Vor 10 Jahren: Ich überlebte einen Autounfall, mein Sohn nicht.

Autounfall

Ihr Lieben, der Sohn unserer Leserin Susanne starb nach einem Autounfall. Ein Kind zu verlieren, ist wohl das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Wie lebt man danach weiter? Wann kann man wieder lachen? Wird die Trauer weniger? Darüber haben wir mit Susanne gesprochen.

Liebe Susanne, vor 10 Jahren hast du deinen Sohn bei einem Autounfall verloren. Kannst du uns von diesem Tag erzählen?

Es war der 13.07.2015. Colin war zehn Jahre alt, wäre ungefähr einen Monat später 11 geworden. Wir waren zu zweit auf dem Weg zum Arzt. Wir sind eine Strecke gefahren, die ich gut kannte und selbst bei Schnee, Glatteis und Regen schon gefahren bin. Wir haben Musik gehört, zusammen gesungen – er saß hinter mir und trotz seiner Größe sicherheitshalber noch auf einer Sitzerhöhung.

In einer leichten Rechtskurve lies das Auto sich plötzlich nicht mehr lenken und wir kamen von der Straße ab. Leider stand genau an dieser Stelle ein Baum, gegen den wir dann geknallt sind. Entgegen aller Spekulationen war ich nicht zu schnell und mein Sohn war selbstverständlich angeschnallt.

Gott sei Dank waren schnell Ersthelfer zur Stelle und haben uns aus dem Auto geholt. Ich saß die ganze Zeit neben Colin auf dem Boden, hielt seine Hand und sprach die ganze Zeit wie ein Mantra: „Es wird alles wieder gut, der Doktor kommt gleich.“ Colin wurde mit dem Hubschrauber in die Medizinische Hochschule Hannover gebracht und für mich war klar – alles wird wieder gut. Leider habe ich mich da sehr getäuscht. Seine inneren Verletzungen waren zu schwer, die Ärzte haben alles versucht, aber Colin hat es leider nicht geschafft.

Du selbst kamst ebenfalls schwer verletzt ins Krankenhaus…

Ja, ich hatte einen komplizierten Bruch meines Sprunggelenkes links mit einer Nekrose, den rechten Mittelfuß und das rechte Knie gebrochen, sowie fünf Rippen in Serie, wovon eine meinen linken Lungenflügel angebohrt hatte. Ich war elf Tage im Krankenhaus geblieben, wurde dann Zuhause im Pflegebett von Colins Papa und dem Pflegedienst versorgt. Ich habe das Krankenhaus vor allem verlassen, weil ich zur Beerdigung gehen wollte. Ich habe leider heute noch mit den körperlichen Folgen des Unfalls zu kämpfen.

Ein Kind zu verlieren, ist wohl das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Wie hast du die ersten Tage und Wochen nach dem Unfall erlebt? 

Als die Ärzte mir mitgeteilt haben, dass Colin nicht mehr lebt, war mein erster Gedanke: ich habe mein Kind umgebracht. Wenn ein Kind stirbt, fühlt sich das wirklich so an, als würde einem das Herz herausgerissen.

Tatsächlich habe ich aber schnell auf den Funktioniermodus geschalten, es musste viel organisiert werden, das ganze Ausmaß realisiert man in der ersten Zeit gar nicht. Das kommt erst später.

Und es kam bei mir auch der Gedanke auf, dass es einen Grund geben muss, warum ich den Unfall überlebt habe. Dass es nicht gut wäre, dieses geschenkte Leben nur trauernd zu verbringen. Ich bin mir sicher, dass Colin nicht gewollt hätte, dass ich nur traurig bin. Und so habe ich mir vorgenommen, kleine Dinge zu finden, über die ich mich freuen kann. Anfangs hatte ich ein richtig schlechtes Gewissen, wenn ich mal gelacht habe, aber ich glaube, es ist wichtig, irgendwie ins Leben zurück zu finden.

Kannst du uns noch mehr über deinen Sohn erzählen? Was für ein Mensch war er?

Colin war so fröhlich und unheimlich empathisch. Er mochte im Grunde alle Menschen und Tiere – schloss nie jemanden beim Spielen aus und war sehr sensibel, stellte oft tiefgründige Fragen. Wir beide hingen sehr aneinander. Er brannte für den Handball, ging immer mit seinem Opa zu Spielen des TSV Hannover Burgdorf und spielte selbst bei uns im Ort. Ansonsten liebte er Musik und war ein kleiner Entertainer – er wollte etwas Vernünftiges lernen und später mal die Welt verbessern. Jeder hatte den kleinen Wuschelkopf gerne.

Es heißt ja, die Zeit heilt alle Wunden. Kannst du das bestätigen?

Oh nein. Diese Wunden verheilen nie. Man lernt irgendwie damit zu leben. Meine Strategie war viel bzw. immer wieder darüber zu sprechen. Die Trauer ist heute, 10 Jahre später, nicht mehr ständig so erdrückend. Anfangs dachte ich oft ich „ertrinke“ daran. Dennoch ist die Trauer nie komplett weg und Kleinigkeiten wie ein Lied, ein Duft oder eine andere Erinnerung können sie sehr schnell hochholen. Mein Sohn wird immer fehlen.

Die Rede von dem Trauerjahr ist jedenfalls Blödsinn. Das erste Jahr ist alles so frisch, ich habe eigentlich erst danach realisiert, dass mein Sohn nie wieder zurückkommt. Die Trauer immer zu einem Teil mein Leben mitbestimmen wird, ohne sie wäre ich nicht der Mensch der ich heute bin.

Es gibt ja auch noch ein Geschwisterkind. Wie hat deine Tochter den Tod des Bruders verarbeitet?

Schwer zu sagen, ich kann ihr nicht hinter die Stirn schauen. Wir haben ihr alle uns mögliche Unterstützung organisiert. Sie ist inzwischen volljährig und entscheidet selbst, was sie braucht und/oder zulässt. Mir blutet allerdings das Herz bei dem Gedanken, dass sie das Ganze mit acht Jahren durchmachen musste. Ich hätte ihr gerne diesen Schmerz erspart. Aber sie ist eine starke junge Frau und wird ihren Weg gehen.

Was hast du in den letzten Jahren gelernt? 

Ich kann nicht mehr viel mit Oberflächlichkeiten anfangen, mag ehrliche Menschen und tiefgründige Gespräche viel lieber. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt durch den Verlust und dafür bin ich unheimlich dankbar. Aber es haben sich auch einige Menschen verabschiedet, damit musste ich erstmal klarkommen. Heute tut es mir für diese Personen leid, dass diejenigen nicht mit mir/uns/der Situation klargekommen sind.

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3 comments

  1. Vielen Dank liebe Susanne, dass du deine Geschichte hier teilst!
    Unvorstellbar wie sich das für dich persönlich und für euch als Familie anfühlt.
    Aber über den Tod zu sprechen und die Erinnerung an liebe Verstorbene zu erhalten und dabei trotzdem lachen können, ist für mich ein sehr wichtiger Teil des Lebens 💓

  2. Liebe Autorin, das tut mir sehr leid. Dieser Verlust ist furchtbar. Mein Bruder ist auch bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Das war damals 2 Wochen vor meinem 14. Geburtstag, er war 17 Jahre alt. Leider gab es für mich als trauerndes Geschwisterkind keine Angebote um meine Trauer zu verarbeiten. Meine Eltern wurden aufgefangen, konnten zu Trauergruppen u.ä. gehen. Das war für mich manchmal unerträglich. Es ist nun schon 25 Jahre her, ich denke oft daran wie er heute leben würde. Die Trauer zu verarbeiten war sehr sehr schwer, als erwachsene findet man aber seinen Weg. Die Zeit heilt nicht alle Wunden aber sie sind nicht mehr so stark. Danke für diesen Bericht. Ich wünsche dir und deiner Familie weiterhin alles Gute!

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