Lasst uns die Trauer aushalten. Rebekka über den Umgang mit Fehlgeburten

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Ihr Lieben, unsere Leserin Rebekka hat zwei Fehlgeburten hinter sich. Heute erzählt sie uns davon, was ihr in diesen Situationen geholfen hätte – dafür sind wir sehr dankbar, denn oft sagt man aus Verlegenheit seltsame Sachen, die den betroffenen Frauen wehtun. Dieser Beitrag ist also extrem wichtig, ganz gleich ob man selbst schon eine Fehlgeburt erlitten hat oder nicht. Danke für deine Zeilen, liebe Rebekka.

„12 bis über 25 Prozent der schwangeren Frauen erleiden eine Fehlgeburt. Je nach Alter und Vorerkrankungen der Frauen variiert diese Zahl, aber sie ist überraschend hoch.

Ich habe mich immer gefragt, warum man von diesen Frauen nichts erfährt. Und auch warum die Frauen selbst so selten über ihre Fehlgeburten sprechen. Warum sprechen wir nicht generell mehr über Fehlgeburten? Warum sprechen werdende Eltern so selten über den Verlust eines ungeborenen Kindes? Das habe ich mich gefragt – bis ich selbst zwei Fehlgeburten erlitten habe. 

Die Fehlgeburten waren schlimm. Für mich als werdende Mutter, für mich als Frau, für uns als werdende Eltern. Ich hätte gern über meine Fehlgeburten mir meinen Freunden und meiner Familie gesprochen. Nach der ersten Fehlgeburt habe ich das auch gemacht, die Reaktionen darauf waren sehr unterschiedlich:

„Na ja, es war ja noch ganz am Anfang, war ja noch kein richtiges Baby.“

„Oh, ich hatte ja nie eine Fehlgeburt. Bei unseren drei Kindern wurde ich jedes Mal sofort schwanger und die Schwangerschaften waren total komplikationslos.“

„Wer weiß, wofür es gut war.“

„Besser als wenn das Kind behindert zur Welt gekommen wäre.“

„Das kenne ich, ich hatte drei Fehlgeburten. Danach haben mein Mann und ich den Kinderwunsch an den Nagel gehängt.“

„Vielleicht war auch die Fehlgeburt ein Geschenk.“ 

Für betroffene Frauen sind diese Phrasen erniedrigend. Ich habe mich nie ernst genommen gefühlt, nie verstanden oder angenommen in meiner Trauer. Dabei wollte mich keiner aus meiner Familie und von meinen Freunden verletzen. Das weiß ich. Sie haben mich gern, wollen nur Gutes für mich. Und doch hat es mich verletzt.

Was können wir also antworten, wenn uns jemand von dem Verlust eines ungeborenen Kindes erzählt? 

Es scheint als hätte Trauer keinen Platz in unserer Gesellschaft, zumindest nicht im offenen Austausch. Wenn getrauert wird, dann lieber im Verborgenen. Beim Therapeuten, auf dem Friedhof, in den eigenen vier Wänden. Möglichst mit sich allein. Wir halten es kaum aus, wenn jemand, der uns nahesteht, traurig ist. Wir wollen die Trauer, den Verlust klein reden, weg reden, schön reden. 

Was wäre, wenn wir Trauer einfach anerkennen könnten? „Du hattest eine Fehlgeburt. Das ist traurig. Dein Verlust tut mir sehr leid.“ Danach können wir einfach still sein. Wir müssen nichts gut machen in diesem Moment. Wir können lernen auszuhalten, dass gerade Traurigkeit da ist. Und wenn wir still sind bleibt Platz. Für ein Gefühl von Traurigkeit, aber vielleicht auch für ein Gefühl von Verbundenheit.

Wenn wir still sind, ist auch der Platz zum Zuhören da, wir können warten, bis der andere etwas sagt. „Ja, ich bin traurig wegen der Fehlgeburt und gerade auch etwas hoffnungslos.“

Wenn uns danach ist, können wir uns in den Arm nehmen. Ohne Worte. Das kann für uns beide tröstlich sein. Und wenn wir es ehrlich meinen, und nur dann, können wir auch sagen: „Mist. Kann ich etwas für dich tun?“ Wenn wir die Trauer des anderen anerkennen und zulassen, dass diese jetzt da ist, dann kann sie weniger werden. Trauer wird nicht weniger, indem sie klein geredet wird. Trauer wird weniger, in dem wir sie anerkennen.“

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6 comments

  1. Liebe Rebekka,

    ich danke dir so sehr für deinen Beitrag! Vor einer gefühlten Ewigkeit war ich selber zwei Mal in der Situation, die von dir zitierten oder ähnliche Phrasen zu dreschen. Nach der Fehlgeburt einer Freundin habe ich beispielsweise gesagt, dass sie doch lieber dankbar dafür sein soll, dass sie schon ein gesundes Kind hat.
    Ich war damals Langzeit-Single und irgendwie neidisch auf all die, die schon Kinder zur Welt gebracht hatten, habe ich mir doch nichts mehr als eine Familie gewünscht.
    Heute schäme ich mich abgrundtief für diesen Satz und ich habe mich auch von Herzen bei meiner Freundin entschuldigt…

    Nachdem ich nämlich unsere erste Tochter zur Welt gebracht habe und wir uns ein zweites Kind wünschten, wurde ich zunächst einfach nicht schwanger und dann, als es doch irgendwann soweit war, habe ich das Kind verloren…dieses Gefühl, das ich danach empfunden habe, wünsche ich niemandem und ich habe mich so geschämt, meiner Freundin so etwas gesagt zu haben. Inzwischen bin ich wieder Mama geworden, und ich bin absolut dankbar für unser zweites Wunder… Aber ich wünsche allen so sehr, dass sie angemessen trauern können und auf verständnisvolle, sensible Menschen treffen… Und ich habe gerade das Gefühl, mich (auch) beim Universum entschuldigen zu wollen…

  2. Die richtigen Worte gibt es nicht. Wir hatten vor einem halben Jahr eine sehr frühe Fehlgeburt, was sehr schlimm für meinen Mann und mich war. Wir haben es zu dem Zeitpunkt schon über 2 Jahre versucht und waren endlich buchstäblich „guter Hoffnung“. Man verzweifelt daran, dass es einfach nicht klappen will und man keinen Grund dafür hat. Seit dem hat es leider trotz verschiedener Arten von künstlicher Befruchtung nicht mehr geklappt. Es bleibt jeden Monat die Enttäuschung wenn sich die Periode ankündigt und man sich immer fragt, ob es jemals wieder klappen wird. Die enge Familie und ein paar einzelne Frrunde sind eingeweiht, aber deren Mitleid jedes Mal zu sehen macht alles nur noch schlimmer. Wenn man darüber spricht, macht man sich dabei sehr verletzlich. Ich fühle mich jedes mal, als würde ich gleich wieder weinen. Der schlimmste Kommentar war von einer „Freundin“: „Vielleicht soll es einfach nicht sein“. Das ist wirklich das letzte was man von seinem Gegenüber hören will. Das schwierigste finde ich, dass man sich schon Gedanken über die Trauer macht und sich quasi schämt. Man redet es schon selber klein, weil es ja noch so früh war- wahrscheinlich als Selbstschutz und weil man im Alltag funktionieren muss. Werde ich morgen bei der Arbeit wieder verquollen aussehen? Was denken die Kollegen dann? Wie gratuliere ich der Freundin zum Baby, wenn mir grad nach allem anderen ist, außer DANACH? Und was schenke ich ihr, wenn ich den Anblick von Babyspielzeug nicht ertragen kann?

    1. Ina
      Danke für die berührende Wortmeldung. Trauer ist in unserer Gesellschaft ein totgeschwiegenes tabuisiertes Thema, schnell weitermachen ist die Devise.
      Und was die letzten Punkte Ihres Beitrages betrifft. Ehrlichkeit ist am Besten, schenken Sie nichts Bestimmtes sondern einen Gutschein, gratulieren Sie nur kurz ( wenn es im Gespräch ist) bei guten Freunden kann man dann offen sagen das man sich zweigeteilt fühlt und das gerade nicht kann. Oder auch, bei nahen Menschen, vielleicht besser schriftlich formulieren eine ausführliche Karte schreiben die es erklärt, soweit für Dich in Ordnung. Dasselbe gilt für nach der Entbindung bitte nach der Freude für die Anderen, offen sagen wenn der persönliche Besuch für Dich noch nicht machbar ist. Und gute Freunde sollten auch verstehen wie wichtig Erinnerung ist und ich finde es auch legitim, NACH bzw NEBEN der Freude auch offen erwähnen zu dürfen wie Du Dich in deiner Schwangerschaft gefühlt hast oder welche Vorstellungen, Wünsche Du hattest ( auch wenn die Schwangerschaft nicht wie „üblich“ ) endete. Wenn Mütter sich unterhalten, besonders frischgebackene, geht es doch immer darum was macht das Kind, wie war deine Geburt, Hebamme, welche Kurse… Ich finde immer schade, daß Fehlgeburt, Stille Geburt, Kindstod… nicht gleichberechtigt sind. Warum darf das hinterher kein Thema sein? Die Frauen ( Väter) haben genauso gefühlt wie alle Anderen unabhängig davon wie die Schwangerschaft “ ausgegangen “ ist. ( Ich weiß nicht ob ich das jetzt richtig rüber bringen konnte? )

  3. Hallo, ja das habe ich auch schon erlebt, dass das Thema Trauer das Gegenüber stumm oder hilflose, unpassende Sätze sagen lässt. Ich glaube fast, das ist die Angst beim Trauernden Wunden aufzureißen, ihn erneut zum Weinen zu bringen… Ich habe meine Mutti letzten Herbst ganz überraschend verloren, ich beobachte oft, dass das Erzählen davon bei meinem Gegenüber Ängste auslöst. Ich bin Anfang 40, meine Mutti war aktiv Oma bei unseren Kindern, viele Familien sind auf aktive Großeltern angewiesen und werden mit meiner Geschichte dann mit großen Alltagsängsten konfrontiert, denn machen wir uns nichts vor, so ein Verlust bringt das komplette familiäre Gleichgewicht ins Wanken. Mal abgesehen davon, Ähnlich wird das mit Fehlgeburten sein, ab einer bestimmten Phase steht die Familienplanung an und eine Fehlgeburt führt ja jedem vor Augen, dass es eben nicht planbar ist. Ich denke in den unsensiblen Sätzen spielt auch das Hoffen und die Angst mit, dass man selber nicht betroffen ist.

  4. „Ihr seid ja noch jung, beim nächsten Mal wird es klappen“… Als ob man einen Kuchen gebacken hätte, der misslungen wäre.

    Es ist eine individuelle Sache, es kommt darauf an, wie die Frau selbst all dieses Geschehen und eventuellen Kummer verarbeiten kann. So habe ich eine Freundin, die mental alles gut überstanden hat und positiv an die nächste Schwangerschaft rangegangen ist, die frühe Fehlgeburt als natürlich angesehen hat und objektiv bei diesem Thema bleibt. Eine Kollegin meiner Schwägerin, die ich auch kenne, hat mehrere hinter sich und die Trauer sitzt tief, weil sie und ihr Partner nur schwer Kinder zeugen können und alles Mögliche versuchen. Bei ihr ist die Trauer und der Verlust existenziell, da ihr Kinderwunsch enorm ist und eine Adoption für ihren Mann überhaupt nicht infrage kommt. Hier warme Worte zu finden, ist wichtig. Dumme Sprüche, gefühlloses Abtun der Ereignisse ist fehl am Platz. Unsere Gesellschaft ist bezüglich Trauer und Verlust, Umgang mit dem Tod, sehr abgekühlt. Alle müssen funktionieren, das geht an die Substanz.

  5. Jein, Trauer ist oft etwas wobei Menschen unsicher sind und nicht die richtigen Worte finden ( die es nicht gibt). Das ist die fehlende Auseinandersetzung mit dem Sterben und Tod, je moderner die Gesellschaft ist und umso fortgeschrittener die Medzin. Und es fehlt der Einfluss der Kirche bei diesem Thema der vor Jahrhunderten stärker war, Sterben, Tod waren da ganz alltägliche selbstverständliche Themen.
    Natürlich möchte man Beistand von nahen Menschen aber die reagieren oft aus Unsicherheit „falsch“, auch wenn es sich nicht so anfühlt die Bemerkungen sind meist tröstlich gemeint nicht grob ( z.Bsp ich/ andere haben das auch erlebt; das Leben geht weiter im positiven wichtigen Sinne). Gibt natürlich auch sehr unklug Bemerkungen. Und auch ich selbst hätte in der Situation nichts von dem gesagt was Du dir vorstellst, sondern halte es mit der Wahrheit ( es gibt keine Worte die Dir helfen können oder die Trauer kleiner machen. Ich kann nur dasein und zuhören.). Aber generell ist es wichtig, daß eine Fehlgeburt einem “ normalen“ Trauerfall gleichgestellt sein sollte.
    Und nicht alle Menschen sind/ reagieren gleich auf/ nach eine/r Fehlgeburt das ist sehr individuell, wie du ja dann selbst erfahren musstest. Nicht jede will/ kann darüber reden alles braucht seine Zeit und sein eigenes Tempo.

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