Ihr Lieben, Christopher End ist Eltern-Coach in Köln und unterstützt Mütter und Väter dabei, die Verbindung zu ihrem Kind zu stärken und dabei weniger Angst und mehr Mut zu haben. Ihr kennt ihn vielleicht auch durch seinen Podcast Eltern-Gedöns.
Sein Buch Lily & Tom – Der kleine Samurai findet seine Mitte: Meditation und Selbstregulation für Kinder hat er grad erst überarbeitet, es richtet sich an 6- bis 12Jährige und es geht um Meditation und Selbstregulation für Kinder. Inhalt ist eine Abenteuergeschichte führt die Kinder Lily und Tom aus der Großstadt in das alte Japan, wo sie dem kleinen Samurai begegnen, durch Meditationstechniken Ängste überwinden und an Mut gewinnen.
Das Tolle: Alle Übungen und die Meditation aus der Geschichte sind für Kinder, Eltern und Pädagog*innen erklärt! So können sie direkt ausprobiert werden. Es geht spielerisch um Angstüberwindung, Mutgewinn, Entspannung, Ruhe und Konzentration. Wir haben ihn gefragt, warum ihm diese Themen in der Begleitung von Kindern so wichtig sind.
Lieber Christopher, warum ist es dir wichtig, Kindern weniger Angst und mehr Mut zuzusprechen, wo kommt das her, auf welchen Erfahrungen basiert das?
Es geht ja gar nicht so darum, keine Angst zu haben, sondern zu lernen mit der Angst umzugehen. Das ist ja das eigentliche Mutige: Zu handeln obwohl ich Angst habe. Wenn wir nicht lernen mit Angst umzugehen, dann kann sie lähmend werden – oder wir schließen sie so gut weg, dass wir denken, wir hätten keine Angst. Genauso fatal. All die Menschen, die mit ihrem Auto rasen – die gefährden andere und sich, ohne dass sie das mitbekommen. Angst ist wertvoll.
Bei Kindern kommen Ängste häufig vor, zum einen als ganz normaler Teil der Entwicklung. Zum anderen weil sie in vielen Bezügen noch so hilflos sind, so abhängig von uns Großen. Es gibt also viel mehr Erfahrung von: Puh, das kann ich nicht. Das schaffe ich nicht. Und da ist es wichtig für Kinder zu lernen, dass es meist ein „Ich kann das NOCH nicht“ ist.
Wenn ich an meine Kindheit denke, dann waren da durchaus Momente, wo mich die Angst befiel oder die Sorge runterdrückte. Wenn wir zum Beispiel abends alleine waren, das war für das Kind damals überfordernd.
Für Kinder ist das mehrfach herausfordernd: Sie sind wie gesagt oft mit der Angst konfrontiert, sie haben den Umgang damit noch nicht gelernt und sie brauchen uns, um damit fertig zu werden. Sie sind auch da von uns abhängig. Wenn wir Erwachsene nicht da sind oder die Angst nicht ernst nehmen („ist doch nicht so schlimm“), bleiben Kinder damit allein. Und lernen langfristig nicht mit Angst zu sein.
Wie war denn deine eigene Kindheit, wurdest du da in deinen Gefühlen bestärkt, durften alle da sein?
Auf der einen Seite waren meine Eltern sehr offen, Gefühle wurden ernst genommen. Meine Mutter war Erzieherin, führte Anfang der 70er ihren eigenen privaten Kindergarten, alles sehr progressiv für die damalige Zeit. Dennoch hat bei mir auch das ein oder andere gefehlt.
Das ist aber in den allermeisten Familien so: In den seltensten Fällen dürfen alle Gefühle da sein – ich finde jede Familie hat so Gefühle, die mehr erlaubt sind und andere, die eher umschifft werden.
Ich durfte viel Kind sein, mein Spiel und meine Kreativität haben viel Raum bekommen. Meine Eltern waren beide auf ihre Weise sehr kreativ und schöpferisch: Meine Mutter hat genäht, getöpfert, gemalt und uns überall eingebunden. Wir durften auf unsere kindliche Weise mitmachen. Mein Vater hat fotografiert, hatte eine wunderbare Handschrift, in seiner Jugend gezeichnet, und war handwerklich sehr begabt – er hat den Plan für unser Haus selbst gezeichnet. All das hat meines Erachtens dazu geführt, dass ich mir meine Kreativität erhalten habe und mich in meinem Ausdruck geübt habe. Das ist der Grund, weshalb ich heute Bücher schreibe.
Was in dem Zusammenhang gefehlt hat, war eher die Unterstützung meine Fähigkeiten und Neigungen auch in Schule und Beruf umzusetzen. Ich halte das für sehr wichtig: Dass Kinder spüren, dass sie selbstwirksam sind mit dem, was ihnen leicht fällt und was sie gerne tun.
Du plädierst für eine gute Selbstregulation bei Kindern, wie können wir ihnen diese beibringen?
In erster Linie, in dem wir sie einigermaßen ruhig durch ihre Gefühle begleiten. Also indem wir einfach da sind. Da sind für ihre dunklen Gefühle wie ihre Traurigkeit, ihre Angst, ihre Wut. Das wir ruhig sind, wenn sie unruhig sind. Das ist die Grundlage. Das heißt nicht, dass wir jedes Gefühl hautnah begleiten müssen. Das Kind bei jedem Gefühlsausbruch mit Worten und Taten trösten und beruhigen. Im Gegenteil: Wenn ein Kind sich wütend in sein Zimmer zurückzieht, dann braucht es auch den Raum. So lernt es nämlich sich selbst zu beruhigen. Vorausgesetzt wir sind im Hintergrund da und strahlen das auch aus: Ich bin für dich da. Ich verstehe dich.
Eins unserer Kinder erzählte mir mal, dass es traurig ist, wenn es bei anderen übernachtet. Es liegt dann im Bett und kämpft mit den Tränen. Ich sofort: „Du musst da nicht übernachten. Du kannst jederzeit anrufen und wir holen dich ab.“ Unser Kind sagte daraufhin: „Ich will aber da übernachten. Ich kann das auch.“ Da habe ich gemerkt, dass wir auch zu viel dem Kind abnehmen können. Es kann sehr stärkend sein, wenn ich eine Herausforderung, ein Gefühl allein bewältige. Voraussetzung ist: Ich habe das selbst gewählt. Das ist der Unterschied.
Darüber hinaus können wir mit Kinder das auch gezielt üben. Zum Beispiel mit Atemtechniken oder auch Meditationen. Die Übungen und Meditationen sollten natürlich kindgerecht sein.
Auch Meditation für Kinder ist ein Geheimrezept von dir, wie kriegen wir denn unsere Wirbelwinde zum Durchatmen?
In dem wir genau das nicht tun, was eine häufige Fehlannahme über Meditation ist: Stillsitzen! Das ist selbst für Erwachsene extrem herausfordernd: Still auf einem Meditationskissen sitzen, am besten noch im Lotussitz. Oder die Idee, dass beim Meditieren keine Gedanken da wären. Meditieren bedeutet Beobachten, was da ist. Nicht dass nichts da wäre.
Wenn stille Meditationen für die meisten Erwachsenen schon überfordernd ist, dann ist sie erst recht nix für Kinder. Deswegen setzen wir auf bewegte Meditationen – sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. In den bewegten Meditationen führen wir Kinder von der Bewegung in die Stille. Wir könnten auch sagen: Erst auspowern, dann zur Ruhe kommen. Und noch etwas kann beim Lernen von Meditation unterstützen – sowohl erwachsene Anfänger wie Kinder: wenn wir in die Meditation begleitet werden. Also wenn jemand zu uns spricht und uns anleitet. Das beschäftigt zum einen den Geist, die Gedanken, zum anderen beruhigt uns das.
Du sagst „Die Verbindung zu deinem Kind und zu dir ist die Grundlage für Veränderungen“, magst du uns das kurz erläutern?
Ja, es klappt nicht mit der Veränderung, weil die Verbindung fehlt. Das ist etwas, was mir bei vielen Klient*innen auffällt und was ich auch von mir kenne: Das Kind wird zum Beispiel von einem Gefühl wie Wut, Angst oder Traurigkeit ergriffen. Jetzt braucht es eigentlich einen Erwachsenen, der es dabei begleitet. Das meine ich mit Verbindung zum Kind. Doch das fällt vielen Erwachsenen, ob nun Eltern oder im beruflichen Kontext, schwer – weil sie alles andere als ruhig sind.
Die Emotionen des Kindes machen was mit ihnen: Die große Angst des Kindes ängstigt sie. Die Traurigkeit des Kindes macht sie selbst traurig oder die Wut des Kindes macht sie wütend. Mich kann die Wut meines Kindes natürlich auch traurig machen oder ängstlich oder hilflos machen. Was ich sagen will: Die Gefühle des Kindes überfordern mich. Lösen etwas in mir aus. Und ich agiere aus diesem Gefühl heraus. Und häufig ist das nicht das, was das Kind in dem Moment braucht. Diese Automatismen, diese eigenen großen Gefühle und die unbewussten Verhaltensmuster blockieren eine bewusste Veränderung.
Wie kommen wir da raus? In dem wir uns dessen bewusst werden, was da in uns abgeht: Das meine ich mit Verbindung zu mir selbst. Deswegen setze ich in meiner Arbeit auch da an: diese Verbindung zu dir selbst zu stärken.
Dein Buch „Lily und Tom: Der kleine Samurai findet seine Mitte“ wurde grad neu aufgelegt, dabei ist dir aufgefallen, dass nun mehr weibliche Personen drin vorkommen. Wie kam es dazu und worum geht´s im Büchlein? An wen wendet es sich?
Eigentlich haben wir die Zwillinge Lily und Tom ja absichtlich als Mädchen und Junge angelegt. Vielleicht kurz zur Geschichte: Die Zwillinge landen durch einen Zufall im alten Japan und lernen dort den Sohn eines Samurai kennen: Toshiro. Gemeinsam kommen sie einer gefährlichen Verschwörung auf die Schliche. Während des Abenteuers lernen sie mit Toshiro Samurai-Techniken, wie man mit der Angst umgehen kann. Das Besondere: Du kannst diese Übungen mit deinem Kind beim Vorlesen ausprobieren – wenn dein Kind Lust hat.
Aber als ich die Geschichte dann beim Überarbeiten nochmal gelesen habe, fiel mir auf: Auper Lily kommen in der Geschichte ausschließlich männliche Personen vor! Toshiro, sein Vater, der fiese Schwertmeister, der freundlichen alte Yamamoto und so weiter. Nicht eine weibliche handelnde Person. Das fand ich schon krass.
Jetzt könnte man natürlich einwenden: Na ja, im Mittelalter waren nun mal Männer privilegierter als Frauen – aber das stimmt nicht. Gerade in Japan gibt es dokumentierte Überlieferungen, dass Frauen als reguläre Kämpferinnen eingesetzt wurden. Es gab ganze Einheiten, die nur aus Frauen bestanden. Diese Kämpferinnen waren genauso ausgebildet und ausgerüstet wie die männlichen Samurai – nur hießen sie Onna-musha. Also habe ich die Geschichte überarbeitet und jetzt gibt es ein paar neue Kapitel, die sich um eine solche Kämpferin drehen.
Du hattest gefragt, an wen sich das Buch richtet: An alle, die zusammen mit ihrem Kind Selbstregulationstechinken und Meditation entdecken wollen – spielerisch und gemeinsam.
Du coachst und berätst viele Eltern, wie haben sich die Themen in den letzten Jahren verändert?
Das Wissen ist meist da. Die allermeisten Eltern, die heute zu mir kommen, wissen, was sie tun sollten. Die haben schon etliche Bücher gelesen, Podcast gehört, Blogs gelesen. Die sind gut informiert – aber es klappt dann im stressigen Familienalltag an manchen Stellen doch nicht. Das ist der Punkt, an dem ich ansetzte: Da wo es über das Wissen hinausgeht. Wo es darum geht, mit alten Mustern und Glaubenssätzen zu brechen. Wo es um eine neue Erfahrung geht. Neues wirklich in der Tiefe zu lernen. Und das geht halt besonders gut in Beziehung.
Was möchtest du allen Eltern in herausfordernden Phasen mit ihren Kindern zu guter Letzt noch mit auf den Weg geben?
Herausforderung gehört zum Leben dazu. Auch zum Leben mit Kindern. Wir sprechen viel über Belastung und Trauma, aber die grundsätzliche Antwort auf Überforderung und potentielle traumatische Erlebnisse ist tatsächlich eine resiliente Antwort. Wir Menschen sind sehr widerstandsfähige Wesen. Und wir brauchen Herausforderungen, das Unangenehme, um zu wachsen. Das ist jetzt kein Freifahrschein, um ins Autoritäre zurückzufallen. Unser Ziel sollte weiterhin sein, die drei S – Schreien, Schimpfen, Strafen – hinter uns zu lassen.
Aber wir dürfen gnädiger mit uns sein, wenn es uns dann doch passiert. Solange wir sehen, dass diese Dinge potentiell schädlich sind. Solange wir ein Bewusstsein darüber haben, wo wir verletzend agieren. Solange wir uns entschuldigen können. Solange wir grundsätzlich ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen. Solange wir die Bedürfnisse aller im Blick haben. Solange wir an unserem Verhalten arbeiten. Solange wir all das tun, sind wir ja auf dem Weg.
Und: Wenn es herausfordernd wird, dann schau: Wie geht es dir? Denn ich muss einigermaßen bei mir sein, damit ich mit der Herausforderung bewusst umgehen kann. Sonst agiere ich eher aus dem Unbewussten, und im schlechtesten Fall aus überholten Mustern, die jetzt mehr schaden als nützen. Der Schutz davor ist diese Verbindung zu dir selbst.