Hochbegabung und Wutausbrüche: So geht es Michaelas Sohn zwei Jahre später

Hochbegabung

Ihr Lieben, vor zwei Jahren berichtete uns Michaela von ihrem Sohn Lukas mit Hochbegabung und heftigen Wutanfällen. Oft richtete sich die Wut gegen seine Schwester, die Situation belastete die ganze Familie stark. Wir haben mal nachgehört, wie es der Familie heute geht.

Liebe Michaela, bei unserem letzten Interview vor zwei Jahren hatte dein damals 5-jähriger Sohn immer wieder heftige Wutanfälle. Wie sieht es heute damit aus?

In den letzten zwei Jahren haben wir weiter an der Verarbeitung seiner Emotionen gearbeitet. Er war bei der Kunsttherapie, die leider nicht intensiv genug war. Nach einer Pause haben wir uns für eine Psychologin entschieden, die Verhaltens- und Tiefenpsychologie anwendet. Hier sind wir gerade in den Anfängen.

Er hat selbst ganz klar ausgedrückt, dass es für ihn wahnsinnig anstrengend ist, seine Wutausbrüche zu kontrollieren. Genau so anstrengend ist es aber auch, diese herauszulassen. Er sagte zu mir, er hätte keine Kraft mehr dafür. Er ist ja nicht immer wütend. Er kann ein super liebes, interessiertes, neugieriges und verschmustes Kind sein und dann kommt aus dem Nichts ein starker Wutausbruch. Unterdessen dauern diese Ausbrüche leider auch länger an. Früher war das meist nach 10 Minuten vorbei. Nun kann es sich auch schon mal eine Stunde hinziehen. Danach tut es ihm wahnsinnig leid. Manchmal ist es so, als hätte er zwei Gesichter.  

Nun ist er in der Schule. Wie geht es ihm dort?

Was die Schule angeht, spüren wir ganz klar, dass es ihm auf jeden Fall gut tut, sein Gehirn mehr anzustrengen. Allerdings langweilt er sich auch. Er kommt jetzt in die dritte Klasse. Während in der Schule bis 100 gerechnet wird, rechnet er daheim sämtliche Rechenarten ohne Obergrenze und alles, was er einmal gehört, gesehen oder gelesen hat, kann er sich merken.

Im Fach Deutsch hat er allerdings Probleme und er kann auch nicht gut Ordnung halten. Beides wird permanent bemängelt. Wir hatten schon mal überlegt, ihn eine Klasse überspringen zu lassen, aber das geht eben wegen Deutsch nicht.

Es gab auch immer wieder heftigen Zoff zwischen den Geschwistern. Wie ist hier die Lage?

Die Streitereien mit seiner Schwester sind nach wie vor präsent. Die neue Psychologin hat sehr schnell die Geschwisterrivalität gesehen und wir arbeiten sehr stark an diesem Thema. Eigentlich könnte es wunderbar zwischen den beiden laufen. Meine Tochter ist jetzt 12 Jahre alt und sie liebt kleinere Kinder. Und mein Sohn mag gerne ältere Kinder, weil die Kinder in seinem Alter noch kindlichere Interessen haben. Es wäre also eigentlich perfekt. Ist es aber eben nicht…

Damals hattet ihr relativ frisch die Diagnose Hochbegabung. Wie fördert ihr ihn nun?

Tja, was das Thema Förderung angeht, sind wir leider keinen Schritt weiter. Er wollte mal Schach anfangen, war zweimal dort und sagte dann, es sei ihm zu viel Theorie, da wolle er nicht mehr hin. Nun hab ich mir selbst Schach beigebracht und spiele regelmäßig mit ihm.

Er geht zum Taekwondo, um sich etwas auszupowern und Disziplin zu erlernen. Er war eine Zeit lang bei den Pfadfindern, hatte aber nach einem halben Jahr keine Lust mehr darauf. Wir leben hier sehr ländlich und haben leider nicht viele Möglichkeiten. In zwei Jahren, wenn seine Grundschulzeit vorbei ist, möchten wir nach Berlin ziehen. Ich denke, dort werden wir für ihn mehr Möglichkeiten haben, egal ob schulisch oder in der Freizeit!   

Was ist heute allgemein besser als vor zwei Jahren?

Besser ist, dass wir insgesamt mehr Struktur in unserem Alltag haben und wir unserem Sohn schon etwas mehr Selbständigkeit zutrauen können. Ich habe meine Arbeitsstunden von 25 auf 30 Stunden erhöht und er ist jeden Tag nach der Schule circa eine Stunde allein, in der Zeit macht er „Pause“.

Besser ist auch, dass wir gelernt haben, mehr auf unsere und seine Bedürfnisse zu hören. Wir gönnen uns Pausen, wenn wir diese brauchen und setzen uns nicht unter Druck. So konnten wir das Thema Streit wegen Hausaufgaben aus unserem Alltag verbannen. Wir hatten deswegen monatelang heftigen Streit miteinander. Wenn ich wir sage, meine ich meinen Sohn und mich.

Wir haben uns am Nachmittag immer drei bis vier Stunden lang gestritten, bis er abends um 18/19 Uhr endlich seine Hausaufgaben erledigt hat und dann sogar relativ schnell. Er meinte dann irgendwann: „Mama, ich brauche diese lange Pause, ich kann am Nachmittag keine Hausaufgaben machen, am Abend kann ich mich viel besser konzentrieren und da macht es mir auch Spaß!“

Also wozu weiter streiten, nur „weil man seine Hausaufgaben nun mal am Nachmittag macht, weil man sich besser konzentrieren kann!“ Nur weil diese allgemeine Haltung sich stabil aufrechterhält, hab ich uns und vor allem ihn unter Druck gesetzt, das unbedingt so zu schaffen! Wir haben es dann ausprobiert, nach seinen Bedürfnissen, die Hausaufgaben auf den Abend zu verschieben. Seitdem mussten wir fast gar nicht mehr deswegen streiten! 

Und gibt es auch etwas, was schlechter ist?

Schlechter geworden ist nichts. Insgesamt ist alles besser geworden oder gleich geblieben. Das ist auch ein schöner Gedanke!

Wie geht es dir mit diesen ganzen Herausforderungen?

Für mich waren die letzten zwei Jahre nicht einfach! Durch eine Mischung aus privaten Ereignissen und einem falschen Berufswechsel bin ich an einem Burnout erkrankt und war im Frühjahr 2023 für fünf Wochen auf Reha und hatte dort auch beide Kinder dabei, weil wir es nicht anders lösen konnten. Diese Reha hat mir seeeeehr geholfen, dort habe ich gelernt, auf mein Innerstes und meine Bedürfnisse zu hören und den Druck aus sämtlichen Situationen herauszunehmen.

Die Auswirkungen des Burnouts habe ich ausschließlich im privaten Bereich gespürt. Ich konnte nicht mehr tief schlafen, hatte einen viel zu hohen Ruhepuls, Bauchschmerzen, Durchfälle, aber was für mich am schlimmsten war: die Kraftlosigkeit, Antriebslosigkeit und permanente Verzweiflung. Wenn sich die Kinder gestritten haben (und das taten sie täglich), habe ich nur noch geweint und konnte es nicht mehr zurückhalten. Ich konnte die Erziehung und den Alltag nicht mehr bewältigen. Darum hatte ich mich dann für die Reha entschieden, zum Glück. 

Wie wirkt sich das alles auf eure Partnerschaft aus? 

Unsere Partnerschaft würde ich dadurch als noch fester beschreiben. Aber das kann ich auch erst jetzt, einige Monate nach der Reha, behaupten. Mein Mann hat oft das Gefühl, mich beschützen zu müssen und versucht, Streitsituation abrupt zu beenden, in dem er selbst sehr laut wird. Das bewirkt natürlich exakt das Gegenteil und meistens hat das dann für Gefühlsausbrüche auf allen Seiten gesorgt! 

Unterdessen versuchen wir uns gegenseitig in solchen Situationen wieder runterzuholen. Meist hilft es, dass ich ein sehr geduldiger Mensch bin und mein Mann hat auch irgendwann angefangen, mir genauer zuzuhören und versucht zu verstehen, was in den Kinderköpfen vorgeht! Besonders nach der Reha hat er gefragt, ob ich Tipps für ihn habe, wie auch er sich in den Situationen verhalten sollte. Jetzt funktionieren wir wirklich sehr gut als Team.

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9 comments

  1. Hallo Michaela, ich habe deinen Text gerade gefunden, weil ich gerade mit meinem Sohn (7), hochbegabt, 3. Klasse, weil eine übersprungen…nicht mehr weiter weiß. Es hilft, zu lesen, dass es anderen manchmal ähnlich geht. Ich werde mit den Wutanfällen nichtmehr fertig, er wird (nur zuhause) aggressiv und ist nicht zu bändigen. Er versucht immer öfter, die Schule zu verweigern, indem er sich morgens weigert, sich anzuziehen. Erst heute habe ich ihn quasi mit Gewalt in die Kleidung gestopft..danach waren wir alle fertig und er ist, als wäre nicht passiert zur Schule gegangen. ähnlich war er kurz vor dem Überspringen und wurde dann ruhiger. Liest hier jemand mit älteren HB Kindern mit, die ähnlich waren und sich jetzt „normaler“ verhalten? Ändert sich das irgendwann? Viele Grüße

  2. Als Idee für mehr „Förderung“ seiner Talente, könntet ihr euch vielleicht nach einem Nachhilfelehrer umsehen, der aber dann eben keine Nachhilfe gibt sondern mit eurem Sohn Aufgaben von höherem Niveau rechnen könnte. Oder ihm spielerische Möglichkeiten zeigt seine Mathematische Begabung einzusetzen. Wahrscheinlich habt ihr das ja in der Schule schon besprochen, aber könnte er denn nicht ohne eine Klasse zu überspringen dort Aufgaben der höheren Klasse bekommen, in den Bereichen die ihm liegen?

  3. Hallo,
    ich habe mich noch nie in einem Artikel so wiedergefunden wie in diesem. Mein Sohn ist 5 Jahre alt und ein toller Junge. Seine heftigen Wutausbrüche machen uns allerdings ratlos. Es belastet ihn und uns und gleichzeitig wird von uns verlangt, das „in den Griff“ zu bekommen. Wir haben ihn auf Hochbegabung testen lassen und gehen zu einer Psychologin. Nichts scheint zu helfen und mein Sohn fühlt sich zunehmend schlechter. Es tut mir in der Seele weh, ihn so leiden zu sehen und weiß gar nicht, wie das nächstes Jahr in der Schule werden soll.
    Ich würde mich riesig über Austausch freuen mit Eltern, denen es genauso geht. Vielleicht können wir uns gegenseitig Tipps geben, denn ich habe das Gefühl, wir sind momentan auf dem Holzweg.
    Ich weiß nicht, wie man hier Kontakt zueinander aufnehmen kann, vielleicht kann mir jemand helfen? Das würde mich sehr freuen!

  4. Habt ihr mit eurem Kinderpsychologen schon Mal über die Möglichkeit von ADHS gesprochen? Ich beschäftige mich viel aus eigener Betroffenheit damit und bei einer Hochbegabung wird das ganze oft nicht erkannt. Aber in einigen Dingen die du beschreibst sehe ich mich selbst wieder!

    1. Liebe Anonym, das habe ich auch gedacht. Bei meinem Sohn habe ich ein ähnliches Profil und der Psychologe sagt ADHS. Gleichzeitig hadere ich etwas mit der Diagnose, weil viele typische Merkmale von ADHS gar nicht auf ihn zutreffen. Es ist zwar schön, aber auch herausfordernd mit unseren besonderen Kindern.

  5. Hallo,
    Ich musste gerade echt schlucken, da es sich genauso bei uns abspielt. Meine Tochter ist 5 und hat diese extremen Wutausbrüche. Der Arzt meinte sie wäre hochsensibel, aber diese Diagnose entstand nur durch das Gespräch, er hat uns Leistungssport empfohlen und keine Medien. Das hat auch geholfen die Wutausbrüche zu reduzieren, jedoch sind sie immer noch da. Das ältere Kind leidet ebenfalls darunter. Wenn du an Austausch interessiert bist, würde ich mich freuen.

  6. Meldet euren Sohn doch bei Mensa an, die haben auch Gruppe für Kinder von 6 bis 19 Jahren und die gibt es eigentlich in jeder Stadt. Dann wäre er unter Gleichgesinnten. Ich kenne es nur von meinem Mann für Erwachsene, da gibt es Stammtische, Jahrestreffen, etc. Für Kinder haben die bestimmt auch schöne Ideen. ☺️

    1. Hallo Michaela,
      mich hat eure Geschichte beim Lesen gerade sehr berührt. Mit Tipps ist das ja immer so eine Sache, weil man sich selbst ja meist schon intensiv mit den eigenen Themen beschäftigt.
      Ich würde gerne zwei Tipps mit auf den Weg geben, auch, weil das Thema ADHS aufgekommen ist. Zum Einen würde ich mit Wissensstand heute auch immer auf der Körperlichen Ebene schauen. Seit kurzem bin ich bei einem homöopathischen Arzt, der bei mir auf KPU, Kryptopyrroloruie) wird auch oft HPU abgekürzt) getestet hat. Er sagt, Menschen mit Stresssymptomatik, Hochsensibilität, ADS/ADHS sollten sich unbedingt dahin gehend testen lassen. Es ist eine Stoffwechselstörung, die die Aufnahme von Vitaminen, Mineralstoffen etc. im Darm verhindert und dadurch eine Vielzahl von Störungen im Körper hervorrufen kann (falls es von Interesse ist, bitte selbst recherchieren, das Feld ist weit und wird von der Schulmedizin kritisch gesehen) . Wird diese Stoffwechselstörung nachgewiesen, kann man darauf abgestimmte Nahrungsergänzungsmittel geben, die den Körper dann unterstützen können.
      Ein weiterer Tipp wäre die Stärkung/Regulation des Nervensystems durch somatische Übungen. Da kann ich Katie Bohnet, Psychologin aus Berlin sehr empfehlen, die die „SOS Übungen“ er- bzw. ge-funden hat. Auf der Seite Helpers Circle gibt es Informationen, Materialien, Workshops dazu, für Kinder und Erwachsene.
      Alles Gute für Euch,
      liebe Grüße,
      Claudia

  7. Hallo Michaela,
    dein Bericht hätte auch aus unserer Familie geschrieben sein können. Unser Sohn ist ebenfalls hochbegabt und verhält sich immer wieder provozierend. Vielleicht hast du ja Interesse an einem Austausch. Lisa und Katharina dürfen gerne meine Mailadresse an dich weitergeben.

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