Gastbeitrag von Heike: Nach der Geburt litt ich unter postnatalen Depressionen

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Ich bin Heike und erzähle Euch heute meine Geschichte. Sie ist heftig und vielleicht für einige von Euch schwer zu verdauen. Warum ich sie trotzdem erzähle? Weil ich es wichtig finde, dass auch zu diesem Thema Aufklärung erfolgt. Vielleicht liest eine betroffe Mutter diese Zeilen und ich kann ihr Hoffnung und das Versprechen geben, dass es besser wird – sowohl mit der Depression, als auch mit möglichen psychotischen Schüben!

März 2014, endlich! Es war soweit, unser kleiner Sohn wurde geboren! Ich war wie jede Mutter überglücklich. Ich war aber auch erschöpft. Der Kleine hatte Gelbsucht und verlor enorm an Gewicht. Um ihn wieder aufzupäppeln, musste ich ihn alle 1,5 Stunden stillen. Hinzu kam, dass ich in keinster Weise darauf vorbereitet war, wie anstrengend es ist, ein Baby zu haben. Mein Kleiner hatte Blähungen und weinte sehr viel. Nein, er war kein klassisches Schreibaby, aber es machte mich völlig fertig, dass ich ihm nicht helfen konnte. Meistens weinte ich mit ihm.

Auch der Schlafentzug zehrte sehr an meinen Nerven, denn der kleine Mann konnte nur auf mir schlafen. Dementsprechend kurz waren meine Schlafphasen zwischen dem Stillen.

Aber es gab auch gute Momente: Ich liebte es, mit ihm spazieren zu gehen, ihm beim Lachen und Glucksen zuzusehen und fand es schön, dass wir nun eine Familie waren.

Und trotzdem: Die überwiegende Zeit war ich fix und fertig. Und unglücklich. Mir fehlte mein Job, ich hatte keine Tagesstruktur, die Nacht wurde zum Tag und der Tag zur Nacht. Ich sah aus wie eine wandelnde Hülle. Wem ich von meinen trüben Gedanken erzählte, der sagte, es sei normal. Es würde besser werden, das sei nur der Schlafentzug und die ganze anfängliche Anstrengung.

Aber es wurde nicht besser. Ich fühlte mich überfordert und einsam. Ich fühlte mich ausgelaugt und müde. Ich bekam immer weniger Lust, morgens aufzustehen.

Eines Tages, ich war gerade mit dem Kinderwagen unterwegs, da kam mir ein komischer Gedanke –ganz plötzlich und aus dem Nichts. Ich dachte: „Was wäre, wenn der Kinderwagen in den Fluß rollen und untergehen würde?“ Das Krasse: Ich fühlte Erleichterung bei diesem Gedanken. Erschrocken drückte ich die Gedanken beiseite, doch sie kamen wieder. Und sie wurden schlimmer. Ich stellte mir tatsächlich vor, wie ich mein Kind tötete.

Das machte mir Angst, viel Angst. Denn ich liebe mein Kind ja abgöttisch. Und trotzdem hatte ich solche Gedanken. Ich habe mich geschämt, ich war verzweifelt, wie ich sowas überhaupt denken kann und vertraute mich niemandem an – schon gar nicht meinem Partner. Denn wenn ich das gemacht hätte, hätte er unser Kind genommen und wäre abgehauen. Was absolut nachvollziehbar gewesen wäre.

Ich hoffte, diese Gedanken würden von alleine wieder verschwinden, ganz plötzlich, so wie sie gekommen waren. Aber das taten sie nicht. Ich hatte panische Angst, dass ich meinem Kind etwas antun könnte. Es ging so weit, dass ich kein Messer mehr anfassen konnte –aus Angst, ich könnte meinem Kind etwas damit antun.

Ich heulte nur noch und verstand die Welt nicht mehr. Bin ich verrückt? Muss ich mich in die Psychiatrie einweisen lassen zum Schutz meines Kindes? Bin ich ein Monster?

Ich hatte so unendlich viel Angst! Vor mir selbst und davor, dass man mir mein Kind wegnimmt. Ich konnte nichts mehr essen, nicht mehr schlafen, isolierte mich völlig.

Eines Tages ging ich zu meiner Allgemeinärztin, sie kennt mich schon lange und sah, dass ich am Ende war. Sie fragte, was los sei, ich meinte nur: „Ich kann nicht darüber reden. Es ist zu schlimm!“ Dann brach ich zusammen und beichtete ihr: „Es ist ganz schrecklich, ich stelle mir in den schlimmsten Varianten vor, wie ich mein Kind umbringe und ich kann das nicht verstehen, weil ich mein Kind so unendlich liebe.“

Ich fragte, ob sie mich nun einweisen müsse. Meine Ärztin verneinte beruhigend und sagte mir, es gäbe eine Spezialambulanz, dort müsse ich hin.

Von der Praxis fuhr ich direkt in diese Spezialambulanz und hatte dort ein Gespräch mit der Oberärztin. Ich war nervös, schämte mich, doch ich habe ihr erzählt, welche Gedanken ich habe und dass ich diese nicht abstellen kann. Und dass ich Angst habe, meinem Kind etwas anzutun.

Ich machte mich auf eine schlimme Reaktion gefasst, vielleicht sogar auf Vorwürfe. Doch die Ärztin war nicht schockiert, sie verachtete mich nicht.

Sie sagte: „ Ich kann Ihnen versichern, Sie bringen ihr Kind nicht um. Sie sind völlig überfordert und sie haben eine postnatale Depression . Etwa 3 von 1000 Mütter haben dabei auch noch psychotische Schübe – sie sind eine davon. Sie müssen sich vorstellen, ihr Gehirn sucht einfach nach einer Lösung, daher kommen diese Tötungsphantasien. In Ihrem Gehirn sind Hormone aus dem Gleichgewicht geraten und das bekommen wir wieder hin. Sie bekommen Medikamente und eine Gesprächstherapie und wir sehen uns nun wöchentlich.“

Ich kann nicht beschreiben, wie erleichert ich war. Ich hatte endlich jemandem alles erzählt und wurde nicht in eine Psychatrie eingewiesen oder durfte mein Kind nicht mehr sehen.

Und vor allem: Endlich hatte mein Zustand einen Namen „postnatale Depression mit psychotischen Schüben“

Ich erhielt Antidepressiva und Neuroleptika und ich ging zu einer Psychologin, die spezialisiert ist auf solche Fälle. Meiner Familie und meinem Partner erzählte ich nur von der postnatalen Depression, denn ich finde, die psychotischen Schübe sind nicht zumutbar. Meine Familie, mein Partner und meine Freunde unterstützten mich sehr und halfen mir, mich zu entlasten.

Es dauerte 2 Monate, bis ich medikamentös „gut“ eingestellt war und meine Welt war plötzlich wieder in Ordnung. Aber ich bleibe weiter am Ball, ich gehe einmal im Monat zu einer Psychologin, um in einer Gesprächstherapie Lebensstrategien zu entwickeln.

Mittlerweile, 2 Jahre später,  nehme ich keine Medikamente mehr und es geht mir wirklich gut! Ich liebe mein Leben, mein Kind und kann es in keinster Weise mehr nachvollziehen, warum ich jemals so schreckliche Gedanken hatte.

Ich bin dankbar, dass ich das Glück hatte, an die richtigen Ärzte zu kommen und ein gutes soziales Umfeld hatte, das mir geholfen hat, aus dem dunklen Loch wieder rauszukommen.

Ich habe hier von meinen tiefsten Punkt im Leben erzählt und hoffe, dass ich anderen betroffenen Müttern Mut machen kann, dass es besser wird.

All den anderen Müttern möchte ich sagen: Postnatale Depression kann jeden treffen. Niemand kann etwas dafür, niemand ist schuld daran, niemand hat das verdient. Man ist keine schlechte Mutter, man ist krank. Und diese Krankheit gehört behandelt. 

 

P.S. Es gibt ein wunderbares Buch zum Thema, das wir auch Nicht-Betroffenen wärmstens empfehlen können: Wie kann ich dich halten, wenn ich selbst zerbreche von Ulrike Schrimpf. Der Link führt zu unserer ganz persönlichen Rezension.

Foto: inkje / photocase.de

 

 

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5 comments

  1. Bei uns hat es den Papa getroffen
    Ich habe lange nicht gewusst wo das Problem lag, kurz vor Geburt des zweiten Kindes wollte sich der Vater von uns verabschieden. Wir haben uns dann tatsächlich auch ein Jahr später getrennt. Inzwischen ist es klar, er hatte eine postnatale Depression und auch psychotische Schübe. Die Verantwortung und die Existenzangst haben ihn erdrückt und er hatte Angst sich mir oder sonst jemandem anzuvertrauen. Heute ist er in Behandlung, bekommt Medikamente, macht Yoga und Meditation. Inzwischen sieht er die Kinder regelmäßig. Ich wäre von selbst nie auf die Idee gekommen, man kann halt immer nur bis zur Stirn schauen, nie dahinter…

  2. Danke für diesen mutigen Beitrag
    Es muss viel mehr Aufklärung geben. Bei mir dauerte es auch viel zu lange, bis ich richtig behandelt wurde. Das Buch habe ich auch damals gelesen und hat mir sehr geholfen!

  3. Danke…
    ….für diesen Beitrag. Ich litt nach der Geburt meines ersten Kindes unter ähnlichen Symptomen, musste zwar keine Medikamente nehmen, habe aber sehr darunter gelitten. Diese Zeit war die Hölle und wenn ich nun daran zurückdenke, kann ich es kaum fassen dass ich all diese Gedanken hatte. Ich erwarte in wenigen Tagen mein zweites Kind und habe etwas Angst. Aber ich vertraue darauf, dass ich dieses Mal besser vorbereitet bin und vielleicht alles etwas besser auffangen kann.

    1. Liebe Sarah,
      wir drücken Dich fest und wünschen Dir alles Gute für die Geburt und die Zeit danach!!!!

    2. Liebe Sarah,

      Liebe Sarah,
      Mir erging es beim ersten Kind ähnlich. Da ich mir schon vor der Geburt dringend psychatrische Beratung wünschte, bekam ich die mit Hilfe meiner Hebamme recht kurzfristig und durfte dort auch noch nach der Geburt hin, bis ich einen festen Therpieplatz hatte. Ich denke, das hat mich gerettet, dass nix Schlimmeres aus den Gefühlen, Ängsten und der Erschöpfung geworden ist.
      Während der 2. Schwangerschaft habe ich mich da wieder stark dran erinnert und große Angst bekommen. Ich habe vorgesorgt, dass ich im Fall der Fälle schnell Hilfe bekommen kann. Das gab mir Sicherheit.
      Aber nach der 2. Geburt gab es weniger Fragen und durch Kind 1 bedingt schon viel mehr Struktur im Familienalltag, sodass ich gar nicht mehr so stark in diesen verschwimmenden Tag-/ NachtRhythmus reinkam.

      Ich wünsche dir alles Gute für die Geburt und die Zeit danach. Ich sag immer „Tschakka, du schaffst das!“ 🙂