Papa werden: Auch Männer brauchen eine „Väterbande“ zum Austausch

Vater werden

Foto: Emmanuel Avargués, Diptica Photography

Ihr Lieben, quasi zeitgleich mit nur ein paar Tagen dazwischen erschien nach unserem Buch „Wow Mom, der Mutmacher für deine Schwangerschaft“ ein Buch für den werdenden Papa, quasi ein Geburtsvorbereitungskurs für Väter in Schriftform: „Vater werden dein Weg zum Kind“ von Nicola Schmidt und Klaus Althoff vom artgerecht-Projekt.

Von Nicola Schmidt sind derzeit 10 Bücher zu den Themen Kinder und Familie am Markt, unter anderem die Bestseller »artgerecht – Das andere Baby-Buch«, »Geschwister als Team« und »Erziehen ohne Schimpfen«. Klaus Althoff ist Führungskräftetrainer und Team-Coach und bietet für Nicola Schmidts »artgerecht-Projekt« Väterkurse und Ausbildungen zum Väter-Coach an.

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Vater werden dein Weg zum Kind“ von Nicola Schmidt und Klaus Althoff

Liebe Nicola, du hast mit deinem Partner Klaus zusammen ein Buch für werdende Väter geschrieben. Warum brauchte es das deiner Meinung nach noch?

Nicola: Ich habe fast alles gelesen, was an Väterbüchern derzeit auf dem Markt ist und da sind viele echt gute Bücher dabei. Was aber fehlt ist ein wissenschaftsbasiertes Buch, das nicht einfach Praxistipps gibt oder Meinungen darstellt, sondern wissenschaftlich abgesichert erzählt, worauf es wirklich ankommt. Und ich war selbst überrascht: Was die Wissenschaft empfiehlt ist nicht immer das, was wir auf den ersten Blick denken würden!

Lieber Klaus, Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. Was hältst du von diesem Spruch?

Klaus: Wenn wir von Anfang an die richtigen Dinge gut machen, wirkt sich das positiv auf unser ganzes Leben als Vater aus. In unserem Buch zeigen wir den Vätern, worauf es in der Schwangerschaft, während der Geburt und im Wochenbett ankommt: Was bringt mir ein Geburtsvorbereitungskurs für Väter? Wie stärke ich den Kontakt zu meiner Frau, damit wir als Eltern ein starkes Team werden? Wie finden wir Menschen, die uns unterstützen? Und was brauche eigentlich ich als Vater, um bei Kräften zu bleiben? Wo soll das Kind zur Welt kommen? Bin ich bei der Geburt dabei?

Liebe Nicola, im Buch schreibt ihr auch über das Couvade-Syndrom, das Mitschwangersein-des Mannes sozusagen. Wie war das denn in deinen eigenen zwei Schwangerschaften: Ist der Vater der Kinder da mit dick geworden? 

Nicola: Nee, ist er nicht… das Couvade-Syndrom trifft ja möglicherweise nur sehr, sehr empathische Männer, die sehr viel mit ihrer Partnerin in Kontakt sind. Es trifft nicht jeden Mann. Die Statistiken sind noch ungenau, da das Couvade-Syndrom oft nicht erkannt wird. Fachleute gehen aber davon aus, dass es im deutschsprachigen Raum etwa jeden fünften Mann trifft. Und wichtig: Couvade ist keine Lizenz zum Bierbauch ansetzen, Väter, denkt dran: bei der Frau geht der Bauch mit der Geburt weitgehend wieder weg, der Bauch des Mannes bleibt.

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Wenn der Mann „mitschwanger“ ist: Das Couvade-Syndrom

Klaus, du kommst aus dem Coaching: Nenn doch mal drei Dinge, die dem werdenden Vater und der werdenden Mutter als wichtige Teambuildingmaßnahme zu empfehlen sind.

Klaus: Erstens feste Termine, bei denen wir konkret darüber sprechen, wie unser Familienleben sein soll. Wir sollten uns unser gemeinsames Leben mit Kind möglichst konkret ausmalen und uns immer wieder fragen: »Wie wollen wir leben?« Dann steigt die Chance, dass wir das auch in die Tat umsetzen.

Zweitens die Schwangerschaft nutzen, um sich klar zu werden über Rollen und Aufgabenverteilung: Wer kümmert sich wann und wie viel um das Kind? Wie schaffen wir gemeinsam den Haushalt? Wer geht wann in Elternzeit?

Und drittens nicht vergessen, auch mal die Erfolge zu feiern. Wir leisten so viel im Alltag, das sollten wir anerkennen – vielleicht immer zum Wochenausklang bei einem leckeren Essen zu zweit, einem Entspannungsbad oder einer Kuschelrunde auf unserem Lieblingssofa. Wir können uns jeden Abend vor dem Einschlafen bei einander bedanken für all die großen und kleinen Dinge, die wir an diesem Tag wieder einander geschenkt haben. Das stärkt uns als Team.

Ihr schreibt von „Steinzeitkörpern und Steinzeitbabys“ in „Zeiten der Digitalisierung“. Was genau meint ihr damit?

Nicola: Das Artgerecht-Projekt beschäftigt sich mit der Frage nach „Infant Mental Health“, also seelischer Gesundheit in der frühen Kindheit. Wenn man da auch nur ein bisschen recherchiert, kommt man sehr schnell darauf, dass wir in Steinzeitkörpern stecken, die oft mit unserer industriellen Welt nicht klarkommen. Unsere Genetik hat sich seit der Jäger-und-Sammler-Zeit kaum verändert und das sind viele, viele Jahrtausende der Menschheitsgeschichte.

Unsere Welt wurde erst mit dem Beginn des Ackerbaus vor ca. 12.000 Jahren auf den Kopf gestellt – dann aber massiv. Wenn wir wissen, dass Schwangerschaft, Geburt und Baby-Sein quasi immer noch aus der Zeit „davor“ kommt und warum unsere moderne Welt oft nicht dazu passt, wird vieles klarer.

Seht ihr darin die größte Herausforderung für werdende Väter?

Nicola: Die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach, dass wir Amateure auf eine Formel-1-Rennstrecke schicken – und das ohne Team. Wir sind wahrscheinlich selten in der Menschheitsgeschichte so einsam Vater geworden wie heute. Vater werden beinhaltete eigentlich die Unterstützung einer Großfamilie, eines ganzen Dorfes.

Junge Väter hatten immer Männer, die vor uns da waren, die uns zur Seite stehen, Fragen beantworten und durch schwierige Phasen hindurchhelfen konnten. Das alles fehlt heute. Das ist eine riesige Herausforderung und wir ziehen den Hut vor allen Menschen, die heute Eltern werden – sie machen einen großartigen Job.

Was kann ein zugewandter Vater denn nun richtig machen in der Schwangerschaft seiner Frau, auf dem Weg zum gemeinsamen Kind und ins Familienabenteuer?

Klaus: Oft ist es so wichtig im Kontakt zu sein mit seiner Frau. Manchmal einfach nur zuhören und anerkennen, dass die Dinge sind, wie sie sind. Dass vielleicht die Hormone verrückt spielen oder mit dem großen Bauch jede Bewegung zur Last wird.

Dass wir ganz einfache Dinge im Alltag übernehmen müssen, am besten ungefragt, weil so ein Bauch eben nicht „mal nebenbei“ ist, sondern wirklich schwer wird! Nicht jede Frau findet es lustig, dass sie kaum noch aus dem Auto herauskommt – wir müssen also achtsam sein, wo wir helfen können, von selbst Dinge übernehmen und keine Witze an den falschen Stellen machen.

Wir dürfen nie vergessen, dass die Schwangere diejenige ist, die das Kind trägt. Ihre Bedürfnisse stehen daher im Vordergrund. Außerdem ist es gut, wenn wir früh Kontakt zu unserem Kind aufnehmen. Wir können mit dem ungeborenen Baby sprechen, ihm einen Brief schreiben, es durch den Bauch der Mutter sanft streicheln.

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Gemeinsame Vorfreude. Foto: pixabay

Ihr bezeichnet das Vaterwerden als Heldenreise – inwiefern ist sie das?

Klaus: Nach dem Konzept der Heldenreise, das auf den amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell zurückgeht, läuft menschliches Wachstum quasi gesetzmäßig in einer bestimmten Form ab. Die Heldenreise findet sich weltweit in Mythen und Sagen. Wir kennen sie alle. Deshalb sind auch viele Romane und Hollywood-Filme so aufgebaut.

Es beginnt mit dem „Ruf“, der den Helden ereilt und der ihn aus seiner gewohnten Welt reißt. In unserem Fall ist es meist der Schwangerschaftstest, der dem Mann signalisiert: Jetzt wirst du Vater! Ab jetzt ist nichts wie früher. Unser Held macht sich also auf die Reise in die Welt des Unbekannten – der Schwangerschaft und des Vaterwerdens.

Nun wird der Weg oft steinig und anstrengend: Schwangerschaftsbeschwerden und Hormon-Karussell bei der Partnerin… Wie soll es im Job weitergehen? Reicht das Geld? Wie kann ich ein guter Vater sein? Jede Menge banger Fragen. Auf diesem Weg gibt es Helferwesen (vielleicht die Hebamme) und Herausforderungen. Als dramaturgischer Höhepunkt die Geburt, die ja auch für den Mann eine ganz neue Erfahrung ist.

Was aber für alle Heldenreisen gilt: Am Ende winkt ein „Schatz“, den wir für uns bergen können und der uns für alle Schwierigkeiten entschädigt – in unserem Fall das Kind, unsere Familie und unser künftiges Leben als Vater.

Nun wird aus der Frau in der Schwangerschaft auch manchmal ein… na, sagen wir verändertes Wesen. Wie gehe ich als Vater damit am besten um, wenn es wirkt, als sei eh alles falsch, was er macht?

Nicola: Da helfen drei Dinge: Ich muss mir jeden Tag klar machen, dass sich der Körper der Frau und auch ihre Seele gerade massive verändern. Wir sagen „schwanger, aber nicht krank“ und übersehen dabei oft, dass es eine wahnsinnig starke Transformation ist.

Ich muss dann dafür sorgen, dass ich da sein kann, also auch mal meine Bedürfnisse hinten anstellen, eben nicht zum Training gehen, eben nicht noch länger arbeiten, sondern ungefragt Ressourcen wie Zeit, Hilfe, eine schöne Geste anbieten. Und ich muss dafür sorgen, dass ich das kann und das kann heißen, mir Hilfe holen, damit ich selbst in Balance bleibe und mich mit anderen austausche, um das entlastende „Ist hier genauso!“ zu hören.

Haben auch Männer Angst vor der Geburt und wie kriegen wir da eine gute Vorbereitung/Begleitung hin?

Klaus: Selbstverständlich können auch Männer Angst vor der Geburt haben – und das ist auch okay. Es ist sogar besonders wichtig, sich das klarzumachen und es auch zuzugeben. Denn ein ängstlicher Partner, der erst unter der Geburt merkt, dass ihm das alles zu viel ist, ist keine Hilfe für die Gebärende – im Gegenteil. Dann lieber frühzeitig Bescheid geben, denn dann können wir etwas gegen unsere Angst tun. Unsere Hebamme ist da auch vor der Geburt eine super Ansprechpartnerin.

Oft fehlen uns einfach Informationen. Dann kann ein Buch wie das unsrige helfen. Ein Geburtsvorbereitungskurs für Männer kann super sein, weil wir uns hier auch mit anderen werdenden Vätern austauschen können. Im Buch empfehlen wir den Vätern, sich eine „Väterbande“ aufzubauen, einen Kreis von Vätern, die sich gegenseitig unterstützen. Oder wir suchen uns eine weitere professionelle Begleitung für die Geburt, eine Doula. Die kann zusätzliche Sicherheit in den Geburtsprozess bringen und den Vater ersetzen, wenn der mal unter der Geburt eine Auszeit braucht

In der Schwangerschaft, während der Geburt und danach wird es immer auch wieder hilflose Momente für den Papa geben. Wie kann er diesen in gute Taten umwandeln?

Nicola: Das kommt extrem darauf an. Manchmal reicht Atmen und Aushalten. Oft hilft, es zu sagen: „Ich weiß gerade nicht, was ich machen soll, kann ich was tun?“ Es hilft, sich zu informieren – dann bin ich vorgewarnt. Und dann gibt es Momente, da muss ich merken: Hier läuft was schief, das fühlt sich falsch an und z.B. zur Hebamme sagen: „Können wir das nochmal absprechen?“

Was meint ihr, braucht es mehr gute Vater-Vorbilder? Wer sind oder waren eure?

Nicola: Menschen hatten jahrtausendelang Vorbilder, von denen sie lernen konnten – „monkey see, monkey do“. Gute Väter-Vorbilder wären Gold wert: Väter, die länger in Elternzeit gehen, Väter, die im Wochenbett mehr als zwei Wochen frei nehmen, denn es braucht mindestens sechs Wochen, sich von einer Geburt zu erholen, und die das auch offen erzählen.

Wir könnten in den sozialen Medien Väter brauchen, die ihre Entscheidungen sichtbar machen und die Pro-Parents-Initiative, die dann wiederum sichtbar macht, wenn Eltern für ihre Entscheidung fürs Kind diskriminiert werden, ist ein wichtiger Schritt dahin. Und wir müssen aushalten, dass bei den meisten Menschen eben nicht alles gut ist, aber auch nicht alles schlecht. Mein Vater zum Beispiel ist ein tolles Vorbild zum Thema Kuscheln, Spielen, Kindern Dinge erklären, albern sein und an anderen Stellen würde ich ihn eher nicht als Vorbild für die heutige Kindheit nehmen. Wie ich als Mutter übrigens auch.

Klaus: Für mich geht es darum, dass wir Vorbilder nicht „aufs Treppchen stellen“. Es hilft uns einfach sehr, wenn wir Austausch haben mit anderen Vätern, wenn wir sehen können, wie die ihren Job als Vater machen, wo sie Schwierigkeiten haben und wie sie damit umgehen. Wir Menschen lernen voneinander und es ist schwierig zu lernen, wenn wir kaum andere Väter in ihrer Rolle beobachten können. Auch hier fehlt uns die Großfamilie und das Dorf – deshalb ist es so wichtig, dass wir uns eine „Väterbande“ aufbauen.

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