Hochsensibel in die Alkoholsucht: „Die Abhängigkeit kam schleichend“

Eva und das Meer

Ihr Lieben, hier erzählt uns Eva davon, wie sie als Hochsensible in die Alkoholsucht rutschte. Wie sie in der Schwangerschaft aufhörte zu trinken und dann doch auch immer mal wieder Rückfälle hatte nach der Geburt und in ihrem Alltag als Mutter. Sie teilt mit uns ihre Erfahrungen, was ihr half, um da rauszufinden und wie sie ihren Alltag mit Kind im Ausland mittlerweile gestaltet.

Liebe Eva, erzähl doch mal ein bisschen was über euch!

Mein Mann ist 34, ich bin 36 Jahre alt und wir sind beide im Ruhrgebiet aufgewachsen. Wir haben eine kleine Tochter, sie ist 2 Jahre und 7 Monate alt. Ein kleiner Hund gehört auch noch zu uns. Mein Mann arbeitet ganz aktuell als kaufmännischer Geschäftsführer für eine deutsche Firma in Vollzeit und ich für ein kleines Unternehmen als Financial Accounting Manager in Teilzeit.

Gemeinsam sind wir vor zwei Jahren von Berlin nach Irland ausgewandert. In Berlin habe ich bis zur Schwangerschaft als Make-up Artist gearbeitet. Unsere Tochter wird erst ab September in die Vorschule kommen und solange versuchen wir (selbstgewählt, muss man dazu sagen), uns zuhause alle zu arrangieren.

Unterstützung bekommen wir von einer Babysitterin, die ein- bis zweimal die Woche für ein paar Stunden kommt. Außerdem habe ich hier eine gute Freundin gefunden, die selbst zwei Jungs hat und wir unterstützen uns gegenseitig so gut wie es geht. Dienstags gehe ich mit unserer Tochter immer zu einer tollen Waldgruppe, in der die Kinder frei in der Natur spielen können, was aus Naturmaterialen basteln oder von der Gruppenleiterin Geschichten erzählt bekommen. Da geht sie so gerne hin!

Da wir nur 20 Minuten vom Meer entfernt leben, versuchen wir so oft es geht, am Strand zu sein oder mit unserem Hund durch die Natur zu spazieren. Wir lieben gutes Essen und haben uns in Irland den Traum erfüllt, auch ein bisschen Gemüse im Garten anzubauen.

Du bist hochsensibel, wie äußert sich das und wie klappt das in Verbindung mit deinem Muttersein?

Die Hochsensibilität äußert sich bei mir in vielen Dingen. Kurz gesagt: Mein Gehirn kann Informationen nicht filtern, was mich extrem schnell in einen Zustand der Überstimulation bringt. Andauernde Geräusche, Gerüche, helles Licht, schnelle Bewegungen und einiges mehr, sind für mich eine Herausforderung.

Am meisten habe ich mit hohen Frequenzen zu kämpfen und wenn ich vielen Reizen gleichzeitig ausgesetzt bin. In der Regel bin ich nach einem halben Tag bei dem Energielevel, das andere Menschen erst zum Abend hin erreichen. Meine Kapazitäten sind dann erschöpft.

Das Muttersein ist dadurch eine extrem große Herausforderung für mich und hat mich sehr an meine Grenzen gebracht. Die ersten ein bis anderthalb Jahre war ich quasi ein einziger Nervenzusammenbruch: immer mit dem Anspruch, allem – Erziehung, Mann, Job, Umzug usw. – gerecht werden zu wollen, gleichzeitig an mir und meinen Themen zu arbeiten und meine Hormone im Zaum zu halten.

Im Moment bist du dabei, deine Alkoholsucht in den Griff zu kriegen. Wie lang und wie viel hast du getrunken?

Ich beantworte diese Frage nur ungern, da sich niemand mit irgendwem vergleichen sollte und die meisten Menschen, die ein Problem mit Alkohol haben, solche Aussagen gerne nehmen, um den eigenen Konsum zu relativieren und gleichzeitig zu legitimieren. Ich habe etwa acht Jahre lang getrunken. In der Regel Wein, ein bis zwei Flaschen an mehreren Abenden pro Woche. Wenn ich unterwegs mit Freunden war, auch andere Getränke.

Weißt du, wie es dazu kam, gab es einen Auslöser oder war das ein schleichender Prozess in die Abhängigkeit?

Definitiv schleichend. Ich habe im Jugendalter angefangen, wie sicherlich die meisten, mich an Alkohol zu probieren und habe diesen an Wochenenden mit Freunden beim Feiern konsumiert. In meiner Familie gehörte Alkohol auch zu jedem guten Essen oder Familienfest, alles unter einem sehr kulturellen und beinahe intellektuellen Deckmantel. Ich habe lange in der Gastronomie gearbeitet und da gehörte das auch fast immer mit dazu. Mit Anfang Zwanzig, habe ich schon gemerkt, dass ich gerne trinke und viel vertrage. Dies war auch die Zeit, in der ich zum ersten Mal wirklich getrunken habe, um zu vergessen, sprich bei Trauer.

Von etwa Mitte Zwanzig bis zu meinem 33. Lebensjahr habe ich regelmäßig getrunken. Angefangen von ein paar Gläsern Wein am Abend bis zu zwei Flaschen und zum Ende auch zunehmend für mich alleine zuhause. Ausgelöst wurde das bei mir durch eine starke Depression und Panikattacken. Während der Therapie kam ein schweres traumatisches Erlebnis zum Vorschein und auch, dass ich hochsensibel bin.

Das hat mich damals alles überfordert. Zwischendurch gab es auch Phasen, in denen ich öfter getrunken habe, gerade zu der Zeit, als ich mich sehr mit meinen Gefühlen auseinandersetzen musste. Es war eine sehr, sehr schwere Zeit: Ich dachte, ich würde das nicht schaffen, müsste mir etwas antun, ohne das zu wollen, nur weil es einfach nicht auszuhalten war, das alles fühlen zu müssen.

Im Herbst 2019, als ich wusste, es geht so wirklich nicht mehr weiter (was ich schon oft dachte, aber vorher immer verdrängte), wurde ich schwanger. Da habe ich von heute auf morgen aufgehört zu trinken und zu rauchen. Das ging, auch wenn ich ein paar Tage wirklich schlechte Laune hatte, aber es war keine Option mehr. (Anm. d. Red. So ein „kalter Entzug“ geht bei körperlich Abhängigen nicht immer gut, solltet ihr selbst betroffen sein, holt euch unbedingt ärztliche Hilfe an eure Seite, Eva sagt, sie sei nicht körperlich abhängig gewesen, da gebe es große Unterschiede)

Nach der Geburt hatte ich lange, quasi bis vor kurzem, extrem starke Probleme mit meinen Hormonen, meiner Rolle als Mutter und wiederkehrende Erinnerungen/Bilder, die von meinem Trauma geprägt sind. Dazu kam der Umzug in ein fast fremdes Land, die Corona-Pandemie, viel Arbeit, keine Kinderbetreuung, ein sehr kranker Vater und diverse andere Probleme, sodass ich mir im Sommer 2021 einfach eine Flasche Wein gekauft habe und diese abends auf der Terrasse gemütlich beim Schauen einer Serie getrunken habe.

Das Schlimme: ich hatte ich in diesem Moment so einen inneren Frieden wie lange nicht mehr in mir. Da fing es an, dass ich wieder öfter abends Wein trank. Eine Zeit lang ging es mir damit wirklich besser und ich kam zur Ruhe, da der Alkohol mir genau diesen Filter gegeben hat, den ich brauchte, um am Ende des Tages einfach mal abzuschalten. Doch Alkohol macht da ja die Rechnung ohne dich und schleicht sich, langsam aber sicher, wieder in dein Leben, weil du ihn ja ‚brauchst‘ und zwar ‚nur heute‘.

Der regelmäßige Konsum führt dann wieder zu anderen Problemen wie noch mehr Müdigkeit, Verstärkung der Depression… Und ich hatte jetzt als Mama auch einfach Angst vor möglichen Langzeitfolgen. Darüber sollte man nie vergessen: Alkohol macht einfach hochgradig abhängig, ist ein Nervengift und verändert dein Gehirn.

Ab wann dachtest du: Verdammt, jetzt brauch ich Hilfe?

Quasi zwei Monate nachdem ich wieder angefangen hatte. Ich wollte am Tagesende immer öfter abschalten und habe mich sehr auf die Abende gefreut. Da wusste ich, das geht nicht, ich rutsche zurück in einen Teufelskreis (bzw. war ich da schon drin) und ich hatte Angst, wegen meiner Labilität noch schlimmer in die Sucht zu rutschen.

Wusste dein Umfeld von deiner Situation?

Nur mein Mann. Der ein oder andere hat sich sicherlich was gedacht, aber im Großen und Ganzen habe ich ja immer gut funktioniert.

Was hat dir der Alkohol gegeben?

Ich habe geglaubt, dass der Alkohol mir hilft, die Außenwelt besser filtern zu können und mir somit innere Ruhe und Frieden bringt. Doch dies ist eine Illusion, die nicht lange anhält. Natürlich wollte ich auch manchmal einfach nur meine Gefühle betäuben.

Wie hast du es dann geschafft, den Weg daraus anzutreten?

Ich habe als Erstes in „Endlich ohne Alkohol!“ von Allen Carr als Hörbuch reingehört. Das habe ich aber schnell beendet, da ich mich von dem Buch nicht abgeholt fühlte und ich habe dann bei einem Streamingdienst einfach den Begriff „Alkohol“ eingegeben. Darüber bin ich auf die Podcasts von Nathalie Stüben, MeSober und SodaKlub (besondere Empfehlung!! Mia und Mika sind der Wahnsinn, ich bin großer Fan) gestoßen.

All diese Frauen und ihre Geschichten haben mich inspiriert, tun es auch jetzt noch, in jeglicher Hinsicht. Ich habe angefangen, mir empfohlene Lektüre zu besorgen, mich bei Facebook in diversen Gruppen anzumelden und habe ein Online-Meeting für Irland gegründet. Ich habe mich mit dem Thema einfach über Monate hinweg intensiv beschäftigt. Die sprichwörtliche letzte Hand hat mir der Kurs von Natalie Stüben gereicht und seitdem bin ich quasi nüchtern. Ich sage „quasi“, weil ich leider immer mal wieder einen Rückfall hatte nach extrem großen Belastungsproben.

Das Wichtigste sind für mich scheinbar ganz banale Dinge geworden: jeden Tag mindestens 10 Minuten Ausdauersport, Atmen (Atmen und nochmal Atmen) und zu lernen was meine Bedürfnisse sind. Und ganz besonders, wie ich diese, mir und meinen Mitmenschen gegenüber formulieren kann, um einen Weg zu finden, sie zu stillen. Da kam dann noch die GfK (Gewaltfreie Kommunikation) ins Spiel, die mir sehr hilft, klarer mit Gefühlen und Bedürfnissen umgehen zu können.

Wie gut oder auch nicht kommst du durch einen Alltag, in dem Drinks und Ausgehen und „ein Weinchen am Abend“ immer mal wieder Thema sind?

Ich für mich komme mittlerweile halbwegs gut damit klar. Nur für unsere Kinder finde ich es sehr schwierig, da Alkohol wirklich überall gegenwertig ist. Ich habe sogar schon Kinderbücher aussortiert, da dort Figuren oder Eltern mit Alkohol oder einem Glas gezeigt werden. Das finde ich unmöglich, da wir so ja schon früh anfangen, die Gehirne unserer Kinder an Alkohol heranzuführen und zu zeigen, dass es normal ist zu trinken, vor allem wenn man schlecht drauf ist, einen harten Tag hatte oder wenn es was zu feiern gibt.

Fühlst du dich manchmal auch wie ein Sonderling, wenn du in Gesellschaft nicht trinkst, was macht das in sozialer Hinsicht mit dir?

Nein, wie ein Sonderling fühle ich mich nicht. Mittlerweile empfinde ich eher die Menschen, die trinken um zu trinken (weil es gesellschaftlich dazugehört) und eventuell andere zum Mitmachen bewegen wollen als die Sonderlinge.

Wer ist dein größter Halt in dieser doch sicherlich auch anstrengenden Phase?

Meine Tochter. Sie zeigt mir jeden Tag, wofür es sich lohnt, nüchtern zu sein und dass es meine Aufgabe als Mama ist, mich nicht nur um sie, sondern auch um mich zu kümmern, für mich einzustehen, damit sie dies auch einmal für sich selber tun kann. Wir können unsere Kinder ja nicht für immer beschützen und können nur unser Bestes tun, ihnen alle Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie sich eines Tages selbst zu helfen wissen.

Was möchtest du anderen Frauen in einer ähnlichen Lage mit auf den Weg geben?

Sucht euch Hilfe. Niemand muss irgendwas alleine machen, vor allem als Mutter. Wenn die erste Hilfe nicht funktioniert, dann probiert die nächste Möglichkeit aus, bloß nicht aufgeben. Seid nicht zu hart zu euch, wenn nicht alles auf Anhieb funktioniert, es ist machbar und es gibt mittlerweile eine so große Community an Frauen da draußen, die sich gegenseitig unterstützen. Das Leben ist nüchtern so viel wunderbarer und ereignisreicher!

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5 comments

  1. Wie ich das nachfühlen kann, bei mir war es auch der Beginn in der Jugend, jedes Wochenende blau, die Woche nur überstanden mit Gedanken ans Wochenende, Vater Alkoholiker, Opa und Oma im gleichen Haus, Opa Alkoholiker. Danach Selbständigkeit im Gastgewerbe, jeden Tag mitgetrunken. Heute kämpfe ich auch dagegen an, falle bei Streit, in stressigen Situationen und bei Sorgen wieder ins alte Muster. Kämpfe wegen meiner Kinder dagegen an. Mein Mann kommt aus ählichen Verhältnissen, alles gut verdienende Familien, nach aussen hin perfekt, alle Probleme mit Alkohol.
    Mir öffnete mein Mann unsanft die Augen als er sagte: „Du wirst wie dein Vater!“ Zuerst glaubt man es nicht und dann beginnt man zu überlegen und es macht klick. Ich wünsche jedem die Kraft dauerhaft nein zu sagen und Rückfälle gut überwinden zu können.

  2. Danke schön für diesen Artikel.
    Aber leider wird auch hier die Hochsensibilität mit Hypervigilanz verwechselt. Die Folgen einer erworbenen posttraumatischen Belastungsstörung und einer angeborenen Hochsensibilität sehen sehr ähnlich aus. Nur muss Hochsensibilität nicht therapeutisch bearbeitet werden und wird sich auch nie ändern, während ein erfolgreich therapiertes Trauma zur Normalsensibilität führen kann. Es wäre schön, wenn das nicht immer alles in einen Topf geworfen würde. Hier kann man das nachlesen: https://open-mind-akademie.de/hypervigilanz-unterschied-angeborere-hochsensibilitaet-oder-traumafolge/
    Herzliche Grüße von Rita

  3. Liebe Eva,

    danke für deinen ehrlichen Beitrag! Das erfordert Mut! Und es hat mich wirklich sehr berührt!
    Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute und Liebe und dir persönlich die Kraft, dranzubleiben; ganz viel Liebe, vor allem an erster Stelle dir selbst gegenüber, und weiterhin die Stärke auf diese Art für dich selbst einzustehen! Ich bin mir sicher, dass du vielen Frauen eine Inspiration bist!

    LG aus der Heimat;)

  4. Ich wünsche Eva dass sie irgendwann mal trocken wird und das durchhält! Alkoholiker bleibt man für immer, da gibt es kein geheilt. Momentan klingt das aber noch sehr stark nach relativieren, schön reden. Hilfe ist wichtig!!! Auch um den ersten Schritt überhaupt zu machen in der „Öffentlichkeit “ zugeben das der Alkohol ein Problem ist. Und bei Kindern bitte ehrlich aufklären aber nicht tabuisieren! Das erreicht das Gegenteil Alkohol wird reizvoll. Die Bilder in Büchern… sind da nämlich überhaupt nicht das Problem oder Auslöser sondern immer nur der, der trinkt. Im Gegenteil im Alltag ( Bilder, Fernsehen, “ Kindersekt“ im Supermarkt) kann ich mit Kindern darüber gut ins Gespräch kommen ohne das Thema aufzubauschen.

    1. Ein sehr wichtiges Thema, dass viel Öffentlichkeit braucht, um zu erreichen, dass Betroffene nicht weiterhin Stigmatisierung fürchten müssen. Die wenigsten Süchtigen landen „auf der Straße“, die meisten von ihnen gehen recht zuverlässig arbeiten und „funktionieren“ gut.
      Bei diesem Artikel sehe ich aber auch ein paar schwierige Punkte:
      Erstens wird, wie Rita schon in ihrem Kommentar erläutert hat, Hypervigilanz mit Hochsensibilität verwechselt.
      Und ich finde auch folgende Passage sehr problematisch:
      „Anm. d. Red. So ein „kalter Entzug“ geht bei körperlich Abhängigen nicht immer gut, solltet ihr selbst betroffen sein, holt euch unbedingt ärztliche Hilfe an eure Seite, Eva sagt, sie sei nicht körperlich abhängig gewesen, da gebe es große Unterschiede.“
      Jeder Mensch, der regelmäßig täglich relevante Mengen Alkohol trinkt, ist körperlich abhängig. Zu sagen, dass es da Unterschiede gibt, ist relativ typisch für Alkoholiker*innen. Trotzdem ist es falsch. Es ist immer wichtig, einen Entzug zu begleiten, da es gerade bei Alkohol zu tödlichen Komplikationen kommen kann. Selten, aber kommt vor.
      Vielleicht kann das noch ergänzt oder geändert werden.

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