„Frauen Leben Freiheit“-Revolution im Iran: „Ich habe Angst“

Frauen Leben Freiheit

Ihr Lieben, immer wieder teilen wir in unseren Kanälen der sozialen Medien auch Berichte von Journalistinnen im Iran, von der Initiative free human, die sich hier in Deutschland für die Iraner und Iranerinnen in der „Frauen Leben Freiheit“-Revolution einsetzt. Wir durften nun eine der Protestlerinnen interviewen. Sie möchte zum Schutz ihrer Familie gern anonym bleiben.

Du Liebe, du lebst als Iranerin mit deiner Familie in Deutschland, mit welchen Gefühlen schaust du von hier aus auf die „Frauen Leben Freiheit“-Bewegung in deinem Heimatland?

Ich bin besorgt. Um die Menschen, die dort Tag für Tag auf die Straße ziehen, um friedlich für ihre Freiheit zu demonstrieren. Ich bin besorgt um die fast 20.000 Inhaftierten, die zum Teil schrecklicher Folter ausgesetzt sind. Niemand weiß genau, was in den Gefängnissen passiert.

Wir kennen die Namen vieler Menschen, die die Todesstrafe bekommen habe. Wir kennen Videos ihrer verzweifelten Eltern, die in der Öffentlichkeit um das Leben ihrer unschuldigen Kinder flehen. Sehen täglich neue Videos und Bilder von trauernden Angehörigen. Es kann nicht mehr frei gesprochen werden, weil sofort Konsequenzen der Milizen.

Ein Teil deiner Angehörigen lebt noch in Teheran, wie viel Kontakt habt ihr und was erzählen sie von der Lage in ihrem Land?

Frauen Leben Freiheit

Seit der Revolution sprechen wir nur selten miteinander. Zum einen wegen der schlechten Internetverbindung. Das Internet wird ständig abgeschaltet, damit die Videos von Demonstrationen nicht ins Ausland gelangen. Zum anderen wird es abgeschaltet, damit die Menschen sich in Iran über die sozialen Medien nicht zu Demonstrationen absprechen können.

Und wenn ich mit ihnen spreche, dann wird das, was im Iran passiert, mit keiner Silbe erwähnt. Die Telefone werden abgehört. Viele meiner Angehörigen chatten aus Angst nicht mehr mit mir. Sie sehen über meine sozialen Medien, dass ich aktiv bin. Wir halten uns gerade alle mit der Kommunikation sehr zurück. So machen es auch meine Freund:innen, deren Familienangehörige und Freund:innen noch in Iran leben.

Damit schützen wir die Menschen, die noch im Iran leben. Über meine Mutter lassen sie mir aber ausrichten, wie dankbar sie für das sind, was ich bzw. wir mit unserer Initiative free_human tun. Sie sagen, dass es ihnen Kraft gibt, zu wissen, dass wir hier mitkämpfen.

Du sprichst es grad an: Du selbst engagierst dich auch unermüdlich für die jungen Menschen im Iran, organisierst Proteste und Gedenkmärsche… was gibt dir Kraft, was spornt dich an?

Frauen Leben Freiheit

Der Gedanke, dass ich von hier aus die Möglichkeit habe, meine Landsleute zu unterstützen. Die Iraner:innen haben sich dafür entschieden, in Freiheit zu leben.  Dafür gehen sie auf sie Straßen. Und das, obwohl sie wissen, dass sie dort sterben können.

Diesen Mut und diese Stärke bewundere ich und es ist das Mindeste, was ich hier dafür tun kann, um ihnen zu zeigen: Wir sind da! An eurer Seite! Wir hören euch und wir unterstützen euch! Wir sind damals – zu Beginn der Revolution – nach Deutschland gekommen und ich hatte das große Glück, in  einer Demokratie aufwachsen zu dürfen.

Ich darf anziehen, was ich möchte. Ich muss kein Kopftuch tragen. Ich bin frei. Nun möchte ich diesen verzweifelten Menschen, die seit 43 Jahren Repressionen ausgesetzt sind, eine Schallverstärkerin sein. Ohne die iranische Diaspora hätte Bundeskanzler Scholz vielleicht kein Wort über die anhaltenden Proteste gesagt. Erst nach vier Wochen ungefähr und jeder Menge Druck in den sozialen Medien hat er sich dazu geäußert.

Wenn das Ausland die Stimmen nicht transportiert, dann werden die iranischen Menschen nicht gehört – schlimmer noch: die zum Tode verurteilten werden hingerichtet. Je mehr die Aufmerksamkeit im Iran ist, desto größer der Druck auf die Islamische Regierung. Je bekannter wir die Menschen in den Gefängnissen machen, desto unwahrscheinlicher werden ihre Hinrichtungen. Es ist so unfassbar ungerecht, brutal und unmenschlich, was dort Tag für Tag passiert.

Du möchtest bei all deinem Engagement dringend anonym bleiben, es gibt keine Fotos von dir auf Veranstaltungen, dein Name taucht nicht auf, was befürchtest du?

Frauen Leben Freiheit

Ich befürchte, dass ich mit meinem Tun hier meine Angehörigen im Iran in Gefahr bringe. Ob man auf Demos geht oder selbst welche organisiert – für die islamische Regierung wird das kaum einen Unterschied machen.

Selbst Menschen, die früher – vor dieser Revolution – auf Demos gingen, waren jedes Mal verunsichert und hatten Angst. Es hieß, dass Fotos gemacht wurden und diese Menschen dann an der Grenze festgehalten wurden und nicht mehr ausreisen durften. Und auch Menschen, die im Ausland leben und sich engagieren, sind nicht sicher. Es gibt im Iran kein geltendes Recht. Kein vertrauenswürdiges Justizsystem. Alles ist willkürlich und nichts ist unmöglich.

Für uns hier in Deutschland sind die Nachrichten aus dem Iran so unglaublich, da werden junge Menschen hingerichtet, da steht für viele verhaftete Menschen Folter im Raum, man fragt sich: Wie kann es sein, dass es noch heute solch mittelalterliche Methoden gibt…

Wir durften eine Iranerin interviewen, die in Deutschland lebt und hier Proteste und Demonstrationen für ihre Landleute in der Frauen Leben Freiheit-Revolution organisiert.

Das ist eine gute Frage, liebe Lisa, die ich dir leider nicht beantworten kann. Oft sitze ich weinend vor meinem Rechner und stelle mir genau diese Frage. Ich verstehe es nicht. Ich frage mich, was diesen Menschen in der Kindheit widerfahren ist, dass ihnen jede Form von Mitgefühl abhanden gekommen zu sein scheint.  

Wie kann man anderen Menschen so ein Leid antun? Es heißt, dass die Milizen Substanzen verabreicht bekommen, die Emotionen unterdrücken. Aber diese Erklärung ist mir zu einfach. Es gibt doch auch Momente, wo dich das, was du tust, einholen muss. Und es gibt ja nicht nur diese Milizen, sondern auch ‚Richter‘, die darüber entscheiden, ob ein 22jähriger hingerichtet wird oder nicht. Da steckt ja ein ganzer Apparat von Menschen hinter, die dieses System unterstützen.

Das System – damit meine ich eine extreme, eine völlig falsche Auslegung des Islams. Viele dieser „mittelalterlichen Methoden“ werden von diesen Menschen nach bestem Wissen und Gewissen im Namen des Islam gerechtfertigt. Diese Menschen sind aufgrund generationenübergreifender und jahrzehntelanger Indoktrination und Gehirnwäsche davon überzeugt, richtig zu handeln.

Auch du selbst bist von hier aus sehr involviert, hörst von etlichen Schicksalen, welches hat dich zuletzt am meisten berührt?

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Es gibt unzählige Schicksale, die mich berühren. Eins davon ist das von Seyed Mohammad Hosseini. Er wurde am 7.1.23 hingerichtet. Gemeinsam mit Mohammad Mehdi Karami. Seyyeds Eltern sind beide verstorben. Er war Karatelehrer und hat obdachlose Kinder ehrenamtlich unterrichtet. Er hat sich außerdem um seinen kranken Bruder gekümmert – war der einzige Angehörige.

Die trauernden Eltern von Mohammad Mehdi sind am Tag der Hinrichtung zu Seyyeds Grab gegangen und es war niemand da. Sie haben Blumen dort niedergelegt und Kerzen angezündet. Nachdem diese Videos viral gingen, sind hunderte von Menschen zu seinem Grab gegangen und haben Blumen hingelegt. Überall auf der Welt wird an ihn gedacht und in Hashtags wird geschrieben: Wir alle sind deine Familie.

Und dann gibt es noch die Geschichte von der 16jährigen Sarina Esmailzadeh. Ihre Tochter ist im Alter meiner Tochter und sie sehen sich auch irgendwie ähnlich. Sarine war ein großer BVB-Fan – und der BVB hat ihr zu Ehren einen Banner mit ihrem Bild bei einem Spiel ins Stadion gehangen.

Wenn ich die Videos dieses singenden, lachenden Mädchens sehe, breche ich jedes Mal in Tränen aus. Sie wurde auf einer Demo erschossen, ihre Eltern wussten zehn Tage nicht, wo sie ist, dann erst haben die Behörden ihnen ihren Leichnam übergeben. Die Eltern durften der Öffentlichkeit nichts erzählen. Aber ihre Mutter hat es trotz der Bedrohungen getan. Es gibt Hunderte von diesen Geschichten.

Was sagt dir dein Gefühl, wie das mit den Protesten und den gewaltvollen Zerschlagungsversuchen der Freiheitssehnsucht weitergehen wird?

Frauen Leben Freiheit

Ich hoffe, dass die mutigen Menschen in Iran weitermachen und weiterhin auf die Straßen gehen. Ich hoffe es, dass sich Menschen finden, die sich dann darum kümmern, dass der Iran eine Demokratie wird. Dass sie endlich in Freiheit und Frieden leben können.

Kurd:innen, Belutch:innen, andere Minderheiten  – Seite an Seite mit Iraner:innen. Die Kurd:innen und Belutch:innen sind Minderheiten im Iran – sie aber machen die ganze Zeit weiter. Sie sind die Herzschrittmacher der Revolution. Dabei werden gerade sie am schlimmsten angegangen.

Die Revolutionsgarden gehen dort am härtesten gegen die Menschen vor. Mit Panzern fahren sie in die Dörfer und schießen auf alles, was sich bewegt. Wenn diese Revolution scheitert, dann wird es eine Menge Tote geben. Viele der Inhaftierten werden hingerichtet.  Das wissen wir. Darum müssen wir hier weiter laut sein. Gerade jetzt. Die Revolution ist kein Sprint – sondern ein Marathon.

Was würdest du dem Iran und all den Menschen dort und außerhalb des Landes, die sich aber verbunden fühlen, wünschen?  

Frauen Leben Freiheit

Ich wünsche den Menschen, dass sie es schaffen, trotz unterschiedlicher politischer Ansichten eine Schnittmenge zu finden. Und zwar die der Freiheit und der Demokratie. Der Menschlichkeit und des Mitgefühls. Egal ob im Iran oder in der iranischen Diaspora.

Nur gemeinsam – und auch mit der Hilfe, der Deutschen, Europäer:innen und des Westens können wir diese Revolution gewinnen und die Mullahs endlich zum Teufel schicken. Viel zu lange haben sie unsere Menschen unterdrückt. Und das im Namen der Religion. Darum wünsche ich mir vor allem – unabhängig der politischen Ausrichtung – einen säkularen Staat. Denn eine Religion hat meiner Meinung nach in der Politik nichts, aber auch gar nichts zu suchen.

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2 comments

  1. Danke für die mutige Arbeit und den Beicht darüber. Es ist kaum auszuhalten, die Graumsamkeit des Regimes zu lesen und umso wichtiger, die Revolution weiter zu unterstützen.

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