TikTok, Snapchat und Instagram: Wie rasten wir als Eltern nicht aus darüber?

Elternratgeber Snapchat

Ihr Lieben, alle Studien bestätigen es: Der Medienkonsum unserer Kinder ging – oh, Wunder! – durch die Pandemie extrem in die Höhe. Es ist ja nicht so, dass Eltern größerer Kinder nicht schon vorher oft mit dem „Kampf ums Gerät“ zu tun hatten, nun spitzt sich die Lage aber nochmal zu.

Wie also können wir unsere Kinder sicher durch die sozialen Medien und all die neuen Plattformen begleiten, in denen wir selbst nicht unbedingt unterwegs sind? Wir haben mit Tobias Bücklein von @dieserdad darüber gesprochen, dessen neustes Buch „Der Elternratgeber: TikTok, Snapchat und Instagram“ gerade bei der Stiftung Warentest erschienen ist.

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Autor und Medien-Experte Tobias Bücklein. Foto: privat

Lieber Herr Bücklein, Ihr Sohn ist selbst ein bekannter Youtuber, wie ging das bei ihm los und welche Einstellung hatten Sie zu Anfang zu seiner „Netz-Karriere“?

Gute Frage … Oskar war so jung als er anfing, dass ich mich kaum erinnern kann. Aber ein wesentlicher Punkt war, dass wir eine Bildschirmzeit vereinbart hatten und dann zwischen „produktiver Zeit“ und Medienkonsum unterschieden haben. Da fing er dann an, selbst Videos zu drehen und zu schneiden und sich die nötigen Skills bei mir abzuschauen oder durch YouTube-Videos anzueignen. Insofern sah ich vor allem eine Möglichkeit darin, dass er sich kreativ ausleben konnte und eigenmotiviert Dinge lernte. Am Anfang hat er seine Videos ja gar nicht veröffentlicht, und bis er wirklich nennenswerte Zuschauerzahlen hatte, hat es Jahre gedauert.

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Der Elternratgeber: TikTok, Snapchat und Instagram

Wie hat sich diese Einstellung im Laufe der letzten Jahre bei Ihnen als Vater verändert?

Gerade für junge Creator ist der Druck durch die Erwartungshaltung der Zuschauer und die Funktionsweise der Plattformen schwer auszuhalten. Ich merke das bei meinem @dieserdad-Kanal auch selbst: Man muss schon sehr aufpassen, dass man sich inhaltlich nicht komplett danach richtet, was Klicks und Likes bringt. Wenn man mal was Neues ausprobiert, sinken die Zuschauerzahlen, und das tut weh. Aber wer immer nur das gleiche macht, wird auch unglücklich. Insofern sehe ich das „Creator-Leben“ durchaus auch kritisch. Für Entwicklung, ein entspanntes Wochenende oder gar mal drei Wochen Pause ist eigentlich kein Raum auf den Plattformen, wenn man erfolgreich sein will.

Inwiefern sehen Sie soziale Medien wie TikTok und Youtube als Segen und inwiefern als Fluch an?

 Als Segen, weil Heranwachsende Chancen der kreativen Selbstentfaltung und Kommunikation haben, die ich mir in meiner Kindheit gewünscht hätte. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, Freunde zu finden, sich weiter zu entwickeln und Wertschätzung zu erfahren! Und gleichzeitig steckt hinter den Plattformen ein hochgradig kommerzielles Prinzip. Das ist der Fluch, weil durch die perfekte Abstimmung der Inhalte an den Geschmack jedes Einzelnen ein unaufhörlicher Strom von angenehmer Berieselung erzeugt wird. Und ohne Regeln oder Selbstdisziplin verliert man leicht Stunde um Stunde Lebenszeit in diesem „süßen Brei“.

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Der Elternratgeber: TikTok, Snapchat und Instagram

Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass all die Fotos und Videos eine ganze Generation verändern? Klar, zu Medienprofis…. aber auch vielleicht – überspitzt gesagt – zu Opfern der Schönheitsindustrie? Weil eben doch nur Ausschnitte gezeigt werden, Filter drübergelegt werden und viele sich im Vergleich mit den vermeintlich Perfekten verlieren?

Absolut. Das sehe ich genauso. Die Gefahr ist umso größer, weil sich ja auch Eltern, Medien, Schule, Gesellschaft in erster Linie nach Kategorien wie Erfolg, Reichtum, Schönheit, Konsum und Macht ausrichten. Die Glitzerwelten der Sozialen Medien sind ja nur eine perfekt auf Jugendliche angepasste Form derselben Denkweisen, die auch Großteile der Erwachsenenwelt beherrschen. Anders gesagt: Wenn Eltern die Werte auf den Social Media beklagen, müssen sie andere Werte vorleben. Tun wir das?

Sie haben selbst 150.000 Follower auf TikTok, Youtube und Instagram – was gibt Ihnen das?

 Haha, ja das ist praktisch, weil man das bei einem Buch über Social Media in den Lebenslauf schreiben kann… Nein, im Ernst. Ich finde den Austausch mit der Community sehr bereichernd. Da kommen gute Fragen, die ich z.B. in Videos beantworte. Auch meine Bücher sind voller solcher Fragen und Antworten, die im Austausch mit den Followers entstanden sind. Und es ist natürlich schön, dass sich Menschen z.B. für meine Videos über Elektromobilität, Nachhaltigkeit und die Energiewende interessieren, weil das sinnvolle Themen sind.

Sind Ihnen oder Ihrem Sohn auch schon mal unschöne Dinge passiert? Meine Söhne zum Beispiel haben mal „aus Versehen“ durch in-App-Käufe 500 Euro für virtuelles Heu ausgegeben, um ihre Bauernhof-Tiere zu versorgen… auch wurden sie in einem Chat schon mal gefragt, ob sie nicht ihre Hände mal unter die Bettdecke legen könnten. Das ist schon gruselig und ich bin froh, dass sie so etwas dann sofort sagen…

Für mich war auch das Entscheidende, dass meine Kinder solche Sachen immer mit uns geteilt und sich nicht geschämt oder es verschwiegen haben. Ja, Oskar hat natürlich auch komische Sachen erlebt. Einmal schickte ein älterer Mann ein Päckchen mit schwarzer Bettwäsche. Und es gab eine Zeitlang so viel Hate und schlimme Kommentare, dass wir ihn die gar nicht mehr haben lesen lassen. Was ich ebenfalls gelernt habe, ist dass man sich auf den Sozialen Medien nicht mit nackten Füßen zeigt, weil es Leute gibt, die auf so etwas abfahren.

Was halten Sie von fest abgemachten Medienzeiten?

Sehr viel. Ich denke, es ist absolut wichtig, den Strom von Zerstreuung und letztlich kommerziell orientierten Einflüssen in irgendeiner Weise inhaltlich wie zeitlich zu begrenzen. Von selbst würden die Kinder kaum ausschalten, auch die Peergroup will sich ja über die aktuellen Trends unterhalten und erzeugt entsprechend Druck. Die Werbeindustrie will gerne endlos Werbung schalten und die Plattformen leben davon. Niemand außer den Eltern kann also ein Interesse daran haben, das zu regulieren. Also sollten sie es tun.

Meine Hauptregel hier bei uns lautet: Nimm keine Freundschaftsanfragen von Leuten an, die du noch nie in echt gesehen hast, nein, auch nicht von Manuel Neuer, denn den hast du noch nie gesehen und du weißt nicht, ob sich dahinter nicht doch jemand ganz anderes verbirgt… wie lautet Ihre?

Das ist auf jeden Fall eine sehr gute Regel, die ich genau so teilen würde. Vielleicht würde ich noch ergänzen, dass es bei Kontakten eher um die Qualität als die Quantität geht, oder dass sich Kinder zumindest bewusst machen, dass „viele Freunde“ nicht unbedingt „gute Freunde“ sein müssen. Und dass sie sich z.B. von Snapchat nicht vorschreiben lassen, dass täglicher Kontakt besonders wertvoll (Flammen) sein muss.

Welche Grundwerte möchten Sie Eltern und Kindern in ihrem Medienkonsum vermitteln?

Ich habe Werte. Aber im Ratgeber vermittle ich sie höchstens zwischen den Zeilen. Ich versuche Eltern und Kinder dazu anzuregen, dass sie darüber nachdenken, was sie in sich hineinlassen, warum sie das tun und vor allem, dass sie selbstwirksam und selbstbewusst entscheiden, was ihre Gedankenwelt prägen soll. Niemand sollte sich das von der Medienwelt, Algorithmen oder Mitschülerinnen diktieren lassen. Selbst-Bewusstsein und Reflektiertheit wären also wichtige Werte. Und dann sind mir ganz persönlich Gewaltfreiheit (auch verbale), Menschenfreundlichkeit, Gelassenheit und Optimismus wichtig – auch bei der Mediennutzung.

Können Sie verstehen, dass Eltern all die Regeln, Datenschutzrichtlinien und Co. allmählich über den Kopf wachsen? Was ist zum Beispiel, wenn ich mitkriege, dass mein Kind Fußballszenen aus der Bundesliga zu Videos schneidet, deren Bildrechte es nicht besitzt, dann aber mindestens 150 andere Accounts aufzählt, in denen das Gleiche getan wird. Wer haftet da? Wer kann Eltern bei solchen Fällen rechtlich beraten?

Das kommt auch ein bisschen darauf an, wie alt die Kinder sind und wie kommerziell erfolgreich der Kanal ist. Ein paar Hinweise dazu gibt der Ratgeber auch. Bei der Frage nach rechtlicher Beratung (vor allem kostenloser, das ist glaub ich gemeint), muss ich passen. Ich frage immer bei Christian Solmecke von der auch im Internet bekannten Kanzlei WBS in Köln nach oder suche auf seinen Kanälen nach Antwort.

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Vater und Sohn: Tobias und Oskar. Foto: Chris Danneffel

Wie viel Vertrauen, wie viele Kontrollen sind gut?

Vertrauen entsteht für mich dann, wenn der andere zeigt, dass er den Sinn eines von mir erwünschten Verhaltens verstanden hat, und es deshalb selbsttätig umsetzt. Wenn ich eine Regel aufstelle, muss sie deshalb erst einmal nachvollziehbar und sinnvoll sein: „Lege bitte abends um 21.00 Uhr deine Geräte aus dem Zimmer, damit du langsam zur Ruhe kommst und für die Schule ausgeschlafen bist.“ Wenn ich nun jeden Abend um 21.00 Uhr vor der Tür stehe und warte, kann kein Vertrauen entstehen, weil ich ja ständig kontrolliere. Wenn ich aber tagelang dulde, dass mein Kind bis in die Nacht am Handy hängt, entsteht auch kein Vertrauen. Ich drücke mich dann lediglich um die unangenehme Aufgabe, die Regel einzufordern. Die logische Konsequenz ist, dass mein Kind sie dann doch nicht für so sinnvoll oder nötig hält. Ich bin also ein Fan von angemessener Kontrolle. Gleichzeitig finde ich ein bedingungsloses Grundvertrauen wichtig, dass mein Kind an und für sich ein toller Mensch ist und keine bösen Absichten hat. Das sollte auch bei aller Kontrolle immer zum Ausdruck kommen.

Zu guter Letzt: Was wünschen Sie uns Eltern und unseren Kindern in Bezug auf unseren Medienkonsum?

Wenn Eltern ihren Kindern den Weg durch „Neuland“ (mein vorheriges Buch heißt „Willkommen in Neuland“) zeigen oder sie darin begleiten wollen, dann sollten sie wenigstens selbst mal dort gewesen sein. Es ist hilfreich, die Faszination von Spielen, Apps, auch den Spaß wenigstens mal zu erfahren, auch die Gefahren mit eigenen Augen zu sehen. „Keine Ahnung“ ist für mich keine Option. Ich wünsche Eltern und Kindern also eine gemeinsame, spannende Reise. Und ich wünsche ihnen vor allem viele Begegnungen und Erlebnisse außerhalb der Medienwelten. Ich frage immer: Welches Gefühl möchte ich mit dieser Sendung, dieser App, diesem Film eigentlich erreichen und warum? Und wie könnte ich das durch ein reales Erleben erfahren? Analoge Erlebnisse haben für mich persönlich nach wie vor immer noch den Vorzug.

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