Eltern verschwiegen ihm die Adoption: „Irgendwann kommt alles raus“

Adoption

Ihr Lieben, als Jan Klein erfuhr, dass er gar nicht das leibliche Kind seiner Eltern ist, war er schon ein Schulkind. Für ihn fühlte sich das an wie ein Vertrauensbruch, er fragte sich, ob sein ganzes bisheriges Leben eine Lüge gewesen sein sollte. Er litt und machte sich schließlich, als es endlich möglich war, auf die Suche nach seiner leiblichen Familie. Heute berät und berreut er selbst Betroffene.

Lieber Jan, du wurdest adoptiert, wusstest du das von Anfang an oder hat man dir das erst später mitgeteilt?

Nein, ich wusste nicht von Anfang an davon. Mit etwa acht Jahren wurde ich das erste Mal damit konfrontiert – von meinen Freunden und Schulkameraden. Sie schimpften mich „Heimkind“ und ich wusste gar nicht genau wieso. Denn ein Heimkind wohnt ja nun nicht bei den Eltern und ich wurde doch schließlich immer von Mama oder Papa abgeholt aus der Schule. Das mussten sie doch sehen, dachte ich.

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Jan als Kind

In mir wuchs ab diesem Zeitpunkt aber die Frage, ob es wohl tatsächlich sein könnte, dass meine Eltern nicht meine Eltern sind. Ich hatte Angst vor der Antwort und traute mich deswegen auch gar nicht, darüber zu reden. Man hatte wohl schon vorher mal versucht, mit mir darüber zu reden, erfuhr ich später, aber entweder hatte ich es verdrängt oder eben noch nicht richtig verstanden. Dass irgendetwas nicht stimmte, spürte ich jedenfalls schon länger. Nicht im Traum hätte ich aber damit gerechnet, dass das alles mit einer Adoption zu tun haben könnte.

Du hast dann erfahren, dass du adoptiert wurdest.

Meine Eltern waren auch danach noch Mama und Papa für mich. Sie stehen auch bis heute zu mir! Aber das alles, diese enttäuschte Wahrheit, hat schon viel mit mir und meinem Leben gemacht. Klar, wussten meine Eltern es nicht besser – wie denn auch? Woher sollten sie wissen, wann man seinem Kind das alles sagt? Ich verstehe es heute etwas besser als damals. Doch es setzte in mir das Gefühl frei, belogen worden zu sein. Es fühlte sich an wie ein Vertrauensbruch. Man bekommt schließlich immer schon als Kind beigebracht: „Sei ehrlich!“ und „Lügen ist doof!“ War es nun eine Lüge, was von meinen Eltern kam? Als Kind empfand ich das so.

Was hat sich seitdem verändert bei dir?

Ab dem Tag, an dem ich erfuhr, dass meine Eltern nicht die leiblichen sind und ich irgendwie belogen worden war, verlor ich das Vertrauen für sehr viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte. Es tat mir sehr weh! Natürlich wollte das keiner, aber es passierte eben. Der Bruch war da und riss tiefe Wunden. Meine Adptiveltern waren mit dem Thema auch ganz auf sich allein gestellt – ohne Hilfe und Beistand. Heute kann ich sagen: Ich konnte es verzeihen, aber es wäre mir lieber gewesen, ich hätte von Anfang an Bescheid gewusst, um dieses Trauma gar nicht erst entstehen zu lassen.

Wie war das Leben in deiner Adoptivfamilie?

Ach, das Leben in meiner Adoptivfamilie war im Alter zwischen sieben und acht Jahren so ziemlich normal. Im Grunde wie jedes andere, wenn ich das so sagen kann. Wir kuschelten miteinander, es war ein liebevoller Umgang. Trotzdem nahm ich in anderen Familien Unterschiede wahr, die ich nicht näher beschreiben kann, die mich aber verwirrten. Schwer zu erklären.  

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Die Tochter von Jan mit dem Familienhund

„Du hast das Vertrauen in deinen Ursprung verloren“, schreibst du. Erzähl mal davon.

Ja, das stimmt. Meine Eltern waren mit einem Mal kein Vorbild mehr für mich. Ich wusste nicht, wer ich bin, und war komplett aus meinen kurzen Leben gerissen, das ich bis dahin hatte. Sieben, acht Jahre lang war einfach alles so gewesen, wie es war – und mit einem Mal sollte alles nur ein großes Theaterstück gewesen sein. Meine Zweifel, denen ich bis dahin kaum eine Chance gegeben hatte, wurden nun Realität. Wo komme ich her? Wer sind meine Eltern? Warum hatte man mich nicht gewollt? Was hatte ich falsch gemacht, dass mich meine Eltern nicht wollten? Das und vieles mehr kreiste ab da in meinem Kopf herum und zerfraß meine Seele. Es ist schwer zu beschreiben und noch schwieriger, in dem Alter damit klarzukommen. Ich fing an, alle anderen als Eltern zu sehen, andere Kinder als Geschwister und das machte mich echt irre. Die Frage nach meinen Wurzeln war sehr präsent.

Du sagst, deine Familie erschien dir immer fremd… erzähl mal, wie sich das äußerte?

Meine Familie versuchten so gut sie konnte, mir nicht zu zeigen, dass ich adoptiert war, aber ich wurde immer anders behandelt. Als Kind spürt man so etwas genau, auch bei Kleinigkeiten von denen Erwachsene vielleicht denken „Das bekommt der eh nicht mit“. Die Antennen der Kinder sind so fein! Und ja, vielleicht haben adoptierte Kinder sogar noch feinere Empfindungen für so etwas. Ich fühlte mich schon als Außenseiter in dieser Gemeinschaft.

Du hast sehr gelitten, im späteren Leben sogar zu Drogen gegriffen…

Ja, das stimmt. All das hat mich sehr verändert und ich war voller Schmerz. Ich litt immens. Mein Schmerz war nicht unbedingt gegen andere gerichtet, sondern eher gegen mich selbst. Ich fragte mich dauernd, warum mich meine leiblichen Eltern nicht gewollt hatten, was der Fehler war, ob ich der Fehler in diesem Leben war. Ich richtete meine Wut auch ungewollt gegen meine Adoptiveltern, dabei liebten sie mich ja und hatten mir ein Zuhause gegeben. Dass ich sie so behandelte, verletzte mich wiederum noch mehr. Das war ein riesiger Druck, der sich da aufbaute – leider. Ich wollte oft aus diesem Teufelskreis fliehen, aber es ging zu diesem Zeitpunkt irgendwie nicht. Ich musste da irgendwie selbst durch.

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Es kam der Tag, an dem ich den ersten Joint rauchte. Ich hatte es bei anderen gesehen und probierte es einfach. Die Wirkung war: Endlich konnte ich weglaufen, in Gedanken. Es war eine totale Flucht aus der Realität. Der erste Moment seit langem, in dem der Schmerz und die Wut nicht die Präsenz hatten wie zuvor. Mir hat es leider gefallen und ich sah es zu dem Zeitpunkt als Lösung für mich an. Was natürlich Blödsinn ist aus der heutigen Perspektive. Aber das ist das Problem bei Süchten: Man entflieht der Realität und findet Gefallen daran. Ich kann jedem nur davon abraten, egal welche Probleme er oder sie hat, in Alkohol oder Drogen zu versinken und damit die Bearbeitung zu unterdrücken und wegzulaufen! Es ist der falsche Weg!

Wollte und konnte dir denn niemand helfen?

Helfen wollten mir so einige. Auch meine Adoptiveltern waren sehr verzweifelt darüber. Es zerriss sie bestimmt sehr, zusehen zu müssen, wie ihr Sohn sich kaputtmachte. Aber wusste ich, ob das nicht auch nur Schauspielerei war? Mir fehlte der Sinn und es blieb leider nicht bei Joints, ich sackte ab in einen Drogensumpf. Es war keine schöne Zeit in meinem Leben. Den Weg aus dem Ganzen versuchte ich dann mehrmals zu gehen, rutschte aber immer wieder ab. Erst als ich mich entschieden hatte, meine Heimat zu verlassen, gab mir das die Kraft, all das sein zu lassen.

Heute ist alles gut. Ich habe das alles hinter mir gelassen und bearbeite all diese Sorgen und Schmerzen anders, indem ich mich damit auseinandersetze. Ein langer, schwerer Weg bis zu dem Punkt, an dem ich heute stehe. Ein wichtiger Abschnitt der Verarbeitung war auch mein Buch „Adoption, die schmerzhafte Reise zu meinen Wurzeln.

Du hast dich dann auf die Suche nach deinen leiblichen Eltern gemacht. Erfolgreich?

Auf der Suche nach meinen leiblichen Eltern war ich ab dem achten, neunten Lebensjahr – aber nur im Kopf. Wie ich beschrieben hatte: Ich suchte irgendwie in jedem meine Mama, meinen Papa oder eben meine Geschwister.

Seit mir erzählt worden war, dass ich adoptiert bin, wusste ich, dass ich wohl das siebte und letzte Kind meiner leiblichen Eltern war, mehr nicht. Die ersten realen Anläufe der Suche begannen, als ich 16 wurde, ab da kann man ja offiziell an Daten kommen. Die hatten übrigens immer im Schrank meiner Eltern gelegen: mit der Abstammungsurkunde, in der der Name meiner leiblichen Eltern stand. Aber irgendwie fehlte ihnen der Mut, sie mir zu zeigen. Zugleich war ich ja leider noch in meiner berauschenden Welt gefangen. Das machte mich in Sachen Suche dann auch ab und zu wieder zu gleichgültig.

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Hattest du auch Angst vor dem Kennenlernen?

Ja, total. Der Schmerz zerfraß mich weiter, die Angst schüchterte mich ein und das Ungewisse: Wie würden sie denn reagieren? Eine Ablehnung hätte mich wohl ganz zerstört zu dem Zeitpunkt, also ließ ich es erst einmal sein. Mit knapp 19 wurde ich dann Papa einer wunderbaren Tochter. Dieses Gefühl von Liebe und Geborgenheit ab dem Moment, als ich sie zum ersten Mal auf dem Arm hatte, war unbeschreiblich. So klein und wunderbar war dieses sanfte Geschöpf. Es brachte mich zum Umdenken und gab mir die Kraft und den Willen, nun meiner leiblichen Mutter gegenüberzutreten. Ich begab mich auf die Suche und erfuhr schon kurze Zeit später, wo meine Mutter lebte bzw. wo sie gemeldet war. Sie hatte immer nur 40 Kilometer von mir weg gewohnt, der Wahnsinn! Es hätte wirklich sein können, dass ich sie per Zufall irgendwo entdeckt hätte – zum Beispiel beim Suchen in Gesichtern an Kassen.

Wie war das erste Zusammentreffen dann?

Ich fühlte mich gleich wohl, es war nicht fremd. Wir umarmten uns und es war, als wären wir uns sehr bekannt. Ganz komisch und ebenso magisch.

Nun hilfst du auch Menschen auf der Suche nach ihren Wurzeln. Wie machst du das?

Ja, mittlerweile biete ich anderen Betroffenen Hilfe und Unterstützung. Nach der Veröffentlichung meines Buches haben mich viele Betroffene angerufen oder angeschrieben. Wir hatten dieselbe Erfahrung im Leben gemacht, dasa schafft direkt Nähe zu den Hilfesuchenden. Ich konnte leibliche Eltern für andere finden, aber auch Geschwister. Dies alles ist so schnell größer geworden, dass ich mir ein Team zusammensuchte, das aus ebenfalls Adoptierten bestand, die bei Themen rund um Adoption schon erfolgreich therapeutisch helfen.

Ich gründete die Website Adoptionshelfer.de, eine Plattform, auf der man sich informieren und austauschen kann. Außerdem bietet sie einen Suchpool zur Unterstützung bei der Suche nach den leiblichen Eltern, Geschwistern oder sonstigen Verwandten. Sogar wenn man aus einer Babyklappe kommt, kann das Portal helfen; diese Kinder und Eltern haben bisher keinerlei Möglichkeiten, sich wiederzufinden, und das wollte ich versuchen zu ändern. Es gibt auch Themencalls, einen Chat- bzw. Gruppenbereich und einen Podcast, in dem Betroffene zu Wort kommen. Es ist echt großartig, was wir bisher als Team schon für Hilfesuchende tun konnten. Gemeinsam sind wir stark! Wichtig ist vor allem, dass wir Betroffenen vermitteln können, dass niemand allein ist mit seiner Geschichte.

Zu guter Letzt: Wie geht es dir denn selbst heute?

Ich selber profitiere von jedem Gespräch und jedem Fall. Es hilft mir noch immer auch bei der Verarbeitung und Selbsterkenntnis und Verarbeitung. Immer wieder erkenne ich Dinge, die ich vorher nicht so deutlich erkennen konnte und die erst im gemeinsamen Bearbeiten für jeden klarer werden. Mir geht es mit dem, was ich tue, sehr gut. Ich lebe es mit Herz und bin für jeden da, der meine Hilfe sucht. Ich habe alles im Griff, stehe mit beiden Beinen im Leben. Bin angestellt im öffentlichen Dienst, aber auch doppelt selbstständig. Ich habe nie aufgegeben, immer wieder den Kampf aufgenommen und stehe nun glücklich im Leben. All das, was ich bzw. wir nun erschaffen haben, macht uns stolz.

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1 comment

  1. Ja so ist es bei mir war das aller gleiche Problem,in der Schule erfuhr ich ,ich wäre eine Angenommene ich fragte mich immer was sagen die da!???
    Niemand gab mir eine Antwort darauf.Ic kann nur Sagen grauenvoll !!!
    Bis heute habe ich noch sehr große Probleme mit dieser Vergangenheit.
    Ich wundere mich ,wie man einen kleinen unschuldigen Wesen sowas antun kann!????
    Nur eine kleine Anmerkung zu meiner Adoption.
    Mit freundlichen Grüßen

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