Mutterschaft: „Kein Zufall, dass wir am Ideal scheitern“

Mutterschaft

Foto: Carolin Weinkopf

Ihr Lieben, es ist so schön, dass endlich ein Umdenken stattfindet, dass es mittlerweile in Büchern zur Mutterschaft nicht mehr ausschließlich um das Wohlbefinden unserer lieben Kleinen geht, sondern, dass die Mutter in den Fokus gerückt wird. Die wurde lange genug übersehen. Das haben wir schon in unseren eigenen Büchern anders gemacht und genauso macht es Jana Heinicke in Aus dem Bauch heraus. Wir müssen über Mutterschaft sprechen anders. Sie sagt, es ist niemals persönliches Versagen, wenn wir am gesellschaftlichen Ideal scheitern. Es muss ein viel generelleres Umdenken In Richtung Mütter stattfinden… Sie selbst hatte sich das irgendwie mit Kind alles ganz anders vorgestellt…

Liebe Jana, wie hast du dir die Mutterschaft vorgestellt, als du noch keine Mutter warst? 

Um ehrlich zu sein, habe ich mir nie wirklich vorgestellt, wie es wohl wäre, Mutter zu sein. Aber ich habe mir immer wieder ausgemalt, wie toll es wäre, ein Kind zu haben. Dass dieses Kind mein Leben unglaublich bereichern würde. Dass ich glücklicher dadurch wäre, vervollständigt. Dass Mutterschaft auch mich als Frau und eigenständigen Menschen komplett verändern würde, das sickerte erst so langsam zu mir durch, als ich bereits schwanger war.

Und welche Erweckungserlebnisse hattest du dann, als das Baby da war, wo passten Vorstellung und Realität am wenigsten zusammen?

Ein einziges, ganz bestimmtes Ereignis gab es in der Form gar nicht. Es war mehr ein Prozess. Das Gefühl, mein ganzes Leben irgendwie verarscht worden zu sein. Dieses riesige Glück, in dem ich doch die absolute Erfüllung finden sollte, stellte sich irgendwie so gar nicht ein. Stattdessen geriet ich immer mehr in einen Spagat zwischen meinen Erwartungen und dem, wie mein Leben als Mutter ganz real war. Mich in dieser Diskrepanz neu zu verorten, meinen eigenen Weg zu finden, fand ich unglaublich schwer. Ich habe mich anfangs oft ohnmächtig gefühlt, war traurig und auch sehr wütend.

Du fragst dich: „Warum geht es in Schwangerschaftsratgebern immer nur ums Wohle des Kindes und nie darum, welchen Einfluss Elternschaft auf die psychische Gesundheit von Müttern hat?“ Wir möchten dir da gern unseren WOW MOM-Mutmacher für die Schwangerschaft empfehlen, da haben wir uns ganz und gar der Mama und ihren Empfindungen gewidmet. Wir hatten da das gleiche Gefühl und haben uns deswegen hingesetzt und es geschrieben. Warum meinst du, steht das noch in so wenigen Ratgebern drin? Sind wir Frauen einfach egal? 

Ich glaube, es fehlt einfach das Bewusstsein dafür, dass Mutterschaft mehr bedeutet, als ein Kind großzuziehen. Bis vor wenigen Jahren wurde Mutterschaft aus psychologischer Sicht ja beispielsweise ausnahmslos mit Blick auf das kindliche Wohlbefinden erforscht. Also, im Fokus stand immer nur das Kind – nie aber die Mutter.

Dass z.B. Schwangerschaft und Geburt auch einen erheblichen psychologischen, physiologischen, neurologischen und hormonellen Einfluss auf die Person haben kann, die z.B. gebärt und dass sich ihre Identität dadurch auch entscheidend verändern kann, ist ein recht neuer Ansatz. Das Wissen dazu ist mehr als unvollständig, die Forschung steht erst ganz am Anfang. Dass das im 21. Jahrhundert so ist, dass es einen riesigen Gender Data Gap gibt, darin liegt natürlich eine Aussage darüber, welchen Stellenwert Frauen und Menschen mit Uterus in unserer Gesellschaft haben.

Wie hat sich dein Mutterwerden auf deinen Körper, deine Psyche, deine Beziehungen und deine gesellschaftliche Stellung ausgewirkt? 

Mutterschaft
Autorin Jana Heinicke. Foto: Carolin Weinkopf

Enorm. Es war eine komplette Erdplattenverschiebung. Im Buch spreche ich darüber, dass es sich anfühlte, als wäre die Landkarte meines eigenen Daseins nicht mehr gültig. Ich fand mich überhaupt nicht mehr in mir zurecht. Nichts an mir war mehr verlässlich oder vorhersehbar oder dort, wo es mal gewesen war. Ich dachte lange, dass ich übertreibe, oder einfach zu dramatisch bin, nicht für dieses Mutterding gemacht.

Dass all diese Veränderungen eigentlich völlig normal sind, erfuhr ich erst 1 ½ Jahre nach der Geburt meines Kindes, als ich auf dem Intergramkanal von den @schwesterherzen.doulas zum ersten Mal über den Begriff der „Muttertät“ gestolpert war. Der ja nicht umsonst an „Pubertät“ erinnert. Denn tatsächlich erleben werdende Mütter rund um die Geburt eines Kindes neurologische, hormonelle, psychische und physische Veränderungen im ähnliches Ausmaß, wie sie sich in der Pubertät ereignen. Nur dass wir über diese Phase und ihre Auswirkungen im Kontext Mutterschaft kaum sprechen.

Warum spricht man beim Vater vom „helfen“, wenn er sich um sein Kind kümmert und erwartet gleichzeitig von Müttern ganz selbstverständlich, alles hintenanzustellen – selbst die eigenen körperlichen Grundbedürfnisse?

Weil wir als Gesellschaft den Gedanken verinnerlicht haben, dass ein Kind zu seiner Mutter gehört, dass Mütter, oder als weiblich gelesene Personen ganz generell, die liebevolleren, fürsorglicheren Wesen wären. Liebevoll und fürsorglich wird aber gerne mit Selbstaufgabe verwechselt. Es ist eine patriarchale Rollenzuschreibung, die in der Zeit der Aufklärung entstand und sich bis heute wacker hält.

Wir lieben deinen Spruch: „Ein Babylächeln gleicht keine Rentenlücke im Alter aus“. Es geht dir da um strukturelle Benachteiligung. Wie sind wir da hingekommen? Und vor allem: Wie kommen wir da wieder raus? 

Ich bin mir gar nicht sicher, ob der Spruch von mir ist – aber ich finde ihn auch sehr gut 😀
Es gibt ja diese grundsätzliche Annahme, dass Kinder unser Leben verbessern würden – also ganz speziell das Leben von Müttern. Dieses Narrativ entstand nicht ohne Hintergedanken. Spätestens mit dem Einsetzen der Industrialisierung musste die Rolle der Frau neu definiert werden und vor allem brauchte es eine Legitimation dafür, dass Reproduktionsarbeit mit Einsetzen des Kapitalismus auf einmal nicht mehr honoriert wurde.

Also argumentierte man, dass es die naturgegebene Rolle der Frau wäre, Kinder zu kriegen, den Haushalt zu schmeißen und ihrem Mann sexuell gefällig zu sein. All das täten Frauen aus purer Liebe zu ihrer Familie – weshalb die ihnen zugeschriebenen Aufgaben auch mit nichts als Liebe entlohnt werden müssten. Liebe wurde zu einer Währung – die wir bis heute nutzen. Zum Beispiel, wenn wir behaupten, dass das Lächeln unserer Kinder uns für alle schlaflosen Nächte entlohnen würde.

Dieses Narrativ baut also auf einer kapitalistisch-patriarchalen Ideologie auf, die sich tief in unsere Gesellschaft hineingeschrieben hat. Sie ist vielleicht der größte Mansplaining-Skandal unserer Geschichte.
Wie wir da wieder rauskommen? Patriarchat und Kapitalismus abschaffen. Oder für den Anfang: Dieses Narrativ bewusst durchbrechen. Im Gespräch mit Freund*innen, der Familie, dem*der Partner*in.

Warum müssen Mütter eigentlich stets versichern, dass sie ihre Kinder trotzdem über alles lieben, sobald sie die Bedingungen kritisieren, unter denen Mutterschaft derzeit möglich ist?

Weil Mutterliebe als der größte Indikator dafür gilt, ob jemand eine „gute Mutter“ ist – oder eben nicht. Und dieser Ansatz hat viel mit der Annahme zu tun, Liebe und Care wären ein und dasselbe, was wiederum auf oben beschriebener Ideologie beruht, wonach Mütter aus purer Selbstlosigkeit und bedingungsloser Liebe Sorgearbeit leisten würden. Wenn Mütter also sagen: Hey, ich finde die Bedingungen nicht gut, unter denen ich Mutter bin, antwortet die Gesellschaft: „Was? Du liebst dein Kind wohl nicht genug – Rabenmutter!“ Und niemand möchte eine Rabenmutter sein.

Funfact an dieser Stelle: Im Gegensatz zum Wort „Mutterliebe“ steht das Wort „Vaterliebe“ noch nicht mal im Duden. Und das, obwohl bei Vätern die gleichen Bindungs- und „Liebes“hormone ausgeschüttet werden, wie bei Müttern – vorausgesetzt, sie verbringen Zeit mit ihren Kindern.

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Jana Heinicke Foto: Carolin Weinkopf

Zum Thema Gleichberechtigung fragst du: „Wie gleicht man paritätisch einen Dammriss aus? Oder die Konsequenzen einer Wochenbettdepression? Und wievielmal Klo putzen ist eigentlich einmal Stillen?“ Hast du Antworten darauf gefunden?

Nein, leider nicht. Aber ich finde die Fragen ehrlich gesagt auch viel spannender. Ich hoffe, dass Menschen durch sie in einen Dialog kommen und Dinge neu verhandeln, die sie bisher als universell gegeben vorausgesetzt haben. Vielleicht entsteht ein neues Bewusstsein dafür, dass Schwangerschaft, Geburt und ggf. Stillen keine „naturgegebenen“ Abläufe sind, die „einfach so“ passieren, sondern ganz reale Leistungen mit zum Teil großen gesundheitlichen und auch finanziellen Risiken. Wir müssen anfangen, das mitzudenken. Und vor allem müssen wir anfangen, diese Leistung auszugleichen und zu honorieren.

Hast du das Gefühl, dich noch immer in einem Spagat zwischen Ideal und Wirklichkeit zu befinden, auch einige Jahre nach der Geburt noch?

Tatsächlich habe ich mit Abschluss meines Buches auch das Gefühl gehabt, ganz gut in meiner Rolle als Mutter angekommen zu sein. Oder zumindest: Das Mutterwerden abgeschlossen zu haben. Das öffnet neue Räume – auch im Umgang mit meinem Kind. Ich fühle mich freier in meinen Handlungen. Das ist schön.

Du wünschst dir für dich und uns eine Umverteilung von (Entscheidungs-) Macht, Ressourcen und Verantwortlichkeiten und echte Wertschätzung von Sorgearbeit. Was noch?

Milde. Ich wünsche uns mehr Milde im Umgang miteinander. Und ich wünsche Familien ein Umfeld, das ihnen mit Offenheit und Wohlwollen begegnet, statt mit Vorurteilen und fixen Erwartungshaltungen. Menschen, die statt die Nase zu rümpfen und von außen bewerten, lieber fragen: „Was brauchst du, wie kann ich helfen?“

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6 comments

  1. Ganz großer Applaus für diesen Artikel! Ich kann es kaum glauben, wie gut sie meine Gefühle und Gedanken zu dem Thema „Muttersein“ zusammengefasst haben. Danke sehr dafür.

  2. ich kann dem allem nur zustimmen!

    eine anekdote von gestern beim neuen physiotherapeuten:
    fragt er mich : was machen sie denn so? ( um zu wissen ob ich viel stress habe)
    ich: ich arbeite zwei tage die woche, habe zwei kleine kinder und den haushalt.
    er so: ah, da haben sie ja keinen stress.
    thema fertig.
    genau, ich sitze nur herum und trinke kaffe.
    meine kinder hatte ich fünf jahre zuhause und war immer zuständig. jetzt sind sie zwar ein bisschen in schule und kiga. dazu arbeite ich noch und mache alles an den anderen tagen. aber stress habe ich keinen habe ich gestern gelernt !

  3. Ein wirklich großartiger Artikel und ganz großartige Fragen die hier aufgeworfen werden. Es hört ja nämlich leider nicht mit der Aufforderung auf die Mütter müssen sich halt eben mal um sich kümmern und auch arbeiten gehen damit sie eben keine Rentenlücke haben. Den wer versorgt denn dann? Wer kümmert sich um das was liegen bleibt? Care Arbeit ist eben auch wertvolle und wichtige Arbeit die man nicht einfach so „outsourcen“ kann.

    1. Vielleicht war es so gemeint: Da haben Sie keinen Stress, das wir uns in den Zeiten, in denen ich Ordi habe, einen Termin vereinbaren, weil SIE flexibler sind als eine Frau, die 40 Stunden im Büro arbeitet.

      Natürlich unglücklich und blöd formuliert.

  4. Ist das toll! Wirklich ein sehr bereichernder Artikel. Einmal in alle Tageszeitungen und als Plakat in mindestens jede Bushaltestelle, bitte! Damit Familien in einem Umfeld leben können, das ihnen mit Offenheit und Wohlwollen begegnet, statt mit Vorurteilen und fixen Erwartungshaltungen! Danke!

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