Junge Bestatterin: „Wir sind wie Hebammen, nur rückwärts“

Mia Fleischer

Ihr Lieben, Mia wusste schon früh, was sie werden wollte: Ihre eigene Chefin nämlich. Nach einem Praktikum im Alter von 14 Jahren war ihr dann auch klar, in welcher Branche: Sie wollte junge Bestatterin werden. Da wusste sie noch nicht, dass sie mit 17 ihren Papa verlieren würde und sich einen achtsameren Umgang für sie als Hinterbrliebene gewünscht hätte. Mit 21 lebt sie nun ihren Traum mit eigenem Institut in München. Was für eine Frau!

Liebe Mia, du bist erst 21, hast aber schon dein eigenes Unternehmen gegründet, erzähl mal, was du da machst. 

Junge Bestatterin

Oh ja, dieses Jahr konnte ich mein absolutes Herzensprojekt nun endlich verwirklichen. Der Wunsch, irgendwann mein eigenes Bestattungsunternehmen zu gründen, kam schon nach meinem ersten Praktikumstag im Alter von 14 Jahren auf. Einerseits, weil für mich schon sehr früh klar war, – bereits bevor ich den Beruf und die zugehörige Branche kennenlernen durfte – dass die Selbstständigkeit und das Unternehmertum mein Weg sein wird, aber vor allem deshalb, weil ich etwas verändern möchte.

Ich erfinde das Rad der Bestattungsbranche mit meiner „VitaNova Bestattungskultur – Wegbegleitung mit Herz und Hand“ nicht komplett neu, gehe jedoch zeitgemäß und innovativ auf sie ein. Mein Ziel ist es, dieses oft eingestaubte und dunkle Tabuthema, weiter ins Licht zu holen und Menschen dazu zu animieren, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen. Ich möchte positiv zur Trauerbewältigung beitragen, statt sie zu erschweren und ich möchte zeigen, dass ein Abschied auch sehr liebevoll, warm und als Fest der Erinnerung, als Lebensfeier, gestaltet werden kann.

Was möchtest du in deinem Beruf anders machen als andere?

Mein Anspruch ist es, jedem Menschen die Möglichkeit zu schenken, im eigenen Tempo Abschied nehmen zu können. Mit VitaNova begleite ich Verstorbene und Hinterbliebene ganz individuell und bedürfnisorientiert. Hierbei stehe ich gerne bereits zu Lebzeiten im Voraus jederzeit als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Selbstverständlich betreue ich die Hinterbliebenen genauso und in eigens gewünschter Intensität während der eigentlichen Abwicklung des Sterbefalls als auch weiterhin danach und über den Tod hinaus, nach Rechnungstellung.

Junge Bestatterin

Meine Kunden wissen alle, dass sie jederzeit auf einen Kaffee willkommen sind und ich immer mit einem offenen Ohr an ihrer Seite bin. Ganzheitlichkeit ist für mich in diesem Lebensumstand unerlässlich, weshalb ich über ein großes Netzwerk an Rednern, Musikern, Floristen, professionellen Trauerbegleitern und sogar an Rechtsanwälten und Maklern, verfüge. Mein Ziel ist es, den Tod mehr in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren, Menschen Mut zu machen, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen und den Blick auf die Endlichkeit etwas zu verändern bzw. zu schärfen. Ein Abschied muss nicht schwarz und düster sein. Ein Abschied darf warm, bunt, hell, feierlich und voller Liebe sein. Denn wir feiern nicht nur einen Geburtstag, wir feiern ein ganzes Leben!

Die Bestattungsszene braucht also ein Make over, eine Entrümpelung, eine Revolution. Sie darf schöner, liebevoller, achtsamer, bewusster und innovativer werden

Ganz genau. Wie schon in der ersten Antwort beschrieben, erfinde ich das Rad der Branche vielleicht nicht völlig neu, begegne ihr aber zeitgemäß. Es gibt durchaus Traditionen und Riten, welche man schätzen und erhalten sollte. Dennoch ist es so, dass die Branche eher alteingesessen ist und viele Prozesse und Ansätze nicht mehr ganz zeitgemäß sind.

Mein Ansatz ist es, Tradition mit Innovation zu vereinen und das Thema vor allem in die Mitte der Gesellschaft und an die Oberfläche zu begleiten. In Achtsamkeit, Ruhe und mit ganz viel Liebe. Aus diesem Grund ist mein Ladengeschäft in München auch mitten im Lehel im Wohngebiet: Um Menschen Mut und Anlass zu schenken, sich aktiv mit dem Tod zu befassen und offener und bewusster zu werden.

Junge Bestatterin

Ich bin über einen Post deiner Mutter auf Facebook auf dich aufmerksam geworden, die dich als wundervolle, bezaubernde, großartige Tochter beschreibt, die „ab Tag 1 völlig anders war, als andere“. Kannst du das bestätigen?

Sich selbst zu beschreiben, ist wahrscheinlich eine der komplexeren Aufgaben. Dennoch kann ich hierzu erzählen, dass meine Lieblingsthemen nie Normen und Systeme beinhalteten. So entsprach das deutsche Schulsystem beispielsweise auch nicht unbedingt meiner Präferenz, denn ich wusste ja, wo ich hinwollte. Möglicherweise macht es sich auch in Bezug auf Spiritualität bemerkbar. Für mich ist das feine Wahrnehmen und Erfühlen von Energien und Frequenzen ganz selbstverständlich, während sich einige damit überhaupt nicht identifizieren können. Ob ich anders bin, kann ich schwierig beurteilen. Was ich jedoch abschließend dazu kommunizieren kann ist, dass ich stets meiner Intuition und meinem Herzen folge!

Sie beschreibt dich auch als „junge Bestatterin diesen Beruf aus Überzeugung, mit Leidenschaft, mit Herzblut und als Berufung lebt und liebt“. Ist das so? Und wo kommt das her?

Absolut. Ich liebe, liebe, liebe meinen Job und bin Bestatterin, weil ICH es BIN. Meine zusätzliche tägliche Motivation ist es, Menschen in dieser oft sehr belastenden, schweren, fordernden Zeit mit einer helfenden Hand, einer stützenden Schulter und einem offenen Ohr jederzeit zur Seite zu stehen. Ich selbst habe meinen Papa im Alter von 17 Jahren durch eine schwere Erkrankung verloren und hätte mir damals auch ein Bestattungsinstitut mit umfassender Beratung, Begleitung und Betreuung gewünscht.

Junge Bestatterin

Wir als Bestatter sind die Leuchttürme, die Anker, der Lichtblick für Hinterbliebene, die gerade ihr persönliches „Worst Case“ erleben – nämlich einen geliebten Menschen in der irdischen Welt für immer verabschieden zu müssen. Ich sehe es ein Stück weit als meine Pflicht an, für die Angehörigen vor, während und nach der Abwicklung da zu sein und sie in meinem bestmöglichen Rahmen so zu begleiten, wie ich es mir wünschen würde, wenn für mich die Welt stillsteht und zusammenbricht.

Mich erfüllt diese Arbeit zutiefst, – auch wenn diese Aussage im ersten Moment paradox klingen mag, da ich quasi immer mit Trauer und dem Tod konfrontiert bin – denn ich kann Menschen in dieser oft dunklen Phase nachhaltig helfen und sie begleiten. Dafür steht mein Unternehmen und dafür lebe ich.

Du kamst damals selbst als Frühchen zur Welt, zwölf Wochen vor dem Geburtstermin. Macht sich das noch in irgendeiner Weise bemerkbar in deinem Leben?

Glücklicherweise merke ich hiervon nichts, zumindest nichts, was die Lebensqualität in irgendeiner Art und Weise negativ beeinflussen würde. Gerade in meinen ersten Lebensjahren musste meine Motorik speziell gefördert werden. Heute macht sich das nur noch darin bemerkbar, dass ich meinen Stift etwas anders halte, als es der Norm entspricht (was mich aber nie beeinträchtigt hat). Außerdem tue ich mich manchmal beim Schälen von Obst und Gemüse und beim Mischen von Spielkarten beim Kartenspielen, etwas schwerer. Ansonsten erinnert mich nur noch die ein oder andere ganz leichte Narbe an meinen Händen an diese Zeit.

Du wusstest angeblich schon mit 10 Jahren, dass du mal Unternehmerin werden möchtest…

Junge Bestatterin

Ja, das ist richtig. Meine Worte dazu waren damals laut meiner Mama: „Ich werde mein eigener Chef sein und muss mir keinen Urlaub nehmen, weil ich meine Arbeit liebe und mir deshalb niemals „Urlaub“ von der Arbeit nehmen muss.“ Gute 10 beziehungsweise 11 Jahre später ist es nun tatsächlich so. Für mich hat sich meine Arbeit noch keinen einen Tag wie Arbeit angefühlt. Genauer betrachtet ist das Wort „Arbeit“ für mich nicht negativ behaftet und nichts was ich tagtäglich tun muss.

Arbeiten und mein Job ist für mich etwas, was ich aus vollster Überzeugung, aus tiefstem Herzen liebe und lebe. Etwas, wofür ich brenne und was mich komplett erfüllt. Etwas, wovon ich mich nicht ständig zwingend erholen muss. Ich habe mein Hobby nicht zum Beruf gemacht, aber Bestatterin zu sein, ist für mich Berufung. 

DU hast mit 14 deine Berufung gefunden. Wie kam das? Und was war das?

Das habe ich und ich bin bis heute unsagbar dankbar darüber. Ich musste im Alter von 14 Jahren ein Schülerpraktikum absolvieren und wusste – wie die meisten Jugendlichen in diesem Alter – nicht so wirklich meine Interessen einzuordnen. Schließlich saßen meine Mama und ich eines Abends beim Abendessen und sie hat mit der Idee „gescherzt“, ich könne mich doch beim Bestatter bewerben.

Junge Bestatterin

Lustigerweise weiß sie bis heute nicht, wo dieser Einfall seinen Ursprung fand, da wir bis dato nie etwas mit einem Bestattungsunternehmen zu tun hatten. Zunächst nahm ich ihrer Idee gegenüber eine Abwehrhaltung ein, jedoch fand ich (Trauer-)Psychologie und Biologie immer schon sehr faszinierend. Also nahm ich es sportlich und bewarb mich mit dem Gedanken, mich selbst einfach mal zu challengen und zu schauen, was es mit mir macht. Jedenfalls empfand ich diese Idee als sinnvoller, als eine Woche lang irgendwo die weiße Decke anzustarren und Kaffee zu kochen.

Letztendlich bin ich dann bei einem alt eingesessenen Ein-Mann-Betrieb in meinem Wohnort untergekommen. Direkt am ersten Praktikumstag durfte ich an einer Überführung eines Verstorbenen mitwirken und einem anschließenden Beratungsgespräch mit den Hinterbliebenen beiwohnen. Als ich abends nach Hause gekommen bin, wusste ich, dass es DAS ist. Dass ich GENAU DAS machen möchte und, dass Bestatterin MEIN Beruf ist.

DU bist dann mit 18 mit Sack und Pack nach München aufgebrochen… 

Ja, München hat mich gerufen. Ich war im August 2020 das erste Mal für ein paar Tage in München, um Freunde zu besuchen. Als ich am Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen bin, habe ich weinend vor Rührung meine Mama angerufen und ihr mitgeteilt „Munich it is – hier MUSS ich hin“. Und das obwohl ich zu diesem Zeitpunkt keine einzige Ecke der Stadt gesehen hatte, war meine Intuition ganz klar, obgleich ich in diesem Moment noch nicht wusste, aus welcher Intention heraus.

Junge Bestatterin

Fast auf den Tag genau ein Jahr später, also im August 2021, habe ich meinen Arbeitsvertrag für eine Standortleitung in einem Münchner Bestattungshaus unterschrieben und bin binnen vier Wochen Hals über Kopf gemeinsam mit meiner Hündin „Hope“ nach München gezogen.

Was wünschst du dir für den letzten Weg deiner Mitmenschen? Einen würdevollen, liebevollen und dankbaren Abschied?

Ja, das beschreibt es sehr passend. Ich pflege gerne zu sagen: „Wir Bestatter sind wie Hebammen, nur rückwärts – Hebammen helfen ins Leben rein und wir helfen raus.“ Eine Geburt ist ein mit Liebe geflutetes Ereignis und ein Abschied kann und darf das auch sein. 

Welche Rückmeldung zu deiner Arbeit hat dich zuletzt berührt?

Pauschal kann ich dazu gar keine Aussage treffen, denn mich berührt jede positive Rückmeldung auf ihre eigene Art und Weise. Wir als Bestatter erlangen jedes Mal einen so großen Vertrauensvorschuss von den Angehörigen und Hinterbliebenen, das ist ein riesiges Geschenk. Sie geben ihren geliebten Menschen in unsere Hände. Alleine diese Tatsache berührt mich jedes Mal sehr und stimmt mich wahnsinnig demütig.

Hast du weitere Pläne für die nächsten Jahre?

Junge Bestatterin

Allerdings. Mein Ziel ist es, weiter zu enttabuisieren und Vorurteile zu revidieren. Auch und gerade im Bereich „Sternenkinder“. Ebenso ist ein Herzenswunsch von mir, im Münchner Umland mit VitaNova zu „expandieren“. Mein Ziel ist ein weiteres, größeres Objekt, in dem wir Hinterbliebene noch ganzheitlicher betreuen können. Das Augenmerk liegt hier auf großen Räumlichkeiten für die Ausrichtung von Verabschiedungen und Lebensfeiern im großen Stil zusätzlich mit einem großen Garten für Feierlichkeiten im Freien.

In meinem Ladengeschäft habe ich bereits einen kleinen „Raum des Lebens“ für Feierlichkeiten an der Urne mit bis zu 15 Personen. Da es sehr wertvoll im Trauerprozess sein kann und geschätzt wird, Feierlichkeiten ganz individuell und ohne die zeitliche Limitierung des Friedhofs auszurichten, möchte ich hier entsprechend anknüpfen.

Ebenso möchte ich früher oder später noch etwas Mehrwertstiftendes für junge Gründerinnen konzipieren. Ich selbst hätte mir während meiner Gründung noch mehr sinnvollen Input, insbesondere von Gründerinnen gewünscht. Für mein Empfinden gibt es hiervon noch zu wenig, weshalb auch hierfür mein Herz schlägt. Wie die genaue Umsetzung en detail letztendlich aussehen wird, steht derzeit noch in den Sternen, aber auch hier wird sich zum richtigen Moment alles fügen, da bin ich mir sicher.

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Interview mit Mia Fleischer

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3 comments

  1. WOW! Das ist wirklich die absolute BeRufung!!
    Den Vergleich mit dem Beruf der Hebamme (bin selbst eine) finde ich toll und die Gedanken dazu sind auch mir sehr nahe. Der LebensKreis beginnt mit der Geburt und schliesst sich – unabdingbar – mit dem Tod. Für beide Phasen bedarf es eines einfühlsamen “ zur Seite stehen“!
    Der Tod, seine Akzeptanz, die Gefühle dazu, sind zunehmend unöffentlich geworden…die Traditionen des Aufbahrens, des öffentlichen Trauerjahres,…verschwunden. Zu steril und abgeklärt läuft das meines Eindrucks nach ab. Dabei ist diese Zeit so eine wichtige! Abschied nehmen, sich erinnern, eine dem/der Verstorbenen gebührende Trauerfeier/Beerdigung zu feiern. Den Tod in die Mitte holen,ohne eine instafähige Veranstaltung daraus machen zu wollen, sondern eine für alle Betroffenen “ gesunde“ Zeit zu gestalten…das wünsche ich mir!
    Viele schöne und kraftbringende Momente wünsche ich Dir bei Deiner so wichtigen Arbeit und Deinen Kunden in ihrer Trauer.

  2. Eine unglaublich starke bemerkenswerte mutige, liebevolle junge Frau. Sehr gerne würde ich in einpaar Jahren nocheinmal von ihr hören um zu erfahren wie es ihr geht, mit all ihren Erfahrungen.

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