abschied genommen?

Wir entschieden uns, über Nacht zu bleiben und unsere Tochter alle zusammen auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Man brachte uns zusätzliche Betten ins Zimmer, wir lackierten ihr noch die Nägel und machten Hand- und Fußabdrücke.

Den Kindern erklärten wir, was nun passieren würde. Für sie muss die Situation auch merkwürdig gewesen sein. Ihre Schwester lag scheinbar friedlich schlafend im Bett und sollte nun sterben, nicht mehr mit zu uns nach Hause kommen.

Wir legten die Kinder ins Bett und verabschiedeten uns dann in aller Ruhe. Legten uns mit ins Bett unserer Tochter, streichelten sie und flüsterten ihr unsere Wünsche und Gedanken zu. Kurz nach Mitternacht gaben wir den Ärzten Bescheid, dass wir soweit seien – die Ärzte beendeten die künstliche Beatmung. Wir legten unsere Ohren auf ihre Brust und lauschten den immer langsamer werdenden Herzschlägen. Etwa 20 Minuten später hörte ihr Herz für immer auf zu schlagen.

Wie vermittelt man drei Geschwistern, dass das vierte ab sofort fehlt?

Durch unsere Erfahrungen mit anderen Todesfällen in der Familie und auch durch die gute psychologische Betreuung im Krankenhaus, wussten wir von Anfang an, dass wir den Kindern alles ehrlich erklären müssen. Dass man keine Phrasen benutzen sollte, wie „Eure Schwester ist eingeschlafen“, sondern klare Worte, wie „Eure Schwester ist tot.“ Auch wenn das nicht immer leicht fällt.

Wenn einem auch mal keine Antwort einfällt, kann man auch das offen kommunizieren. Die Kinder gehen sehr offen und unbefangen mit dem Thema um, stellen natürlich auch die ein oder andere unbequeme Frage, oft auch völlig unerwartet, in Situationen, in denen man nicht mit so etwas rechnet. Das ist schon hart. Aber nach wenigen Minuten kehren sie dann einfach in ihr Spiel zurück.

Wir haben die Kinder von Anfang an in alles eingebunden: gemeinsam Kleidung, Musik für die Trauerfeier und kleine Sargbeigaben rausgesucht. Haben gemeinsam den Sarg und die Urne bemalt und uns nochmal am offenen Sarg verabschiedet.

Wir bemalen den Sarg

Findest du, Kinder trauern anders als Erwachsene?

Die Kinder trauern auf jeden Fall anders als Erwachsene. Sie sitzen nicht in der Ecke und weinen. Manchmal sind in sich gekehrt und nachdenklich, in anderen Momenten übermäßig aufgedreht, oft auch sehr wütend. Es gibt einige gute Bücher zum Thema Kindertrauer aber es gibt keine festgelegte Anleitung für den Umgang mit Trauer, da sie sich bei jedem anders äußert und einfach sehr individuell ist.

Und wie unterschiedlich trauern du und dein Mann?

Mir hilft es, viel über die Situation und meine Gefühle zu reden. Wer mich was fragt, bekommt immer eine ehrliche Antwort, auch wenn viele damit nicht so gut umgehen können. Manchmal sitze ich irgendwo, hänge meinen Gedanken nach und heule dann einfach los. Danach fühle ich mich meist etwas besser.

Im Alltag ist man oft so eingebunden und abgelenkt aber die angestauten Gefühle müssen einfach nach einer bestimmten Zeit mal raus. Die Kinder sind dann manchmal etwas verwirrt, weil sie das nicht so häufig mitbekommen. Ich erkläre ihnen dann, woran ich gedacht habe, weshalb ich gerade traurig bin. Ich habe in den letzten Monaten auch viel gebastelt und auch geschrieben. Es hilft mir, meine teils wirren Gedanken aufzuschreiben. Ich überlege auch, einen Blog zu veröffentlichen, um damit vielleicht auch anderen Betroffenen zu helfen.

Mein Mann wird selten angesprochen und gefragt, wie es ihm geht. Das ist eigentlich schade, denn Männer trauern ja nicht weniger, vielleicht aber mehr für sich. Mein Mann geht dann eher mal in den Wald Holz machen oder in die Werkstatt, um seinen Gedanken nachzuhängen oder eben auch mal alles rauszulassen.

Was macht der Verlust eines Kindes mit einer Partnerschaft?

In unserem Fall hat uns der gemeinsame Verlust noch mehr zusammengeschweißt. Seit dem Unfall haben wir viel über unsere Gedanken und Gefühle gesprochen, auch wenn dafür im ganz normalen Wahnsinn nicht immer viel Zeit bleibt. Wir merken, wenn es dem anderen mal zu viel ist und er mal ein paar Minuten Zeit für sich braucht.

Im Alltag teilen wir uns die Aufgaben und auch die Betreuungsarbeit. All das hilft uns, gemeinsam stark zu bleiben und so auch ein stabiles Fundament für die Kinder und das Familienleben zu haben. Ich weiß das alles sehr zu schätzen, weil es nicht selbstverständlich ist und auch einige Beziehungen an so einem Verlust kaputtgehen.

Gibt es etwas, was euch bei der Verarbeitung hilft?

Durch kleine Rituale und gemeinsames Basteln erinnern wir uns gemeinsam an unsere Tochter. So haben wir zusammen ein Bild gemalt, wie es wohl an dem Ort aussieht, wo die Schwester nun ist.

Wie mags denn wohl im Himmel sein

Aus dem Urlaub oder von Ausflügen bringen wir manchmal Steine oder Dinge mit, die wir dort finden und basteln daraus etwas. Ich habe eine lebensgroße Puppe gehäkelt, die im Kinderzimmer sitzt und die Lieblingssachen unserer Tochter anhat. Zusammen mit den Kindern habe ich besonders geliebte Kleidungsstücke ausgewählt und daraus Kuschelpuppen genäht.

Das Kinderzimmer ist noch unverändert, die Tür steht immer offen. Die Kinder gehen manchmal zum Spielen rein oder schauen sich die Erinnerungskiste an. Manchmal wollen sie auch dort schlafen. Wir gehen zusammen auf den Friedhof, bringen Blumen hin, schmücken das Grab oder zünden Kerzen an. Oder wir sitzen gemeinsam im Garten am Unglücksort. Auch den haben wir geschmückt. Die Kinder sollen keine Angst haben, hier weiterhin zu spielen.

Nicht immer haben die Kinder Lust dazu, was völlig in Ordnung ist. Sie kommen aber auch oft von allein auf uns zu, wollen reden oder Bilder anschauen und erzählen von gemeinsamen Erinnerungen. Auch der Kindergarten hat eine sensible Trauerarbeit geleistet. Es gab eine Erinnerungsecke im Gruppenzimmer, im Garten wurde ein „Baum der Erinnerung“ gepflanzt und der Kleine bekam ein Fotoalbum, was er immer anschauen kann, wenn er es möchte. Die Kinder gehen auch hin und wieder zusammen auf den Friedhof.

Ich fotografiere Regenbögen und sammle Federn – das hat sich für uns als eine Art „himmlisches Zeichen“ oder Gruß entwickelt und etabliert. Darin finden wir ein bisschen Trost. Wir bekommen natürlich auch Unterstützung von Familie und Freunden, die hin und wieder mal die Kinder betreuen, Ausflüge mit ihnen machen oder die uns einfach mal zum Essen bei sich einladen oder mit uns Spazierengehen und quatschen.

Eine Therapie machen wir aktuell nicht, weder einzeln, noch als Familie. Wir waren mal bei einer Selbsthilfegruppe aber das war, zumindest zu dem Zeitpunkt, nicht so richtig was für uns. Vor kurzem haben wir eine Familienorientierte Vorsorgemaßnahme beantragt, wo wir alle gemeinsam hinfahren wollen, um unsere Trauer noch besser zu verstehen und aufzuarbeiten, einfach mal eine Auszeit von der Arbeit und den ganzen Aufgaben und Verpflichtungen des Alltags zu haben und sich auch mit anderen Betroffenen auszutauschen.

Gab oder gibt es auch Sätze oder Reaktionen von anderen Menschen, die euch sehr verletzt haben?

Ja, da gab es einige. Viele machen das sicher unbewusst und wollen einen trösten, statt zu verletzen, finden dabei aber manchmal einfach nicht die passenden Worte. Sätze wie „Ihr habt ja noch drei andere Kinder.“ oder „Ihr seid ein Vorbild für uns und wir können daraus etwas lernen“ sind im Grunde genommen wahrscheinlich ganz anders gemeint, als sie bei uns rüberkommen, aber es tut einfach nur weh, so etwas zu hören.

Es tröstet uns auch nicht, wenn jemand sagt: „Der liebe Gott mutet nur denen so etwas zu, die stark genug sind, das zu ertragen.“ Noch dazu sind wir nicht mal gläubig.

Und dann gibt es natürlich die ganz schlimmen Sätze, die einen teils offen, teils über Umwege erreichen, wie „War ja klar, dass die das mit vier Kindern nicht schaffen.“, „Da muss man eben besser aufpassen.“ oder „Na, da bekommt ihr jetzt besser nicht nochmal ein Kind.“ Das ist widerlich und übergriffig und man weiß überhaupt nicht, was man darauf antworten soll.

Aber ich muss an der Stelle wirklich auch alle hervorheben, die sich „trauen“, einfach mal bei uns vorbeizukommen, uns anzusprechen und nachzufragen, wie es uns geht, die uns einfach fest und wortlos umarmen und die so großen Anteil an unserem Schicksal nehmen. Durch die offene und fröhliche Art, die unsere Tochter hatte, sind viele wirklich tief betroffen und traurig.

Wie geht es euch ganz aktuell nach etwas über einem Jahr nach dem Tod eurer Tochter?

Man ist einigermaßen stabil wieder in einer gewissen Art von Alltag angekommen. Man geht arbeiten, schmeißt den Haushalt, kümmert sich um die Kinder und erledigt alles, was so anfällt. Dabei ist man allerdings oft weniger konzentriert und weniger belastbar als „vorher“, müde und abgestumpft. Manche Dinge werden bedeutungslos, andere lernt man einfach zu schätzen. Aber man ist am Leben und versucht das Beste draus zu machen.

Es gibt natürlich noch oft Situationen, wo ich einfach völlig fertig und unendlich traurig bin, es immer noch nicht glauben kann, was passiert ist. Die Momente der Starre und des Schmerzes sind aber nicht mehr dauerhaft präsent, kommen eher in Schüben und verlieren vielleicht ein kleines bisschen an Intensität. Es gibt auch wieder „normale“ Tage, an denen man glücklich sein kann, dankbar für die gemeinsame Zeit und das, was man noch hat.

Trauer ist nicht nach einem Jahr vorbei, wie viele immer sagen. Das Gefühl der Trauer, des schmerzlichen Vermissens, der Liebe zu unserer Tochter wird immer bleiben und uns begleiten. Man lernt irgendwie, es in sein Leben zu integrieren, aber dieses Leben ist einfach anders als „vorher“.

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Im Allgemeinen wünsche ich mir einen offeneren Umgang mit Trauernden und mit dem Thema Tod und Sterben. Dass man z.B. nicht schräg angeschaut wird, wenn man nicht ein Jahr lang schwarz trägt oder sich zum Picknicken auf den Friedhof setzt. Dass mehr Leute sich trauen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich dabei auch nicht scheuen, auch ihre Kinder mit einzubeziehen, die einem bei dem Thema wirklich ein Vorbild sein können.

Für mich persönlich wünsche ich mir, dass ich keine überängstliche Mutter werde, dass ich meinen Kindern ihren Raum für eine freie und unbeschwerte Entwicklung weiterhin zugestehen kann und sie nicht in Watte packe, um sie möglichst vor allen Gefahren des Lebens zu beschützen.

Für meine Familie wünsche ich mir natürlich Gesundheit und dass wir es alle schaffen, mit diesem schweren Verlust klarzukommen und immer zu schätzen wissen, dass wir uns gegenseitig haben.

a64c71c4365243c192290b72572e0afd
Auf dem Friedhof

Du magst vielleicht auch


7 comments

  1. oh je ich hatte auch einen dicken Kloss im Hals beim lesen. Sehr traurig. Schön dass die Familie noch die letzten Stunden mit ihrer Tochter im Spital gemeinsam verbringen konnten.

  2. Herzzerreißend…. musste echt weinen beim Lesen. Meine Mutter starb, als ich 14, war. Sie lag auch im künstlichen Koma und wurde für Hirntod erklär. Bei meiner Schwester und mir war da niemand weit und breit damals – Kein Kriseninterventionsteam, keine Seelsorger. Auch hab ich keinen Abschied genommen. Als sie gestorben ist, war ich Zuhause, obwohl die Geräte abgestellt wurden. Es gab da keine Begleitung. Daher beruhigt es mich, dass die Familie diese Unterstützung hatte und finde sie binden ihre anderen 3 Kinder unglaublich gesund in den Trauerprozess ein. Das ist nicht selbstverständlich.

  3. Vielen Dank für das sehr schöne Interview und den Einblick.
    Eine sehr traurige Geschichte, ein sehr schöner Umgang mit der Trauer.
    Es hätte mich noch interessiert, wie die Oma mit der Situation umgegangen ist, wie sie einen Platz in der Familientrauer gefunden hat, da sie zwar nicht zur befragten Kernfamilie gehört aber doch durch die räumliche Nähe und natürlich das Miterleben ja auch mit involviert ist.
    Aber das war vermutlich einfach nicht in euerem Fokus, was natürlich in Ordnung ist.

  4. Beim Lesen musste ich mich zusammen reißen und dabei ist die Familie für mich fremd. Unvorstellbar, was für Schmerzen in der Trauer…

    auch ich bin berührt von ihren Umgang mit der Tod ihrer Tochter und Schwester. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass sie inneren Frieden gefunden haben und ich hoffe, es ist auch so.

    Alles Gute für die Familie <3

  5. Der Artikel hat mich sehr berührt. Es macht so deutlich, wie fragil der Mensch ist und dass immer etwas passieren kann. Ich bin beeindruckt vom natürlichen Umgang der Familie mit dem Sterben und Tod, dass alle das Mädchen begleiten konnten, sie als Familie Rituale gefunden haben und keine Scheu zeigen und ihre Kinder an allem teilhaben lassen.

    1. Liebe Kitty,
      ich wünsche dir ein Lächeln im Gesicht bei jedem Regenbogen, den dir deine große Tochter an den Himmel malt und dass du sie durch jede gefundene Feder spürst.
      Alles erdenklich Gute für euch alle!

      1. Liebe Kitty,
        Wir haben uns in der Reha kennen gelernt, ich bin die Mama der 4 Kinder. Nachdem ich meiner Cousine von eurem Schicksal erzählt habe, wies sie mich auf diesen Artikel hin. Ich finde es toll, wie ihr mit der Trauer umgeht, auch wie offen du dich mit mir darüber unterhalten hast. Gerade eure 2 Jungs machen einen so toughen Eindruck, das ist euer Verdienst!!! Ich wünsche besonders dir alles Gute für die nächsten Wochen!!!!! Liebe Grüße nach Thüringen von Kathrin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert