Die Corona-Krise brachte uns an die Grenzen -mein Sohn lebt jetzt bei seinem Vater

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Liebe Verena, erzähl erstmal, wie Eure aktuelle Familiensituation ist.

Momentan wohne ich mit meinem Partner in der Wohnung zusammen, in die wir im Dezember 2019 mit meinem Sohn (8 Jahre) gezogen sind. Vom Vater meines Sohnes bin ich seit knapp 7 Jahren getrennt, in diesen Jahren habe ich alleine mit meinem Sohn gelebt. Der Vater meines Sohnes lebt mit seiner Freundin etwa 40 Kilometer entfernt.

Heute geht es um deinen Sohn, der ADHS hat. Wie würdest du dein Kind beschreiben?

Mein Sohn ist ein toller Junge, der aber leider oft Konzentrationsschwächen hat und nicht weiß, welche Aufgaben wichtig sind und welche nicht. Er lässt sich sehr leicht ablenken. Er hat zudem eine geringe Frustationsgrenze und kann von jetzt auf gleich „in die Luft gehen“. Dann steigert er sich sehr rein und manchmal scheint es mir unmöglich, ihn zu beruhigen. Er weiß oft nicht, wohin mit seiner Wut. Es gibt Tage, da komme ich damit gut klar, und dann gibt es leider Tage, an denen ich dann auch lauter werde.

Er hat nur ein paar Freunde, wenige wirklich gute Freunde, die ihn auch so nehmen, wie er ist. Momentan besucht er die 2te Klasse und manchmal kam er nach Hause und erzählte, dass in der Pause niemand mit ihm spielen wollte.

Leider hat er auch kein richtiges Hobby, ist also in keinem Verein angemeldet. Mit seinem Papa geht er gerne bouldern und mit mir schwimmen. Wenn ich ihn frage, ob er irgendeinen Sport oder ein Instrument lernen will, lehnt er immer ab und findet alles doof.

Seit wann habt Ihr die Diagnose ADHS?

Mein Partner hat mich irgendwann darauf angesprochen, dass er sich schlau gemacht hätte und denkt, wir sollten meinen Sohn mal testen lassen. Ich wollte das anfangs nicht, weil ich ihn in keine Schublade stecken wollte. Aber dann dachte ich, dass eine Diagnose uns allen vielleicht helfen könnte. Seit November wissen wir nun bescheid und tatsächlich kann ich meinen Sohn nun besser verstehen…..

Für uns alle ist die Corona-Krise nicht einfach. Durch die Krise hat sich die Beziehung zu deinem Sohn verändert…

Natürlich stand ich, wie viele andere Mütter, vor der Frage, wie ich meinen Sohn betreuen kann, wenn ich zur Arbeit gehe. Ich bin sechs Stunden unterwegs und so musste ich meinen Sohn zwischen unseren Nachbarn, Freunden und dem Kindsvater hin-und herschieben. Mein Sohn braucht allerdings einen sehr festen Tagesablauf – den hatten wir nun nicht mehr.

Diese Veränderung haben wir sofort an seiner Art gemerkt. Er wurde immer dünnhäutiger und wütender, ließ sich gar nichts mehr sagen. Ganz banale Sachen brachten ihn völlig aus dem Ruder. Dazu kam der fehlende Kontakt mit Gleichaltrigen und auch einfach die fehlende körperliche Auslastung.

Wie war das für Dich, dass du gemerkt hast, dass du an deine Grenzen kommst?

Zunächst dachte ich, es sei eben der alltägliche Wahnsinn in dieser Krise, den ich einfach ertragen müsste. Mein Freund hat dann aber lange mit mir gesprochen und gesagt, er könne nicht mehr zusehen, wie ich leide. Und dass ich abgeben muss, sonst würde ich kaputt gehen.

Ich war zunächst stinksauer, wie er sich sowas erlauben kann und sagte, dass es alles nicht wahr sei. Am Nachmittag war ich dann alleine mit meinem Sohn unterwegs und die Situation ist eskaliert. Ich habe meinen Sohn so angeschrien, danach war mir klar, dass ich es wirklich nicht mehr alleine schaffe.

Du hast dann eine Entscheidung getroffen. Dein Sohn ist zu deinem Ex gezogen.

Genau. Mein Partner und ich hatten in den Tagen zuvor schon mal bei meinem Ex vorgefühlt, ob er für den Umzug bereit wäre. Er hatte seine Hilfe zugesagt und war also schon innerlich darauf vorbereitet.

Wir haben dann gemeinsam geguckt, wie wir das regeln können. Und dann ging alles ganz schnell. Entweder zum neuen Schuljahr (3. Klasse), oder eben erst zum nächsten Schuljahr (4. Klasse). Niemand wusste, wie lange die Schulschließung noch anhalten würde und ich war am Ende meiner Kräfte und willigte einem Wechsel zur dritten Klasse ein, – allerdings nicht ohne Bauchschmerzen.

Ich sprach lange mit meinem Sohn, für den es natürlich erstmal eine sehr große Umstellung war. Er war traurig, weil er ja sein ganzes Leben mit mir zusammen gelebt hatte. Aber als ich ihm die Frage stellte, ob er sich wohl fühlt bei uns und ob das momentan ein schönes Zusammenleben ist, konnte er leider nicht mit Ja antworten . Wir beide haben sehr viel geweint an diesem Tag.

Wie hast du dich in der ersten Nacht ohne deinen Sohn gefühlt?

Das hat sich gar nicht so anders angefühlt, weil mein Sohn ja regelmäßig bei seinem Vater geschlafen hat. Trotzdem war es natürlich seltsam zu wissen, dass er nicht am nächsten Morgen wieder zu mir kommt.

Und dennoch war da eine Erleichterung, weil ich durchatmen konnte und mich auch mal wieder selbst spüren könnte.

Wie ist die Situation gerade?

Die Situation ist inzwischen entspannter. Der Vater schafft es, die Hausaufgaben durchzuziehen, mit ihm zu üben, ihn zum Lesen zu motivieren. Dazu fehlte mir oft die Kraft.

Beim ersten Mama- Wochenende habe ich einfach gemerkt, dass ich ruhiger war, mehr Kraft hatte. Ich konnte besser auf meinen Sohn eingehen und seine Anfälle (die zum Glück nicht so ausgeprägt waren wie sonst immer) konnte ich besser ertragen.

Am Dienstag haben wir uns nochmal gesehen, weil wir zu dritt (mit dem Kindsvater) zur Therapie gehen. Danach fiel es meinem Sohn sehr schwer, mich gehen zu lassen. Das brach mir das Herz, ich habe auch fast geweint und mich gefragt, ob wir hier wirklich das Richtige tun…

Danach merkte man schon, dass es meinem Sohn schwer gefallen ist, mich gehen zu lassen. Und auch ich war kurz vorm weinen und fragte mich, ob das wirklich das richtige war.

Noch immer müssen sich viele Mütter dafür rechtfertigen, wenn die Kinder nach einer Trennung beim Vater leben. Du auch?

Natürlich kam es für viele überraschend, einige können es nicht nachvollziehen, eine Freundin hat mir tatsächlich die Freundschaft gekündigt. Sie hat mich überall geblockt und sagt, es sei die Schuld von meinem jetzigen Partner, der mich so lange bearbeitet hätte, bis ich mich gegen mein Kind entschieden hätte.

Es gibt aber auch Freundinnen, die es nachvollziehen können, weil sie wissen, wie schwer es manchmal mit meinem Sohn ist und wie viele Jahre ich alleine damit war.

Dennoch gilt es für die meisten immer noch: Die Kinder gehören zur Mutter. Eine Frau, die nicht mehr mit ihren Kindern zusammen leben kann, hat versagt und so eine Entscheidung ist das Schlimmste, was man machen kann.

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass unsere Entscheidung richtig war. Dass mein Sohn glücklich wird bei seinem Vater, dort Freunde findet. Ich wünsche mir auch, dass der Vater mit seiner Freundin denn Alltag schafft und unserem Kind die Stabilität und den Halt geben kann, die ich ihm nicht geben konnte.

Ich wünsche mir, dass die Therapie, die wir aufgrund der Kankheit angefangen haben, unserem Sohn und uns hilft, mit ADHS zurecht zu kommen. Dass sie uns neue Wege aufzeigt und dass ich alles verarbeiten kann.

Und ich wünsche mir, dass mein Sohn mir niemals vorwerfen wird, dass wir uns so entscheiden haben…

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5 comments

  1. Mir kommen gerade die Tränen. Ich habe genau diesen Schritt vor einigen Wochen gewagt, weil ich wusste, dass mein 7 jähriger Sohn mit ADHS bei seinem Vater, seiner Frau und beiden Familien (Großeltern etc) besser dran ist. Er liebt es dort zu sein. Leider habe ich dieses Umfeld nie gehabt und musste mich Jahre lang wirklich allein kümmern. Als das zweite Kind kam spürte ich die Anstrengung des Gruppendynamik- sie (jetzt 3) sehr ruhig, er voller Power, provozierte auch ständig. Ich hatte die Kraft nicht ihm die Auslastung zu geben, die er benötigte. Ich habe nach wie vor Bauchgrummeln und die gleichen Sorgen wie du. Mir ist dennoch bewusst, dass es das Richtige für alle Beteiligten, und in erster Linie für ihn ist. Er wirkt glücklich, wenn er auch sagt, dass er mich vermisst. Das ist normal. Meine Tochter kommt damit auch gut zurecht. Ich lebe jetzt 200km weiter weg bei meinem Partner, und werde aufgefangen. Ich fahre einmal im Monat runter für ein Wochenende, und telefoniere regelmäßig mit ihm. In den Ferien ist er bei uns.

    Danke, dass du diesen Beitrag verfasst hast, es tut mir gut das zu lesen.

    GLG aus Niedersachsen.

  2. Ich kann mir nicht annähernd vorstellen, wie kräftezehrend es ist, ein Kind mit ADHS zu haben. Es muss schwer sein, vor allem wenn noch zusätzlich die Zeiten der Arbeit nicht wenig kompatibel mit der Kinderbetreuung sind. Trotzdem tut es mir etwas weh, dass eventuell doch durch den neuen Partner eine Art Abstand zwischen Mutter und Kind reingebracht wurde. Bei mir schrillen die Alarmglocken, sobald ich von „neuen Partnern“ lese bzw höre. Als Kind wurde ich bei meiner Großmutter abgegebenen, da mein Stiefvater mich nie akzeptiert hatte und meine Mutter nicht kämpfen wollte. Ich liebte meine Großmutter, aber es tat mir immer weh, doch nicht bei Mama sein zu können. Natürlich ist in dieser hier beschriebenen Sache der leibliche Vater ein Anker und wenn der Kontakt immer gut war, ist auch eine liebevolle Ebene vorhanden. Es ist in Ordnung, dass Kinder bei ihren Vätern aufwachsen oder den Großteil mit ihnen verbringen. Müttern alles abzuverlangen, ist zu klassisch gedacht. Aber der bittere Beigeschmack bleibt trotzdem für mich persönlich, wenn ich von neuen Liebsten mitbekomme. Man liest immer nur von der einen Seite und eigene Fehler geben wenige zu.

  3. Liebe Verena,
    du kannst unheimlich stolz auf dich sein. Ihr habt gemeinsam geschaut, was für euer Kind das Beste ist. Und du bist ja immer noch für ihn da. Mein Großer Sohn ist gleich alt, ebenfalls seit kurzem ADHS Diagnose und kommt in die 3 Klasse. Das ist wahrlich keine einfache Aufgabe mit diesem Konzentrationsproblematik und niedrigen Frustrationstoleranz. Du kannst so stolz auf dich sein, dass du dabei im Blick behält, was gut für deinen Sohn ist. Schön, dass dein neuer Partner den Blick für euer aller Wohl hat wie auch dein getrennter Partner. Ihr wollt alle das Beste fürs Kind. Und ihr macht das alles aus Liebe. Ich wünsche euch weiterhin ein gutes Miteinander. Alles Liebe Sabine

  4. Ich kann dich sehr gut verstehen. Ein Kind mit grenzenloser Energie und geringer Frustrationsspanne bringt an die eigenen Grenzen. Vor 7 Jahren habt ihr entschieden, dass du deinen Sohn hauptsächlich betreust und jetzt der Papa. Er scheint aktuell die Ruhe und Kraft zu haben, die dir (verständlicherweise nach all den Jahren) fehlt. Dein Sohn wird geliebt, ihr habt ihn voll im Blick, sein ADHS ist keine Last, aber wird sehr ernst genommen. Hut ab! Für euch beide als Eltern, aber auch für den differenzierten Blick deines neuen Partners. Die besagte Freundin, die dir die Freundschaft aufkündigte, hat wohl leider wenig Lebenserfahrung und wenig Empathie.
    Ich wünsche euch alles alles Gute und für deinen Sohn endlich wieder Bewegung, Action und Alltag mit Papa UND natürlich Mama, denn du bist ja nicht weg, nur weil er jetzt bei seinem Vater wohnt.

  5. Unfassbar wie mutig diese Frau ist. Diese Entscheidung war richtig und gut. Alle Schritte wurden gut durchdacht und gemeinsam mit dem Sohn besprochen. Es wurden Gefühle gezeigt. Die ganze Familie wird nun professionell betreut.
    Und diese ganzen wichtigen, richtigen und schweren Entscheidungen, hat diese Frau unter den schwierigsten Umständen getroffen.
    Wir Frauen sind unstabstreitbar das starke Geschlecht.
    Ich finde es ganz toll und wünsche der gesamten Familie, vor allem der Frau von ganzem Herzen alles Gute. Sehr beeindruckend.

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