Anne hat drei Kinder verloren – sieht sich aber nicht als Sternenmama

Verlust Kind

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, heute haben wir wieder einen Beitrag, der zeigt: Alle Gefühle sind erlaubt. Niemand erlebt Situationen immer auf die gleiche Weise und es gibt auch nicht DIE eine richtige Art, mit Situationen umzugehen. Danke, liebe Anne, für deine Offenheit und alles Liebe.

„Ich bin – so würden es viele Menschen bezeichnen – eine Sternenmama, sogar gleich dreifach. Allerdings scheine ich mit diesen Verlusten ganz anders umzugehen als die meisten Frauen, die Kinder in der Schwangerschaft verlieren. Und genau das war lange Zeit ein großes Problem für mich. Ich dachte, mit mir und meiner Trauer würde etwas nicht stimmen. Aber fangen wir mal von vorne an:

2005 habe ich nach einer ganz normalen Schwangerschaft ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Nach einigen Jahren versuchten wir ein zweites Kind zu bekommen, aber das klappte lange nicht. Erst 2013 wurde ich wieder schwanger, verlor das Kind aber schon in der Frühschwangerschaft.

Der nächste Versuch war eine Eileiterschwangerschaft

Wir probierten es weiter, im Jahr 2015 war ich wieder schwanger. Dieses Mal nistete sich das Ei nicht in der Gebärmutter, sondern im Eileiter ein. In einer Not-Operation musste schließlich der ganze Eileiter entfernt werden. Dass dieser zu diesem Zeitpunkt schon angerissen und ich in akuter Lebensgefahr gewesen war, erfuhr ich erst hinterher.

Mit nur einem Eileiter wurde die Chance auf eine erneute Schwangerschaft natürlich noch geringer. Trotzdem klappte es 2017 noch einmal. Aber diesmal hatte das Kind einen schweren Gendefekt und starb im 6. Schwangerschaftsmonat im Mutterleib. Ich musste es tot zur Welt bringen.

Ich war also viermal schwanger, habe aber nur ein Kind. Bin ich jetzt Vierfachmama? Oder zumindest Zweifachmama, wenn man die ganz frühen Fehlversuche abziehen möchte? Ich fühle mich nicht so. Die Fehlgeburten waren furchtbar schlimm für mich, da gibt es nichts zu beschönigen. Ich habe sehr lange getrauert und bin schließlich in Therapie gegangen, um das Vertrauen ins Leben wiederzufinden. Aber – und das war Teil des Problems – die vielen Angebote, die es für „Sternenmamas“ gibt, funktionierten für mich überhaupt nicht.

Ich sehe mich nicht als Sternenmama

Das geht schon bei den Begrifflichkeiten los. Ich bezeichne mich nicht als „Sternenmama„, feiere keinen „Himmelsgeburtstag“ und kann mich auch ansonsten nur wenig mit solchen Begriffen identifizieren.

Wir haben dem Kind aus dem 6. Monat einen Namen gegeben, weil das von uns so erwartet wurde. Es kam mir völlig seltsam vor das zu tun, schließlich brauchte es ja keinen Namen. Es war schon tot. Ich verbinde auch heute nur wenig mit diesem Namen.

Die Möglichkeit, das Kind ins Stadtregister eintragen zu lassen, haben wir abgelehnt. Wir wollten keine besondere Bestattung und waren auch nicht auf der Trauerfeier, die die Klinik bei der üblichen Sammelbestattung anbietet. Wir waren nicht ein einziges Mal am Grab und ich habe auch kein Bedürfnis danach.

Wir haben direkt nach der Totgeburt Fotos als Erinnerung machen lassen. Das war sehr wertvoll für uns, aber ganz ehrlich: Ich habe sie mir seitdem höchstens dreimal angeschaut.

Ich rechne nicht nach, wie alt meine Kinder jetzt wären oder was sie jetzt schon können müssten. Sie waren niemals für diese Welt gedacht, waren nie lebensfähig. Es kommt mir völlig seltsam vor, so zu tun, als wäre das anders.

Ich fühle mich nicht so, als hätte ich drei tote Kinder. Zu meiner Lebens-Geschichte gehören drei unglücklich verlaufene Schwangerschaften. Damit (und mit dem unerfüllten Wunsch nach einem zweiten Kind) musste ich zu leben lernen, aber das ist etwas anderes.

Ich zweifelte an mir und meiner Trauer

Lange dachte ich deshalb, dass mit mir etwas nicht stimmen würde. Ich habe mit vielen Menschen darüber gesprochen. Mit Freund:innen, Ärzt:innen, Therapeut:innen. Und schließlich bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass Trauer sehr unterschiedlich aussehen kann. Dass nicht jede Methode und Sichtweise für alle funktioniert. Und dass ich eben andere Angebote brauchte als andere Frauen.

Versteht mich nicht falsch: Ich finde es ganz wunderbar und sehr, sehr wichtig, dass totgeborene Kinder Namen bekommen, ins Personenregister eingetragen und bestattet werden können. Zum Glück werden sie heute so viel menschenwürdiger behandelt als noch vor wenigen Jahrzehnten. Und zum Glück nimmt man Eltern in ihrem Schmerz und ihrer Trauer heute ernst.

Jetzt wünsche ich mir noch ein wenig mehr Offenheit dafür, dass diese Eltern sehr unterschiedlich trauern können. Und dass jede Form der Trauer und des Umgangs damit in Ordnung ist.

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7 comments

  1. Liebe Anne! Vielen Dank für deinen ehrlichen Bericht! Ich denke, dass sich sehr viele darin wiederfinden! Ich finde deine Sichtweise auf die schlimmen Dinge, die dir widerfahren sind, absolut nachvollziehbar! Ich selbst hatte eine Fehlgeburt in der 6. Woche. Im Vergleich zu vielen anderen Schicksalen empfinde ich das noch als ein weniger gravierende Ereignis, auch wenn es damals schlimm für mich war und ich lange daran geknabbert habe! Aber ich wusste kaum, dass ich schwanger war, da war es schon wieder vorbei. Es gab noch kein Ultraschallbild, kein vorheriges wochenlangen freuen. Und auch für mich ist das kein „Sternenkind“ gewesen, sondern sie du sagst, eine unglücklich verlaufen Schwangerschaft. Eine Chance auf etwas, die sich nicht erfüllt hat. Vielleicht auch als eine Selbstschutzmaßnahme des Körpers, der gemerkt hat, dass diese kleine Zelle leider so angelegt ist, dass kein lebensfähiger Mensch entstehen kann und eine Fortführung der Schwangerschaft nur mehr Leid verursachen würde. Und tatsächlich kann ich diese Fehlgeburt heute auch als etwas sehen, an dem ich gewachsen bin. (Wobei diese positive Sichtweise sicher auch darin begründet, dass ich einige Monate später wieder schwanger und auch Mama geworden bin.) Genau wie du sagst, ist es aber wichtig, JEDE Sichtweise auf Fehlgeburten anzuerkennen!
    Danke jedenfalls für deinen Beitrag und alles alles Gute für dich!

  2. Auch ich habe Kinder verloren.Zwei Kinder recht früh in der Schwangerschaft und zwei Kinder ( Zwillinge) im 6. und 7. Monat.Unsere Kinder sind ebenfalls bei einer Sammelbeerdigung beigesetzt worden.Ich war nur einmal dort,da ich mit meinen Kindern dort nichts verbinde.Auch feiere ich nicht ihren Geburtstag.Es fühlt sich einfach anders an,als der Geburtstag meiner lebenden Kinder.Ich habe mich deshalb lange schuldig gefühlt.Aber Trauer darf genauso unterschiedlich gelebt werden,wie Liebe!
    Alles Gute für dich!

  3. Liebe Anne.
    Warum zweifelst Du an Dir? Deine Empfindungen ermöglichen es Dir doch, mit Deinen Lebensumständen klar zu kommen.
    Alles Gute für Dich!

  4. Liebe Anna, danke!
    Das ist das erste Mal, dass ich von jemandem höre, dem es so geht wie mir!
    Ich hatte zwei Fehlgeburten-eine in der 8. Woche und eine in der 17. Woche. Ich war sehr, sehr traurig über die Schwangerschaften, die ich nicht zu Ende austragen durfte- aber ich hatte nie das Bedürfnis von Kindern „im Herzen“ oder „an der Hand“ zu sprechen. Ich habe (Gott sei Dank) drei gesunde Kinder- die beiden Fehlgeburten zählen in meinem Kopf nicht zu meinen Kindern. Das trau ich mich aber kaum jemandem so knallhart zu sagen, weil ich gemerkt habe, dass das oft als herzlos empfunden wird.

  5. Ich empfinde gefühlsmäßig ganz genauso. Dieser Text hat mir so aus der Seele gesprochen. Ähnlich ist es mit Menschen die verstorben, es gehört eben einfach zum Leben dazu.

  6. Dieser Abschluss ( in welcher Form und Vollständigkeit/ Konsequenz- mir fällt leider kein besseres Wort ein ist dabei individuell) ist sehr wichtig und die Voraussetzung dafür, weiter zu machen, zu leben. Ehe Kritik kommt, NEIN ich meine nicht Verdrängung oder einen festen Zeitraum! Abschluss bedeutet hier loslassen und zwar so sehr dass man wieder leben kann und für die Lebenden da sein kann. Insofern finde ich auch diese, selten genannte Sicht sehr gut und es gibt da kein richtig/ falsch. Es funktioniert und nur das zählt. Trauer und Verarbeitung sind wichtig aber eben auch die Selbstfürsorge, denn nur wenn es mir wieder gut geht kann ich meiner (lebendigen) Familie gut tun. Alles Liebe für euch und euren ( mittlerweile) Teenie!

  7. Liebe Anne, danke für deine Worte! Was du beschreibst kenne ich auch und finde mich wieder. Mein Eindruck ist auch, dass das Thema Trauer entweder ein tabu ist, oder relativ genaue Vorstellung an einen herangetragen werden. Was schnell dazu führt, dass der/ die Trauernde sich z.B. ,,falsch,, und unverstanden fühlt. So, als wäre der Außenstehende der Experte für die selbst erlebte Trauer und seine Verarbeitung.
    Die Art und der zeitliche Verlauf der Trauer ist wahrscheinlich mit das individuellste überhaupt.

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