Vatersein in Deutschland 2019: Wir stecken noch viel zu oft in überholten Rollenbildern fest

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Ihr Lieben, heute haben wir drei Väter zu Gast bei uns und freuen uns darüber sehr, denn für eine moderne Familienpolitik braucht es ganz dringend Einblicke in die Leben ALLER Familienbeteiligten. Wir haben also Axel, Jonas und Markus gefragt, wie sie das Vatersein 2019 in Deutschland sehen, welchen Herausforderungen sie begegnen – und warum sie einen Podcast über ihr Leben als Väter ins Leben gerufen haben.

Lieber Axel, du hast gemeinsam mit Jonas Leppin und Markus Dichmann auf Spiegel Online einen Väter-Podcast gestartet, bist also voll im Thema. Was genau bedeutet für dich Vatersein in Deutschland 2019?

Axel Rahmlow: Für mich bedeutet es, für meine Tochter Ella da zu sein. Genauso wie es auch von Müttern verlangt wird. Ich kann mir nicht nur die Rosinen rauspicken. Aber es gibt noch viel zu tun: Wir als Väter stecken zu oft in Rollenbildern fest. Hausarbeit ist immer noch viel mehr Frauensache. Familienpolitisch ist auch noch Luft nach oben, um Gleichberechtigung zu fördern. Und selbst die Mütter, die wollen, dass wir mehr tun, machen es uns nicht immer leicht. Die Jahre klarer Rollenverteilung prägen uns alle mehr als uns bewusst ist.

Was macht für dich einen guten Vater aus?

Rahmlow: Ich will für mein Kind der Spielplatzheld sein aber auch der Tröster, der Bildermaler, der Erzieher. Im Idealfall reflektiert ein guter Vater, was er tut und nimmt die Privilegien, die er hat, zur Kenntnis. Und ein guter Vater versucht nicht in die Geschlechterklischeefalle für Jungen und Mädchen zu tappen. Aber ich weiß auch, dass das oft nicht klappt.

Die Zahl der Männer in Kita und Grundschule bewegt sich im Promillebereich, es bräuchte viel mehr, weil unsere Kinder auch Männer in ihrem Umfeld brauchen. Was genau macht die Arbeit mit Kindern für Männer so unsexy?

Rahmlow: Wir lernen es immer noch meistens so: Erzieher ist kein Beruf für Männer. Das ist natürlich Quatsch.

Zur Wahrheit gehört aber auch ein unterschwelliges Misstrauen gegenüber Männern. Eine Freundin aus Berlin hat mir von der Kita ihres Sohnes erzählt: Die Leiterin wollte zwei neue Erzieher einstellen. Viele Eltern haben sich deswegen beschwert. Der nicht ausgesprochene Vorwurf: Ein Mann, der sich um kleine Kinder kümmern will – freiwillig! – der muss ihnen etwas Böses wollen. Am Ende konnten die beiden eingestellt werden. Aber die Tür zum Bad muss immer offen bleiben.

Das ist doch krass. Tatsächlich gibt es eine Studie aus dem letzten Jahr, die sagt: 32% der Eltern haben Angst, dass ihre Kinder von Erziehern missbraucht werden können. Ich glaube, Umbrüche können zwar politisch gefördert werden, aber es braucht vor allem mehr Vorbilder.

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Wenn du auf deinen eigenen Vater schaust: wie war er und was würdest du gern ähnlich – und was ganz anders machen?

Rahmlow: In meinen Kindheitserinnerungen ist mein Vater für das Spielen verantwortlich. Meine Mutter durfte den ganzen Rest machen, sie hat mich erzogen. Dann haben sich meine Eltern getrennt und mein Vater war lange eher eine Art erwachsener Freund. Er ist für mich erst später auch eine echte Vertrauensperson geworden. Es ist mir sehr wichtig, dass ich das für meine Tochter von Anfang an bin. Auf der anderen Seite fällt mir auf, dass ich, wenn ich Kinder zum Lachen bringen will, manchmal wie mein Vater klinge.

Inwiefern siehst du deine Frau mit anderen Augen, seit sie Mutter ist?

Rahmlow: Ich bin ehrlich, für mich ist das ambivalent. Ich habe oft damit zu kämpfen, dass wir als Paar unsere Unabhängigkeit verloren haben. Mit den Verpflichtungen ist die Leichtigkeit verschwunden. Die Geheimnisse und Rückzugsräume sind weg. Wir sind erst wegen unserer Tochter zusammengezogen.

Klar sind wir jetzt ein besseres Team, wir sind Eltern, das hat unsere Bindung natürlich gestärkt. Aber es hat uns auch ein Stück weit voneinander entfernt. Und das liegt vor allem an mir. Auch weil ich die wenige Freizeit die ich habe, gerne unterwegs bin. Ich verstehe, dass meine Freundin damit nicht immer glücklich ist. Aber ich sehe auch, was meine Freundin für ein Vorbild für unsere Tochter ist, wieviel Liebe da ist, wieviel Empathie und Geduld. Da lerne ich eine Menge von ihr.

Welcher war der letzte große Frustmoment, den du als Vater erlebt hast?

Rahmlow: Ich habe mich in den letzten vier Monaten quasi alleinerziehend um Ella gekümmert, weil meine Freundin an einem großen Projekt arbeiten musste. Trotz aller Entbehrungen, Papa ist der Anker, so habe ich das gesehen. Aber jetzt, wo Ellas Mama wieder richtig da ist, hat sie ihr sofort erzählt: „Mama, der Papa schimpft immer so viel.“ Das hat mich sehr frustriert.

Aber was stimmt: Ich bin nicht so ultralässig, wie ich gerne wäre. Ich bin oft ungeduldig. Ich bin auch oft genervt, weil ich müde bin und es ein langer Tag war. Abends beim ins Bett gehen zum Beispiel. Wenn Ella lange braucht, um ihren Schlafanzug anzuziehen und noch auf dem Bett hüpft, schimpfe ich irgendwann.

Aber sie ist ja ein Kind, sie ist vier Jahre alt, sie „funktioniert“ ja schon fast den ganzen Tag. Sie hat das Recht, mal zu trödeln und eben nicht zu „funktionieren.“ Und da hat es mich dann wirklich tief gefrustet, dass ich aus Ellas Perspektive so viel schimpfe, meine Eigenwahrnehmung war da ganz anders.

Beziehung oder Erziehung? Wie handhabst du das?

Rahmlow: Es ist nicht meine Aufgabe Ellas Freund zu sein. Ich bin ihr Vater, ich habe eine Verantwortung. Natürlich bin ich auch dazu da, dass sie Spaß hat. Natürlich sehe ich sie lieber lachen als weinen. Momentan rennt sie oft weg wenn sie etwas nicht kriegt und ruft „Jetzt bin ich nicht mehr Dein Kind.“ Aber ich kann ihr nicht alle Wünsche erfüllen.

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Es gibt Momente, da kann ich ihr gut erklären, warum ich etwas verbiete, oder warum jetzt Schluss ist. Es gibt Momente, da geht es völlig daneben. Großes Thema ist zum Beispiel: Einschlafen. Sie soll eigentlich alleine einschlafen, aber Ella verhandelt eigentlich jeden Abend und oft bleibe ich dann doch drinnen, weil sie sich dann so freut und ich froh, bin jetzt kein übermüdetes trauriges Kind vor mir zu haben. Da ist viel von der Tagesform abhängig, bei uns beiden.

Welchen gesellschaftlichen Druck nimmst du als Vater wahr? Was hat sich da in den letzten Jahren getan?

Rahmlow: Väter sollen auf einmal das tun, was die Mütter schon seit 50 Jahren sollen oder müssen oder dürfen: Familie und Beruf zusammenkriegen. Ich weiß gar nicht, ob das Druck ist, es kommt mir eher normal vor und es soll und kann auch gar nicht anders sein.

Aber klar habe ich oft so einen Druck in mir á la "Ich muss jetzt das und das für Ella machen. Wir müssen lernen Fahrrad zu fahren. Ich muss mit ihr mehr basteln. Wir müssen dafür sorgen, dass sie ein selbstbewusstes Kind ist."

Ich glaube oft in meinem Umfeld zu sehen, das andere das alles mehr machen als ich. Aber ich weiß auch, dass es eigentlich nicht stimmen kann und selbst wenn: Ich versuche mich davon zu lösen, weil das setzt ja auch Ella unter Druck. Und was ich auch in mir spüre: Der Druck für die Familie „verantwortlich“ zu sein und das Geld ranschaffen zu müssen, weil „das machen Väter ja so.“ Das krieg ich schwer aus mir raus.

Wer mehr von den drei Vätern hören möchte! Hier entlang…

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1 comment

  1. Anstrengend
    Hallo, das hört sich alles recht anstrengend an aus Sicht des Vaters. Bei uns arbeitet zwar mein Mann mehr als ich, dennoch ist er täglich bei den Kindern präsent, wir teilen uns z. B. beim in den Kindergarten oder in die Schule bringen immer rein. Und jedes Kind hat unterschiedliche Rituale bei mir oder meinem Mann, da muss gar nichts immer gleich laufen. Auch so die Förderung der Fähigkeiten, das kam von uns von alleine, je nachdem wie weit die Kinder waren, da musste keiner mit einem Kind Rad fahren oder Schwimmen usw. üben, das haben wir meist einfach in Familienausflüge integriert. Oder die Kids haben eben nach „Übungsstunden“ gefragt. Was ich damit sage ist: Der Papa setzt sich offensichtlich unter den gleichen Druck, der so viele Frauen auch überfordert. Wir versuchen es in unserer Familie so zu halten, jeder macht es auf seine Art ohne Bewertung. So habe ich es auch bei meinen Eltern erlebt. Ach ja, wir leben in Leipzig und der beste Krippenerzieher meiner Tochter war ein Mann! Und im Hort bei meinem Sohn arbeiten etliche Männer. Was toll ist! Leider hat er tatsächlich in der Grundschule nur einen Lehrer. Und unser Haus wurde übrigens von einer Architektin geplant. Ich wünsche mir, dass auch weiterhin die Geschlechter egaler werden und die Aufgaben einfach von Menschen je nach Fähigkeiten übernommenen werden.

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