Verliebt in einen Zeugen Jehovas: „Wie ich einmal fast in die Sekte geriet“

Zeugen Jehovas

Foto: pixabay

Als Saskia 19 ist verliebt sie sich in ein getauftes Mitglied der Zeugen Jehovas. Drei Jahre lang schaut sie sich die Gemeinschaft an und überlegt, sich taufen zu lassen. Sie tut es letztendlich nicht. Hier erzählt sie ihre Geschichte.

Du warst drei Jahre lang im Umfeld der Zeugen Jehovas unterwegs, wie kam es dazu?

Ich war nicht selbst Mitglied, keine „Schwester“, wie die Zeugen Jehovas ihre weiblichen getauften Mitglieder nennen. Aber ich war drei Jahre lang mit einem getauften Zeugen zusammen. Ich habe mich in ihn verliebt und mir ihm zuliebe diese Glaubensgemeinschaft näher angesehen. 

Wie hat denn dein Umfeld darauf reagiert, dass du plötzlich so nah dran warst an den Zeugen Jehovas? Hat man dich gewarnt?

Mein Umfeld hat sich große Sorgen gemacht. Schließlich verbinden die meisten die Zeugen Jehovas mit einer Sekte, vor der man sich in Acht nehmen sollte. Aber ich war 19 Jahre alt und meine Mutter war schon immer sehr offen. Sie fand Luke (nennen wir ihn mal so) toll und mochte ihn sehr. Dennoch hatte sie natürlich Angst um mich. Auch meine Lehrer waren alarmiert, als ich plötzlich sehr positiv klingende Referate über die Zeugen Jehovas im Englischunterricht hielt… 

Gab es zu Beginn auch Freuden? Was war das für ein Gefühl am Anfang, was hat das mit dir gemacht?

Anfangs war ich von der Gemeinschaft und der scheinbaren Vernunft der Jugendlichen total angetan. Auf Partys wurde nicht geraucht und kein Alkohol getrunken – Spaß hatten trotzdem alle. Alle halfen sich gegenseitig, hielten zusammen, waren füreinander da und man nahm mich mit offenen Armen in die Gemeinschaft auf. Ich fühlte mich sehr schnell sehr wohl dort. Doch bald merkte ich, dass eben heimlich geraucht und getrunken wurde. Und dass auch nicht alle jungfräulich in die Ehe gingen, wie es eigentlich bei den Zeugen Jehovas üblich ist.

Du hast dann viele Erfahrungen gesammelt – gute wie schlechte. Magst du uns mal je zwei oder drei davon erzählen?

Der Zusammenhalt und die Offenheit waren toll. Ich glaubte schon immer an einen Gott und fand in den vielen Erzählungen und Bibelgeschichten Antworten. Ich hatte binnen kürzester Zeit viele Freunde, wir haben viel unternommen, hatten viel Spaß und ich habe mich ernstgenommen gefühlt. Allerdings durchschaute ich schnell die Masche: In den Versammlungen und Bibelstunden waren alle Lämmer. Im Nachtleben verhielten sich dann aber doch viele wie die „Ungläubigen“.

Ich kam mir schnell veräppelt vor, weil viele Jugendliche Sex miteinander hatten, es anschließend beichteten und dann anscheinend alles wieder gut war. Bis der Spaß in der nächsten Woche von vorne begann. Oft wurde mir gesagt, wie heilig das Blut sei und dass es den Körper nicht verlassen dürfe. Daher lehnen Zeugen Jehovas unter Umständen sogar lebensnotwendige Bluttransfusionen ab. Doch betrunken wurde geprügelt und auch sinnlos auf Gegenstände eingedroschen bis Blut floss. Das ging für mich nicht zusammen.

Nach einem guten Jahr kommunizierte ich offen, dass ich zwar weiterhin meinem Freund zuliebe mit zu den Versammlungen gehen würde, mich aber definitiv nicht taufen lassen würde. Damit war ich uninteressant. Die Eltern meines Freundes sprachen kein Wort mehr mit mir… 

Nach drei Jahren wolltest du dann nicht mehr, kam das plötzlich oder war das ein schleichender Prozess? 

Nach drei Jahren Beziehung trennte ich mich von Luke. Nicht wegen seines Glaubens – der spielte in unserer Beziehung nur eine kleine Rolle. Aber es störte mich in der Tat, dass er nicht mit mir zusammenwohnen durfte. Er hatte eine Alibi-Wohnung zwei Häuser weiter, war aber immer bei mir. Mit der Trennung hatte sich auch das Thema Zeugen Jehovas endgültig für mich erledigt. 

Wenn du heute auf diese Zeit zurückblickst, mit welchen Gefühlen tust du das?

Da ich generell ein eher gläubiger Mensch bin, hab ich mir diese Glaubensgemeinschaft mal näher angesehen. Für mich persönlich war er nichts. Zu viele Regeln, zu viele Schlupflöcher, zu wenig Selbstbestimmtheit. Für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich selbst kennenlernen und ausprobieren wollen und sollen ist das alles viel zu strikt und veraltet.

Wenn ich heute Zeugen Jehovas mit ihrem Magazin „Erwachet“ irgendwo stehen sehe, gehe ich schweigend vorbei. Die Zeugen Jehovas, die an meiner Haustür klingelten, habe ich gebeten mich nicht mehr zu kontaktieren. Ich habe meine Erfahrungen mit ihrem Glauben gemacht und keinen Platz dafür in meinem Leben gefunden. Das akzeptieren sie. 

Wenn du jemanden warnen könntest, wie würdest du das tun?

Wer sich von der Gemeinschaft angezogen fühlt, soll sie sich gerne einmal näher ansehen. Nur taufen sollte man sich erst nach reiflicher Überlegung und Zeit. Denn die Taufe bedeutet die vollständige Aufnahme in die Gemeinschaft und verschärft die Regeln. Das war das Verhängnis so mancher junger Menschen, die ich während meiner Zeit dort kennengelernt habe.

Zu Luke habe ich auch über 15 Jahre nach unserer Trennung noch sporadisch Kontakt. Er ist immer noch ein Zeuge und hat inzwischen eine Zeugin geheiratet. Ich bin und bleibe evangelisch und bin mit einem Katholiken verheiratet. Unsere Kinder sind katholisch, aber besonders kirchennah ist keiner von uns 🙂 

00312e384f8a4b3fa21fa07c18a18d82

Du magst vielleicht auch


3 comments

  1. Selbst, als Person, hat man kaum einen Wert. Es zählt nur, was man für die „Gemeinschaft“ einbringt. Die „Missionierung“, ist der wichtigste Beitrag.
    Dafür wird man auch geschult. Über den „Einsatz“ wird auch „Buch“ geführt.
    Mit „denen“ kann man über kein anderes „Thema“ reden; irgendwann bist“du“
    so geistig „eng“, das „du“selbst kein „Thema“ mehr hast. Alles wird „dir“ vorgeschrieben. Was nicht mit „Jehova“ zu tun hat, wird negiert.
    Traurig: wenn „du“ merkst: „Ich habe ein „un-freies“ Leben geführt“
    Der Mensch, Er ist zum „Frei-Sein“ geboren.- Nicht zur GEISTES-KNECHTSCHAFT.
    gez. Sepp, kein ZJ-Getaufter- aber regelmäßiger Besucher der ZJ-Versammlungen.

  2. Ich habe noch nie etwas positives über die Zeugen Jehovas gehört. Mein Sohn hatte eine Schulkollegin die diesem Verein, so will ich es nennen, angehört. So viel ich weiß schon viele Jahre. Kein Weihnachten, keine Geburtstagsfeiern. Berraubung der Selbstbestimmung, keine Bluttransfusionen in Notfällen. Und das sind nur einige Beispiele. Diese Menschen sind mir absolut suspekt. Und wer versucht auszusteigen brauch starke Nerven und einen langen Atem. Dies geht sogar soweit, dass Familienmitglieder untereinander keinen Kontakt mehr, wenn der andere austritt. Wie krank ist das denn? Bin ich froh, nur mir selber anzugehören und niemand anderem…

  3. Ich kann es sehr gut nachvollziehen und verstehen.
    Ich hatte einen Klassenkameraden, der auch immer versuchte mindestens die halbe Klasse auf seine Seite zu „ziehen“.
    Bei mir hat er das nie geschafft.
    Heute ist er kein Zeuge mehr, stattdessen verheiratet und hat Kinder.
    Und wenn ich mich mit Ihm darüber unterhalte bereut er die „Zeugenzeit“ immer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert