Rosa-Hellblau-Falle: Darf man sich ein Mädchen oder einen Jungen wünschen?

rosa hellblau

Ihr Lieben, wir haben neulich bei uns im Blog eine Mutter interviewt, die gern ein drittes Kind hätte. Sie würde das Kind aber nur wollen, wenn sie wüsste, dass es ein Mädchen wird. Daraufhin meldete sich eine Leserin bei uns und schrieb: „Ein Interview mit kritischen Stimmen gegenüber übertriebenen Rollenklischees und deren Gefahren, zum Beispiel mit Almut Schnerring und Sascha Verlan von der „Rosa-Hellblau-Falle“, würde ich zur Vervollständigung der Debatte sehr begrüßen.“ Das fanden wir eine gute Idee.

Die Rosa-Hellblau-Falle Die Rosa-Hellblau-Falle ist ein Aufruf zum Widerstand. Sie widmet sich einer Kindheit ohne Rollenklischees. Denn im Alltag geraten wir immer wieder in die Genderfalle. Almut Schnerring und Sascha Verlan, die auch ganz wunderbar-wichtige Dinge in ihrem Blog besprechen, legen den Finger in die Wunde und fragen: Was soll diese zweigeteilte Welt? Sie haben auch ein Buch zum Thema geschrieben: Die Rosa-Hellblau-Falle – für eine Kindheit ohne Rollenklischees (Amazon-Partnerlink). Hier unser Interview.

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Was haltet ihr denn von dem Wunsch nach dem einen oder anderen Geschlecht in der Schwangerschaft?

Der ist einfach bei vielen Eltern da und zunächst spricht ja nichts gegen den Wunsch an sich, das kann man ja ohne Wertung erstmal wahrnehmen. Es lässt sich ja auch nichts daran ändern, beziehungsweise er verschwindet nicht, wenn man sich oder andere dafür abstraft. Die spannendere Frage ist ja mehr, wie damit umgegangen wird.

Was meint ihr, woher dieser Wunsch nach einem Mädchen oder Jungen kommt? Geht es da nur um Rollenbilder, um Klischees?

Das hängt sicher sehr vom Individuum ab und mag unterschiedliche Gründe haben, die in der eigenen Biografie liegen, mit eigenen Erfahrungen zusammenhängen. Manche meinen, sich mit einem Kind des eigenen Geschlechts besser identifizieren zu können, andere interessiert es genau deshalb nicht. Viele haben eine ganz bestimmte Vorstellung, wofür sich ein Mädchen beziehungsweise ein Junge wohl interessieren wird und hoffen auf Überschneidungen. Damit weisen sie aber dem biologischen Geschlecht einen derart hohen Stellenwert zu, den hat es gar nicht verdient, schon gleich gar nicht, wenn es um Interessen geht.

Welche Gefahren birgt denn eurer Meinung nach ein übertriebenes Rollenklischee?

Je enger die Vorstellungen von einem Kind aufgrund des Geschlechtes sind, umso schwieriger wird es für die Eltern und damit eben auch fürs Kind, sich davon zu lösen, wenn die Realität nicht mit dem Wunschbild übereinstimmt. Das Kind bringt natürlich eigene, individuelle Züge mit sich, aber ob es die ausleben darf, ob es sich gegen die Erwartungen der Erwachsenen entwickeln kann oder ob es ihm näher liegt, sich an das vorgegebene Bild anzupassen, das hängt vom Selbstbewusstsein des Kindes ab und von den Freiheiten, die ihm seine Umgebung lässt.

Meint ihr, so ein rosa oder hellblau gestrichenes Zimmer vor der Geburt soll bereits das Kind in eine Richtung lenken bzw. diesem kleinen Menschen, den man noch nicht kennt, in gewisser Weise schon mal einen Rahmen geben?

Ach, das ist bestimmt sehr lieb und gut gemeint, das ist ja klar, dass Eltern sich Mühe geben, wenn sie ein Kinderzimmer einrichten. Aber es wäre toll, wenn mehr Erwachsenen bewusst wäre, wie sehr sie mit dem biologischen Geschlecht nicht nur Farben, sondern auch Verhaltensweisen und Interessensgebiete verknüpfen. Und wie sehr das innerhalb eines streng binären Musters geschieht, das eben nur Blau oder Rosa, wild oder ruhig, Dinos oder Herzchen vorsieht. Und das, obwohl sich ja die meisten einig sind, wenn es um Erwachsene geht, dass durchaus alle Interessen und Verhaltensweisen bei allen Menschen auftreten – ganz unabhängig vom Geschlecht.

Unsere Leserin schrieb: „Ich wäre dafür, dass ein "Family-Balancing" erlaubt wird. Also dass man, wenn man bereits einen Jungen hat, ein Mädchen möglich machen kann – und umgekehrt. Man kann heute ja schon so viel beeinflussen, zB. durch die ganzen Gendefekt-Untersuchungen – da ist die Geschlechterwahl nicht mehr weit weg.“

Das halte ich für bedenklich. Schon der Begriff „Familiy-Balancing“ erinnert mich an einen Ernährungsplan, an Design und Kontrolle mehr als an das Zusammenleben von Menschen, das ja genau dann gut gelingt, wenn Wertschätzung und Anerkennung eben NICHT von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Religion abhängen. Und betrachten wir es einmal von der anderen Seite: sind Familien mit beispielsweise drei oder vier gleichgeschlechtlichen Kindern etwa unausgewogen, also defizitär?

Nun kennt man ja nicht bei allen die Vorgeschichte. Vielleicht hat der ein oder andere schlechte Erfahrungen in der Kindheit gemacht und will gerade deshalb lieber nicht, dass das Kind das eigene Geschlecht hat. Haltet ihr es dann für legitim?

Damit lässt sich der Wunsch vielleicht erklären, trotzdem muss ich ja nicht danach handeln. Und wenn diese Erfahrungen schwerwiegend sind, dann vermute ich, wird sich das Problem nicht mit einem Kind des einen Geschlechts einstellen und mit dem anderen auflösen. Das Kind ist weder in der Verantwortung noch in der Lage dieses Problem zu lösen, egal welches Geschlecht es hat. Eben weil Menschen viel komplexer sind und sich nicht derart binär in zwei Typen einordnen lassen.

Warum meint ihr, ist das Geschlecht ein so großes Thema? Warum können wir nicht zuallererst den Menschen in unserem Kind sehen?

Das fragen wir uns oft. Es leuchtet zwar ein, dass wir Kategorien brauchen, um Wahrnehmungen schnell zu ordnen, aber warum grade das Geschlecht einen derart hohen Stellenwert hat, dass wir es über Alter, Größe, Herkunft stellen, ist doch erstaunlich. Allerdings hat es eine jahrhundertealte Tradition, und die lässt sich nicht innerhalb einer Generation ablegen, schon gar nicht, weil ja Machtstrukturen und Hierarchien damit verbunden sind.

Nun glauben wir ja, dass der Wunsch nach dem ein oder anderen Geschlecht gar nicht so selten ist. Ich zum Beispiel habe immer gesagt: Die Reihenfolge ist mir egal, aber ich würde so so so gern beide Geschlechter beim Aufwachsen begleiten. Weil ich gespannt war, ob es Unterschiede gibt, weil ich neugierig war, weil ich gern Dinge in allen Facetten erlebe. Ich kenne wirklich einige, denen es so geht. Und da geht es nicht um den Rosa-Hellblau-Unterschied, um Kleidchen vs. Baggypants, um Dinos vs. Lillifee, um Seiltanz vs. Aufgeschürfte Knie. Sondern um die unterschiedlichen Menschen und Erfahrungen. Könnt ihr das nachvollziehen?

Ja.

Dann danken wir Euch für die spannenden Antworten!

 

Zum Weiterlesen:

Jungsmutter: "Ich wünschte ich hätte eine Tochter" – Gastbeitrag über ein verpöntes Gefühl

Verrücktes Frauenbild. Warum unsere Mädchen keinen Schutz, sondern Selbstbewusstsein brauchen

Was wird es denn? Das große Rätselraten um unser drittes Kind

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5 comments

  1. Seeeehr interessanter Artikel/Interview!!!
    Ich kann ganz ehrlich sagen dass ich mir auch immer ein Mädchen gewünscht habe, einfach weil es in meiner Vergangenheit liegt, dass ich zum weiblichen Geschlecht mehr Vertrauen habe. Irgendwann kurz nachdem ich von meiner Schwangerschaft erfahren habe, beschlich mich der Gedanke, bzw. das Gefühl, dass ich einen Jungen bekommen werde und nach und nach freundete ich damit an. Ich sagte mir, es sei egal! Denn das ist es auch. Jedes Kind ist wundervoll wenn man ihm die Chance gibt sich frei zu entfalten! Das Interview gibt mir nochmal Stoff zum Grübeln.. Über mein damaliges Denken, das eben genau in das der Rosa-Blau-Falle fällt. Wie festgefahren dieses Denken erstens in unserer Gesellschaft ist und auch vermehrt in meinem Bekanntenkreis, kaum eine Freundin möchte einen Jungen haben. Wie unglaublich schade das ist, doch was kann man dagegen tun dass der Wunsch nach dem gewünschten Geschlecht so ausgeprägt ist?
    Mittlerweile habe ich eine kleine Tochter geboren und bin sehr glücklich damit. Da ich mich damals allerdings gedanklich schon einmal dafür geöffnet hatte einen Jungen zu bekommen, bin ich überzeugt, dass ich mit einem Jungen genauso glücklich gewesen wäre. Und egal ob Junge oder Mädchen, ich möchte dass sich mein Kind frei nach seinen Wünschen entwickelt.
    Ich würde meiner Tochter niemals verbieten mit Autos zu spielen und sie trägt auch so manches blaue Kleidungsstück. 😀

  2. Tolles Interview.

    Tolles Interview.
    Wir versuchen unsere Tochter nicht in die typischen Klischees zu schieben.
    Sie trägt nicht nur rosa (was ich in der Schwangerschaft auch nicht kaufen wollte, aber man fällt einfach drauf rein und schwups hat man doch den halben Schrank voll rosa und rot)
    und sie hat auch Autos zum spielen und hat da richtig Spaß dran.
    Aber es fällt einem immer wieder auf, dass Grade Mütter von Jungs immer wieder sagen, sie dürften nicht die Puppe nehmen die sei ja schließlich für Mädchen.
    Ich hoffe das sich das irgendwann mal in unserer Gesellschaft durchsetzt und die Kinder alles tragen oder mit allem spielen können.

    Lieben Gruß Lena

  3. super
    Interview!
    Sehr interessant. Ich werde mich mal auf die Suche nach dem Blog der beiden machen.
    Ich finde, ihr geht immer toll mit Kritik um und ihr kriegt ja manchmal ganz schön eins drauf.
    Weiter so!

  4. Super!
    Tolles Interview!Ich selber hatte mir insgeheim einen Jungen gewünscht um den Familienfluch(4 Generationen von weiblichen Einzelkindern) zu durchbrechen und aufgrund des eigenen schwierigen Muttertochterverhältnises.Wir haben uns überraschen lassen und heraus kam ein Mädchen!Mittlerweile sehe ich es als riesengroße Chance an und genieße mein wildes Rabaukenmädchen jeden Tag :)!und freue mich über süße Klamotten und hoffe insgeheim dass wir irgendwann zusammen in den Stall fahren 😉