Ihr Lieben, ihr kennt Luci van Org bestimmt alle noch aus ihrer Zeit bei Lucilectric, wo sie unter anderem „Weil ich ein Määäädchen bin“ performte. Heute ist die Berlinerin 51 und Mutter eines Sohnes. Sie hat einen beeindruckenden Werdegang hinter sich mit der ersten Band mit 12, dem ersten Plattenvertrag mit 16, einem Studium der Kunst und Anglistik, dem Durchbruch als Popstar, danach Radio- und TV-Moderatorin und Zeitungskolumnistin.
Heute ist sie Sängerin, Bassistin, Songwriterin, Musikproduzentin, Schauspielerin und Inhaberin ihrer eigenen Plattenfirma. UND Schirmherrin des VEID, dem Bundesverband für trauernde Eltern und verwaiste Geschwister. Dazu wollten wir gern mehr wissen und durften ein Interview mit Luci führen. Danke dafür, du beeindruckende Frau!
Liebe Luci, seit deiner kometenhaft prominenten Zeit bei warst du nicht mehr ganz so präsent in der Öffentlichkeit, wie ist dein Leben seither verlaufen?
Tatsächlich war das Thema „Präsenz in der Öffentlichkeit“ für mich während meiner Lucilectric-Zeit ein echtes Schlüsselthema. Ich bin mit Leib und Seele Musikerin, wollte nie etwas anderes sein – musste dann aber feststellen, dass das Berufsbild „Popstar“, das ich damals kennengelernt habe, absolut gar nichts für mich ist.
Ich war schon immer extrem freiheitsliebend, der Alltag als Popstar ist – aus logistischen Gründen – aber komplett fremdbestimmt. Ein Leben zwischen Bühne, Promoterminen, Interviews, Videodrehs und TV – Auftritten kannst du nicht bewältigen, ohne dass andere Menschen Termine für dich planen.
Irgendwann, wenn die Arbeit immer mehr wird, bestimmen sie alles. Wann du aufstehst, wann du arbeitest, wann du isst, wann du schläfst… Nach zwei Jahren Popstarleben hatte ich von dieser Fremdbestimmtheit eine handfeste Depression.
Da habe ich die Reißleine gezogen und beschlossen, selbst wieder die Kontrolle zu übernehmen. Was zwar hieß, kleinere Brötchen zu backen, was Popularität angeht – dafür aber wieder glücklich zu werden.
Ich habe meine eigene Plattenfirma gegründet, neue Bandprojekte initiiert, angefangen, als Songwriterin, Produzentin und Remixerin für andere Künstler:innen zu arbeiten, mein eigenes Studio aufgebaut, parallel dazu auch als Radiomoderatorin und Schauspielerin gearbeitet und als weiteres Standbein schließlich das Schreiben für mich entdeckt.
Heute, mit 51, lebe ich neben der Musik – dort ist mein Schwerpunkt gerade mein neues Soloprojekt „Lucina Soteira“ – vom Schreiben von Romanen und von Drehbüchern für TV und Kino… und bin voller Dankbarkeit dafür, dass meine Kreativität mir jetzt schon über 30 Jahre meinen Lebensunterhalt sichert. Von dem leben zu können, was ich liebe, ist ein riesiges Geschenk.
Du bist seit 2006 Schirmherrin des VEID, dem Bundesverband für trauernde Eltern und verwaiste Geschwister. Hast du persönlich Erfahrung mit dem Thema oder wie kam es dazu?
Petra Hohn, die damalige Vorsitzende und langjährige Geschäftsführerin vom VEID, hat mich 2006 einfach gefragt. Sie kam auf mich zu, weil ich mich damals künstlerisch viel mit dem Thema Tod beschäftigt hatte. Für meinen ersten Kurzgeschichtenband „Der Tod wohnt nebenan“ hatte ich zum Beispiel Lesungen bei Bestatterinnen und Bestattern gemacht.
Um ehrlich zu sein gab es aber auch niemanden, der oder die den Job sonst machen wollte. Alle anderen, die gefragt worden waren, hatten beim Thema „Verstorbene Kinder“ wohl einfach mehr Berührungsängste als ich.
Du sagst, die Berührungsängste der Menschen mit dem Thema „Verstorbene Kinder“ sei immer noch sehr hoch. In unserem Blog „Stadt Land Mama“ versuchen wir, dem Thema immer wieder Raum zu geben, wie können wir da weiter Barrieren abbauen?
Ich glaube, genauso. Indem Betroffene immer wieder Raum bekommen, davon zu erzählen und es dadurch irgendwann nicht mehr so ein Tabu ist, überhaupt darüber zu sprechen. Viele nicht betroffene Menschen haben einen regelrechten Aberglauben, was das Thema angeht. Sie wollen am liebsten gar nichts davon hören, weil sie fürchten, allein das könnte bereits ihr eigenes Kind in Gefahr bringen.
Als ich 13 war starb mein 13jähriger Cousin. Ich weiß noch, wie einsam ich mich danach fühlte, weil sich einfach niemand bei mir meldete. Statt „etwas Falsches“ zu sagen, ließ man mich lieber in Ruhe. Hörst du das von den betroffenen Familien auch öfter?
Ja, fast immer. Und die betroffenen Familien leiden furchtbar darunter. Zu dem unbeschreiblichen Schmerz über den Verlust werden verwaiste Eltern und die dazugehörigen Familien noch dazu oft wie Aussätzige behandelt, weil das Umfeld mit der eigenen Hilflosigkeit nicht klarkommt. Umso wichtiger ist es, die Berührungsängste mit dem Thema immer weiter abzubauen.
Wenn ich in meinem Umfeld erzähle, dass ich bald eine Ausbildung zur Familientrauerbegleiterin absolviere, gibt es in etwa zwei Reaktionen. Die eine ist: „Respeeeekt, toll, dass du diesen Familien helfen willst“. Die andere, viel häufigere: „Um Himmels willen, ich könnte das ja nicht.“ Erlebst du das auch, wenn du von deiner Schirmherrschaft erzählst? Und findest du nicht auch, dass wir da noch viel mehr raus aus dem Tabu müssten?
Ja, diesen Satz habe ich schon oft gehört. Dabei empfinde ich meine Arbeit für den Verein ehrlich gesagt überhaupt nicht als belastend. Ich bekomme von den Familien so unendlich viel zurück, habe von ihnen schon so viel gelernt.
Nach dem Tod eines Kindes zurück ins Leben zu finden, ist eine geradezu übermenschliche Leistung. Die Eltern bei uns im Verein, die das jeden Tag aufs Neue schaffen, sind meine Heldinnen und Helden, meine Vorbilder – niemand ist stärker als sie.
Als Mutter eines Sohnes, betonst du, gäbe es für dich keine größere Angst, keinen schlimmeren Albtraum, als dein Kind zu verlieren. Ist dein Engagement im VEID vielleicht auch ein bisschen Angstabbau, indem du dem Schicksal quasi ins Auge blickst?
Absichtlich hatte ich nie eine solche Intention. Die Aufgabe wurde ja an mich herangetragen und ich hatte damit gar nicht gerechnet. Aber zu sehen, dass es möglich ist, etwas so unvorstellbar Schreckliches tatsächlich zu überleben, danach sogar wieder glücklich werden zu können, hilft auf jeden Fall, eigene Ängste besser zu beherrschen.
Was motiviert dich außerdem, dich für den Verband einzusetzen?
Die tiefen Freundschaften, die durch die Arbeit mittlerweile entstanden sind und für die ich unendlich dankbar bin.
Wie sieht dein Engagement ganz konkret aus?
So wie dieses Interview zum Beispiel… Wo es nur geht, versuche ich, auf den Verband aufmerksam zu machen. Zum einen, damit Betroffene überhaupt erst einmal erfahren, dass es uns gibt – viele wissen das tatsächlich gar nicht. Außerdem versuche ich natürlich, Spenden für den VEID e.V. zu generieren. Denn obwohl jährlich Tausende von Kindern in Deutschland vor ihren Eltern versterben und die Hilfe dringend gebraucht wird – das Geld ist aufgrund der Berührungsängste trotzdem immer knapp.
Dabei geht es bei uns ja bei Weitem nicht nur um verstorbene Kinder, sondern buchstäblich um Leben und Tod. Darum, dass Mütter, Väter oder Geschwister nicht an dem zerbrechen, was passiert ist. Gerade unter den Geschwistern verstorbener Kinder ist die Suizidrate erschreckend hoch.
Gibt es eine Familiengeschichte, die dich ganz besonders berührt hat in den letzten Jahren?
Jede einzelne, die ich gehört habe.
Was möchtest du Menschen in diesen trauernden Extremsituationen mitgeben?
Ihr seid nicht allein! Es gibt Hilfe! Und dort, wo es diese Hilfe gibt, seid Ihr willkommen! Immer!
1 comment
Ich tue mich sehr schwer bei diesem Thema und fände es mal schön, vielleicht von Betroffenen, zu hören, wie man sich richtig verhalten soll. Vor allem gegenüber bekannte. Dass ich meiner Freundin beistehe, sie in den Arm nehme und zuhöre, wann immer sie reden will, ist klar. Aber was mache ich bei der Bekannten, die einen Trauerfall in der Familie hat und mit der ich vielleicht manchmal auf der Straße 2 Sätze wechsle aber sonst habe ich nicht viel mit ihr zu tun? Möchte man in so einer Situation angesprochen werden von jemanden, den man jetzt nicht zu seinem Freundeskreis zählt? Oder lieber nett grüßen und weitergehen? Das finde ich immer schwierig, weil man sich ja auch nicht aufdrängen will…