Gerechtigkeit in der Erziehung: Über Geschwisterstreit und Gefühle des Zurückgesetztseins.

schnee2015
"Immer, immer, immer, immer bevorzugst Du die anderen, Mama."
"Aber…"
"Doch! JEDEN TAG! Er darf mir den Stuhl wegziehen, ich darf ihm aber den Stuhl nicht wegziehen."
"Niemand darf Stühle wegziehen!"

"Aber ich krieg den Ärger."

Das sitzt. Jede Mehrfachmutter wird sich wohl wieder erkennen in einer solchen oder einer ähnlichen Situation. Und was am Tage noch als "Ach, jetzt komm mal in den Arm, ich achte jetzt mehr drauf", abgetan wird, dreht sich abends wie ein Karussell durch den Mutterkopf. Behandle ich zur Zeit ein Kind wirklich unfair? Erwarte ich womöglich echt mehr vom größeren Kind als vom Kleineren? Und falls ja: Ist das nicht auch legitim? Vom Größeren mehr Vernunft zu erwarten? Vielleicht nicht? Und ist es nicht gerade die sonst so große Vernunft, die mich in den wenigen unvernünftigen Momenten so schnell Ermahnungen aussprechen lässt? Bin ich einfach abgehärteter bei den Kleineren, weil die eh alle fünf Minuten irgendetwas kaputt machen oder unwerfen? Und müsste ich nicht gerade deswegen eher mit ihnen…ach.

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"Aber ich liebe sie doch alle", geht es uns dann durch den Kopf.
Nur: Das wollen die Kinder ja nicht hören. Sie halten sich an konkreten Momenten fest. Und da bleiben nunmal vor allem die unfairen in der Erinnerung. Egal, wie viel Mehr-Aufmerksamkeit das eine Kind gerade bekommt, weil zum Beispiel ein Fest für es ansteht – alles vergessen, wenn es darum geht, den Geschwistern den Stuhl unterm Popo wegzuziehen.
"Du bist gemein, Mama." Verdammt!
Kann man als Mutter überhaupt gerecht sein? Ich kann nicht mit der Stechuhr zwischen den Kindern umherwandern und jeden exakt 5 Minuten auf meinem Schoß sitzen lassen. Eins meiner Kinder mag Schoßsitzen zum Beispiel gar nicht. Das andere braucht grad eher einen Wald-Spaziergang und so weiter.
So viele Bedürfnisse, so wenige Hände.
Gerechtigkeit ist also nichts Materielles, darf es nicht sein. Es geht dabei eher um Ausgeglichenheit. So, dass ich jedem fair das geben kann, was er oder sie gerade braucht. Da sist nicht immer gut vereinbar bei drei Kindern und kostet Kraft, aber die ist gut investiert. Und trotzdem rufen eben manchmal die Gespenster ins Hirn:
Wird sich ein Kind sein Leben lang zurückgesetzt fühlen, weil es Geschwister hat?
"Immer redet mir der SoundSo dazwischen."
"Okay ich achte ab jetzt darauf."
Dann redet genau dieses Kind dazwischen und ich sage: "Stop, wir hatten eine Regel, jeder spricht aus". Und das besagte Kind rastet aus, weil es sich wieder zurückgesetzt fühlt: "Immer sprechen die mir dazwischen und ich nur einmal und ICH krieg dann direkt die neue Regel ab."
Dürfen die strengeren Regeln also nur für die anderen beiden gelten? Natürlich nicht. Aber es ist verflixt. Und vor allem wohl auch … menschlich. Gerechtigkeit gibt es nicht, weil es hier um Empfindungen geht. Es wird sich immer irgendwer irgendwann mal zurückgesetzt fühlen. Und dann wieder jemand anders. Das nennt man dann wohl: Familie. Oder?

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