#metoo: Wie ein Mann den Aufschrei im Netz gegen sexualisierte Gewalt sieht

metoo

Ihr Lieben, Katharina und ich haben gestern ellenlange Chats über die #metoo-Welle in den sozialen Medien geführt. Wer noch nicht im Bilde ist: Unter dem Hashtag sammeln Frauen Geschichten von sexueller Belästigung, Nötigung – von der Grenzüberschreitung bis hin zur Vergewaltigung. So viele betiligen sich daran, dass man fast fragen muss: Gibt es überhaupt Frauen, die solche Erfahrungen noch nie gemacht haben?


Nun fragten wir uns, wie wir uns dazu äußern könnten, denn so viel wurde in dieser Diskussion einfach schon gesagt. Also beschlossen wir, einen Mann zu suchen, der uns etwas zu dem Phänomen aus seiner Sicht erzählen kann. Und wir sind doch tatsächlich fündig geworden. Interessant, wie er das Ganze sieht.

"Heute Morgen beobachtete ich zufällig eine Frau, vielleicht 25 Jahre alt, mit einem Rollkoffer auf einem Gehweg. Drei Männer waren gerade dabei, ein Gerüst vor einer Fassade aufzubauen, einer von ihnen pfiff vor sich hin. Als die Frau unter dem fast fertigen Gerüst herging, pfiff der Mann plötzlich etwas lauter und lächelte – es wirkte freundlich, nicht obszön. Sie schmunzelte vor sich hin und ging ungerührt weiter. Er schaute ihr hinterher.

Die Frau hätte allen Grund gehabt, sich belästigt zu fühlen. Es könnte ihr unangenehm gewesen sein. Sie spürte vermutlich die Blicke in ihrem Rücken. Und doch erschien die Situation aus der Ferne harmlos. Der Kerl – ein bisschen prollig, ein bisschen von gestern, aber doch nicht weiter gefährlich. Die junge Frau – peinlich berührt, einfach nur amüsiert oder sogar geschmeichelt? 

Dieser Fall hat sich genauso zugetragen. Und er zeigt geradezu mustergültig, wie schmal der Grat ist zwischen Flirt und Belästigung.

Auch um Fälle wie diese geht es, wenn unter #metoo vor allem in den Sozialen Medien Aufdringliches und Übergriffiges, Belästigungen und Vergewaltigungen geschildert werden. Es kommt alles zusammen, was nicht immer zusammengehört: Die Pfiffe der Bauarbeiter, dumme Anmachsprüche von Türstehern, etwas zu intensive Blicke des Sicherheitsmannes am Flughafen, der Griff an den Hintern in der Bar und die Vergewaltigungen des Harvey Weinstein – alles in einen Topf. Und auch wenn es in dieser Kampagne ausdrücklich nicht nur um solche Fälle gehen soll, in denen Frauen von Männern belästigt werden: Die Richtung ist klar. Angesichts der kampagnenartigen Geballtheit der Schilderungen bei Facebook und Co. bleibt am Ende nur ein Eindruck hängen: Mann versus Frau, Mann böse – Frau Opfer. Der Sturm der Empörung lässt kaum Raum für Differenzierungen, für Zwischentöne, für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. 

Ich meine ganz und gar nicht, dass die von Weinstein belästigten Frauen auch nur den Hauch einer Mitschuld tragen für das Erlebte, weil sie zum Beispiel süchtig waren nach Ruhm. Aber ist es so, wie suggeriert wird: Weinstein ist überall? Die Welt schreibt: „Schauspielerin Alyssa Milano schaffte es, die Weinstein-Debatte aus der Hollywood-Filterblase auf die normale Frau zu übertragen.“ Wer auch immer mit normaler Frau gemeint ist: Bei Weinstein mischt sich Gier mit Unantastbarkeit, Allmächtigkeit, Gewalt und Grenzenlosigkeit. Das mal eben auf die normale Frau und den normalen Mann zu übertragen, und durchs Web zu pusten, ist zumindest gewagt.   

Erinnert sich noch jemand an #Aufschrei? FDP-Mann Brüderle war damals der Auslöser. Auch hier schilderten und beklagten Frauen zu recht, was Ihnen angetan wurde. Doch auch hier ist der Sturm so schnell verzogen wie er aufgekommen ist – leider!

Auch nach #metoo gehen in einigen Wochen, vielleicht schon Tagen alle wieder zur Tagesordnung über. Der Eindruck, Männer seien von Natur aus Grabscher, wird sich ein weiteres Stück verfestigen, der Grat zwischen Flirt und Belästigung noch etwas schmaler geworden sein. Und der nächste virtuelle Aufschrei kommt bestimmt. Das ist nicht grundsätzlich verkehrt, aber ist das alles? Muss immer erst eine Bestie wie Weinstein daher kommen, bis die Empörung überschwappt. Muss immer erst der richtige Zeitpunkt gekommen sein (siehe Brüderle), bis ein Opfer mit seiner Geschichte rausrückt, sie in den Orkus des Internets schreit, um dann im Strudel der Web-Hysterie unterzugehen? Warum nicht sofort: den Einzelfall schildern, weil jeder Fall anders liegt; eine Ohrfeige geben, weil es manchmal angebracht ist; zur Polizei gehen, weil es der einzig richtige Weg sein kann. Oder eine echte, differenzierte Kampagne anstoßen, die auch solche erreicht, die nicht nur virtuell unterwegs sind." 

 

Gern gelesen haben wir auch diesen Status-Beitrag von Malte Welding.

 

Zum Weiterlesen:

Ein wahnsinnig aufschlussreicher, erhellender und ehrlicher Text eines Mannes zum Thema #metoo ist in der ZEIT erschienen.

99e71245637240648b21bd8c39e0e4e6

Du magst vielleicht auch


9 comments

  1. Darüber reden
    Ja, deswegen finde ich auch, dass Männer und Frauen vielmehr darüber reden sollten! Vielleicht sollten hier noch ein paar andere Männerstimmen zu Wort kommen?

  2. Die Kommentare treffen genau
    Die Kommentare treffen genau das Problem. Jede Frau zieht eine eigene ganz persönliche Grenze, was sie als Belästigung empfindet. Die freundschaftlich gemeinte Berührung (Hand auf der Schulter o.ä.) eines Kollegen ist kein Thema oder wird nicht als Belästigung empfunden, einem anderen Kollegen möchte man die Personalabteilung auf den Hals hetzen. Dies gilt auch im privaten Bereich. Natürlich muss die Grenze einer jeden Frau akzeptiert und respektiert werden. Aber wir führen ja kein Handbuch mit uns rum, die diese Grenzen aufzeigen und für wen welche Grenzen gelten. Ich persönlich empfinde es nicht als Belästigung, wenn im Vorbeigehen mal dumme Sprüche oder Blicke von Männern kommen. Mir ist ehrlich die Zeit zu schade, mir darüber mehr Gedanken zu machen, als: was muss der wohl kompensieren und gehe dann meiner Wege.
    Die Überschreitung meiner Grenze formuliere ich klar und deutlich bzw. zeige sie auch körperlich.

  3. Komische Auffassung von Flirten
    Ich bin eigentlich sehr gerne Leserin Eures Blogs, finde aber auch diesen Artikel nicht sehr geglückt. Die Situation, mit einem Rollkoffer langsamer als sonst durch ein Baugerüst gehen zu müssen, also ohne Ausweichmöglichkeit, flankiert von grinsenden Arbeitern, kenne ich sehr gut und sie gehört zu den unangenehmsten, die ich kenne. Was soll frau in der Situation tun, wenn sie nicht angeflötet werden will? Dem Bauarbeiter eine runterhauen? Dann kippt die Stimmung aber schnell und man wird eventuell zurückgeschlagen, vielleicht sogar ganz schön fest. Dem Mann die Meinung sagen? Zieht mit Sicherheit obszöne Beschimpfungen nach sich. Also: mit festgefrorenem Lächeln oder versteinerter Mine ab durch die Mitte. Männer, vielleicht solltet Ihr einfach mehr mit Frauen reden. Nicht jede Frau, die lächelt, fühlt sich froh dabei. Und leider sind solche Männer nicht von gestern, sowas kann echt nur ein Mann denken, die Probleme sind für die Frauen aktueller Alltag. Flirten ist für mich etwas ganz anderes, da es beidseitiges Interesse voraussetzt.

  4. Ich empfinde den Artikel
    Ich empfinde den Artikel ebenfalls als, sagen wir mal ungünstig. Natürlich kann man einen Mann befragen, aber in dem Artikel werden wieder unterschwellig Klischees bedient. Zum Beispiel, dass alle Männer unter Generalverdacht geraten (Witch hunt Woody Allen?). Oder dass die Grenze zwischen Flirt und Belästigung unklar sei und dass sexuelle Belästigung doch gar nicht dieselbe Relevanz habe wie die Taten von Weinstein. Alles ziemlich fragwürdige Thesen.

  5. total daneben
    Toll, erstmal eine Einschätzung einer Situation durch einen Mann der weder beteiligt ist noch irgendetwas beurteilen kann.

    Stellt ein Mann sich hier hin und manslplained was Belästigung ist und wie man mit ihr umgehen Soll? Ernsthaft?

    Das ist so bescheuert und irrelevant, das kann einen nur aufregen wenn man alle Tassen im Schrank hat.
    Wirklich ein peinlicher Artikel und für mich das Ende des Lesens dieses Blogs.

    1. Liebe Lilli,
      Das wäre sehr schade, wenn Du – nur weil Du einem Artikel nicht zu stimmst – gleich den ganzen Blog nicht mehr liest. Meinst Du nicht, dass es dazu gehört, unterschiedliche Sichtweisen darzustellen? Wir finden das wichtig und glauben, dass dieser Artikel aashaltbar ist – sonst hätten wir ihn nicht gebracht.

      1. Aushaltbar
        Woody Allens Meinung, die in der Argumentation der des Autors ähnelt, ist vermutlich ebenfalls aushaltbar, sollte man jedoch als Blog, der sich bereits als feministisch bezeichnet hat, nicht unkritisch reproduzieren.

          1. Unkritisch in Bezug auf das:
            Unkritisch in Bezug auf das: „Dieser Fall hat sich genauso zugetragen. Und er zeigt geradezu mustergültig, wie schmal der Grat ist zwischen Flirt und Belästigung“. Was doch stark an Woody Allen erinnert: „You also don’t want it to lead to a witch hunt atmosphere, a Salem atmosphere, where every guy in an office who winks at a woman is suddenly having to call a lawyer to defend himself.