Ihr Lieben, laut einer Studie sind Alleinerziehende sind nach wie vor die am stärksten von Armut betroffene Familienform in Deutschland. Fast 700.000 von ihnen oder 41 Prozent gelten als einkommensarm, und damit deutlich mehr als bei Paarfamilien.
Unsere Leserin Brigitte ist heute 62, sie hat zwei Kinder großgezogen und immer gearbeitet. Heute ist sie in Rente und lebt am Existenzminimum. Hier erzählt sie ihre ganze Geschichte.
Liebe Brigitte, du warst alleinerziehende Mutter, weil deine beiden Ehen in die Brüche gegangen sind. Kannst du sagen, woran die Ehen gescheitert sind?
Die erste Ehe ist wegen einer Erkrankung von mir gescheitert und wegen des fürchterlichen Egoismus meines Ex-Mannes. Die zweite Ehe aufgrund von verbaler und körperlicher Gewalt.
Wie haben sich die Väter nach den Trennungen um die Kinder gekümmert?
Nur zum Teil. Der Vater meines Sohnes trat eine ganze lange Zeit ohne mein Wissen und ohne Erlaubnis zu häufig sein Umgangsrecht an seine Mutter und Schwester ab, weshalb er sich persönlich zu wenig um meinen Sohn kümmerte und Zeit mit ihm verbracht hat. Er übernahm für ihn kein Verantwortung bzw. er schob diese seiner Mutter und Schwester zu.
Der Vater meiner Tochter machte immense Schwierigkeiten. Er zettelte einen 8-jährigen Rosenkrieg an, bekam erst gar kein gemeinsames Sorgerecht und verlor später gegenüber seiner Tochter sogar das Umgangsrecht.
Du warst also alleine für zwei Kinder verantwortlich. Das ist eine Mammut-Aufgabe. Wie hast du das wirtschaftlich geschafft?
Finanziell war es sehr schwer. Ich hatte stets nur einen Halbtagsjob, weil ich mich ja auch um die Kinder kümmern musste. Wir hatten eine kleine Wohnung, in der ich im Wohnzimmer geschlafen habe, damit die Kinder je ein eigenes Zimmer haben. Leider wurden die Mieten immer angehoben und so mussten wir immer wieder ausziehen, weil ich mir das nicht leisten konnte.
Urlaube waren kaum drin und wenn dann nur auf dem Campingplatz oder in Ferienanlagen, für die ich Zuschüsse bekam. Wir drei mussten im Alltag auf vieles verzichten. Ich habe nur gebrauchte Klamotten und Möbel gekauft für die Kinder und mich. Auf größere Anschaffungen mussten wir lange sparen und Luxus wie Kino gab es nur sehr selten.
Was waren für dich emotional die größten Herausforderungen als Alleinerziehende?
Jede (Lebens)entscheidungen immer alleine treffen zu müssen. Keine Hilfe und Unterstützung von Seiten der Väter zu bekommen, ganz im Gegenteil – sie machten mir sogar noch Schwierigkeiten massivster Art. Ich war immer auf der Hut, wollte nichts falsch machen, mir nichts zu Schulden kommen und niemandem zur Last fallen, weil ich Angst hatte, dass das gegen mich verwendet werden würde.
Ich fühlte mich meist allein und im Stich gelassen, was ja auch so war. Ich erlebte ständig und viele schmerzhafte Enttäuschungen, was mein Leben bestimmte und mich und mein Verhalten auch sehr geprägt hat. Ich musste immer funktionieren, egal wie es mir selbst ging, dabei war auch ich mal schwach und bedürftig, doch das jedoch konnte ich mir kaum leisten und wenn dann nur im stillen Kämmerlein.
Hat dir in all den Jahren ein Partner gefehlt und wenn ja, wann besonders?
Ja, natürlich. Ich hatte ja auch Gefühle und Bedürfnisse, doch die habe ich immer ganz hinten angestellt. Ich hätte mir eine Schulter zum anlehnen gewünscht, dass ich auch mal loslassen und aufgefangen werde. Dass ich auch mal die Nähe eines anderen Menschen zu spüren darf, der mich wirklich mag, das alles war bei mir nicht gegeben. Ich hätte mich auch einfach gerne mit einem Partner ausgetauscht, diskutiert und so mein eigenes Handeln reflektiert.
Welche Lebensträume hast du dir nicht erfüllen können, weil du eben alleinerziehend warst?
Vollzeit zu arbeiten und mir damit ein gutes Auskommen und eine gute Rente zu sichern – das war mir nicht möglich. Ich lebte die letzten 30 Jahre mehr oder minder sehr bescheiden bis ärmlich, durch die Tatsache, dass ich nicht Vollzeit gearbeitet habe und vorzeitig sehr krank wurde.
Ich wurde im Arbeitsleben als Teilzeitkraft immer als Arbeitnehmerin 2. Klasse gesehen. Damit wurden mir Weiterbildungen nach oben versagt und Aufstockungen (mehr Stunden) absichtlich verhindert. Meine Schwerbehinderung machte mir zudem Probleme, Benachteiligungen und Diskriminierung waren an der Tagesordnung.
Und natürlich wollte ich mehr vor der Welt sehen, aber Reisen war nicht möglich. Und auch materielle Dinge wie ein neues Auto, mal ein schickes Kleid, ein Wohnmobil und damit Urlaub machen – das ging alles nicht.
Du sagst, du hast dich aufgeopfert. Wie ist dein Verhältnis zu den Kindern heute?
Ehrlich? Sehr ambivalent, ich werde oft von meinen beiden Kindern auf Distanz gehalten und ich habe vor allem zu meinem Sohn keinen wirklich guten Kontakt mehr. Er ist mit 18 ausgezogen und hielt mich Jahre lang wiederholt monatelang auf Distanz, bis er sich dann mal meldete und dann war der Kontakt – wenn wir ihn dann mal hatten – nicht wirklich gut.
Er wurde von der anderen Seite (Vater, Oma und Tante) sehr beeinflusst und auf dessen Seite gezogen. Seine Ansichten über mich sind fest zementiert, kaum verrück- und korrigierbar. Einerseits aufgrund meiner Erkrankungen, aber andererseits auch wegen meines Erziehungsstils und meinen Entscheidungen, die ich im Zuge dessen getroffen habe.
Die Kinder machen mir heute zum Beispiel auch Vorwürfe, dass wir so oft umziehen mussten und dass wir so wenig Geld hatten. Sie sagen dann, ich sei selbst daran schuld, dass es so gekommen sei und sie machen sich nicht die Mühe meine damaligen Lebensumstände zu verstehen. Die Kinder vergessen, dass ich alleine war und die Väter sich kaum oder nur wenig gekümmert haben.
Verletzt dich das?
Natürlich. Aber damit muss ich klar kommen und meine Gefühle haben sich den Kindern gegenüber auch nicht wesentlich verändert. Sie fehlen mir sehr häufig und ich vermisse sie sehr.
Hast du das Gefühl, dass gesellschaftlich genug wertschätzt wird, was Alleinerziehende leisten?
Nein überhaupt nicht. Wir Alleinerziehende werden bestraft, weil wir nicht an der Institution „Ehe“ festhalten und diese trotz der Widrigkeiten, die sich häufig in den Ehen abspielen und kaum auszuhalten sind, nicht bereit waren, das auszuhalten. Meine Generation wurde für eine Trennung noch viel mehr geächtet als das heute der Fall ist.
Ich habe das Gefühl, dass die getrennten Väter heute auch mehr Verantwortung nehmen als zu meiner Zeit und die Ex-Paare sich heute oft das Sorgerecht teilen. Das gemeinsame Sorgerecht ist aber nur solange sinnvoll, solange die Partner miteinander reden und verhandeln können. In meinem Fall war das bei der 1. Scheidung noch nicht üblich, bei der 2. Scheidung wäre das zu einer Katastrophe gekommen.
Weder die Gesellschaft, noch die Regierung schätzt die Erziehungsarbeit, die Alleinerziehende leisten. Überall haben wir Nachteile und daraus resultiert aus der Trennung eine systematische Benachteiligung in jeder Lebenslage. Die Zuschüsse, die Alleinerziehende bekommen, wenn sie darüber hinaus auch noch wenig verdienen, sind gut gemeint, aber schlecht gemacht und führen am Ende in die Altersarmut.
Wirst du als Alleinerziehende nach der Erziehungsarbeit der Kinder krank, wie z. B. ich und kannst nicht mehr arbeiten oder und dann voll durchstarten mit einem Vollzeitjob, bist du am Ende der Arsch. Es gibt keine wirkliche Absicherung für Alleinerziehende, erst recht nicht für die, die schwerbehindert und/oder chronisch krank sind und vorzeitig in Rente gehen müssen. Meine Lebensleistung, die „enorm“ hoch war, wird von niemanden wertgeschätzt, nicht einmal von den Kindern selbst.
Du bist heute 62 – wie geht es dir finanziell und gesundheitlich?
Ich lebe am Existenzminimum. Meine Rente orientiert sich an einer Erwerbsminderungsrente, d.h. sie fällt deshalb etwas höher aus, als die ursprüngliche Regelaltersrente. Da ich jedoch vorzeitig in Rente gehen musste (das tat ich nicht freiwillig), weil ich aufgrund der bereits benannten Zusatzschwierigkeiten, wie der Schwerbehinderung keine Arbeit mehr fand und vorzeitig in Rente gehen musste, habe ich Abschläge hinzunehmen. Ich habe noch eine Zusatzrente, aber selbst die reicht nicht aus, um auf einen Rentenbetrag zu kommen, der den Bezug von Wohngeld überflüssig macht. Mit Wohngeld, Zusatzrente und Altersrente zusammen habe ich vielleicht 200-250 Euro mehr als Bürgergeld.
Was wünschst du dir noch für dein Leben?
Dass ich möglichst noch lange Zeit einigermaßen gesund bleibe und mich jeden Tag selbst versorgen kann. Ich möchte in kein Pflegeheim, die Vorstellung dort hin zu müssen, ist für mich unerträglich. Wenn es dazu kommt, soll es ganz schnell gehen… dann ziehe ich es vor vorzeitig sterben zu wollen, denn dort will ich nicht hin, auf keinen Fall.
Ich habe aber noch Pläne! Derzeit bin ich Gasthörerin im Abendgymnasium, da starte ich im September, um mein Abitur nachholen zu können. Und ich will nochmal ein bisschen was von Europa sehen, ich werde mich in mein Auto setzen (mein Auto habe ich als mobilen Camper umgebaut)und losfahren.
Ich würde zudem auch noch wieder mehr Frieden mit meinen Kinder haben, das ist eine Herzensangelegenheit. Dass sie mir verzeihen, was ich falsch gemacht habe. Und ein bisschen mehr Geld wäre auch gut, damit ich ohne Sorgen leben kann.