Vaterschaftsfreistellung: „Von Anfang an war ich als Papa im Rückstand“

Babyvater

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Wann beginnt Familie? Richtig los geht’s erst, wenn Frau und Kind aus dem Krankenhaus entlassen werden, dachte ich, als ich zum ersten Mal Vater wurde. Das war vor rund 15 Jahren. Schön blöd, denke ich heute.

Ich hatte zu dieser Zeit 31 Urlaubstage, plus einen Tag Sonderurlaub zur Geburt des Kindes. Da ich Frau und Kind in der Geburtsklinik gut versorgt wusste, entschied ich mich damals also dazu, die ersten Tage nach der Geburt noch arbeiten zu gehen . und nahm erst zwei Wochen frei, als ich die beiden ein paar Tage später nach Hause holen konnte.

In diesen Tagen im Krankenhaus hatte meine Frau unseren Sohn schon gefühlt 1000-mal gewickelt, geschuckelt und gestillt. Okay, bei letzterer Tätigkeiten hätte ich sie nicht ersetzen können, aber beim Wickeln und Schuckeln erarbeitete sie sich in diesen paar Tagen einen Wissensvorsprung, den ich nur mit einiger Mühe wieder aufholen konnte. Zum Glück bin ich Sportler, legte später in meiner sechsmonatigen Elternzeit einen Sprint ein, holte auf und bin mit meiner Frau inzwischen auf gleicher Höhe – aber sie hätte mich damals auch abhängen können, wenn es dumm gelaufen wäre. Und es läuft in vielen Partnerschaften dumm.

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Marco Krahl. Autor dieses Artikels. Foto: Philipp Gätz

Der nächsten Väter-Generation wünsche ich, dass sie keinen Sprint hinlegen muss, um eine gleichberechtigte Elternschaft mit der Mutter führen zu können. Dieser Wunsch könnte schon bald tatsächlich in Erfüllung gehen, denn eine im Jahr 2019 beschlossene EU-Vereinbarkeitsrichtlinie mit der schönen Bezeichnung „2019/1158“ sieht in allen Ländern zehn Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub für Väter direkt nach der Geburt des Kindes vor, der spätestens im August 2022 umgesetzt sein muss.

Einen Haken gibt es jedoch leider an der Sache, und zwar einen riesigen: Während andere Länder bereits vorgeprescht sind und die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie schon umgesetzt haben, sieht Deutschland keinen Handlungsbedarf. Nach aktuellem Stand will die Bundesregierung die Richtlinie nicht in deutsches Recht ummünzen. 

Begründung: Die bestehenden Gesetze, die sich auf Elterngeld und Elternzeit beziehen, reichen bereits aus. „Das Elterngeld stelle Mütter und Väter bereits besser, als es die EU-Richtlinie vorsieht“, heißt es aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ja, bald wird gewählt, eine neue Regierung könnte alles anders machen, aber wer weiß das schon genau?

Was also tun? Um nicht nutzlos herumzusitzen, hat das Väterzentrum Dresden – unter anderem im Zusammenarbeit mit www.dad-mag.de – eine Petition gestartet, die für alle Väter eine Vaterschaftsfreistellung mit Lohnfortzahlung im Umfang von 10 Tagen zur Geburt fordert.

Alle Infos dazu gibt’s unter http://vaterschaftsfreistellung.de, unterzeichnen kann man die Online-Petition hier: https://openpetition.de/vaterschaftsfreistellung.

Die Vorteile für Vater und Kind liegen auf der Hand (ich sage nur „Bindung“) – für die Mutter (die sich sicher sein kann, dass der Vater des Kindes zumindest in den ersten 10 Tage ständig an ihrer Seite sein wird) auch. Aber das Ganze hat auch noch eine andere Dimension, die übers Private hinausgeht. So ist zu erwarten, dass sich die Vaterschaftsfreistellung auch positiv auf den immer noch viel zu großen Gender-Care-Gap auswirkt.

Denn für die Kindererziehung oder die Hausarbeit wenden Frauen pro Tag im Schnitt über 50 Prozent mehr Zeit auf als Männer. Eine weltweite Studie des Peterson-Institust für Internationale Wirtschaft hat zudem ergeben, dass die Länder mit den höchsten Anteil von Frauen in Führungspositionen, Vätern elfmal mehr Vaterschaftsurlaubstage anbieten. Und: In Ländern, die familienfreundlicher sind und mehr Unterstützung bei der Geburt und Erziehung anbieten, schaffen es Frauen in der Arbeitswelt eher an die Spitze. Interessanter Nebenaspekt hier: Je mehr Frauen in der Chefetage sind, desto profitabler ist das Unternehmen.

Aber kommen wir zurück zur Kernfamilie und gehen einmal davon aus, dass es in Deutschland in absehbarer Zeit keine10-tägige Vaterschaftsfreistellung geben wird. Selbst in diesem Worst-Case-Fall ist das Kind nicht in den Brunnen gefallen: Denn jeder Vater hat es bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand, seine Vaterschaft aktiv zu gestalten – im Idealfall natürlich zusammen mit der Mutter. Und am besten legt man ehrlicherweise den Grundstein dafür nicht erst in den ersten 10 Lebenstagen seines Kindes, sondern schon in der Schwangerschaft – indem man die werdende Mutter zu den Frauenarztterminen begleitet, sich schlau liest und viel miteinander über seine Wünsche, Träume und Pläne redet…

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Marco Krahl ist auch Chefredakteur von Men´s Health DAD. Foto: Philipp Gätz

Ein Beitrag von Marco Krahl: Der Journalist (Jahrgang 1971) ist Vater von zwei Kindern und arbeitet als stellvertretender Chefredakteur bei „Men’s Health“. 2015 hat er der Line-Extension „Men’s Health Dad“ auf die Welt geholfen (www.dad-mag.de). Seit 2019 ist er zudem Gastgeber des zweiwöchigen Podcasts „Echte Papas“ – zusammen mit Co-Host Florian Schleinig. Im Internet findet man ihn zudem bei Instagram und Twitter: @head_of_dad

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8 comments

  1. Das ist ein sehr wichtiges Thema und ein guter Vorstoß. Zumal auch nicht jeder Papa dann so aufholt. Manche “ geben“ es dann ein Stück weit „auf“ (Vollzeitjob drumherum). Dadurch verfestigt sich aber die konservative Geschlechteraufteilung statt gleichberechtigt das Kind zu versorgen. Und, was von Frauen gern verdrängt wird, die oft weibliche Haltung “ ich mach das selbst, kann das sowieso besser/ schneller “ trägt auch noch dazu bei den Papa abzudrängen. Meist liegt das an beiden Partnern.

  2. Ich fände die 10 Tage Vaterschaftsurlaub, sofern sie direkt nach der Geburt (oder wahlweise nach Entlassung aus dem Krankenhaus) super, aber aus einem anderen Grund: damit die Mutter die nötige Unterstützung bekonmt tatsächlich Wochenbett zu machen! Das ist sooo wichtig für den Beckenboden z.Bsp., spätestens beim zweiten Kind ist sonst nichts mit viel liegen und von der Geburt erholen. Ja, man kann Elternzeit nehmen, aber vielen fehlt der Monat dann woanders. Noch passender fände ich einen (oder auch 2) zusätzliche Monate Elternzeit, wenn diese vom Vater wärend des Mutterschutzes genommen werden.

  3. Auch wenn es in Deutschland viele Vorteile gibt, halte ich es für einen tollen Vorschlag. Natürlich könnte sich der Papa Elternzeit nehmen aber der Geburtstermin ist meist nicht planbar. Ab Tag x plötzlich für 4 Wochen oder länger auszufallen ist für viele Betriebe/Arbeitnehmer nicht umsetzbar. Dann wird schweren Herzens die Elternzeit nach hinten geschoben um erst wichtige Übergaben zu machen etc. eine erste Kennenlernzeit- vielleicht auch nur 5 Tage? Wäre doch für alle toll!

  4. Hallo, ich finde auch die Möglichkeiten rund ums Elterngeld und Elterngeld Plus sehr toll in Deutschland! Ein 10 tägiger Vaterschaftsurlaub an der Geburt wäre natürlich on Top sehr toll! Was ich nur nicht verstehe, warum der schreibende Papa sich durch die Zeit im Krankenhaus abgehängt gefühlt hat. Nach unserem zweiten Kind musste bei uns die ersten Stunden und Tage nach der Geburt das Wickeln und Schuckeln der Papa übernehmen, da ich leider im Anschluss an die Geburt eine Not- OP hatte. Auch musste er das Zufüttern beim Kind übernehmen, bis das Stillen geklappt hat. Aber abgehängt in Sachen Bindung hat er mich dadurch nicht! Ich sage eh immer spätestens ab dem 2. Kind muss der Papa ab Tag 1 voll einsteigen, sonst geht die Mutter unter und mit ihr die Familie. Meine Schlussfolgerung ist daher unbedingt spätestens vor der Zeugung des 2. Kindes ehrlich Bilanz der Elternschaft ziehen! Und die Elternzeit des Papas bitte unbedingt als das sehen, was sie ist: Zeit, die der Vater für die Familie hat und nicht die Gelegenheit für einen Langzeiturlaub! Daher mein Tipp: Mindestens 1 Monat Elternzeit gleich ab der Geburt nehmen, das ist so wertvoll für die ganze Familie! Die Mutter kommt zu Kräften, die Bindung zum Kind kann für alle Familienmitglieder in Ruhe wachsen und auch die Geschwisterkinder können in Ruhe in der neuen Familiensituation ankommen. Zum Thema Krippe ab 1 Jahr oder Kindergarten ab 3 Jahren sehe ich es aus meiner Erfahrung so: den Kindern fällt es mit 14 oder 15 Monaten deutlich leichter in einer guten Krippe anzukommen als mit 3 Jahren plötzlich in den Kindergarten zu gehen. Daher wäre es für Familien auch gut, wenn es 1,5 Jahre Unterstützung gäbe oder man sich die Elternzeit so einteilt. Denn erfolgreiche Eingewöhnung heißt nicht, dass die Kinder gleich zuverlässig die gebuchte Zeit die Betreuung besuchen, da sie dann meist gleich die ersten Infekte durchmachen und nach einer Zeit zu Hause quasi die Eingewöhnung von vorne startet, da ist es wirklich entspannter nicht gleich Druck mit der Arbeit zu haben, sondern seinem Kind großzügig Zeit lassen zu können. Ist sicher mit einem 3 jährigen Kind, was in den Kindergarten kommt ähnlich.

  5. Ich finde den Vorstoß gut und habe gleich unterschrieben. Es ist auch einfach ein wichtiges Symbol dafür, dass Care-Arbeit Arbeit ist und bezahlt gehört!

    Als „großzügig“ empfinde ich die Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld in Deutschland nicht. Sondern als „das Mindeste“. Natürlich ist es in anderen Ländern (Schweiz o.ä.) noch viel viel schlimmer. Dennoch sind Familien, die zwei Einkommen benötigen, in Deutschland immer noch gezwungen, ihr Kind schon mit einem Jahr viele Stunden am Stück in die Krippe zu geben, da es ja nur ein Jahr lang Elterngeld gibt. Und dann beträgt das Elterngeld ja auch nur 60% des Einkommens, das reicht bei vielen Familien hinten und vorne nicht. Ich fände drei Jahre Elterngeld in Höhe von 100% des Einkommens gerecht. Davon würde die psychische Gesundheit der Kinder sehr profitieren. Im Erwachsenenalter würden diese Kinder die Krankenkassen dann weniger kosten.

    1. Liebe Elli,

      das klingt ja alles sehr schön, aber wer soll das denn bitte bezahlen und warum sollte ein hundertprozentiger Ausgleich erfolgen? Das kann ich nicht nachvollziehen.
      Und auch den Hinweis auf „Arbeiten müssen“. Die Menschen sind unterschiedlich – ich habe drei Kinder und ich arbeite gerne.
      Auch die These, dass die kindliche Seele in der Kita Schaden nimmt, ist zumindest eine steile. Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Studien und eben auch sehr unterschiedliche Kinder. Es kann jeder sein Leben leben, aber für mich wird es immer schwierig, wenn man das Leben anderer verurteilt.
      Was die Care-Arbeit betrifft, so teile ich die Einschätzung im Kontext von pflegenden Berufen und der Pflege der Eltern oder auch Kinder mit Besonderheiten, die entsprechende Hilfe brauchen. Aber es kann doch nicht jeder dafür bezahlt werden, dass er Kinder hat?
      Und die Regelungen in Deutschland sind sehr großzügig.

  6. Hm, so richtig kann ich die Forderung für Deutschland nicht nachvollziehen. Die Regelungen im Hinblick auf die Elternzeit sind doch schon relativ großzügig und man könnte die Elternzeit auch ab der Geburt nehmen. Und was den Rückstand betrifft, so halte ich den für jeden, der möchte, aufholbar.

    Ich lebe in einer absolut gleichberechtigten Partnerschaft, aber die manifestiert sich nicht in 10 Tagen Väterurlaub. So ein Kind ist ja kein Sprint sondern ein wunderbarer, aber anstrengender Marathon.

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