Interview mit Psychologin: Hilft eine Schwangerschaft bei Multipler Sklerose (MS)?

Ärztin Dr .Schipper

Dr. Sabine Schipper. Foto: DMSG-LV NRW

Liebe Frau Dr. Schipper, wir haben schon öfter gehört, dass es Frauen mit Multipler Sklerose besser geht, wenn sie schwanger sind, haben Sie auch den Eindruck?

Dr. Schipper: Das kann ich pauschal so nicht sagen. Egal, ob MS oder nicht: Schwangerschaften verlaufen ja sehr unterschiedlich. Der Verlauf der Schwangerschaft wird durch die MS per se nicht verändert. Allerdings ist es für viele MS-erkrankte Frauen erst einmal eine Beruhigung, dass das Schubrisiko im Laufe der Schwangerschaft abnimmt.

Sind also die ersten drei Monate, die ja bei jeder Frau immer mit ein wenig Sorge behaftet sind, gut überstanden, so fühlen sich viele Frauen auch bezüglich ihrer MS-Symptome weniger beeinträchtigt. Und wenn die Schwangerschaft gewünscht ist, dann geht auch die Vorfreude auf den neuen Lebensabschnitt natürlich vermehrt mit subjektivem Wohlbefinden einher.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Frauen mit MS über ihre Schwangerschaften?

Die Schilderungen sind gar nicht so spektakulär anders als z.B. bei meinen gesunden Freundinnen. Es ist aber so, dass im Vorfeld und auch während der Schwangerschaft immer auch Fragen auftauchen, die sich eine gesunde werdende Mutter nicht stellt.

Da denke ich an Dinge wie: „Was, wenn nach der Geburt ein Schub auftritt?“, „Kann ich unter Kortison stillen?“ und ähnliche Dinge. Und da eine Schwangerschaft bei vielen werdenden Eltern mit Ängsten, alles richtig zu machen, verbunden ist, müssen wir als Helfer da mit fundierten Infos möglichst schnell zur Stelle sein.

Wie würden Sie einer Frau mit MS und Kinderwunsch Mut machen?

Die z.T. früher zu findende Haltung, mit einer MS-Erkrankung besser nicht schwanger zu werden oder die Maßgabe alle MS-Therapien lange Monate vor einer Schwangerschaft abzusetzen, haben sich Gott sei Dank geändert.

Wir haben heute – u.a. auch durch das Schwangerschafts- und Kinderwunschregister von Frau Prof. Kerstin Hellwig, Bochum und auch die Pionierarbeit unserer Bundesvorsitzenden, Frau Prof. Judith Haas, Berlin – ein viel besseres Wissen im Zusammenhang „MS und Kinderwunsch“.

Heute stellt sich für die jungen Familien und auch für uns in der Beratung viel häufiger die Frage nach dem „Wie“ als nach dem „Ob“. Das allein macht sicherlich schon einmal Mut. Auch dass wir uns in einem Projekt wie „Plan Baby bei MS“ mit der Thematik beschäftigen, nimmt vielen angehenden Eltern die Angst.

Wichtige Aussagen sind in diesem Zusammenhang:

a) Durch eine Schwangerschaft werden sich für die meisten Frauen keine größeren Risiken (bzgl. Verlauf der Schwangerschaft und der MS selbst) ergeben,

b) in Studiengruppen zeigte sich langfristig keine Zunahme der Behinderung als Folge von Schwangerschaften,

c) auch wenn die wissenschaftlichen Studien hier leider begrenzt sind, gehen wir – auch aus unserer Praxiserfahrung – davon aus, dass nicht die MS eines Elternteils ein Risiko für die kindliche Entwicklung bedeutet.

Wichtig ist hier hingegen der Umgang mit der Erkrankung in der Familie und im sozialen Umfeld. Gerne berät hierzu auch das „Plan Baby bei MS“-Team der DMSG.

Insgesamt geht es bei diesem so wichtigen Thema nicht darum, potentielle Probleme kleinzureden oder einen rosa Schleier zu weben, sondern Menschen mit MS möglichst gut bei ihrer Entscheidungsfindung und später auch bei ggf. auftretenden Schwierigkeiten zu unterstützen.

Und vielleicht macht das ja auch Mut: Wir sind beratend an der Seite der bei uns Ratsuchenden. Vor, während und nach der Schwangerschaft!

Müssen Schwangere mit MS bestimmte Dinge beachten, wenn sie einen Kinderwunsch haben – oder gar umsetzen?

Ich halte es für ganz wichtig, möglichst früh mit den behandelnden Ärzten (Neurologen, Gynäkologen) zu sprechen und sich ggf. weiterführende Informationen über unser Projekt-Team einzuholen.

Viele sehr wichtige Fragen werden auch über die Seite des MS Kinderwunsch Registers und auch in den Webinaren mit Frau Prof. Hellwig beantwortet. Angefangen von Folsäure bis zu Hinweisen zur Geburt findet sich hier eine Menge Hintergrundwissen.

Bei der DMSG sind wir überdies gerade dabei eine Broschüre zu erstellen, die auch sehr hilfreich sein wird, um die verschiedenen Aspekte zu beleuchten. Und mein wichtigster Rat: Wenn sich jemand dann für ein Baby entschieden hat, dann sollte der neue Lebensweg rundherum zuversichtlich beschritten werden.

Was würden Sie Frauen im Umgang mit kritischen Nachfragen („Wie kannst du denn nur ein Kind kriegen, wenn du selbst krank bist?“) empfehlen?

Abgesehen davon, dass es eine ziemliche Frechheit ist, eine solche Frage zu stellen, würde ich darauf verweisen, dass es eine ganz bewusste und gut überlegte Entscheidung ist. Und dass bedingt durch die eigenen Lebenserfahrungen und das Bewältigen eines Schicksalsschlages wie einer MS-Diagnose, die persönliche Reifung einen als Eltern ja vielleicht sogar besonders qualifiziert.

Und das ist auch meine persönliche Erfahrung: Die Menschen, die unseren Rat im Projekt suchen, sind besonders am Wohl ihrer Kinder interessiert. Und wir lernen viele dieser sozial besonders zugewandten Kinder auf Strecke bei DMSG-Veranstaltungen oft ja auch kennen.

„Plan Baby bei MS“ gäbe es als Projekt nicht, wenn wir nicht denken würden, dass es in den meisten Familien richtig gut gelingen wird, Kinderwunsch und MS zusammenzubringen. Eine große Community traut es unseren chronisch Erkrankten also zu!  

Zum Weiterlesen: „Und Ihr so?“ Heute bei: JULIA SUE, einer Zweifach-Mama mit Multipler Sklerose

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