Liebe Lisa, als ich mit meinem zweiten Kind schwanger war, schloss ich manchmal die Augen und stellte mir vor, wie die Geschwister wohl sein würden. Ich sah sie lachend zwischen Spielzeugbergen sitzen. Hand in Hand über Wiesen spazieren. Ich sah, wie meine Tochter sich schützend vor ihren Bruder stellen würde. Ich sah sie immer nur glücklich, einander zu haben. Was für dumme Gedanken – ich müsste es doch selbst besser wissen, schließlich habe ich selbst vier Geschwister und weiß, dass es bei uns auch Zoff gab.
Stichwort Zoff. Gestern war wieder so ein Tag, an dem ich den beiden am liebsten ein Köfferchen in die Hand gedrückt und ihnen gesagt hätte: „Schöne Wanderschaft, wir sehen uns dann in 4 bis 6 Monaten wieder.“ Denn seit dem Moment, an dem sie sich morgens das erste Mal sahen, zofften sie sich ununterbrochen.
Wer har mehr Saft?
Wer hat mehr Müsli in seiner Schale? Wer hat mehr Saft? Warum darf immer er an Deine Hand? Ich will aber jetzt mit dem Auto spielen! Er hat mein Bügelperlen-Bild kaputt gemacht. Ich will den Stift. Er hat mich gehauen. Er hat mich gekniffen. Er hat aber zuerst meinen Lego-Turm kaputt gemacht. Das ist seine Schuld. Ich war das aber nicht. Du bist blöd. Du bist kaka. Geh weg. Lass mich in Ruhe. Maaaaamaaaaaa. Er nimmt mir immer meine Puppe weg. Maaaamaaaaaa.
Zuerst versuchte ich zu schlichten, doch ich wurde immer genervter. Sagte „Wie kann es sein, dass Ihr Euch nicht fünf Minuten vertragen könnt?“ oder „Das ganze Zimmer ist voller Spielsachen, warum wollt Ihr jetzt ausgerechnet BEIDE diesem STIFT spielen?“ Es kam nicht an, ich hätte genauso gut japanische Grammatik erklären können. Kaum drehte ich mich um, schupste der Kleine die Große. Oder die Große kniff den Kleinen. Und immer wieder diesen durchdringende „Maaaamaaaaaa!“
Plötzlich war Ruhe
Irgendwann habe ich die beiden tatsächlich rausgeschmissen. Drückte ihnen im Garten zwei Rechen in die Hand und sagte: „Ihr fegt jetzt hier die Blätter zusammen.“ Und tatsächlich – plötzlich war Ruhe. Das Klingeln in meinen Ohren ließ nach. Die Sonne schien vom Himmel, ihre bunten Mützen leuchteten. Sie rechten das Laub, sammelten die schönsten Blätter heraus, lachten und verstanden sich. Ich atmete tief durch. Ja, genau so hatte ich mir das immer vorgestellt zwischen meinen Kindern. Maaaamaaaaa. Der Kleine hat den Stock der Großen durchgebrochen. Sie heulte und schubste ihn in einen Blätterhaufen. Ich seufzte. Heute ist der Wurm drin.
Zurück drinnen versuchte ich, den Tag zu retten. Spielte Schule mit der Großen, während ich für den Kleinen die Eisenbahn aufbaute. Schrieb meinem Mann zwischendurch SMS mit: „Hier ist es eine Katastrophe. Miese Laune alle“. Dann trampelte die Große über die Schienen, der Kleine zog ihr dafür an den Haaren. Alle heulten, ich war kurz davor.
Letzte Rettung
Letzte Rettung Fernseher. Scheiss auf Vorsätze. So schaffte ich mir 40 Minuten Ruhe, bevor der Mann nach Hause kam. Als er die Tür aufschloss, lagen die beiden händchenhaltend und selig vor der Glotze. „Ich weiß gar nicht was Du hast, die sind doch völlig friedlich“, sagte der Mann. Da war ich kurz davor, mein Köfferchen zu packen und zu sagen: „Wie sehen uns in vier bis sechs Monaten wieder.“ Stattdessen habe ich abends mal wieder eine Zigarette geraucht und ein großes Bier getrunken. Das half tatsächlich. Denn als ich vor dem Schlafen in die Betten der Kinder guckte, fand ich, ich hätte die süßesten Streithähne der Welt.
Foto: itlookslikemaik / photocase.de
2 comments
super!
Ich finde es super, dass du so ehrlich bist und einfach aussprichst was du fühlst, nur so kommt man auch wieder runter. Und dem mann der nach hause kommt und sowas sagt darf man auch mal was an den Kopf werfen. Lieber authentisch unperfekt als heile Welt spielen. Wir eltern dürfen auch mal den einfachen weg gehen, auch wenn dieser quadtratisch ist und flimmert.
Und die Zigarette und das bier abends hast du dir sowas von verdient!
@Lilli
Danke für Deine lieben Worte. Heute morgen hatten sich die beiden wieder ganz lieb. Verrückte Welt ist das, oder? 🙂