So waren für meinen hochbegabten Sohn die ersten Schuljahre – Gastbeitrag von Ariane

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Mein Sohn Louis ist 9 Jahre alt und hat einen IQ von 135. Bereits direkt nach seiner Geburt hatte ich einen spannenden Moment mit ihm. Denn es schaute mich kein ängstliches kleines wimmerndes Etwas an. Es sahen mich zwei riesige Augen an ,die ernsthaft und direkt meinen Blick suchten und irgendwie sehr aufmerksam waren in den ersten beiden Minuten seines Lebens. Aufmerksamer als ich dachte, dass Babys in so einem Moment wären.
 
Später zeigte sich, dass Louis unglaublich leicht zu beschäftigen war, er benutze seine Augen und seine Hände schnell, fühlte, tatste, griff. Er puzzelte bereits, als die anderen Kinder krabbeln lernten. Er übersprang die 2-Wort-Sätze, jedes Wort blieb sofort haften und schon bald führte er endlose Gespräche mit sich und uns. Manchmal waren wir wirklich beeindruckt, manchmal mussten wir auch lachen, denn es war lustig, wie dieser kleine Mann mit Wörtern um sich schmiss, die eigentlich in die Ausdrucksweise von Erwachsenen gehörten. Bis heute sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus. 
 
Mit den Jahren wurde es anstrengender. Er versuchte andere Kindern ebenfalls in lange Gespräche verwickeln, und da das oft nicht gelang, wurde er ungeduldig und ungehalten. Da er motorisch langsamer und auch nicht so körperlich/ruppig war wie die anderen Jungs, enwickelte er andere Formen der Wehrhaftigkeit. Und zwar die, die wenig Kraft benötigten, aber trotzdem effektiv sind: Kneifen und Beißen. Zeitgleich entwickelte er sich immer mehr zu einem "Leader" und zu einem sogenannten. "auffälligen Kind". Er war über die Maßen zufrieden mit sich und der Welt, wenn er etwas entdeckte und es erforschen konnte. Spiele als Teammitglied waren ihm aber nicht wichtig – wenn er das Interesse an anderen Kindern verlor, stand er auch mal mitten im Spiel auf, nahm sich ein Buch und versank in dessen Seiten. 
 
Die KiTa-Zeit wie auch die ersten Jahre der Schulzeit waren unglaublich anstrengend. Beide Einrichtungen waren voller Geduld, Verständnis, aber überhaupt nicht eingerichtet auf ein Kind mit diesem Vorlauf. In der ersten Klasse wurden ihm die gleichen Aufgaben gegeben wie allen anderen Kindern auch – obwohl er seinem Wissenstand 2 Jahre voraus war. Aufgrund seiner sozialen Entwicklung lehnten wir es aber ab, dass er eine Klasse überspringt und anfänglich fügte er sich.
 
Als er aber merkte, dass er nicht mehr lernen konnte, verlor er den Respekt. Er stand einfach auf und ging aus dem Klassenraum, wenn der Unterricht für ihn sinnbefreit erschien (und leider auch war). Er wandelte sich zum Klassenclown, provozierte und versuchte alles, um der großen Langeweile zu entgehen. Die anderen Schüler stuften ihn als Sonderling ein, weil er auf der einen Seite immer alles konnte und wusste, auf der anderen Seite aber der Sonderling, der Einzelgänger war. Sein Humor hat ihm über vieles hinweggeholfen und seine direkte und extrovertierte Art brachte ihm zum Glück Kontakte und Freundschaften ein, aber er war lange Jahre viel zu sachlich und wenig gefühlvoll im Umgang mit anderen. Es wurde schwerer und komplizierter, immer auf das Verständnis der anderen zu hoffen.
 
Heute ist er mit der Grundschulzeit durch, wir haben ihn auf Anraten der Schule doch ein Jahr überspringen lassen, und es hat eindeutig geholfen. Er orientiert sich an den Älteren, führt die Gespräche, nach denener lange suchte, darf den gleichen Stoff machen wie alle, auch wenn er damit noch immer nicht wirklich gefordert ist – aber es macht ihn nicht mehr zum Sonderling.
Er macht ein wöchentliches Sozialkompetenztraining, um Umgangsregeln zu erlernen wie andere die Vokabeln. Interessanterweise ist der dadurch kuscheliger geworden, woran das auch immer liegen mag. Und er ist älter und versteht mittlerweile, dass alles was man tut auch Langzeitfolgen mit sich bringt. 
 
In den letzten Jahren habe ich mir immer geschworen, dass es mir egal sein wird, ob andere Mütter oder die Lehrer seiner Schule oder sonst irgendwer mich für eine eingebildete Übermutter halten, weil ihr Kind hochbegabt ist. Wir haben vermutlich mit den Lehrern im großen und ganzen Glück gehabt, sie haben vieles versucht, auch wenn es zunächst ihre normalen Ideen und Pläne umgeworfen hat.
Wie oft habe ich anderen Eltern erklären müssen, warum Louis so ungerecht ihrem Kind gegenüber war, wenn er wieder einfach nach sachlichem Verstand und nicht nach Gefühl gehandelt hat, oder so lange gehänselt wurde bis er zugebissen hat, oder mit Ausdrücken um sich warf, die man einem Teenager in der Pubertät zutraut aber keinem Drittklässler.
Ich habe mich entgegen der Meinung von Louis` Vater gegen ein Versteckspiel entschieden und allen Involvierten und auch Louis sehr früh erklärt, warum er anders tickt als die anderen. Ich wollte nämlich nie, dass er sich schämt für etwas, dass eigentlich ein Geschenk der Natur ist: eine Begabung.
Ich wollte nicht, dass er denkt, er wäre falsch oder ungenügend. Hochbegabte Kinder sollten genauso gefördert werden wie alle anderen – das Recht ist im Schulgesetz verankert, nur leider ist das Theorie und noch nicht die Praxis.
Hochbegabung ist keine schlechte Eigenschaft oder eine Vorstrafe – es geht hier um die Entwicklung eines Kindes, eine Gabe mit Nebenwirkungen, die wir uns nicht ausgesucht haben.
 
Nun geht Louis aufs Gymnasium. Ich wünsche ihm und uns,  dass er sich weiter entwickeln darf. Mein Kind ist hochbegabt und wundervoll und stark und wir sind sehr stolz auf ihn. Für die Leistung seines Kopfes kann er wenig, das hat ihm die Natur so mit auf den Weg gegeben. Aber dafür, dass er ein fabelhafter Junge mit einem großartigen Humor ist, dass er gelernt hat, sich durchzubeißen trotz aller Widerstände – DARAUF sind wir verdammt stolz.
Und allen Müttern mit Kindern wie Louis kann ich nur raten : seid Löwenmütter! Brüllt laut, auch wenn Euch zunächst keiner zuhört ! Steht an der Seite eurer Kinder und kämpft. Es lohnt sich.
 
—-Mehr zum Thema: Hochbegabung – Fluch oder Segen?
 
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1 comment

  1. Es tut so gut das zu lesen!
    Liebe Ariane,

    es tut so gut das zu lesen, weil es so wichtig ist, dass dieses Thema mehr diskutiert wird. Wie oft „schämt“ man sich fast und möchte bei anderen Eltern nicht mit dem Thema herausrücken, weil man glaubt das man dann in diese Ecke gesteckt wird alla: Sie glaubt wohl ihre Kinder sind was Besseres.

    Nein das glaube ich nicht. Ich glaube nur, dass auch von hochbegabten Kinder die Sorgen und Nöte richtig wahr genommen werden sollten. Denn sehr oft verstecken sie diese einfach gut. Sie murmeln sich ein. Aber auch wenn gerade Hochbegabte soziale Kontaktprobleme haben, so heißt das nicht, dass sie weniger Freunde und Zuspruch brauchen. Ganz im Gegenteil.

    Ich selbst gehe immer offener mit dem Thema um und habe auch selbst dies Jahr darüber auf meinen Blog geschrieben (http://lilleluett.de/2017/07/hochbegabt-das-macht-doch-gluecklich-inkl-gewinnspiel-sponsored-post.html). Das tat mir unglaublich gut und hat auch irgendwie die Spannung aus dem ganzen Thema etwas heraus genommen. Und zur Zeit läuft hier alles Besser. Wobei ich zugeben muss, als ich vorgestern beim Elternabend mich vorstellen sollte und kurz was zu meiner Tochter erzählte (ob z.b. Vorschulkind), da war ich schon etwas nachdenklich, als ich sagte: Meine Tochter ist 4 und geht nächstes Jahr zur Schule.

    Ich habe wirklich komische Blicke links und rechts vermutet, muss aber sagen, dass entweder das alle gut verbergen konnten oder sie es inzwischen von mir gewöhnt sind *lach*. Ich habe 3 Kinder die hochbegabt sind, wobei nur eines getestet wurde. Und auch nur deswegen, weil wir uns zu 100% sicher sein wollten, ob er einen Sprung Leistungsmässig schaffen kann. Das Ergebniss war nicht nur wie vermutet, sondern übertraf sogar meine vorhergehenden Vorstellungen. Die Werte waren nicht nur im hochbegabten, sondern im höchstbegabten Bereich (und das nicht nur in einer Säule des Testes, sondern in Mehreren). Und wenn er davon nicht viel in der Schule zeigt. Mein Kind ist leider kein 1er Kandidat und das macht es manchmal umso schwerer, wenn man um Nachsicht oder neue Lösungswege bittet.

    Meine anderen Beiden lasse ich nicht testen. Aber sie gehen als Kann Kinder zur Schule. Meine Nachzüglerin sogar als sehr frühes Kann Kind. Für mein Springerkind wäre eine frühzeitige Einschulung aber nie in Frage gekommen. Da war er einfach von der sozialen Seite nicht weit genug. Und so ist wirklich jedes Kind anders.

    Danke für diesen wunderbaren Beitrag =). Es tat einfach nur gut ihn zu lesen.

    Liebe Grüße
    Christiane