Trauerbegleitung und Notfallseelsorge: „Ich könnt das ja nicht. Warum du?“

Trauerbegleitung

Dieses Bild entstand bei der Zertifikatsverleihung zur Familientrauerbegleiterin

Ihr Lieben, seit ich 2022 meine Ausbildung zur Familientrauerbegleiterin startete, zeige ich euch immer mal wieder Ausschnitte aus meinen Kursen und aus meiner Arbeit. Ich hab euch danach noch mitgenommen in den Mental Health First Aid-Kurs und später ins Aufbauseminar Trauerbegleitung und in die Ausbildung zur Notfallseelsorgerin. Letztere beiden schließe ich im Juli dieses Jahres ab.

„Aber gerade du?! Du lachst doch so viel und wirkst so fröhlich! Wie kam es dazu und wie läuft das überhaupt?!“ Diese Fragen bekomme ich seitdem sehr oft von euch gestellt. In meinem näheren Umfeld oft mit der Anmerkung: „Also ich könnte das ja nicht.“ Darauf antworte ich mittlerweile fast standardisiert: „Umso besser, dass es dann Leute gibt, die das können und wollen und machen, um Menschen durch Ausnahmesituationen zu begleiten“. Ist doch so, oder?

Warum ich mich für die Trauerbegleitung entschied

BeerdigungCousin

Vielleicht dazu ein kleiner Schwank in meine Vergangenheit. Meine Tante, mit der wir zusammen in einem Haus wohnten, starb, als ich 9 war. Mein Cousin, als ich 13 war, er war genauso alt wie ich. Diese Geschichten selbst haben mich aber nicht allein zu meinem heutigen Engagement gebracht, sondern der Umgang damit. Meine Mutter hat früh eine Schwester, ihre Mama und später noch zwei Brüder verloren, es gibt so Lebensgeschichten, die eben auch die nachfolgende Generation prägen.

Uns Kinder im Speziellen prägten sie auch positiv. Weil wir durch diese Geschichte in unserer Kindheit und Jugend viel durften, viel ausprobieren konnten, viele Freiheiten hatten. Meine Eltern sind nicht in den Weg der Ängstlichkeit und Furcht abgebogen (was man ja auch hätte nachvollziehen können), sondern in die Schnellstraße des „Jetzt-erst-recht“, weil wir doch nie wissen, wie viel Zeit uns bleibt, also looos: Lasst uns leben und genießen.

Mama als Role Model: Gute Begleitung nach eigenen Verlusten

Als nun meine Tante und wenige Jahre später mein Cousin starben, hatte ich eine wundervolle Begleitung. Weil das Thema Trauer in unserer Familie nicht weggeschwiegen wurde, weil der Tod als Teil des Lebens betrachtet wurde (und wird), weil alle Emotionen willkommen waren und da sein durften. Wir Kinder konnten Fragen stellen, heulen, wüten, freudige Luftsprünge machen, eben das tun, wonach uns war. Und irgendwann wunderte ich mich, dass das nicht überall so was. Auch, nachdem ich zwei gute Freunde viel zu früh verlor.

Wie kompliziert oder verschwiegen oder ängstlich oder verdrängend doch noch viele Menschen mit dem Thema Tod und Trauer umgehen, stellte ich fest. Wie rar die Aufklärungsarbeit dazu noch ist, wie wenige Role Models es gibt, wie unsicher der Bezug dazu. Was darf ich? Was gehört sich? Da sind so viele Glaubenssätze, die es zu überwinden gilt.

Vom Lebensanfang und Lebensende

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Eins meiner liebsten Bilder, um zu verdeutlichen, dass Trauer nicht kleiner werden muss, wir aber daran wachsen

Ich habe mich dann als Journalistin viel mit dem Lebensanfang (Geburten/ Kinderkriegen/ Familiengründung) beschäftigt und mit dem Lebensende (Schicksalsgeschichte/ Krisenbewältigung/ Neuanfänge). Für eine große deutsche Sonntagszeitung durfte ich dann 2015 für eine Reportage eine Jugendtrauergruppe begleiten. Hier trafen sich die Geschwister der beim Germanwings-Unglück ums Leben gekommenen Schulklasse aus Haltern. Und wow, wie wichtig diese Trauerarbeit dort war, der Austausch zwischen den Betroffenen.

Am Ende der Recherchezeit nahm mich die Trauerbegleiterin zur Seite und sagte: „Lisa, ihr als empathische Journalistinnen seid auch so etwas wie Trauerbegleiterinnen mit euren guten Fragen und der wenigen Berührungsangst. Wenn du jemals die Zeit dazu finden solltest, mach doch mal die Ausbildung. Selbst wenn du nicht darin arbeiten willst, hilft das fürs weitere private Leben und für dienstliche Reportagen.“

Neues wagen: Ausbildung zur Familientrauerbegleiterin

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Am LAVIA Lebens- und Trauermodell lassen sich die verschiedenen Traueraufgaben wie Funktionieren, Begreifen und Akzeptieren verdeutlichen

Als Katharina dann schwanger wurde und klar war, dass wir jetzt erstmal kein weiteres Buch schreiben – und meine Kinder gleichzeitig plötzlich beschlossen, mich nicht mehr rund um die Uhr zu brauchen, da war dann die Lücke da. Ich meldete mich für die Ausbildung an. Aus Neugier, aus Weiterbildungslust, immer aber noch mit dem Gedanken: Ich muss ja nicht in dem Bereich arbeiten.

Wir waren ein toller Kurs aus 18 unterschiedlichsten Menschen, die ich als sehr bereichernd wahrnahm. Es gab drei Kurs-Einheiten á 4-5 Tage in Vollzeit, die sich über ein Dreivierteljahr verteilten. Zwischen den gemeinsamen Wochen hatten wir Aufgaben. Und wie das Leben eben manchmal spielt, so ergaben sich kurz nach der Zertifikatsverleihung für mich Möglichkeiten, doch auch wirklich als Trauerbegleiterin zu arbeiten – zumindest an einem Tag in der Woche.

Wie ich dann doch ins Ehrenamt rutschte

Seither begleite ich drei Familien regelmäßig, sammle wichtige (Lebens-)Erfahrungen und staune über das schnelle und direkte Feedback. Wenn die Begleitperson nach unser gemeinsamen Stunde plötzlich wieder aufrecht geht oder sitzt, wenn sich da was tut, dann ist das berührend und wirklich sinnstiftend.

Ob man was falsch machen kann? Bestimmt, wie überall und immer im Umgang mit Menschen. Aber was wäre die Alternative? Dass niemand begleitet? Wäre das nicht dramatischer? Mein Ansatz – und den hab ich hier schon ein paar Mal erwähnt – ist: Wir können das Schicksal nicht ändern, aber den Umgang damit erleichtern. Das ist mein Ansporn – und bislang geht er besser auf, als ich gedacht hätte.

Wie begleiten wir durch die Emotionen?

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Bei Kinder arbeiten wir auch gern mit Motiv-Taschentüchern: Wie fühlst du dich grad?

Wenn die Trostsalbe, die ich nach dem Tod eines geliebten Menschen mit einem Kind aus Creme, Glitzer und Duftöl hergestellt habe, plötzlich auch gegen Alpträume hilft. Wenn die Info, dass es in der Tiefe, in der ein Sarg liegt, gar keine Würmer gibt, weil die nur an der Erdoberfläche überleben können, wenn wir gemeinsam eine kleine Schatzkiste befüllen mit allen Erinnerungen an die Person, die im Alltag so fehlt…

Wir schaffen Bilder, um Gefühle besser verstehen und einordnen zu können, wir machen Mut und zeigen Wege auf, wie es weitergehen kann und reflektieren, was guttun kann (und was nicht so). Immer mit dem zuversichtlichen Blick nach vorn – auch wenn wir natürlich noch manchmal in die Vergangenheit schauen und überlegen, was noch da ist, was wir noch rüberretten konnten in dieses Leben 2.0, das nicht selbst so gewählt wurde.

Große Gefühle: In die Tiefe genauso wie in die Höhe

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Mit meiner Freundin Golli habe ich für Köln und das Bergische Land das „Trost Team“ gegründet. Ihr könnt uns jederzeit kontaktieren

Warum ich das mache, obwohl ich eher ein fröhlicher Mensch bin und viel lache? Vielleicht gerade deswegen. Ich stehe nicht mit bedröppeltem Mitleid-Blick vor meinen Begleitfamilien, ich versuche, einen Pack-an zu finden und sie da abzuholen, wo sie stehen. Vielleicht sogar, in dem ich im besten Fall ein bisschen Leichtigkeit in die Schwere bringen kann.

Und vielleicht kommt die Fröhlichkeit ja auch daher, dass ich – grad mit einem solchen Background – versuche, jeden Tag zu genießen (was natürlich nicht klappt, aber die Ambition ist da). Weil ich auch die anderen Gefühle – die düsteren – kennenlernen durfte und manchmal das Gefühl habe, das funktioniert wie ein Pendel: Wer schon mal in die Tiefen geschnuppert hat, kann auch die Höhen intensiv schätzen, vielleicht bewusster wahrnehmen und genießen.

Wenn das Leben neue Wendungen nimmt

Und wie schön ist dieses Bild, wenn ich es mit in trauernde Familien trage? Dass die Gesellschaft eine andere wäre, wenn es nicht auch Menschen wie sie gäbe, die so einen intensiven Zugang zu ihren Gefühlen haben, die die Gemeinschaft ein kleines oder großes bisschen sozialer und zugewandter machen können. Vielleicht werden sie selbst irgendwann anderen helfen können mit ihrer Erfahrung. Aus Schmerz kann Energie entstehen, davon bin ich überzeugt. Und die für Gutes zu nutzen, kann eine ganz neue Sinnhaftigkeit stiften. Oder was meint ihr?

Erzählt doch auch ihr gern mal, wenn ihr mit über 40 oder sagen wir in der Mitte des Lebens nochmal eine neue Aufgabe gefunden habt. Oder erzählt, was euch neben den eigenen Kindern noch so richtig Sinn stiftet. Ich würde mich sehr über einen Austausch darüber freuen. Ihr könnt uns auch gern Gastbeiträge dazu schicken oder euch von uns interviewen lassen.

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3 comments

  1. Was für ein schöner Artikel! Und was für eine wertvolle Tätigkeit! Klingt fast so als hättest Du hier Deine Berufung gefunden! Ich bin Mitte 40 und ja die Kinder werden grösser und man wird nicht mehr den ganzen Tag gebraucht! Und auch wenn mir mein „normaler“ Job durchaus Spass macht, bin ich auf der Suche nach einer (weiteren) sinnvollen Tätigkeit. Würde mich daher über weitere Anregungen von Leserinnen sehr freuen!

  2. Lisa, es ist wirklich schön, dass es Dich gibt. Du als Mensch wirkst so bereichernd für die Welt.
    Ich habe neben kleinen Kids und Alltagswahnsinn im Moment sehr wenig Luft. Aber in den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass ich sehr kontaktstark bin. Also insofern, dass schnell tiefgehende Gespräche mit meinem nahen oder auch entferntem Umfeld zustande kommen, in denen oft Zweifel oder Ängste der anderen plötzlich Thema sind. In solchen Momenten versuche ich wirklich gut darauf einzugehen und habe oft das Gefühl, etwas positives und stärkendes zu bewirken. Vielleicht baue ich mein Ohr für andere mal aus, wenn ich wieder mehr Luft habe. 😉 Alles Gute!

  3. Liebe Lisa – danke für deinen Beitrag! Wie wunderbar, dass du diesen Weg für dich gefunden hast und ihn gehst! Und Menschen Beistand in diesem so vulnerablen – aber auch zutiefst wichtigen Prozess des Trauerns anbietest. Ich finde das Bild, das du in deinem Artikel verwendest, bringt es auf den Punkt: Wenn wir uns der Trauer stellen, wachsen wir mit ihr. Sei es die Trauer über eine Trennung, den Verlust eines wichtigen Ortes – oder eben eines geliebten nahen Menschen.

    Vor einem guten Jahr habe ich – gemeinsam mit meiner Schwester – meine Mutter in ihrem Sterbeprozess intensiv begleitet.

    Und bei aller Trauer finde ich: Es ist eine zutiefst kostbare Erfahrung, einen Menschen aus dem Leben hinaus begleiten zu können – ebenso wie es zutiefst kostbar ist, ein Kind ins Leben hineinzubegleiten.

    Eine Aufgabe, die uns unendlich viel schenkt, weil sie uns mit dem Leben selbst in Verbindung bringt. Und vielleicht auch das Geheimnis des Lebens ein wenig ergründen lässt.

    Herzlich Miriam

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