Elterndiskriminierung: Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert!

Pro Parents

Foto. Manu Wolf

Ihr Lieben, als ich damals auf dem Abschlussball meiner Journalistenschule stand, erzählten alle von ihren Folgeverträgen – und ich von meinem Baby im Bauch… Damals, so fühlte es sich an, ging nur das eine ODER das andere. Mit dem positiven Schwangerschaftstest bekam ich kein Job-Angebot und war quasi raus.

Sandra Runge und Karline Wenzel, die Initiatorinnen der Initiative Pro Parents nennen das, was mir da passiert ist, Elterndiskriminierung. Mit ihrem Buch Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert! möchten sie sensibilsieren, Missstände aufzeigen und eine Welle lostreten, um ein „Diskriminierungsmerkmal Elternschaft bzw. Fürsorgeleistung“ im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu initialisieren.

Sandra und Karline, ihr nennt das, was mir nach der Ausbildung passierte „Elterndiskriminierung“ und sagt, das sei ein strukturelles Problem. Dabei hört mal auch mal von Beförderungen während der Elternzeit. Oder sind das nur Einzelfälle?

Sandra: Auch wenn man immer noch manchmal das Gefühl hat, dass Elterndiskriminierung nicht als großes strukturelles Problem wahrgenommen wird, gibt es glücklicherweise eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Diese besagt, dass 64 % der Eltern von mindestens einer negativen Erfahrung im Arbeitsleben, betroffen waren, davon vor allem Mütter mit 74 %, aber auch Väter mit 52%. 15 % der Mütter berichten zudem, dass ihr Arbeitsplatz im Zusammenhang mit der Schwangerschaft oder Elternzeit gekündigt oder der Arbeitsplatz gestrichen wurde. Diese Zahlen zeigen: Wir sprechen nicht von einem Nischenproblem!

Karline: Das Schlimme bei diesem Thema ist jedoch: Ganz viele der betroffenen Eltern denken, es sei ihr eigenes Unvermögen, das sie in diese Situation manövriert hat, sie schämen sich und wollen sich am liebsten im Mauseloch verstecken. Wir wollen dieses Muster aufbrechen, den Eltern zeigen, dass sie nicht alleine sind, dass das Problem viel größer ist. Und wir wollen ihnen Mut machen, dass sie etwas ändern können, indem sie von ihren Erfahrungen berichten und es anders machen als die Chefs und Chefinnen vor ihnen.

Wart/seid ihr auch selbst Opfer von Elterndiskriminierung geworden? (beide)

Sandra: Mir wurde leider wie in einem schlechten Film am ersten Arbeitstag nach der Elternzeit gekündigt – angeblich sei mein Arbeitsplatz weggefallen, hieß es. Später hat sich dann herausgestellt, dass das nur ein Vorwand war. Irgendwann saß meine Elternzeitvertretung wieder auf meinem Schreibtischstuhl und übte exakt meine Aufgaben aus – als freie Mitarbeiterin für sehr viel weniger Geld.

Karline: Ganz so schlimm war es bei mir nicht, aber ich musste auch erfahren, wie hilflos ich als Mutter bin, wenn ich die Einzige im Team bin, die neben der Erwerbsarbeit auch noch Fürsorgeverantwortung übernimmt. Das macht unweigerlich was mit Dir, damit wie Du Dich selbst, aber leider auch wie andere Dich wahrnehmen und wird sich erst ändern, wenn mehrere Mütter oder Väter am Verhandlungstisch sitzen und diesen dann aber auch pünktlich zum Kita-Schluss verlassen müssen.

Ihr erzählt in eurem Buch von vielen Fällen, welcher hat euch am meisten berührt?

Pro Parents
Karline Wenzel. Foto: Manu Wolf

Karline: Jeder Fall für sich berührt mich und erst recht das Wissen, dass dahinter noch hunderte, tausende anderer Fälle stehen. Ein der Augenöffner war für mich der Bericht von Tina: Sie hatte sich als Projektkoordinatorin in einem Familienzentrum beworben und wurde auch zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Als ihr potentieller Chef dann bemerkte, dass Tina ein Kind hat, sagte er ihr ernsthaft, die Stelle sei für eine Mutter nicht geeignet, da die emotionale Betroffenheit in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu hoch für eine Frau mit eigenen Kindern sei.

Die Kernfrage für mich ist hier: Können wir es uns wirklich erlauben, so hochqualifizierten Müttern wie Tina den Zugang zum Arbeitsmarkt, ja zur Gestaltung unserer gesellschaftlichen Zukunft gar nicht erst zu ermöglichen? Und: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vater solch eine Absage erhält?

Sandra: Mich hat der Fall von Nicole sehr berührt. Sie wurde nicht nur aufgrund ihrer Mutterschaft, sondern auch deswegen benachteiligt, weil sie ein pflegebedürftiges Kind. Der Arbeitgeber forderte die Auflösung ihres Arbeitsvertrages nach der Elternzeit, da die Pflegebedürftigkeit ihres Kindes geschäftsschädigend sei – und merkte dazu noch an, dass doch lieber ihr Mann das Geld verdienen solle.

Die Mutter hatte einen Kitaplatz in einer integrativen Kita und war super vorbereitet für den Wiedereinstieg. Dennoch unterstellte man ihr, dass sie „ständig krank“ sei und dass nur sie das pflegebedürftige Kind managen würde, nicht auch ihr Mann. An diesem Fall sieht man sehr deutlich welche Folge überholte Rollenbilder, Vorteile und stereotype Narrative haben: Jobverlust, Abhängigkeit vom Partner, finanzielle Nachteile bis zum Rentenalter.

Nahezu alle Elterndiskriminierungen sind quasi auf eine Formel zurückzuführen schreibt ihr in eurem Buch: Frau = Fürsorgearbeit / Mann = Erwerbsarbeit. Was bedeutet das im Umkehrschluss ? 

Karline: Wir müssen es hinkriegen, diese Schubladen offen zu halten und niemanden dort gleich einzusortieren. Diese Vorurteile gegenüber Müttern, aber auch gegenüber Vätern müssen weg. Es darf nicht mehr salonfähig sein, eine Frau einfach aufs Abstellgleis zu schieben, weil ihr Babybauch wächst oder einen Vater in den Keller zum Akten sortieren zu verfrachten, weil er es gewagt hat, einen Teilzeitantrag einzureichen. Dieses Verhalten muss als das benannt werden, was es ist: Elterndiskriminierung. Wir werden erst dann eine diskriminierungsfreie Arbeitswelt haben, wenn Eltern nicht länger automatisch in stereotype Rollen gepresst werden.

Sandra: In unserem Buch haben wir auch 15 familienfreundliche Unternehmen interviewt. Dabei zeigt sich interessanterweise, dass die verantwortlichen Personen nicht in typischem Schubladen-Denken Frau verhaftet sind. Viele gehen z.B. auch davon aus, dass ein Vater 6 Monate in Elternzeit gehen kann und danach in Teilzeit arbeitet und eine Mutter nach 6 Monaten Elternzeit wieder in Vollzeit arbeitet – ganz ohne Karrierenachteile und Gehaltseinbußen. Diese Denkweise trägt einen großen Teil dazu bei, dass für Elterndiskriminierung kein Raum ist. Es ist wichtig, dass diese Leuchtturmbeispiele noch viel mehr Nachahmer finden und öffentlich gemacht werden. 

Ihr setzt euch für ein „Diskriminierungsmerkmal Elternschaft bzw. Fürsorgeleistung“ im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ein. Warum ist das so wichtig und was würde das ändern?

Elterndiskriminierung
Sandra Runge. Foto: Manu Wolf

Sandra: Aktuell steht in unseren Gesetzen nirgendwo im Klartext geschrieben: „Die Benachteiligung von Eltern“ ist unzulässig. Aufgrund dessen ergeben sich Lücken, die unserer Meinung nach insbesondere im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschlossen werden müssen. Diskriminierungen von Eltern sind derzeit nur über das Merkmal „Geschlecht“ erfassbar und das reicht nicht aus.

Elterndiskriminierungen sind nicht nur auf geschlechterbedingte Unterschiede zurückzuführen, sondern aufgrund der Tatsache, dass Eltern Fürsorgearbeit leisten. Dazu ein einfaches Beispiel: Wenn ein Unternehmen alle Mütter und Väter in Elternzeit im Rahmen eines Sozialplans eine geringere Abfindung zahlt, erfolgt keine Anknüpfung an das Geschlecht, somit ist auch kein Diskriminierungsmerkmal tangiert.

Was müsste sich konkret ändern, damit wir eine familienfreundlichere Gesellschaft werden?

Karline: Wie Sandra schon sagt, ist eine Generalüberholung der Gesetzeslandschaft sehr wichtig. Unsere Gesetze müssen der Lebensrealität von Familien in Deutschland endlich angepasst werden. Gleichzeitig müssen sich die Arbeitsbedingungen für Eltern verbessern. Wir haben dafür auch nicht die eine Knopfdruck-Lösung in der Hinterhand, sehr wahrscheinlich gibt es die auch nicht. Vielmehr müssen alle Beteiligten, also Eltern, Unternehmen und die Politik, das Problem erkennen, benennen und gemeinsam Lösungen finden, mutig und innovativ sein, voran gehen und Verantwortung übernehmen.

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3 comments

  1. Mir wurde ca. 8 Wochen vor ET gekündigt, die Firma war bereits seit einiger Zeit in der Insolvenz und ein potentieller Investor wollte weniger Mitarbeiter (vor allem die „Lästigen“ Mitarbeiter sollten weg.
    Blöd für die Firma war nur, dass ich den Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben habe und mich an die Bezirksregierung gewendet habe. Mit dem Ergebnis, nicht rechtens. Theoretisch hätte ich also nach der Elternzeit zurückkommen können, wollte ich aber nicht und habe mir eine neue Stelle gesucht.
    Mein alter Arbeitgeber war sogar überrascht, dass ich gekündigt habe, man hätte mir doch jetzt extra eine Stelle in einem anderen Bereich freigemacht… Vielen Dank aber Nein! Ich war vor der Kündigung 10 Jahre in der Firma…
    In dem Moment der Kündigung war ich aber erstmal total überfordert und fertig mit den Nerven, Thema Zukunftsangst und das 8 Wochen vor ET.

  2. Herzlichen Dank für diesen wertvollen Lesetipp. Ein sehr wichtiges Thema, das leider noch viel zu wenig in den Köpfen der Menschen präsent ist. Liebe Grüße Marina

  3. Hallo,
    danke für diesen Beitrag, der mir die Augen geöffnet hat!
    Bei meinem letzten Job hat mich wohl auch die Elterndiskriminierung getroffen ohne es als solche zu erkennen. Ich war die einzige Mutter im Team und Covid begann mit den ganzen Lockdowns, Kita zu, Home Office etc. Alle im Team haben eine Gehaltserhöhung bekommen außer ich. Ich dachte anfangs noch, klar, ich hab ja auch nicht so viel geschafft wie die anderen, bin nicht so flexibel, ging ja nicht mit Kind zu Haus. Was mich aber sehr geärgert hat: Im Zuge dieser Gehaltserhöhungen wurden auch alle Gehaltsbänder angehoben, weil die Firma unter Marktdurchschnitt zahlte und attraktiver werden wollte. Durch diese Anhebung fiel mein Gehalt unterhalb des Minimums des Gehaltsbandes und man war nicht gewillt, es wenigstens auf die Untergrenze anzuheben, denn keine Gehaltserhöhung heißt keine Gehaltserhöhung. Da kam ich mir schon durch die Mutterschaft bestraft vor.

    Dieses Buch hätte ich letztes Jahr schon gebraucht, aber ich freue mich schon, es zu lesen.

    Viele Grüße
    Tina

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