Kaio liegt im Wachkoma, seine Mutter hofft jeden Tag auf ein Wunder

Wachkoma

Ihr Lieben, vor drei Jahren hat sich das Leben von Marias Familie für immer verändert, denn seitdem liegt ihr Sohn Kaio im Wachkoma. Wenn man „Wachkoma“ googelt, erfährt man das: „Ein Wachkoma tritt ein, wenn das Großhirn (der Teil des Gehirns, der Denken und Verhalten kontrolliert) nicht mehr funktioniert, Thalamus und Stammhirn (die Vitalfunktionen kontrollieren, wie Schlafzyklen, Körpertemperatur, Atmung, Blutdruck, Herzfrequenz und Bewusstsein) jedoch verschont geblieben sind.“

Doch was das für Eltern, Geschwister und den Alltag bedeutet, kann man aus diesen Zeilen nicht erahnen. Daher sind wir Marisa sehr dankbar, dass sie uns ihre Geschichte erzählt. Wir drücken dich fest, liebe Marisa und wünschen euch alles Liebe.

Liebe Marisa, im Jahr 2019, zehn Tage vor seinem 4. Geburtstag, hatte dein Sohn Kaio einen Unfall im Freibad. Kannst du erzählen, was genau passiert ist? 

Genau, es war ein Sommertag, die Jungs waren mit ihrem Papa im Freibad. Sie waren schon mal vorgeradelt, denn ich wollte noch in Ruhe einkaufen gehen und dann nachkommen. Abends wollten wir nämlich noch den Geburtstag meines Mannes nachfeiern und dafür musste ich noch einiges besorgen.

Als ich an der Supermarktkasse stand, überkam mich ein ganz seltsames Gefühl. Ich wurde so unruhig und dieses Gefühl ging auch nicht weg, als ich zu Hause den Salat für abends vorbereitete.

Und dann klingelte mein Handy. Der Papa von Kaios Freund rief an und sagte, mein Mann habe sein Handy nicht dabei, ich solle ganz schnell ins Freibad kommen. Einzelheiten erfuhr ich keine und so dachte ich, Kaio habe sich vielleicht am Bein verletzt und könne nicht mehr zurückradeln.

Als du am Schwimmbad ankamst, hast du sofort die Rettungswagen gesehen…

Ja, da standen zwei Rettungswägen, einer davon fuhr mich dann ins Krankenhaus, in das sie Kaio und meinen Mann schon gebracht hatten. Es waren die längsten 15 Minuten meines Lebens, denn die Sanitäter konnten mir nicht genau sagen, was passiert war. Ich erinnere mich, dass wir während der Fahrt über belanglose Sachen redeten und ich immer noch hoffte, es handle sich um ein aufgeschlagenes Knie. Wahrscheinlich hat mein Gehirn da schon unter Schock gestanden und auf Schutzmodus umgestellt. Als ich im Krankenhaus ankam und meinen Mann sah, war mir allerdings sofort klar, dass etwas Schlimmes passiert ist.

Was war im Schwimmbad passiert?

Mein Mann hat Kaio nur einen kurzen Augenblick aus den Augen gelassen, weil unser großer Sohn und dessen Freund ihm was zeigen wollten. Zwei andere Kinder haben Kaio wohl angerempelt, so dass er ins Wasser fiel.

In welchem Zustand war Kaio, als du im Krankenhaus ankamst?

Er wurde gekühlt und lag im künstlichen Koma. Ob er die nächsten Stunden überleben würde, konnte uns keiner sagen.

Kannst du sagen, was du und dein Mann in diesen Momenten gefühlt haben?

Wir haben uns teilweise angeschrien, wir waren komplett hilflos. Das ist ja eine Ausnahmesituation und ich habe nur gehofft, dass das Ganze ein Albtraum ist und ich aufwache.

Natürlich hatte ich schon öfter von Ertrinkungs-Unfällen gehört und wusste, dass das nicht gut aussehen kann. Ich wusste, dass – selbst wenn Kaio überlebt –er schwere Schäden haben wird. Und natürlich habe ich mich gefragt, was ich von den Ärzten hören will: „Ihr Kind hat überlebt und ist jetzt schwerstbehindert“ oder „Ihr Kind ist gestorben.“

Kaio hat überlebt, liegt seitdem im Wachkoma. Was bedeutet das genau?

Kaio ist mittlerweile bei minimalem Bewusstsein. Er atmet auch alleine. Er hat einen normalen Schlaf-Wachrhythmus, de Augen sind auf, wenn er wach ist und beim Schlafen zu. Blickkontakt gelingt manchmal.

Kaio kann aber keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen. Reaktionslose Wachheit wird das Wachkoma mittlerweile genannt. Wobei er auf emotionale Dinge manchmal reagiert, bei Schmerzen jammert er und manchmal weint er auch oder lautiert.

Man könnte sagen: Kaio ist da und auch irgendwie nicht.

Wie lange war Kaio im Krankenhaus und seit wann ist er bei euch zu Hause?

Nach der Zeit auf der Intensivstation folgte ein 6-monatiger Reha-Aufenthalt. Danach waren wir noch 2 1/2 Monate Kinderhospi und dann nochmals in der neurologischen Kinderklinik. Wir machen uns auf die Suche nach einem Pflegedienst und rund ein Jahr nach dem Unfall durfte Kaio nach Hause.

Ein Kind im Wachkoma bedeutet 24 Stunden Pflege. Hast du Unterstützung? Wie sieht so ein typischer Pflegetag aus?

Wir haben einen Pflegedienst, der Kaio in die Schule begleitet und ihn nachts überwacht. Die restliche Zeit des Tages und in den Ferien übernehme ich die komplette Pflege.

Man muss sich das alles so wie mit einem Neugeboren vorstellen. Nu, alles etwas schwerer oder unhandlicher ist, weil zum Beispiel das Anziehen und Waschen bei einem großen Kind schwieriger ist.

Kaio muss komplett versorgt und überwacht werden, das heißt: Medikamente richten und verabreichen, Nahrung und Flüssigkeit sondieren, inhalieren, absaugen bei Bedarf, lagern und umlagern, Hilfsmittel anlegen, zu Therapien fahren und begleiten, Kind die Treppe hoch und runtertragen, umsetzen, ins Auto trage. Es ist ein Fulltime-Job ohne Feierabend.

Dazu kommen die emotionalen Sorgen. Noch bin ich stark genug, um Kaio zu tragen, aber wer weiß, wie lange das noch geht. Leider konnten wir den barrierefreien Zugang zum Erdgeschoss noch nicht umsetzen, das erschwert die ganze Sache….

Du hast gesagt, Kaio geht zur Schule? Wie kann man sich das vorstellen?

Ja, Kaio geht in die ganz normale Regelschule. Uns war es einfach wichtig, dass er Kontakt zu gleichaltrigen, sprechenden Kindern. Wir wissen nicht, was Kaio wirklich wahrnimmt, weil er es uns ja nicht sagen kann. Aber wir finden den Kontakt zu anderen Kindern in jedem Fall wichtig.

Kaio hat noch einen älteren Bruder. Wie geht er mit dieser Situation um?

Es ist schwierig für ihn. Die beiden waren ein super Team, dann wurde er über Nacht quasi zum Einzelkind. Plötzlich war sein Spielkamerad und Freund einfach so nicht mehr da. Er vermisst seinen Bruder und unser altes Leben.

Und wie hat das alles eure Ehe verändert? 

Das ist ganz schwierig zu sagen. Es ist ein Auf und Ab. Eine gute Beziehung zu führen ist ja mit gesunden Kindern schon schwierig. Oft funktionierten wir einfach, irgendwie. Ich würde schon sagen, dass das alles eine große Belastung ist mit Folgen für uns alle.

Was für ein Junge ist Kaio? Und was vermisst du am meisten an ihm?

Kaio war immer unser Sonnenschein. Er war so unglaublich fröhlich und immer gut gelaunt. Er war hilfsbereit, hatte aber auch immer seinen eigenen Kopf.

Am schlimmsten ist, dass ich sein „Mama“ nicht mehr höre, ich vermisse seine Stimme so sehr. Dass ich nicht weiß, wie es ihm geht, zerreißt mich. Ich kann das nicht schreiben, ohne, dass mir die Tränen runter laufen.

Gibt es irgendeine Prognose, wie hoch die Chancen sind, dass Kaio wieder aufwacht? 

Die Ärzte haben schon schnell nach dem Unfall gesagt, dass es wenig bis keine Hoffnung gibt. Aber ich denke: Niemand weiß alles und gerade zum Thema Wachkoma bei Kindern gibt es sehr wenig Forschung.

Ich vertraue immer nur auf mein Bauchgefühl und ich weiß, dass er aufwachen wird. Es fehlen nur noch die richtigen Ärzte, die uns weiterhelfen, die passenden Therapien und Hilfsmittel. Für all das braucht man viel Geld. Da seitens der Krankenkasse meistens kaum was übernommen wird, vergeht viel Zeit. Zeit, in der ich versuche Spenden zu sammeln, um meinem Kind alle verfügbaren Chancen bieten zu können. Denn Kaio hat einfach die besten Chancen verdient.

Gab es schon Stimmen, dass Wachkomapatienten kein lebenswertes Leben führen und dass es vielleicht besser wäre, wenn sie nicht überlebt hätten? Was macht das mit Dir, wenn du solche Meinungen hörst?

Ja, die gab und gibt es. Besonders häufig höre ich das in den sozialen Netzwerken. Mich trifft das natürlich sehr. Wer kann sich anmaßen, das zu beurteilen?

Ich bekomme viele Kommentare, die mich sehr verletzen. Und natürlich bin ich genau an diesem Punkt auch einfach sehr verletzlich. Ich versuche, es nicht zu nah an mich ran zu lassen. Ich wünsche den Kommentar-Schreibern dann immer ein gesundes, glückliches Leben und freue mich für sie, dass sie das, was wir erleben, nicht erleben müssen. Denn das, was wir seit dem Unfall durchleben, wünscht man nicht mal seinen schlimmsten Feinden….


Wer mehr über Marisa und Kaio erfahren will, der kann ihr HIER auf Instagram folgen

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2 comments

  1. Ich wünsche der Familie weiterhin Hoffnung allerdings auch Realismus. Wachkoma ist leider in 99,7% der Fälle eine endgültige Diagnose. Ich wünsche euch also auch die enorme Kraft zum loslassen können wenn es Zeit ist!( das hat nichts mit aufgeben oder versagen zu tun) Und die Kraft zum ( lebendigen) Weiterleben!

  2. Ich finde das Thema Inklusion in diesem Zusammenhang sehr interessant. Einerseits das Einbeziehen von Kaio, andererseits das Erleben von Diversität der Mitschüler an ihm. Dass die Schule das mit macht ist schon fantastisch. Aber irgendwie kann ich mir den Schulalltag von Kaio nicht vorstellen. Wie läuft denn so ein Tag üblicherweise ab? Wirkliche Interaktion mit Gleichaltrigen ist ja wahrscheinlich nicht möglich.

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