Brief an Per Mertesacker: Danke, dass du mit deinen Schwächen wahre Größe beweist

brief per mertesacker

Ihr Lieben, der Fußball-Nationalspieler Per Mertesacker hat in einem Interview mit dem Spiegel sehr ehrlich über seine bald zu Ende gehende Profikarriere gesprochen. Er weiß sehr genau um seine Privilegien, er konnte sich einfach jeden erdenklichen Urlaub leisten. Aber Geld ist eben nicht alles.

Der Druck, der auf ihm lastete, war immens. Er spricht davon, dass er vor Spielen dauernd auf die Toilette rennen musste und dass er oft einen Brechreiz bekam, wenn er kurz davor war, auf den Platz zu gehen.  Das rief heftige öffentliche Debatten hervor. Menschen, die Schwächen zeigen? Und dann noch in dieser Männerdomäne Fußball? Oh Mann… wir sehen das ganz anders.

Wir finden: gerade damit, hat Mertesacker wahre Größe gezeigt. Deswegen haben wir hier mal einen Brief an ihr formuliert. Denn mit seinen ehrlichen Worten taugt er unserer Meinung nach als wahres Vorbild für uns und unsere Kinder.

Lieber Per,

wie toll bist du eigentlich, dich so ehrlich zu öffnen? Weißt du, wir vermissen das. Wir vermissen diese ehrlichen Töne in der öffentlichen Debatte.

Alle Fußballer scheinen medial trainiert zu sein, da gibt es kaum noch mal ehrliche Worte, wenn die Kamera an ist. Kein Politiker, kaum ein Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, kann sich noch wahrhaft menschlich geben, so scheint es, weil da die Angst ist vor dieser anonymen Masse.

Ja, die sozialen Medien bringen viele Vorteile! Frauen, die sich mit dem Baby zu Hause allein fühlen, können darüber zumindest gefühlt Teil der Community bleiben, sehen, was da draußen so los ist und können in Kontakt mit anderen treten.

Auch die Hierarchien sind kleiner geworden, denn über Twitter lässt sich leicht Kontakt zum Lieblingsautoren, zum Sportstar oder ja, sogar zum amerikanischen Präsidenten aufnehmen. Das ist gut.

Weniger gut ist, dass durch die sozialen Medien auch vieles aufgebauscht wird. Kleine Probleme werden riesig gemacht, da werden Säue durchs Dorf getrieben – und das in einer Eigendynamik, über die sich schnell die Kontrolle verlieren lässt. Kein Wunder also, dass sich Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sehr genau überlegen, was sie in Kameras sagen und was nicht.

Per Mertesacker, du hast dich kurz vor deinem selbst gewählten Karriereende  dazu entscheiden, mal Tacheles zu reden und wirklich zu erzählen, wie sich das anfühlt, wenn Millionen Menschen Erwartungen an dich haben, die du gefälligst zu erfüllen hast.

Du hast erzählt, wie sehr du unter dem Druck gelitten hast. Und dafür feiere ich dich. Sehr! Denn genau das ist es, was wir viel mehr brauchen in unserer Gesellschaft: Ehrlichkeit und Authentizität. Denn ohne die kann auch keine Empathie entstehen… und ja, nach diesem Interview mit dir im Spiegel fühle ich mit Dir.

„Ist doch keine Überraschung, dass Spieler vor Spielen nervös sind!“, sagen nun die einen. Die anderen raunzen durch die sozialen Medien: „Er hätte ja aufhören können, wenn er doch vor jedem Spiel so aufgeregt war.“

 Ich könnte durch die Decke gehen, wenn ich so etwas lese. Soll ein Schauspieler aufhören mit dem Theaterspielen, wenn er vor der Aufführung nervös ist? Soll ich als Journalistin aufhören, wenn ich Respekt vor einem Interview habe oder nervös bin, nicht die richtigen Worte für eine Reportage zu finden? Soll ich meine Ehe wegwerfen, nur weil ich ab und zu mal mit dem Mann streite, obwohl diese Ehe von einer großen Liebe getragen wird, für die es sich zu kämpfen lohnt?

Per, du hättest nicht aufhören sollen. Fußball ist dein Leben! Und die Nervosität, mit der hast du zu leben gelernt. Ich finde es so großartig, dass du das offen zugibst. Denn anders als ein Lothar Matthäus oder ein Raimund Calmund, die dir das als Schwäche auslegen, ist es genau das Gegenteil.

Es ist stark von dir, darüber zu sprechen. Nicht nur die hellen Seiten der Medaille zu zeigen, sondern auch die dunklen.

Wie sehr verunsichern uns Instagram-Accounts, in denen das Familienleben immerzu perfekt und bunt und fröhlich aussieht. Natürlich wissen wir, dass in keiner Familie immer die Sonne scheint und trotzdem freuen wir uns dann mal über ein menschliches Chaosbild mit Krümeln. Genau das hast du uns jetzt gezeigt, Per.

Du hast jetzt auch einfach mal ein Bild von den Krümeln unter dem Esstisch gezeigt. Viele trauen sich das nicht, weil sie negative Reaktionen befürchten. Und ja, diese kamen auch just direkt nach der Veröffentlichung deines Interviews. Das Weichei, das jammert.

Lieber Per, ich wünsche dir, dass dich kein einziger dieser Kommentare auch nur im Geringsten verunsichert oder berührt. Denn wenn diese Kommentare eins zeigen, dann nur, dass die Kommentatoren nicht mal im Entferntesten mit dir mithalten können.

Dein Horizont ist zu groß für sie – und sie selbst werden bedauerlicherweise wohl nie die Größe haben, Schwächen auch einfach mal zuzugeben. Diese Leute sind es, die Kessel platzen lassen.

Dabei entlastet ein solches Bild so sehr. Wir müssen alle nicht perfekt sein. Auch ein Profi kann menschliche Züge haben und nervös sein vor einem Spiel. Das zuzugeben, macht wahre Größe aus. Danke dafür, Per! Du nimmst so vielen damit den Wind aus den Segeln, den Dampf aus dem Kessel. Wir brauchen viel mehr Menschen wie dich – und zwar in jedem Lebensbereich.

 

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