Arbeitslos durch die Pandemie: Ohne Job leidet mein Selbstwertgefühl

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Mein Name Anke, mein Leben wurde im Herbst 2019 auf den Kopf gestellt. Mein Arbeitgeber, bei dem ich mehr als 17 Jahre tätig war, ging praktisch über Nacht pleite. Die Stelle habe ich nach meinem Studium bekommen, im Laufe der Jahre bin ich dort durch einige Abteilungen gewandert. Nach meinen beiden Elternzeiten konnte ich unkompliziert in Teilzeit wieder einsteigen. Natürlich war auch dort nicht alles perfekt, aber rückblickend war es eine gute Zeit mit netten Kolleg*innen.

Ende 2019 spuckte unsere Firma also knapp 1.000 Leute zeitgleich auf den Arbeitsmarkt. Unser Jobcenter bildete Task-Forces, man war sich einig, dass wir alle schnell unterkommen – bei dem Arbeitsmarkt! Ich solle nicht das Erstbeste annehmen, riet mir die Job-Patin, es müsse zu meiner Familiensituation passen. 

Meine Familiensituation ist so: Ich habe einen Mann und zwei Söhne. Bei dem Großen (12) wissen wir seit seinem 6. Lebensjahr, dass er sich auf dem Autismus-Spektrum befindet, was seine für uns alle sehr anstrengende Kleinkindzeit rückblickend erklärt und uns Eltern heute zu Botschaftlern der Inklusion in seinen Schulen macht. Der Kleine (10) war immer schon impulsiv, heftig schwankend zwischen „himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt“ und hat die Konzentration einer Eintagsfliege. Beides also keine Standard-Norm-Kinder: Sie benötigten immer ein wenig mehr Unterstützung, ein wenig mehr Verständnis, ein wenig mehr Pädagogik, als ich es bei „normalen“ Familien beobachten kann. Es kostete immer mehr Kraft, mehr Herz, mehr Stärke, als zumindest ich bei der Kindererziehung und -begleitung erwartet hatte, und schon in besseren, also einfacheren, Zeiten war das Leben oft einen Tick zu anstrengend für mich.

Durch Corona brach der Arbeitsmarkt ein

In den ersten Monaten der Arbeitslosigkeit bekam ich Jobangebote, die aber nicht optimal waren. Sie waren in Vollzeit, zu weit weg, oder passten einfach vom Gefühl nicht. Dann kam Corona. Und mit Corona kam die Verunsicherung bei den Firmen. Es gab wöchentlich weniger Stellenanzeigen, auf denen sich neben mir und manche meiner Kolleg*innen zunehmend mehr Menschen bewarben. Ich konzentrierte mich auf meine Weiterbildung, hatte aber plötzlich zwei Schulkinder zuhause, die nicht nur schulisch, sondern vor allem emotional begleitet werden mussten. Mein Mann zog mit Sack und Pack ins Homeoffice und plötzlich war bei uns zuhause jedes Zimmer voll und wir waren auf uns als Familie zurückgeworfen. Die Omas, die früher viel bei der Betreuung unterstützt hatten, distanzierten sich. Sie hätten aber sowieso keinen Platz mehr gefunden, überall lag Schulzeug, Arbeitsmaterial meines Mannes, meine Bewerbungs- und Weiterbildungsunterlagen – nur der Hund freute sich, dass immer alle da waren.

Der erste Lockdown brachte viele Tränen, der Kleine war so überfordert von der Arbeit allein zuhause, dass er jeden Tag mehrmals weinte. Seine Lehrerin, seine Förderlehrerin, wir Eltern und später auch unser erwachsener Neffe begleiteten ihn eng. Es musste praktisch ständig jemand neben ihm sitzen. Im Sommer bekamen wir die ADS-Diagnose des Kleinen.
Jetzt im zweiten und dritten Lockdown arbeitet er dank gut eingestellter Medikation selbständiger und viel konzentrierter, hasst den Distanzunterricht aber nicht weniger, jedoch weint er eigentlich nur noch zweimal am Tag vor Überforderung.

Den Kindern fehlte die Alltags-Struktur

Der Autist genoss den ersten Lockdown, saß aber den ganzen Tag an seinen Aufgaben und wurde erst spät in der Nacht fertig. Ihm fehlt die Struktur, leider ist er völlig resistent gegen Aufforderungen, Hilfestellungen und elterliche Strafpredigten. Der zweite Lockdown hat ihn mental total zerpflückt, wir sitzen manchmal stundenlang und weit nach Mitternacht noch an seinem Bett, bis er aus seinen Meltdowns kommt. „Einer weint immer“, sage ich gerne zu meinen Freundinnen.

Mein Mann verbringt seine Tage in Telefon-Calls. An manchen Tagen reiche ich ihm das Mittagessen an den Computer, an den seltenen, entspannteren Tagen hilft er bei der Schulbegleitung und beim Kochen.

Und ich? Ich fühle mich gefangen in einem Leben, das ich nie leben wollte. Ich jongliere seit einem Jahr zwischen weinenden, verzweifelten Kindern, einem Mann mit Headset am Kopf, einem hungrigen und staubigen Hund, meiner Weiterbildung und den Bewerbungen. Meinen Kopf frei bekomme ich bei langen Spaziergängen mit meine Ex-Kolleg*innen – Leid verbindet. Unser Arbeitslosengeld läuft nun aus, einige fallen in Hartz4 – völlig unverschuldet. Unsere Branche ist tot.

Ich komme an meine Grenzen

Weinen kann ich nur nachts unter der Bettdecke. Da unser Großer nicht in den Schlaf findet, ist er eigentlich immer bis Mitternacht im Haus unterwegs, und jederzeit droht ein Meltdown. Wir reden mit Kinderpsycholog*innen, Therapeut*innen, dem Jugendamt, Lehrer*innen, aber richtig helfen können wir nicht wirklich. Jedenfalls fühlt es sich so an.

Und ich spreche mit potenziellen Arbeitgebern. Nachdem ich meinen Wunsch nach Teilzeit aufgegeben habe, zu oft musste ich in erschreckte Personaler-Gesichter schauen, wenn ich danach fragte (die Absagen folgten schnell). Ich tilgte meine Kinder aus dem Lebenslauf und schon kamen deutlich mehr Einladungen zu Gesprächen. Oft hörte ich nachher Lobenshymnen über mich, aber auch die Aussage, dass die Stelle jetzt besser doch nicht besetzt werden würde – die Pandemie und so. Zudem hätte es so viele Bewerbungen gegeben, man sei ja völlig überfordert. 

Ohne Arbeit leidet mein Selbstwertgefühl

Letztendlich bedeutet eine Absage für den Bewerber ja nicht nur ein „Nein, danke“, sondern auch jedes Mal eine Ablehnung, Zweifel an der eigenen Qualifikation, Zukunftsangst. Ich muss neben der ganzen Care-Arbeit noch ganz viel Seelenpflege bei mir selbst leisten. In manche Jobs verliebt man sich wie in einen Menschen, da schmerzen die Absagen noch mehr und es folgt tagelange Aufarbeitung mit allen Phasen der Trauer. Für jedes neue Bewerbungsgespräch muss man den Mantel der Verzweiflung abwerfen und sich verkaufen, als gäbe es kein Morgen mehr. Einmal habe ich mich dazu hinreißen lassen, auf die Einstiegsfrage, wie es mich gerade fühlen würde, mit „sehr müde“ zu antworten. War auch wieder falsch.

Bei allem Übel des letzten Jahres gab es aber auch Momente, über die ich inzwischen herzlich lachen kann. Denn meinen Humor habe ich zum Glück nie verloren. Mittagszeit – ich habe gerade zwei Pfannen und zwei Töpfe auf dem Herd, der Große schreit durchs Haus, dass das Internet tot und alles Kacke sei, der Kleine bekommt zeitgleich einen Wutanfall und ich sehe aus den Augenwinkeln, wie er sein Deutschheft in die Ecke schleudert, und der Hund verfolgt mich fiepsend und macht seinen Anspruch auf „Leckerlis – jetzt sofort“ geltend, als der Geschäftsführer eines Verbandes anruft: Ich habe mich ja bei ihnen beworben. –  Äh ja (Ich glaube schon, habe ca. 30 Bewerbungen offen, keine Ahnung jetzt gerade). Ich hätte zwar keine Kinder in meinem Lebenslauf angegeben, aber weil ich bei Aktivitäten „Elternbeiratsarbeit“ angegeben hätte (Verdammt, steht das noch drin???), wollte er mal fragen, ob ich mir vorstellen können, auch 6 Monate im Jahr in Hannover zu arbeiten. Meine Antwort hätte ehrlicherweise nur so lauten müssen: „Ja sofort, hol mich hier raus, ich bin eine Mama in einer Pandemie!!!“

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3 comments

  1. Liebe Anke, vielleicht ein kleiner Mutmacher! Ich habe letztes Jahr im August den Job gewechselt, auch mit zwei Kindern (7 und 11 J.) mitten in der Pandemie. Ich arbeite jetzt im öffentlichen Dienst. Das ist sicherlich nicht in allen Punkten komplett erfüllend, aber viele gute Voraussetzungen sind dort gegeben: Flexibilität, Möglichkeit zum Home-Office und vor allen Dingen normal, dass man in Teilzeit arbeitet und die Arbeit zu den Zeiten erledigen kann, wie man es möchte. Vielleicht ist das ja auch für dich eine Möglichkeit, dich noch mal in diese Richtung zu bewerben und auch genau Stellenangebote ins Auge zu fassen, die nicht 100% sondern vielleicht nur 50% deinem Profil entsprechen? Qualifikationen die fehlen, kann man auch mit Online Weiterbildungen auffüllen. Im öffentlichen Dienst herrscht trotz Pandemie immer noch ein großer Mangel an Arbeitskräften und zum Teil sogar auch tatsächlich an Bewerbern. Bei mir war es auch so, dass ich nicht alle Qualifikationen hatte und es trotzdem geklappt hat. Ich kann dir auch empfehlen im Vorfeld zu Bewerbungsgesprächen ein Coaching zu machen. Es hört sich lächerlich an, aber es ist schon oft die halbe Miete, wenn man fest glaubt, dass man die Stelle gut erfüllen kann und sympathisch rüberkommt. Und für deine Family ist ja vielleicht die Möglichkeit da, dass du dir für die erste Zeit ein Backup suchst (wir haben, auch wenn es ins Geld gehen, stundenweise eine Lernbetreuung für die Kinder eingestellt) sofern das mit deinen Kids und ihren Bedürfnissen klappt. Zumindest für den Anfang ist Hilfe wichtig. Ich wünsche dir viel Glück bei der Jobsuche.

  2. Liebe Anke!
    Ich kann dich sehr gut verstehen, mir ist mein Beruf auch sehr wichtig. Selbst wenn es „nur“ in Teilzeit ein paar Stunden in der Woche sind, es fühlt sich doch so gut an, auch mal etwas anderes zu machen, sich mit erwachsenen Menschen zu beschäftigen, mit anderen Themen. Sehr traurig dabei finde ich nur, dass es dir als Mutter so schwer gemacht wird. Dass deine Erfahrungen, die du als Mutter zweier Kinder machen konntest, überhaupt nicht wertgeschätzt werden! Mir fällt kein Job ein, in dem du mehr Kreativität, Ausdauer, Einfühlungs- und Kommunikations-und Durchhaltevermögen, Zeitmanagement und Resilienz beweisen könntest als in deinem als Mutter! Ich hoffe sehr, dass sich diese Einstellung auf dem Arbeitsmarkt irgendwann ändern wird. Bis dahin wünsche ich dir viel Kraft und dass du dir deinen Humor weiterhin bewaren kannst

  3. Hallo Anke!
    Mmh, ich verstehe dich gut. Kind 1 – gerade in Autismus-Testung, Kind 2 Autist mit ADHS, Kind 3 Autist mit ADHS und LRS, Kind 4 – in Autismus-Testung und Verdacht auf LRS. Bei Kind Nr. 2 und 3 ist es so ausgeprägt, dass sie nicht mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können und ich sie zur Schule hin fahren und auch abholen muss. Bei Kind 1 ist es sogar so arg, dass er Pflegegrad 3 hat. Es sei dazu gesagt, dass sie Asperger sind und aufs Gymnasium gehen, aber im Alltagsleben total aufgeschmissen sind.
    Da dies alles so viel Tag in Anspruch nimmt, gehe ich nicht arbeiten. Ich konnte mich damit arrangieren. Ich mache meinen Kindern weder Vorwürfe, dass ich wegen ihnen nicht arbeiten kann, noch komme ich mir nutzlos vor.
    Das solltest du auch nicht: du bist jetzt Lehrerin, Psychologin, Koch, Bäcker, Raumpflegerin, Animateur, Hundesitter-/Trainer, Krankenschwester uvm. Ich weiß, es ist was völlig anderes, wie ein fester Beruf mit Arbeitskollegen vor Ort. Aber ich denke, du wirst dich besser fühlen, wenn du es erstmal annimmst. Guckst, wo du jetzt stehst. Was du in der komischen Situation für dich machen kannst, ohne dich zu überwerfen. Vielleicht noch eine Weiterbildung?
    Für Kind Nr. 3 kommt zB die I-Helferin auch beim Homeschooling zu uns. Das hilft auch. Auch ist das Homeschooling seitens des Gymnasiums super strukturiert. Vielleicht hier mal mit euren Schulen sprechen. Unsere haben keinen Strukturverlust.
    Versuche doch mal, ob bei deinen Kids nicht auch Pflege möglich wäre, dann bist du „offiziell“ Pflegerin, bekommst eine Entschädigung und zahlst in die Rentenkasse ein. Das nimmt vielleicht den Druck, sofort etwas finden zu müssen.

    LG

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