Hilferuf einer Tagesmutter: „Wir werden in der Corona-Krise einfach übersehen“

Kleinkinder in der Tagespflege

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, nicht nur für viele Eltern war es ein Schock, als die Verlängerung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona Pandemie bekanntgegeben wurden. Nicht, weil sie sich nicht einschränken wollen, sollen weil sie sie einfach komplett ungesehen fühlten.

„Ihr regelt das schon mit Kindern und Homeoffice, viel Spaß dabei, tschöö“, so fühlte es sich ein bisschen an. Seht halt selbst, wie ihr klarkommt. Plötzlich waren Kinder also wieder ein Privatvergnügen.

Aber auch für Tagespflegepersonen war die Ansage ein riesiger Schreck, dass zum Beispiel in Berlin die Kitas frühestens am 1.8. wieder aufmachen sollen. Antonia ist Tagesmutter und gibt uns ehrliche Einblicke in ihre Gefühlswelt, ihre Existenzängste und ihrem aktuellen Alltag – ohne Kinder.

Liebe Antonia, wie viele Kinder betreust du normalerweise?

Wir dürfen als Tagespflegepersonen alleine maximal fünf Kinder betreuen. Ich habe dafür Räume in Berlin Neukölln angemietet.

Die Ansage, dass die Kindergärten in Berlin bis zum 1.8. geschlossen bleiben trifft auch dich ganz besonders. Was bedeutet das für deine persönliche Situation?

Ich versuche, mich abzulenken. Es fühlt sich schon an, als wäre ich arbeitslos. Ich arbeite seit über 12 Jahren als Erzieherin und meine Tätigkeit hat mir immer viel Sinn gegeben.

Ich war noch nie so lange komplett ohne Kinder, seitdem ich Erzieherin bin. Ich vermisse meine Tageskinder sehr. Ich bin im engen Austausch mit allen Tageskindern und deren Eltern, also online und habe einen Youtube-Kanal für kleine Kinder begonnen, auf den ich täglich neue kleine Videos hochlade. Das fing eigentlich als Idee für meine Tageskinder an, aber inzwischen schauen auch viele andere Kinder zu.

Ich versuche, mich zu beschäftigen und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Ich möchte auch für die Eltern meiner Tageskinder weiterhin da sein. Einige sprechen kein Deutsch, also übersetze ich ihnen teilweise Nachrichten etc. Wir sind über WhatsApp miteinander verbunden.

Du bist enttäuscht, wie grad mit euch und eurem Berufsstand in Zeiten von Corona umgegangen wird. Warum konkret?

Wir werden seit Wochen vertröstet, was die Bezahlung und das weitere Vorgehen angeht. Wir sind Freiberufler mit eigenem Risiko und mit teils hohen Gewerbemieten und Fixkosten, mit aber schon immer sehr niedriger Entlohnung.

Ich weiß nicht, ob mir das nächste Entgelt bezahlt wird und ich habe keine Möglichkeit, es aktiv herauszufinden. Eventuell fallen wir durch das Netz der Zuschüsse, da wir zunächst Geld erhalten. Viele meiner Kollegen trauen sich daher nicht, Zuschüsse aus den Hilfsfonds zu beantragen, da ja aktuell Geld auf dem Konto ist.

Ich kann aber horrende Rückzahlungen, die mir da eventuell in ein paar Monaten blühen, ohne Rücklagen nicht tragen.

Was ist, wenn es dann keine Unterstützung vom Staat mehr gibt? Ich habe den Zuschuss nun beantragt und prompt Gerüchte von Strafen etc. gehört, da wir als Kindertagespflegepersonen nicht zuschussberechtigt seien, da das Jugendamt sich um uns kümmert.

Auf Emails bekommen ich und meine Kollegen als Antwort, von Nachfragen bitte abzusehen und Geduld zu haben. Ich verstehe das nicht.

Diese Ungewissheit geht mir an die Substanz. Und ich fühle mich da nicht ernst genommen. Wir leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Wenn nun einige Tagespflegepersonen kalte Füße bekommen und lieber ganz aussteigen, weil sie denken, damit sind sie vielleicht letztendlich besser dran, ist keinem geholfen.

Dir fehlt gerade besonders die Wertschätzung deines Berufes. Erzähl mal.

Ich habe das Gefühl, die Vorgehensweise, uns so in der Luft hängen zu lassen, sagt schon viel über die Wertschätzung von pädagogischer Arbeit aus… Das können ja alles auch die Eltern genauso gut im Notfall. Kita kann kompensiert werden, aber Freunde nicht.

Ich habe mehr als fünf Jahre Ausbildung hinter mir und mehr als 12 Jahre Erfahrung in der täglichen Arbeit mit Kindern. Ich wünsche mir einfach, dass nicht vergessen wird, dass wir nicht „nur“ spielen, sondern es auch oder vor allem unser Auftrag ist, zu fördern.

Ich habe vollstes Verständnis für die aktuelle Situation und dass zum Beispiel meine Tageskinder unter drei sich mit Sicherheit sehr schwer tun werden mit Hygienemaßnahmen.

Ich finde aber, es ist lange überfällig, sich bezüglich unserer Bezahlung zu äußern. Wenn ich weiß, ich bekomme voraussichtlich bis August kein Geld, werde ich Lösungen finden. Hoffentlich. Wenn ich gerade so nachdenke, kommt mir schon ab und zu der Gedanke, wärst du doch nur Autoverkäuferin geworden.

Seit Anbeginn werden wir viel zu schlecht bezahlt. Und wenn nun nach den Osterferien die Menschen nach und nach wieder alles öffnen dürfen, hoffe ich, dass daran gedacht wird, dass wir diejenigen sind, die sicherstellen, dass alle zusammen die Wirtschaft wieder aufbauen können, weil wir die Betreuungsplätze für die Eltern bereit stellen.

Ich kann vielleicht nicht direkt mithelfen, die Wirtschaft wieder aufzubauen, aber indirekt ist auch ein von mir gepflegtes und gehegtes Kind, unabhängig und mit einem fundierten Selbstbewusstsein ein Gewinn für unsere Gesellschaft.

Letztes Jahr wurde das „Gute-Kita-Gesetz“ verabschiedet. Wir haben eine Erhöhung des Entgelts bekommen und diese wurde uns sogar rückwirkend für 2019 ausgezahlt. Ich habe mich in meinem täglichen Tun sehr wertgeschätzt gefühlt. Ca. € 200,- Euro mehr, endlich, so lange wurde demonstriert. Ab 2020 sollte uns dieser Betrag eigentlich monatlich zukommen, auf das alte Entgelt angerechnet.

Seit Januar 2020 wurden wir vertröstet, dass aufgrund von irgendwelchen Systemumstellungen gerade nur das alte Entgelt überwiesen werden kann, wir aber wieder rückwirkend unsere Erhöhung bekommen werden, versprochen.

Plötzlich kam Corona dazwischen und jetzt ist es nach Angaben durch die Sachbearbeiter beim Jugendamt unsicher, ob wir davon überhaupt noch etwas sehen – sie hoffen, dass das jetzt noch geht. Online kann man mal unter den Stichworten „Gute-Kita-Gesetz“ und „Starke Kindertagespflege“ diesbezüglich nachlesen. Ich finde das unmöglich.

Was macht dir grad die größten Sorgen?

Ich weiß, dass meine Tageskinder aus gut situierten, freundlichen Familien kommen. Ich habe also zumindest keine Sorge um deren leibliches Wohl. Ich mache mir Sorgen um die Kinder, die aus Familien kommen, die ernsthaft überfordert sind und für die die pädagogischen Einrichtungen einen Puffer bedeutet haben.

Ich habe früher viel mit – ich nenne sie mal – „verhaltensauffälligen Familien“ gearbeitet vor meiner Tätigkeit als Tagespflegeperson. Da scheint aber die Regierung jetzt drauf zu reagieren, indem die Notbetreuung erweitert wird auf Familien in besonderen Problemlagen. Darüber bin ich sehr froh. Auch, dass Alleinerziehende unterstützt werden sollen.

Als Tagespflegeperson ohne betroffene Eltern bin ich allerdings weiterhin zu Hause und die Türen zu meiner Kindertagespflege geschlossen. Ich persönlich mache mir vor allem Sorgen um meine finanzielle Situation. Ich habe Sorge, kein Entgelt mehr zu bekommen oder dann zu Ende des Jahres hin große Rückzahlungen leisten zu müssen.

Mich macht nervös, welche Hiobsbotschaften wir eventuell bald vom Jugendamt erhalten. Vielleicht bin ich zu pessimistisch. Ich habe auch Sorge, bis zum August nun wirklich sozusagen arbeitslos zu sein – so fühlt es sich zumindest an.

Was macht dich am traurigsten?

Vier meiner Tageskinder gehen ab August in eine größere Kita, da ich nur bis zum Alter von drei Jahren aufnehme. Das ist fast meine gesamte Gruppe. Wir haben bis zu zwei Jahre miteinander verbracht. Ich habe zum Beispiel einen kleinen Jungen mit gerade mal vier Monaten aufgenommen.

Meine Tageskinder lernen bei mir Laufen und Sprechen. Ich genieße die Zeit sehr, wenn sie klein sind und liebe es, sie dabei zu beobachten, wie sie ihre Unabhängigkeit erlangen. Ich freue mich immer, dass sie zum Abschied in einem Alter sind, in dem ich ihnen wertschätzend erklären kann, warum sie nun meine kleine Kita verlassen werden, dass sie mich jederzeit besuchen können etc.

Wir spazieren gemeinsam an den neuen Kindergärten vorbei und sprechen viel, in der Gruppe, im Vier-Augen-Gespräch. Kinder leisten Großes, sich vom Elternhaus für ihre erste Kita zu lösen und sie speichern diese Erfahrungen ab, für die Schule und weitere zukünftige Lebenserfahrungen.

Für die Eingewöhnungen der Kinder nehme ich mir oft wochenlang Zeit, je nach den individuellen Bedürfnissen der Kinder. Für eine „Entlassung“ genieße ich normalerweise eine ähnliche Zeitspanne. Das tut sowohl mir, als auch den Kindern augenscheinlich gut.

Am 1. August beginnt die neue Kita für meine Abgänger, wir haben uns seit Mitte März nicht mehr gesehen. Ich möchte niemanden beschuldigen und wahrscheinlich ist die Vorgehensweise, die Kitas bis zum August zu schließen, auch die Vernünftigste. Traurig macht es mich trotzdem und ich wünsche mir einen Abschied mit meinen Kids.

Was ich auch traurig finde, ist, dass den Kindern meiner Expatfamilien nun der Input der deutschen Sprache komplett wegfällt. Von diesen Familien habe ich einige. Medien können das nicht ersetzen. Die Eltern berichten mir auch schon, dass ihre Kinder nun schüchterner mit dem Deutsch werden. Ich bemühe mich sehr um Sprachförderung und bin enttäuscht, dass ich zurzeit nicht helfen kann.

Du sagst, du fühlst dich grad nicht gesehen, irgendwie unwichtig, magst du das nochmal näher erläutern?

Ich habe das Gefühl, dass mein Job zurzeit einer derer ist, die am meisten verzichtbar sind und dass es in den nächsten Wochen wichtiger sein wird, Autos zu verkaufen, um die Wirtschaft wieder hoch zu kurbeln, als ein Kind gut zu betreuen. Ich hoffe, ich bin nur überdramatisch.

Was wünschst du dir für die nächsten Wochen?

Vor allem: Gewissheit.

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5 comments

  1. Liebe Antonia,

    es tut mir leid, zu lesen, dass sich die Corona-Krise so nachteilig auf Deine persönliche und berufliche Situation auswirkt, und du existentielle Sorgen aushalten musst. Ich hoffe, dass Du bald Nachrichten erhältst, die Dir wieder Zuversicht und Gewissheit geben.
    Auch wenn unsere Zusammenarbeit im Rahmen meines Berufspraktikums leider nicht schön für uns beide geendet ist, bewundere ich Dich nach wie vor für Deine Eigeninitiative, Deine kreativen Ideen und Deine liebevolle Arbeit als Tagesmutter.

    Ich wünsche Dir – und allen anderen Tagesmüttern – dass auch ihr in eurer persönlichen und beruflichen Situation und eurer Relevanz für unsere Gesellschaft wahrgenommen, und entsprechend vom Staat und der Gemeinschaft unterstützt werdet.

    Liebe Grüße und halte durch!

    Emma

  2. Die besten fachlichen Infos gibt es meiner Meinung nach auf http://www.swprs.org
    Es SOLLTEN SOFORT alle Schulen und Kindergärten wieder aufgemacht werden. Dänemark bereut den Shutdown, Schweden hat erst keinen gemacht, ich glaube ich wandere doch noch nach Skandinavien aus.
    Die Ansteckungswelle war bereits VOR dem Shutdown am abklingen und die Replikation ebenfalls VOR dem Shutdown unter 1,0, danach keine Veränderung mehr zu verbuchen. Shutdown und Kontaktverbot sind bewiesenermaßen sinnlos und schädlich für die gesamte Gesellschaft.
    Es wird Zeit, diesem Irrsinn endlich ein Ende zu setzen und das normale Leben wieder aufzunehmen.
    Aber wie?
    Jetzt gibt es auch noch Maskenpflicht, der reine Wahnsinn. Ich habe meinen Glauben an das Gute echt verloren.
    Traurig verzweifelte Grüße
    Jitka

  3. Hallo!
    Mein Mann und ich arbeiten auch in der Kindertagespflege.
    Es ist haarsträubemd, was da gerade passiert!
    In Rheinland-Pfalz ist die Pflegeerlaubniss bis auf weiteres auf 3 Kinder herabgesetzt worden.
    Damit die Virenverteilung geringer ist.
    Verständlich.
    Doch Ausfallzahlungen gibt es bisher keine.
    Alle ofiziellen Stellen geben an, dass wir Tagesmütter- und Väter nicht berechtigt sind, die zahlreichen Anträge zu stellen.Wir fallen als Kleinst-Soloselbstständige nämlich nicht in die jeweiligen Förderbedarfe und machen uns- teilweise- mit Subventionsbetrug strafbar, wenn wir diese Gelder beantragen und bewilligt bekommen.
    Die Jugendämter versprechen Lösungen, vertrösten uns aber seit Wochen.
    Fakt ist, dass wir seit dem 16.3 finanzielle Einbußen von mehreren tausend Euro hinnehmen mussten.
    Bis August erstmal keine Änderung in Sicht.
    Und nach neueren Erkenntnissen wird uns die Coronasituation wahrscheinlich bis 2022 begleiten.
    Also immer wieder leere Kindergruppe und ein immer leereres Bankkonto.
    Das Jugendamt riet uns, den Ausfall von den Eltern zu fordern.
    Würde bei einem Vollzeitplatz eine Differenz von knapp 800 Euro ausmachen, die die Eltern dann einfach so aus eigener Tasche zahlen sollen.
    Aus einer Tasche, die durch Lohnstreichungen und Kurzarbeit wahrscheinlich eh schon ziemlich leer ist…
    Ganz tolle Option!
    Ich bekomme in 3 Wochen unser 4.Kind.Um die finanzielle Katastrophe zumindest zum Teil abzuwenden, habe ich mich nun entschlossen, nach wenigen Wochen Elternzeit wieder einzusteigen und mit Säugling zu arbeiten.
    Hätten wir uns anders gewünscht.
    Es ist wirklich traurig, dass Tagesmütter kaum Lobby haben.Aber den gleichen Pflichten, Gesetzen und Bildungsaufträgen unterliegen, wie Erzieher und Kindertagesstätten.
    Wenn die nächste Kinderschwemme kommt und die Bundesländer dringend Betreeungsplätze brauchen, werden wir dann wieder gut genug sein, um in diese Presche zu springen.
    Denn ein Platz in der Tagespflege kostet nur ein Drittel soviel, wie ein Kita- oder Krippenplatz.
    Das Berufsfeld wird wohl nicht untergehen.Wohl aber stark ausgedünnt werden.Viele Kollegen werden die Krise finanziell nicht überleben.
    Was traurig ist.Für die Tagesmütter- und Väter.
    Aber auch für alle Familien mit kleinen Kindern, die nicht das Glück haben werden, in einer Kleinstgruppe behütet groß werden zu dürfen!

  4. Liebe Antonia,

    dein Job ist alles andere als unwichtig!
    Wir, als Eltern mit Krippenkind, Kindergartenkind und Grundschüler, wundern uns sehr, dass völlig ignorant behauptet und erwartet wird, dass Kinder „nebenbei“ betreut werden während im Homeoffice gearbeitet wird.

    Gäbe es nicht die verlässliche und gute Betreuung, dann wäre doch niemand auf die Idee gekommen, dass wie bei uns
    65Stunden Erwerbsarbeit geleistet werden könnten. (Und da fehlen noch die Wegezeiten.)
    Mein Mann kann weder kürzer treten noch Zuhause Arbeiten, ich kann hingegen komplett im Homeoffice, ziemlich frei einteilbar, arbeiten.

    Diese Situation fordert uns alle fünf sehr – ich frage mich, wann der tägliche Spagat in Überforderung umschlägt.
    Bis Ende August sind noch viele Wochen!

    Ohne Krippe, Kindergarten und Schule fehlt uns ganz, ganz viel! Emotional, sozial aber auch die Anregungen und Bereicherungen!

    Halt dich wacker und bleib gesund!

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