Mütter. Macht. Politik. – Was sich für Frauen ändern muss

Mütter. Macht. Politik.

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Ihr Lieben, zum Glück tut sich etwas in der Gesellschaft, aber wirklich gleichberechtigt sind wir eben doch noch nicht. Und das ist kein privates Problem, sondern ein systemisches. Was sich insbesondere für Mütter hierzulande verändern müsste, das haben die Autorinnen Sarah Zöllner und Aura-Shirin Riedel in ihrem Buch Mütter. Macht. Politik. – Ein Aufruf ganz wunderbar und konkret herausgearbeitet.

Mütter Macht Politik

Liebe Sarah, liebe Aura, ihr sagt: „Wir haben es satt, uns an die Bedürfnisse eines Systems anzupassen, das Familien ausschließt. Vereinbarkeit erreichen wir nicht über Selbstoptimierung. Stattdessen fordern wir die Politik auf, die Verhältnisse zu optimieren.“ Welche Stellschrauben müssen neu gedreht werden, damit es uns Müttern besser geht?

Sarah: Wir brauchen dringend eine Geburtshilfe, die die Bedürfnisse von Müttern ernst nimmt und wo nicht an Personal und Ausstattung gespart wird. Wirklich verlässliche und hochwertige Kinderbetreuung. Und auch politische Entscheidungen im Steuer- und Arbeitsrecht: Wir fordern zum Beispiel, das Ehegattensplitting abzuschaffen, das noch immer wie in den 1950er Jahren die Ehe an sich fördert und nicht Menschen, die für Kinder sorgen.

Aura: Wichtig ist uns, den Fokus weg von individuellen Lösungen hin zum großen Ganzen zu richten: Funktioniert unser gesellschaftliches System auch für uns Mütter? Ganz zentral für dieses System ist die Verteilung und Bewertung von Arbeitskraft. Mütter arbeiten zwei Drittel ihrer Zeit unentgeltlich zu Hause, während Väter umgekehrt überwiegend für ihre Arbeitskraft bezahlt werden. Damit gehen üblicherweise größere wirtschaftliche Macht und mehr Teilhabe- und Einflussmöglichkeiten einher.

Wir müssen also dort ansetzen, wo unbezahlte Arbeit ungerecht verteilt ist. In diesem Zusammenhang müssen wir uns aber auch die Frage stellen, wie wir die Arbeit der Mütter gesellschaftlich bewerten. Ein zentrales Argument unseres Buches ist, dass familiäre Fürsorge keine Privatangelegenheit, sondern eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist.

Habt ihr auch das Gefühl, dass wir relativ gleichberechtigt in das Abenteuer Mutterschaft starten und dann bereits an der Kreißsaaltür feststellen: Ooops, so gleichberechtigt sind wir ja nun doch noch gar nicht…

Aura

Sarah: Ja, das habe ich nach der Geburt meiner zwei Söhne schon mehrmals gedacht. Sehr deutlich, als mir meine damalige Chefin gut anderthalb Jahre nach meiner Rückkehr aus der Elternzeit nahelegte, erst mal mein Muttersein zu genießen, statt Ambitionen auf eine Beförderung zu zeigen, wie es mein kinderloser Kollege zur selben Zeit tat. Es war klar, für sie bestand nur die Möglichkeit: entweder rundum im Beruf verfügbar zu sein oder als Mama ein bisschen in Teilzeit zu arbeiten.

Aura: Mütter sind nach wie vor der blinde Fleck in der Gleichstellungspolitik – aber auch insgesamt im Feminismus. Zwar machen inzwischen mehr junge Frauen als Männer Abitur und studieren. Sie starten auch relativ gleichberechtigt in die Arbeitswelt. Das ändert sich jedoch abrupt, sobald Frauen Mütter werden. Dann werden sie regelrecht aus höheren Positionen heraus gedrängt.

Einerseits, weil die Arbeitsbedingungen auf Führungsebene so geschaffen sind, dass sie nicht mit einer Familie zu vereinbaren sind. Andererseits sind es aber auch handfeste Vorurteile gegenüber Müttern. Laut einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes machen über 70 Prozent der Mütter diskriminierende Erfahrungen am Arbeitsplatz.

Gab’s bei euch nach den Geburten auch ganz persönlich so einen Moment, wo ihr dachtet: Stopp mal, das hatten wir uns hier aber alles doch ganz anders vorgestellt…?

Sarah: Schwierig war auf jeden Fall die Über- und zugleich Unterforderung als ganz junge Mutter. Diese ewig langen Nachmittage mit Baby-Smalltalk auf dem Spielplatz… Ich habe mir dann selbst recht bald Freiräume geschaffen und bin auch wieder in meinen Beruf eingestiegen – aber da sollte mein Muttersein vor allem Privatsache sein – was so pauschal eben auch nicht ging.

Aura: Überrascht hat mich auch, wie schwer es in Zeiten des Rechtsanspruchs auf Betreuung ist, einen Platz zu finden, wo mein Kind – also das Wertvollste, was ich als Mutter habe – gut und zuverlässig betreut wird. Die Zustände, die teilweise in den Kindertagesstätten herrschen, haben mich persönlich sehr erschreckt.

In eurem Buch „Mütter. Macht. Politik.“ sprecht ihr von einer Gesellschaft, die Familien ignoriert. Was meint ihr damit genau und ganz konkret? Ich zitiere: „Wer Mütter stärkt, muss Menschen auf die Füße treten. Nämlich genau denen, die aktuell von der kostenlosen „Ressource Mutterschaft“ gut leben.“ Wer ist da gemeint und wie kann das gelingen?

Aura: Man muss sich doch einfach mal die Frage stellen, was wäre, wenn Mütter plötzlich aufhörten, unbezahlt zu arbeiten. Ohne uns Mütter würde einfach überhaupt nichts mehr gehen. Kinder kämen weder zur Kita, noch zur Schule, noch sonst wohin. Väter machen schon mehr als früher, aber insgesamt – statistisch belegt – im Durchschnitt noch immer weit weniger als Mütter. Und welchen Wert diese Arbeit für die Gesellschaft im Ganzen hat, ist vielen Menschen noch immer nicht bewusst.

Sarah: Zugleich verlangen Unternehmen und Institutionen die möglichst umfassende Verfügbarkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was für Mütter und Väter nur machbar ist, wenn andere – unbezahlt oder schlecht bezahlt – ihre Kinder betreuen.

Letztlich kommt uns das als Gesellschaft teuer zu stehen: Familien sind erschöpft, Paare trennen sich, alles außer der Reihe versetzt uns leicht in Panik, weil wir uns fragen: „Wie soll ich das noch zusätzlich schaffen?“ Dass das nicht gesund ist und auch nicht dauerhaft gut gehen kann, merken wir an den müden bis empörten Reaktionen von Eltern. Hier muss ein Umdenken stattfinden, wenn wir als Gesellschaft im Ganzen gesund bleiben wollen!

Ihr plädiert für eine Gesellschaft, die Fürsorge in ihr Zentrum stellt. Kann das funktionieren? Wo bleibt da die Wirtschaftlichkeit? Oder denkt ihr die darin mit?

Sarah: Ich finde in diesem Zusammenhang sehr spannend, was Unternehmer:innen sagen, die flexible Arbeitsformen und zum Beispiel die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich bereits umsetzen. Wir haben für unser Buch Anna Yona befragt, die mit ihrem Unternehmen „Wildling Shoes“ Familienfreundlichkeit sehr ernst nimmt. Sie meinte, familienfreundliche Arbeitsbedingungen können wirtschaftlich sogar ein Gewinn sein, weil sie Mitarbeiter:innen an ein Unternehmen binden und es zu weniger Wechsel kommt – was für Unternehmen oft besonders teuer ist.

Umgekehrt verfolge ich gerade einen „Feldversuch“ der Unternehmerin Isabell Hoyer zur Vier-Tage-Woche. Ihr Fazit ist bisher gemischt. Tatsächlich sind ihre Mitarbeiter:innen nach kurzer Eingewöhnung sehr zufrieden mit dem Modell, sie als Chefin hatte aber eher mehr Arbeit und wenig Zeit für (Neu-) Akquise, so dass die Umsätze während des Versuchszeitraums erst mal einbrachen. Ich denke auch, solange 40h Arbeitszeit vor Ort der gesellschaftliche Standard bleiben, fällt es Unternehmen doch relativ schwer, neue Wege zu gehen.

Aura: Wir müssen als Gesellschaft verstehen, dass die familiäre Fürsorgearbeit, die wir bisher als „privat“ wahrnehmen, eine Grundlage unserer Wirtschaft ist. Die Erwerbsarbeit muss so organisiert sein, dass sie wichtige familiäre Arbeit, sei es die Erziehung von Kindern, oder die Pflege von Angehörigen, selbstverständlich integriert. Das kann zum Beispiel durch kürzere Arbeitszeiten geschehen, die viele Verbände, mit denen wir in unserem Buch gesprochen haben, bereits seit Langem fordern.

Kürzlich setzten sich viele engagierte Frauen dafür ein, dass das Elterngeld für Besserverdienende nicht gekappt wird. Statt sich über den Einsatz zu freuen, gab es Shitstorms von anderen Frauen, die meinten, man solle sich lieber für was anderes einsetzen. Stehen sich Frauen da in ihrem Kampf für Verbesserung auch gegenseitig im Weg?

Sarah: Das „andere“, das du erwähnst, war ja die Forderung, das Elterngeld, das seit rund 16 (!) Jahren nicht erhöht wurde, generell anzuheben und eine ausreichend finanzierte und damit wirklich wirkungsvolle Kindergrundsicherung zu schaffen. Zwei Maßnahmen, die besonders Eltern mit kleinem und mittlerem Einkommen und ihre Kinder unterstützen würden. Diese Petitionen waren zwar auch erfolgreich, erregten aber längst nicht so viel Aufmerksamkeit wie die zum Elterngeld für Besserverdienende.

Ich denke, auch dadurch wird klar, wer besonders gut vernetzt ist und damit Öffentlichkeit schaffen kann für seine Themen. Statt hier gegenseitig übereinander zu meckern finde ich es viel wichtiger, aufmerksam auf die jeweils andere Lebensrealität zu schauen. Oft berühren sich die Lebenswelten von zum Beispiel einer alleinerziehenden Mutter mit rund 1500€ Einkommen im Monat und Menschen, die monatlich das Zehnfache verdienen, ja kaum. Hier sollten wir miteinander ins Gespräch kommen, statt uns gegenseitig anzugreifen.

Aura: Das ist auch einer der Beweggründe, warum wir dieses Buch geschrieben haben. Wir wollten zeigen: Viele der Probleme, die Müttern, egal welcher Einkommensschicht, begegnen, sind nicht auf individuelles Versagen zurückzuführen, sondern haben handfeste strukturelle Gründe. Und dagegen können wir nur gemeinsam kämpfen.

Wenn ihr euch eine Gesellschaft backen dürftet, wie sähe die für Mütter aus?

Sarah: Da sehen wir Mütter – auch mit kleinen Kindern – ganz selbstverständlich in der Mitte unserer Gesellschaft! In politischen Ämtern, an der Spitze von Unternehmen, in Universitäten und Institutionen. Eine Arbeitswelt, die Fürsorge für Kinder automatisch mitdenkt. Und viel wohlwollender, konstruktiver Austausch zwischen Müttern, Vätern und Kinderlosen allen Alters und jeder Herkunft.

Sascha Verlan, Mitinitiator des Equal Care Days, hat im Interview mit uns sinngemäß gesagt: Als Mütter und Menschen, die Fürsorge für andere übernehmen, schaffen wir es nicht alleine. Wir brauchen Fürsprecher:innen, die sich an unsere Seite stellen und für uns und mit uns für unsere Interessen eintreten. Einigen dieser Fürsprecher:innen haben wir in unserem Buch Raum gegeben. Und wir nennen konkrete Handlungsmöglichkeiten. Als Impuls für jede Mutter unter unseren Leserinnen, die selbst etwas ändern möchte. Das ist nämlich im Großen wie im Kleinen möglich!

Weiter Infos: Aktions- und Vernetzungsplattform #MütterMachtPolitik, mehr Infos zum Buch, Website von Sarah Zöllner und Blog von Aura.

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10 comments

  1. Ich finde den Artikel sehr gut und bin echt neugierig auf das Buch. Denn, wie man in den Kommentaren liest, es geht nicht alles gleichzeitig. Viel mehr sollte gesellschaftlich tatsächlich auch die Care Arbeit in der Familie gewertschätzt werden. Und auch die Phasenhaftigkeit des Lebens anerkannt werden, die Kinder sind nicht ewig klein, die Eltern zum Glück nicht ewig pflegebedürftig. Die Phase in der uns die Kinder brauchen, genau wie die, in der wir von den Eltern gebraucht werden, aber auch davor, danach und dazwischen können Frauen/ Mütter auch in der Erwerbstätigkeit viel geben, das sollte nicht vergessen werden! Und die Wichtigkeit der Care- Arbeit muss anerkannt werden! Wir sind Menschen, soziale Wesen, die das Miteinander brauchen, für unsere Spezies ist das überlebenswichtig.

  2. Wir brauchen definitiv einen stärkeren Fokus auf Bildung. Unabhängig davon, dass man aufgrund der demographischen Zusammensetzung mit Kindern keine Wahlen gewinnt, sollte die Bundesregierung alles daran setzen, die veralteten föderalen Strukturen zu beseitigen und wirklich in Bildung und nicht nur in Rentner zu investieren.

    Darüber hinaus kommt es mir wirklich manchmal so vor, als würden wir uns in einem Wettbewerb darum befinden, wem es am schlechtesten geht. Viele der hier skizzierten Punkte können individuell in einer Paarbeziehung geregelt werden. Wenn ich mir den falschen Partner aussuche, dann ist das doof, kann aber durch die Politik und die Allgemeinheit nicht immer aufgefangen werden. Ich kann ja nicht jede private Entscheidung zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem hochjazzen. Wirtschaftsunternehmen sind vorrangig Wirtschaftsunternehmen und die wollen meist Geld verdienen. So weit so verständlich. Dass die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich jetzt der Schlüssel zu größerem wirtschaftlichem Erfolg ist, wage ich zu bezweifeln.
    Wenn wir die Zeit nicht für Selbstmitleid sondern für Priorisierung und offene Abstimmung mit unseren Partnern verwendeten, wäre schon viel gewonnen.
    Man kann nicht alles im Leben haben, man muss priorisieren. Wenn ich zum Mond fliegen möchte, dann kann ich nicht darauf bestehen, mein Kind um 14.30 Uhr aus der Kita abzuholen. Natürlich gibt es Führungstandems und die funktionieren sicherlich auch gut, aber auch hier wird es Momente geben, in denen ich das eine oder das andere priorisieren muss. Und vielleicht ist es dann besser, zu feiern, dass man dies kann, anstelle sich in Selbstmitleid zu ergehen.

  3. Ich finde die Debatte richtig!
    Vereinbarkeit von Beruf und Familie wäre ein Traum!!
    Geschlechtergerechtigkeit ebenfalls!
    Ich habe mich bewusst für eine halbe Stelle entschieden und stelle fest, dass es in meinem Beruf trotzdem permanent eine Zerreißprobe ist!
    Denn in meinem Job als Lehrerin mit einer 50%-Stelle habe ich leider permanent nachmittags und abends sowie an meinem eigentlich freien Tag Termine oder Veranstaltungen: Elternsprechtag, Elternabend, Konferenzen, Arbeitskreistreffen, pädagogische Konferenztage, Tag der offenen Tür, Schulfest, Prüfungstage bis in den Abend – soviel zu den verpflichtenden Schulveranstaltungen. Hierfür gibt es einerseits weder Ausgleich noch Vergütung und andererseits nahezu keinen Unterschied zu den Vollzeit arbeitenden Kolleg*innen.
    Hinzu kommen Klassenfahrten, Klassenfeste, Theateraufführungen von Schüler*innen etc. (ebenfalls ohne Vergütung, häufig am Wochenende und mit Übernachtungen)
    Dies alles mit eigenen kleinen Kindern, weswegen man ja die 50%-Stelle bewusst gewählt hat, zu stemmen, ist kaum möglich und führt somit die Reduktion ad absurdum.

    1. Hallo Isabelle, so ging es mir auch, aber in einer anderen Branche. Ich habe eigentlich die volle Arbeit für 75% des Geldes gemacht. Ich habe dann meine Arbeitszeit erhöht, was ja nicht wirklich mehr war, nur eben mehr Geld.

  4. Hm, ich arbeite ( alleinerziehend) in der Pflege und fühle mich weder als systemisch noch sonstwie benachteiligt. Flexible Arbeit funktioniert nicht überall ( in Berufen wo zu jeder Zeit ausreichend Personal da sein muss) bzw wenn nur Muttis ihre Muttischicht machen wollen geht das zu Lasten der Kollegen, die immer die “ ungeliebten“ Dienstzeiten leisten müssen. Und ich habe mir die Kinder freiwillig selbst angeschafft, habe mir das vorher überlegt (!). Warum müssen jetzt alle Anderen dafür haften? Kinder aufziehen war zu allen Zeiten auch Mühe und Arbeit, wenn ich dafür nicht bereit bin lasse ich es. Nein eine Gesellschaft kann nicht alles abfedern „nur“ weil Jemand Kinder hat. Wer Ansprüche stellt muss auch erstmal etwas leisten bzw eine Gegenleistung erbringen. Und wenn ich Teilzeitlöhne will von denen man leben kann, muss ich mir mal ausrechnen wo es herkommen soll!? Das geht auf Kosten der ( auch kinderlosen) Steuerzahler, über höhere Preise für alles, staatliche Subventionierung die wir letztlich alle mit bezahlen. Und es fehlen sowieso schon Arbeitskräfte. Vielleicht sollten manche Frauen einfach aufhören sich immer benachteiligt zu fühlen, immer negativ denken bringt keine Erfolge. Ich bin jedenfalls kein Opfer von irgendetwas und liebe meine Kinder und auch meinen ( anstrengenden)), zeitlich fordernden) Beruf! Ich brauche auch meinen beruflichen Ausgleich/ Austausch für mich und meine Kinder sehen das Arbeit Zufriedenheit bringt, das Leben finanziert werden muss und sind selbstständige Kinder die auch was alleine können.

  5. Ich finde auch, dass Mütter/ Eltern und die Care-Arbeit in die Mitte der Gesellschaft gehören und nicht an ihren unsichtbaren Rand!
    Ein Beispiel aus meiner beruflichen Praxis: als Fachexpertin bin ich zu einer mehrtägigen beruflichen Weiterbildung eingeladen worden. Ich arbeite in Teilzeit, meine Arbeit kriege ich prima hin und habe keine Führungsverantwortung. Die Schulungstage, insgesamt 1 Woche, sind als 8 Arbeitsstunden plus Mittagspause plus An-und Abreise konzipiert gewesen. Bedeutet: mindestens 10 Stunden Abwesenheit von zu Hause. Seit die Kinder auf der Welt sind, habe ich noch keine Einrichtung erleben dürfen, die 10-11 Stunden betreuen könnte oder würde, ganz abgesehen davon, dass diese Zeit für ein Kita- und ein Grundschulkind viel zu lang wäre. Nicht falsch verstehen: ich erwarte ganz sicher nicht, dass alle Weiterbildungen und Job-Veranstaltungen nur 4-5 Stunden dauern, frage mich aber schon, warum keiner auf die Idee kam, dass diese Veranstaltungsorganisation (= die Rahmenbedingungen) fast alle Mütter mehr oder weniger automatisch ausschließt? Ich bin gut organisiert und habe mir die Teilnahme irgendwie ermöglichen können, aber die Betonung liegt auf irgendwie. Denn die Kinder und ich sind danach ziemlich durch gewesen. Und es ging weder um Aufstieg noch um Leitungsübernahme, sondern lediglich um eine Schulung, die es mir ermöglicht meinen Job auch weiterhin gut auszuführen. Würde ich mir diese Mühe ersparen, hätte ich in 5 Jahren noch immer den gleichen Job, aber nicht als Expertin, sondern als Assistenz von Experten…

  6. Ich muss gestehen, dass ich so einer Debatte immer mit gemischten Gefühle gegenüber stehe und Sina zustimmen kann.
    Mir ist doch klar dass ein Mann, der einen Ministerposten und Familie hat,entweder eine Frau hat, die sich kümmert oder eine bzw. zwei Nanny(s). Ebenso ist mir klar, dass eine Annalena Baerbock entweder einen Mann hat, der verzichtet oder eine Nanny. Ansonsten geht es defacto nicht ohne dass Kinder leiden. ich kann nicht zu beiden Teilen 100% geben..100% Mama /Papa und 100% Chef/in oder..
    So ist ja auch die damalige Familienministerin Spiegel gestartet. in meinen Augen mehr als naiv. von einem Minister/in mit mehr als 180.000 € Jahresgehalt und mit wichtigen Machtverhältnissen ausgestattet verlange ich auch eine große Verfügbarkeit und keine die 4 Wochen bei Corona bei ihren Kindern bleibt ( auch wenn ich das als Mama genauso gemacht hätte
    – dafür habe ich aber auch nicht das Geld und nicht so einen Job).Ebenso gilt das gleiche für Männer. Ich verlange in so einem Job dass sie nicht 4 Wochen bei ihren Kindern bleiben.
    Meine Freundin ist Unfallchirurgin ( Ops die auch mal länger dauern als die Kinderbetreuung hergeben)und ihr war klar, dass ihr Job nicht mit dem Mamadasein in klassischer Form funktioniert oder nur mit einem Mann der Teilzeit arbeitet. Sie arbeitet Vollzeit, sieht ihr Kind aber manchmal 2/3 Tage wegen verrückter Arbeitszeiten nicht. Das ist der Preis,den ja auch Männer in dem Job zahlen und sie kann die Op nicht umbedingt mitten drin jemand anders übergeben.
    Entscheidungen für oder gegen Familienzeit müssen getroffen werden ,unabhängig von Mann oder Frau.
    Klar geht in manchen Berufen auch die Führungskraft in Teilzeit,trotzdem muss ich dann mit meinem Mann die Familienzeit aufteilen oder eine Nanny einstellen. Denn Kinder benötigen Zuwendung über Zeit. Klar ist in machen Ländern selbstverständlicher dass Mütter 8 Wochen nach der Geburt wieder Vollzeit arbeiten. Das wäre z.B. ein Konzept das mich überhaupt nicht reizen würde.Ich empfinde es als sehr sehr großes Privileg Zeit für die Familie haben zu dürfen und ich arbeite sehr gern im Teilzeit Modell. Ein finanzielles Ausgleichsmodell haben mein Mann und ich bereits mit Familiengründung notariell ausgehandelt. d.h. nicht dass dies unantastbar ist, aber dies finde ich Z.B entscheidend. Das benötigt aber keine politische Regelung,sondern eine persönliche.

  7. Hab ich alles grundsätzlich nichts dagegen…ich bin mehr als dafür für hochwertige Kinderbetreuung, gute Schul- und Unterrichtsqualität und flexible Arbeitszeitmodelle!
    Aber vor allem zum letzten Absatz würde meine Oma gesagt haben, dass man halt einfach die „Decke nicht an fünf Zipfeln haben kann“.
    (Kleine) Kinder benötigen einfach Zeit! Zeit, um ins Bett gebracht zu werden, Zeit, um mal mit ihnen in Ruhe einen Nachmittag zu verbringen, Zeit für den Laternenumzug, Zeit, damit man zusammen essen kann, Zeit für das Fußballturnier- einfach viel Zeit im Alltag- je weniger Hektik da stattfindet, um so besser für sie.
    Und ein politisches Spitzenamt oder ein großes Unternehmen braucht auch Zeit- da reichen keine 20 oder 30 getaktete Stunden pro Woche, um so ein Amt oder eine Position wirklich richtig gut auszufüllen!
    Daher sehe ich es schon so, dass sich Eltern (nicht Mütter!) darüber im Klaren sein sollten, dass sich Kinder und bestimmte berufliche Vorstellungen nicht miteinander vertragen- egal wie sensationell gut und hochwertig die Kinderbetreuung ist.
    Ich denke an Annalena Baerbock- sie hat einen Posten, den sie offensichtlich gerne haben wollte und wohl auch sehr gern ausübt. Dafür muss sie aber in ihrem Privatleben mit ihren Kindern ganz sicher große Abstriche machen. Und da kann ihr auch keine Systemumwandlung helfen- dieser Posten ist nur um diesen Preis zu haben!
    Was ich sagen will, ist, dass nicht alles zu organisieren und zu optimieren ist- manchmal muss man auch einfach eine Entscheidung für oder gegen etwas treffen.

    1. Sina, ich finde der Witz bei der Sache ist ja, dass sich diese Frage niemand bei einem Mann stellt. Bzw. das über einen männlichen Politiker sagen würde. Bei den meisten weiß man doch nicht einmal, ob oder wie viele Kinder sie haben. Da gibt es bestimmt auch einige und niemand sagt ‚Ja, den Posten wollte er eben gerne haben, jetzt muss er halt Abstriche im Privatleben mit seinen Kindern machen‘. Du sagst ja selber explizit ‚Eltern‘, nennst dann aber eine Frau als Beispiel. Weil es einem bei Männern einfach nicht bekannt ist, weil es niemand hinterfragt?

      Ich denke auch darum geht es ja, diese Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und zu durchbrechen.

      Ich persönlich fände es nämlich genau wichtig, dass auch so genannte Führungspositionen von 2 Teilzeitkräften ausgefüllt werden können sollten. Es muss ja nicht gleich das Außenministerium sein. Und, dass man von zwei Teilzeitgehältern als Familie auch leben kann.

      1. Hallo Anna,

        ich stimme dir grundsätzlich zu. Aber ich meine tatsächlich, dass das auch für Männer gilt – auch sie müssen sich gegen oder für Zeit mit ihren Kindern entscheiden, wenn sie bestimmte Posten oder Positionen anstreben. Ich weiß, was du meinst – bei Männern kritisiert das keiner, bei Frauen schon. Ich wollte auch niemanden kritisieren, sondern nur bemerken, dass alles zu haben einfach nicht geht. Ein Freund von mir hat seine eigene Firma und arbeitet ca. 60-70 Stunden pro Woche…er hat keine Ahnung vom Alltag seiner Kinder. Das muss man schon wollen. Ich wollte tatsächlich mehr darauf raus, dass bestimmte Jobs nicht mit Kindern harmonieren. Und damit meine ich Baerbock genauso wie Söder oder de Maizière oder…egal ob Mann oder Frau.
        Dass Unternehmen viel cooler und flexibler und teilzeitfreundlicher werden sollten, finde ich trotzdem!

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