Interview mit Séverine: Deshalb ist es mir so wichtig, arbeiten zu gehen

serverine fotor

Liebe Séverine, erzähl doch erstmal, wer alles zu deiner Familie gehört.

Wir das sind:  Emil (3Jahre), mein Mann Marco (36), ich (34) und unsere beiden Katzen Bela und Max. Wir leben mitten im Städtchen Liestal in einem Altstadthäuschen im Kirchhof. Unsere Nachbarn sind unsere Freunde und gehören zur Familie. Wir bezeichnen uns selber auch als die Hippie-WG vom Kirchhof. Wer unseren bunten Vorplatz mit Pflanzendschungel, Palettenlounge und Badewannenpool sieht, der weiß sofort was ich meine. Bei uns wird gelacht, geweint, gestritten, gesungen, getanzt, gebastelt, gemalt, gebaut, gelebt in vollen Zügen und das sieht man unserem Zuhause durchaus an.
Richtige Grosseltern gibt es nur noch auf der Seite meines Mannes.  Mein Papa lebt zwar noch da, aber hat Huntington im fortgeschrittenen Stadium und lebt im Pflegeheim. Zu meiner Mama habe ich eher ein freundschaftliches Verhältnis, also alles andere als eine klassische Mama-Tochter-Enkel Beziehung. Sie lebt bei uns. Mein Bruder und sein Partner sowie meine (Pflege)schwester sind ebenfalls wichtige Bezugspersonen für Emil.

Du hast Dich bei uns gemeldet, weil Du etwas zum Thema Working Mom erzählen möchtest. Wie ist denn die Arbeits-Situation bei Euch?

Marco und ich arbeiten beide 4 Tage in der Woche. Marco ist Automatiker und ich Sozialarbeitende, zur Zeit bin ich die Geschäftsleitung in der KiTa, die Emil besucht. Davor habe ich 3 Tage die Woche in der Suchthilfe gearbeitet. Daneben bin ich mit meinem Label "moi'n" eine von vier Ladeninhaberinnen eines kleinen Shops für Handgemachtes und wenn ich die Zeit finde, arbeite ich auch noch als Coiffeuse in einer Einrichtung für obdachlose Frauen.

Wie lange hast du nach der Geburt von Emil pausiert?

Ich war – nicht ganz geplant -1,5 Jahre zu Hause. Normalerweise dauert der Mutterschaftsurlaub in der Schweiz nur 14 Wochen.  Nach der Geburt holte mich mein Lebenslauf und die wirklich schwere Zeit der Schwangerschaft ein und ich musste mich von einer Erschöpfungsdepression erholen.

Du wolltest aber dann unbedingt zurück in den Job. 

Ja, für mich war klar, dass ich wieder arbeiten möchte. Warum? Da spielen mehrere Faktoren mit. Zum einen, um uns finanziell abzusichern, was nicht ganz unwichtig ist, da ich mittlerweile mehr verdiene als Marco. Wir leben nicht im Luxus, haben kein Auto, aber mit nur (s)einem Lohn wäre es wohl etwas sehr knapp.

Und zum andern wollte ich diesen Teil von mir behalten. Ich sah mich zu 100 Prozent zu Hause. Ich will unabhängig bleiben, mein Leben im Notfall auch selber tragen können. Zugegeben, da bin ich sicherlich auch etwas geprägt durch meinen Vergangenheit, denn früher habe ich mich viel zu schnell und viel zu lange abhängig gemacht von einem Partner.

Und der wichtigste Punkt: ich mag meine Arbeit ganz einfach sehr. 

Was gibt der Job Dir?

Für mich sind mein Job, mein Nebenjob, meine Hobbies ein Teil von mir. Ein Stück Selbstverwirklichung, ein Stück Selbstständigkeit und ja auch Selbstliebe. Versteht mich nicht falsch – ich liebe es mehr als alles andere Mama von diesem unglaublichen Jungen zu sein und ich geniesse jede Sekunde. Aber ich liebe auch was ich tue. Ich wollte mich nie entscheiden zwischen Kind und Job und so habe ich einen Weg gefunden beides so unter einen Hut zu bringen. Seit Kurzen habe ich beides auch, wortwörtlich, unter einem Dach. Ich arbeite dort, wo mein Kind spielt, lacht und Zeit mit seinen Freunden verbringt.

Ich habe mich bewusst von meiner Arbeit für die der Suchthilfe verabschiedet, um meinem Sohn und meinem Zuhause näher zu sein. Das höhere Pensum fällt nicht so ins Gewicht, da die KiTa nichtmal eine Minute von unserm Zuhause entfernt ist und ich so keinen Arbeitsweg mehr habe – was mir schon 2 Stunden täglich schenkt.

Wie sieht eine typische Woche bei Euch aus? 

Montag, Dienstag Vormittag und Donnerstag ist Emil mit mir in der KiTa. Dienstag Nachmittag bei seiner "Omi", Mittwoch ist Mamatag und Freitag ist Papatag. Am Wochenende sind wir beide Zuhause. Ich bringe Emil unter der Woche morgens in die KiTa als Mama – gehe einen Kaffe trinken und komme wieder als Geschäftsleitung. Den ganzen Tag haben wir kleine Rituale eingebaut, Zeit zu kuscheln und Emil weiß ich bin in der Nähe. Tränen am Morgen kennen wir nicht und hatten wir bisher noch nie.

Kannst Du bestätigen, dass viele Frauen, die zum Beispiel nur noch 50 Prozent arbeiten, keine spannenden Projekte mehr bekommen?

Da ich gleich nach der "Pause" zwei Projekte angeboten bekam, kann ich das nicht bestätigen. Allerdings denke ich, es liegt auch an der Branche in der man arbeitet und im Sozialwesen ist ein Pensum zwischen 40-80% üblich. Marco hingegen hat da mit seinen 80% etwas mehr zu kämpfen. Es ist leider immernoch so, dass Männer in den Augen der Gesellschaft und vielen Arbeitgebern als "Ernährer der Familie" gelten und ihre Arbeitszeit nur schwer reduzieren können. Wenn Marco einen neuen Job sucht, wird er wohl wieder 100% arbeiten müssen. Wir haben uns auch schon überlegt, ob er Zuhause bleibt und ich aufstocke. Vielleicht tun wir das auch, wenn wir ein zweites Kind bekommen sollten und ich eine Lohnerhöhung bekomme. 

Wie weit sind wir beim Thema Gleichberechtigung?

Ich finde es schon immer wieder speziell und auch etwas verletzend, dass Marco auf ein Podest gestellt wird. "Ach wie schön – ein Papatag! Toll, dass er sich die Zeit nimmt" – so was hören wir oft. Wir sind doch beide gleichgestellt. Wir beide haben uns für ein Kind entschieden und wir beide sind verantwortlich und das in allen Bereichen. Bis auf das Stillen gab es von Anfang an nichts was Marco nicht auch übernommen hat.

Job, Nebenjob – Du bist viel eingespannt.Hast Du schon mal blöde Kommentare bekommen?

Sätze wie "Die Kinder sind nur ein Mal so klein und du verpasst soviel" fallen schon und ich kann sie nicht mehr hören. Woher kommt denn dieses Bedürfnis andere Lebensmodelle als schlechter hinzustellen?
Ich verpasse nichts. Klar sehe ich Emil nicht 24 Stunden am Tag. Aber das ist gut so, Emil erlebt tagsüber andere Dinge, macht seine Erfahrungen. Und für mich ist es so toll, wenn wir uns Abends hinsetzen oder ins Bett kuscheln und uns erzählen, was wir alles erlebt haben. Das ist eines von vielen gemeinsamen, sehr nahen Momenten. Und ihn so glücklich, in sich so ruhend zu erleben, bestätigt mir täglich, dass wir für uns alles richtig machen.
Emil hat noch andere Bezugspersonen als uns und das find ich wunderbar für ihn. Wer Emil aber kennt, weiß, dass wir, Marco und ich, eine sehr sichere und innige Bindung zu ihm haben. Wir sind sein Anker sein sicherer Hafen.

Was möchtest Du Deinen Kindern in Bezug auf arbeitende Mütter mitgeben?

Ich möchte ihm nicht unbedingt etwas speziell über arbeitende Mütter mitgeben. Ich möchte ihm mitgeben, dass das Leben nicht nur einer Norm entspricht. Es ist bunt und jeder Mensch, jede Familie, gestaltet es anders und das ist gut so. Wir sind 3 Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und die nehmen wir ernst und gestalten uns ein Leben, in dem alle Platz haben, sich zu entfalten, selbstbestimmt zu sein und das zu tun was wir lieben, Leidenschaft zu leben und zu sein wer man ist. Wir gehen aufeinander ein, nehmen uns Zeit für den andern und keiner kommt zu kurz.

Klar steht Emil dabei im Zentrum und wir stimmen unser Leben auf ihn ab, allerdings hat es rund um das Zentrum viel Platz für unsere Ideen, Ziele und Bedürfnisse. Dabei schauen wir uns das "Ist" immer wieder an, prüfen ob es noch für alle stimmt und wenn nötig schrauben wir hier und dort und passen uns den momentanen Bedürfnissen an, den "Luxus" gönnen wir uns als Familie.

Und so, finde ich, sollten doch alle ihr Leben gestalten. Den Blick immer auf die eigene Familie gerichtet, andere Modelle sehen, sich austauschen – aber nicht werten. Ich kann lernen aus anderen Einstellungen, Lebensgestaltungen und Werten. Das ist für mich so viel wertvoller als sie zu be-oder verurteilen. Das ist eines von vielen Dingen, die ich unserem Kind mit auf den Weg geben will. 

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